Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 1000/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_1000/2008

Urteil vom 30. Juni 2009
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Parteien
S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Fredy Fässler,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau,
St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 22. Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
S.________, geboren 1963, war vom 1. Januar 1986 bis 31. Mai 2006 bei der Firma
B.________ AG angestellt. Vom 26. Juni 2006 bis 25. Juni 2008 bezog S.________
Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Bereits am 26. März 2007 meldete sie
sich unter Hinweis auf Schulter-, Arm-, Rücken- und Beinbeschwerden, bestehend
seit ungefähr dreieinhalb Jahren, bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug
an. Die IV-Stelle des Kantons Thurgau führte erwerbliche Abklärungen durch und
holte einen Bericht ein des Dr. med. E.________, Allgemeine Medizin FMH, vom 9.
Juli 2007. Auf entsprechende Anfrage der IV-Stelle legte Dr. med. E.________
weitere medizinische Unterlagen ins Recht (Befunde des Instituts W.________
[Dr. med. U.________, FMH Radiologie], vom 14. Oktober 2005; Berichte des
Zentrums X.________ vom 19. Oktober und 7. Dezember 2005; rheumatologisches
Gutachten des T.________, Facharzt FMH für Rheumatologie und Innere Medizin,
Institut Y.________, vom 7. September/2. November 2006). Nach weiteren
erwerblichen Abklärungen und durchgeführtem Vorbescheidverfahren verfügte die
IV-Stelle am 31. Januar 2008 die Abweisung des Leistungsbegehrens mangels
rentenbegründenden Invaliditätsgrades.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde der S.________ wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau mit Entscheid vom 22. Oktober 2008 ab.

C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und unter Aufhebung der Verfügung vom 31. Januar 2008 sowie des angefochtenen
Entscheides die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente beantragen.
Eventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen und diese
anzuweisen, ein unabhängiges Gutachten und eine BEFAS-Begutachtung in die Wege
zu leiten.

Vorinstanz und Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau schliessen auf Abweisung
der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist
aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht (Art. 107 Abs. 1
BGG) nur zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in Anwendung der
massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (unter anderem)
Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen
rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Die Vorinstanz legt die Rechtsprechung zur Beweiswürdigung sowie zum Beweiswert
medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a-c S. 352 ff.)
zutreffend dar. Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Das kantonale Gericht erwog, gestützt auf das Gutachten des Instituts
Y.________, welchem voller Beweiswert zukomme, sei die Beschwerdeführerin in
einer angepassten Tätigkeit zu 80 % arbeitsfähig. Unabhängig davon, ob eine
Parallelisierung der Einkommen vorgenommen würde oder nicht, resultiere selbst
bei Gewährung eines grosszügigen Abzuges von 20 % kein anspruchsbegründender
Invaliditätsgrad.

3.2 Die Beschwerdeführerin rügt, Vorinstanz und IV-Stelle hätten zu Unrecht auf
das Gutachten des Instituts Y.________ abgestellt. Dieses sei ein reines
Parteigutachten (zuhanden der Schweizerischen Mobiliar,
Versicherungsgesellschaft), das die IV-Stelle nicht von der Vornahme eigener
Abklärungen entbinde. Zu solchen hätte umso mehr Anlass bestanden, als sich
ihre gesundheitliche Situation seit jener Begutachtung weiter verschlechtert
habe, wie die neueren "Gutachten" des Instituts W.________ vom 8. und 11.
Oktober 2007 bescheinigten. Weil es sich bei der angestammten Tätigkeit bereits
um eine angepasste, leichte Tätigkeit handle, habe die IV-Stelle den
Sachverhalt falsch beurteilt, indem sie für die bisherige Tätigkeit eine
hälftige, in einer angepassten Arbeit aber eine 80%ige Arbeitsfähigkeit
unterstelle. Sodann komme ihren psychischen Problemen durchaus Krankheitswert
zu. Bundesrechtswidrig sei der Verzicht der IV-Stelle auf eine
BEFAS-Begutachtung. Das Valideneinkommen sei falsch festgesetzt worden, weil
sie sich entgegen dem angefochtenen Entscheid nicht aus freien Stücken mit
einem solchen begnügt habe; schliesslich müsse der Leidensabzug auf 25 %
festgesetzt werden.

4.
4.1
4.1.1 Soweit die Beschwerdeführerin den bereits im vorinstanzlichen Verfahren
erhobenen und vom kantonalen Gericht entkräfteten Einwand wiederholt, das
Gutachten des Instituts Y.________ sei nicht beweiskräftig, weil es sich dabei
um ein Parteigutachten handle, kann auf die zutreffenden Erwägungen des
kantonalen Gerichts verwiesen werden. Insbesondere hat die Vorinstanz
zutreffend erkannt, dass Anhaltspunkte für mangelnde Objektivität oder gar
Befangenheit des Gutachters T.________ gänzlich fehlen (und von der
Beschwerdeführerin auch nicht näher konkretisiert werden), so dass keine
Veranlassung besteht, an der Richtigkeit seiner Beurteilung zu zweifeln. Die
Vorinstanz hat in nachvollziehbarer Weise dargelegt, weshalb sie nicht auf die
hinsichtlich der verbleibenden Arbeitsfähigkeit vom Gutachten des Instituts
Y.________ abweichende Einschätzung des behandelnden Dr. med. E.________
abstellte und dabei in bundesrechtskonformer Weise der Erfahrungstatsache
Rechnung getragen, dass Hausärzte aufgrund ihrer auftragsrechtlichen
Vertrauensstellung im Zweifel eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen (BGE 125
V 351 E. 3b/cc S. 353).

Letztinstanzlich nicht zu beanstanden ist auch die Würdigung der beiden
Berichte des Instituts W.________ (MRI der HWS vom 8. Oktober 2007 und
Arthro-MRI der Schulter links vom 10. Oktober 2007). Ob die (partielle) Ruptur
der Supraspinatussehne erst nach der Begutachtung des Instituts Y.________
aufgetreten ist, was fraglich erscheint, nachdem Dr. med. E.________ am 14.
März 2008 zuhanden des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin ohne Berufung
auf neue Läsionen lediglich bestätigte, der gesundheitliche Zustand der
Beschwerdeführerin habe sich insoweit verschlechtert, als die Schmerzen im
Nacken und in der Schulter häufiger und hartnäckiger geworden seien, ist
letztlich nicht entscheidwesentlich. Nach Einschätzung des RAD-Arztes Dr. med.
R.________, FMH für Innere Medizin, kommt zum einen der mittels MRI
objektivierten Diagnose nur in Zusammenhang mit den klinischen Befunden
Aussagekraft zu und zum anderen vermag der MRI-Befund allein - bereits mangels
früherer Röntgenbilder - eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht
zu belegen. Eine ausführliche klinische Untersuchung der Schultergelenke durch
den Gutachter des Instituts Y.________ fand indes statt und führte diesen zum
Schluss, eine ideal angepasste Tätigkeit sollte maximal leichte
Gewichtsbelastungen ohne repetitives Heben von Gewichten beinhalten,
wechselbelastend sein und "maximal selten" Tätigkeiten in nach vorn geneigter
Körperhaltung sowie Arbeiten über Kopf beinhalten. Damit hält die medizinische
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz betreffend die Einschränkungen an der
linken Schulter vor Bundesrecht stand.
4.1.2 Die vorinstanzliche Feststellung, es fehle an einer "eigentlichen"
psychischen Erkrankung, ist weder offensichtlich unrichtig noch unvollständig
noch beruht sie auf einer Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen. Zwar
führte Dr. med. E.________ in seinem Arztbericht vom 9. Juli 2007 unter
Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit eine Depression (bei
beginnender Fibromyalgie) an, doch handelt es sich dabei nicht um einen
fachärztlich schlüssig festgestellten Befund, weshalb daraus nichts abgeleitet
werden kann. Daran ändert auch nichts, dass die grosse Enttäuschung der
Beschwerdeführerin über die Kündigung des langjährigen Arbeitsverhältnisses bei
der B.________ AG gut nachvollziehbar ist. Das Bundesgericht ist daher auch in
diesem Punkt an die Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts gebunden.
Gleiches gilt für die im angefochtenen Entscheid auf 80 % festgesetzte
Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398).
Entgegen den Vorbringen in der Beschwerde kann die angestammte Tätigkeit in der
Firma B.________ AG, welche repetitive Bewegungsabläufe umfasste (die
Versicherte hat vorwiegend Kunststoffflaschen in Kartons verpackt), nicht als
ebenso behinderungsangepasst angesehen werden wie die im Gutachten des
Instituts Y.________ beschriebenen, weiterhin zumutbaren wechselbelastenden
Arbeiten.
4.2
4.2.1 An die Konkretisierung von Arbeitsgelegenheiten und Verdienstaussichten
auf dem hier massgeblichen ausgeglichenen Arbeitsmarkt sind keine übermässigen
Anforderungen zu stellen (im Einzelnen: Urteil 9C_830/2007 vom 29.07.2008 E.
5.1, publiziert in: SVR 2008 IV Nr. 62 S. 203). Kann die versicherte Person aus
medizinischer Sicht körperlich leichte Tätigkeiten ohne weitreichende
Einschränkungen generell weiterhin verrichten und geht aus den ärztlichen
Abklärungen und Beschreibungen hinreichend klar hervor, dass ihr auf dem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt genügend zumutbare Tätigkeiten offenstehen, ist
eine zusätzliche berufsberaterische Einschätzung nicht erforderlich (vgl.
Urteil I 797/05 vom 29. August 2006 E. 3 mit Hinweisen). Für die
letztinstanzlich eventualiter beantragte BEFAS-Begutachtung besteht kein Raum
in Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführerin wechselbelastende Tätigkeiten
mit maximalen Gewichtsbelastungen von 10 kg, ohne repetitives Heben mit maximal
selten (d.h. maximal 6 % bezogen auf einen achtstündigen Arbeitstag)
vornübergeneigten oder über Kopf auszuführenden Arbeiten im Umfang von 80 %
(ganztags mit vermehrten Pausen) generell zumutbar sind (Einschätzung des
Gutachters T.________ vom 7. September/2. November 2006).
4.2.2 Nicht stichhaltig sind auch die weiteren gegen den vorinstanzlichen
Einkommensvergleich erhobenen Einwände. Das kantonale Gericht hat mit
zutreffender Begründung erwogen, dass selbst eine Parallelisierung der
Vergleichseinkommen (hiezu BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 325 sowie BGE 8C_652/2008
vom 8. Mai 2009 E. 6.1.2 und 6.1.3) keinen rentenbegründenden Invaliditätsgrad
ergäbe. Soweit die Beschwerdeführerin unter Berufung auf einen jährlichen
Tabellenlohn "gemäss LSE TA1, Sektor 2" von Fr. 55'000.- bis Fr. 60'000.- einen
höheren als den von der Vorinstanz ermittelten Invaliditätsgrad begründen will,
kann ihr nicht gefolgt werden. Zum einen hat das kantonale Gericht mit Blick
auf den beruflichen Werdegang der Versicherten zu Recht auf den Totalwert im
Anforderungsniveau 4 abgestellt (BGE 129 V 472 E.4.3.2 S. 484 mit Hinweis), zum
anderen betrug auch in dem von der Beschwerdeführerin herangezogenen Sektor 2
(Produktion) gemäss LSE 2006 Tabelle TA 1 S. 25 der durchschnittliche Lohn für
Frauen (lediglich) Fr. 4'067.- pro Monat, wobei der 13. Monatslohn darin
anteilmässig bereits enthalten ist (vgl. LSE 2006 a.a.O.). Angepasst an die
betriebsübliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit im Jahre 2006 von 41,7
Stunden (Die Volkswirtschaft 12/2007 Tabelle B9.2 S. 98) ergibt dies monatlich
Fr. 4'239.85 oder jährlich Fr. 50'878.20. Der vorinstanzlich auf 20 %
festgesetzte leidensbedingte Abzug ist letztinstanzlicher Korrektur nurmehr
zugänglich, wenn das kantonale Gericht sein Rechtsermessen rechtsfehlerhaft
ausgeübt hat (also bei Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder
-unterschreitung; BGE 132 V 393 E. 2.2 und 3.3 S. 396 und 399). Dies trifft
hier nicht zu. Unter Berücksichtigung der 80%igen Arbeitsfähigkeit in einer
angepassten Tätigkeit und eines leidensbedingten Abzuges von 20 % resultiert
ein Invalideneinkommen in Höhe von jährlich Fr. 32'562.- und damit ein
Invaliditätsgrad von 36 %. Es muss daher bei der Feststellung sein Bewenden
haben, dass die Arbeitsfähigkeit (im hier zu beurteilenden Zeitraum) nicht in
anspruchsbegründendem Ausmass eingeschränkt gewesen war.

5.
Die zu erhebenden Gerichtskosten (Art. 65 BGG) sind ausgangsgemäss von der
Beschwerdeführerin zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. Juni 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Meyer Bollinger Hammerle