Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Revision 8F.2/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8F_2/2008

Urteil vom 4. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Parteien
C.________,
Gesuchsteller, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Claudia Schaumann,
Löwenstrasse 59, 8001 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Gesuchsgegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Revisionsgesuch gegen das Urteil des
Bundesgerichts I 961/06 vom 19. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Mit Urteil vom 19. November 2007 (I 961/06) wies das Bundesgericht die von
C.________ erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 11. September 2006 ab, mit
welcher dieser die Zusprechung einer ganzen, eventuell einer halben
Invalidenrente mit Wirkung ab Oktober 2003 beantragt hatte. Damit blieb es bei
der (durch Einspracheentscheid vom 26. August 2005 bestätigten) Verfügung vom
3. Mai 2005, mit welcher die IV-Stelle des Kantons Zürich im Wesentlichen
gestützt auf das interdisziplinäre Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle
X.________ vom 13. Dezember 2004 dem Versicherten aufgrund eines
Invaliditätsgrades von 50 Prozent mit Wirkung ab Oktober 2003 eine halbe
Invalidenrente zugesprochen hatte.

B.
C.________ (nachstehend: Gesuchsteller oder Versicherter) lässt am 25. März
2008 unter Hinweis auf das von der IV-Stelle in Auftrag gegebene psychiatrische
Gutachten des Dr. R.________ vom 4. November 2007 um Revision des
letztinstanzlichen Urteils ersuchen und beantragen, gestützt auf das neue
Beweismittel sei ihm mit Wirkung ab August 2005, eventuell ab Oktober 2003 eine
ganze Invalidenrente zuzusprechen. Eventuell sei die Sache zur ergänzenden
Abklärung an die Verwaltung oder die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem sei nach
Vorlage der vollständigen IV-Akten ein zweiter Schriftenwechsel durchzuführen.
Überdies lässt er um unentgeltliche Rechtspflege ersuchen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung des Gesuchs, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.

C.
Die I. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege mit Verfügung vom 24. Juni 2008 abgewiesen und vom
Gesuchsteller am 30. Juni 2008 einen Kostenvorschuss verlangt, den er innert
Frist bezahlt hat.

D.
Am 18. August 2008 lässt C.________ eine ergänzende Stellungnahme einreichen.

Erwägungen:

1.
Das Revisionsverfahren ist nach dem am 1. Januar 2007 erfolgten (AS 2006 S.
1205, 1243) Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17.
Juni 2005 (Bundesgerichtsgesetz [BGG]; SR 173.110) eingeleitet worden, weshalb
es sich nach diesem Gesetz richtet (Art. 132 Abs. 1 BGG; in BGE 133 IV 142
nicht publizierte E. 1 des Urteils 6F_1/2007 vom 9. Mai 2007; Urteil 8F_1/2007
vom 9. Oktober 2007).

2.
Der Gesuchsteller beantragt die Durchführung eines zweiten Schriftenwechsels.
Im unter der Überschrift "Schriftenwechsel" stehenden Art. 127 BGG fehlt eine
eigene Regelung zum zweiten Schriftenwechsel im Revisionsverfahren, so dass die
für die Beschwerden geschaffenen Verfahrensvorschriften zur Anwendung kommen,
soweit sie diesem ausserordentlichen Rechtsmittel gerecht werden (Elisabeth
Escher, Revision, Erläuterung und Berichtigung, in: Niggli/ Übersax/
Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N.
1 zu Art. 127). Nach Art. 102 Abs. 3 BGG findet in der Regel kein weiterer
Schriftenwechsel statt (vgl. auch alt Art. 143 Abs. 3 OG, wonach im
Revisionsverfahren ein weiterer Schriftenwechsel nur ausnahmsweise
stattzufinden hatte). Vorliegend besteht dazu kein Anlass. Die Sache ist
spruchreif. Auf die Einholung einer Replik ist zu verzichten, zumal sie auch
aus Gründen des rechtlichen Gehörs nicht als geboten erscheint.

3.
3.1 Urteile des Bundesgerichts erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in Rechtskraft
(Art. 61 BGG; vgl. Art. 38 OG). Eine nochmalige Überprüfung der einem Urteil
des Bundesgerichts zugrundeliegenden Streitsache ist grundsätzlich
ausgeschlossen. Das Gericht kann auf seine Urteile nur zurückkommen, wenn einer
der im Gesetz abschliessend aufgeführten Revisionsgründe (Art. 121 ff. BGG;
vgl. Art. 136 ff. OG) vorliegt. Ein solcher Revisionsgrund ist ausdrücklich
geltend zu machen, wobei es nicht genügt, das Vorliegen eines solchen zu
behaupten. Der geltend gemachte Revisionsgrund ist im Revisionsgesuch unter
Angabe der Beweismittel darzulegen, wobei dargetan werden muss, weshalb er
gegeben und inwiefern gestützt darauf das Dispositiv des früheren Urteils
abzuändern sein soll (Urteil 2A.526/2001 vom 29. April 2002, E. 3.1). An dieser
in Anwendung des OG ergangenen Rechtsprechung ist auch unter der Herrschaft des
BGG festzuhalten (Urteil 8F_3/2007 vom 16. August 2007).

3.2 Der Gesuchsteller ruft den Revisionsgrund von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG
an. Danach kann die Revision in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten verlangt
werden, wenn die ersuchende Partei nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt
oder entscheidende Beweismittel auffindet, die sie im früheren Verfahren nicht
beibringen konnte, unter Ausschluss der Tatsachen und Beweismittel, die erst
nach dem Entscheid - mithin dem Urteil, um dessen Revision ersucht wird -
entstanden sind. Als in diesem Sinne neu gelten Tatsachen, welche sich bis zum
Zeitpunkt, da im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual
zulässig waren, verwirklicht haben, jedoch der um Revision ersuchenden Person
trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren; es handelt sich somit um
unechte Noven; die Geltendmachung echter Noven, also von Tatsachen, die sich
erst nach Ausfällung des Urteils, das revidiert werden soll, zugetragen haben,
ist ausgeschlossen (Seiler/von Werth/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG],
Bern 2007, Rz. 75 zu Art. 123). Die zu dem mit dem ersten Satzteil von Art. 123
Abs. 2 lit. a BGG praktisch gleich lautenden, per Ende 2006 aufgehobenen Art.
137 lit. b OG ergangene Rechtsprechung behält auch unter der Herrschaft des BGG
ihre Gültigkeit (Urteil 9F_4/2007 vom 23. August 2007 E. 2 mit Hinweis). Laut
dieser Gerichtspraxis sind Tatsachen erheblich, die geeignet sind, die
tatbeständliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern und bei
zutreffender rechtlicher Würdigung zu einem andern Ergebnis zu führen (BGE 118
II 199 E. 5 S. 204 f. mit Hinweis; Urteile 8F_4/2007 vom 14. Juli 2008 und 9F_4
/2007 vom 23. August 2007).

4.
4.1 Im Urteil vom 19. November 2007 ist das Bundesgericht zum Schluss gelangt,
das kantonale Gericht habe für die Beurteilung des Anspruchs auf eine
Invalidenrente zu Recht massgebend auf das Gutachten der Abklärungsstelle
X.________ vom 13. Dezember 2004 abgestellt, welches gestützt auf eine
internistische Untersuchung und ein rheumatologisches, neurologisches und
psychiatrisches Konsilium die Arbeitsfähigkeit mit Bezug auf leichte
Tätigkeiten auf 50 Prozent festgelegt habe, und es hat das Erkenntnis gemäss
kantonalem Entscheid vom 11. September 2006, der Versicherte habe Anspruch auf
eine halbe Invalidenrente auch unter Berücksichtigung der
beschwerdeführerischen Einwendungen als bundesrechtskonform betrachtet. In
zeitlicher Hinsicht war die damalige Überprüfungsbefugnis begrenzt durch den
Einspracheentscheid der IV-Stelle vom 26. August 2005 (BGE 129 V 1 E. 1.2 S. 4,
167 E. 1 S. 169 und 354 E. 1 S. 356, je mit Hinweis).

4.2 Als Revisionsgründe werden im Gesuch vom 25. März 2008 die im
psychiatrischen Gutachten des Dr. R.________ vom 4. November 2007 erwähnten
neuen Diagnosen einer Panikstörung (ICD-10 F41.0) und einer narzisstischen
Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.8) genannt, welche spätestens ab August 2005
zu einer 100 prozentigen Erwerbsunfähigkeit geführt hätten. Dieses neue
Beweismittel sei bei der Rechtsvertreterin des Versicherten am 5. Dezember 2007
eingegangen. Laut Dr. R.________ habe sich der Gesundheitszustand trotz
psychiatrischer Behandlung seit der Begutachtung durch die Abklärungsstelle
X.________ im Jahre 2004 stetig verschlechtert. Diese neuen Tatsachen hätten
sich vor dem Einspracheentscheid der IV-Stelle vom 26. August 2005 verwirklicht
und zusammen mit den bereits bekannt gewesenen Diagnosen spätestens ab August
2005 zu einer vollen Arbeitsunfähigkeit geführt.

5.
Dr. R.________ hat den Versicherten am 29. Oktober 2007 untersucht. Über die
gesundheitliche Entwicklung seit Erstellung des Gutachtens der Abklärungsstelle
X.________ vom 13. Dezember 2004 konnte er daher aus eigener Wahrnehmung keine
Feststellungen treffen. Bezüglich der Arbeitsunfähigkeit hält der Psychiater im
Gutachten vom 4. November 2007 fest, er schliesse sich der Beurteilung des
behandelnden Psychiaters an, dass der Patient seit mindestens August 2005 voll
arbeitsunfähig sei. Zur Arbeitsfähigkeit ab dem Jahre 2002 konnte er sich
mangels psychiatrischer Beurteilungen aus jener Zeit nicht äussern. Aus dem in
der Anamnese erwähnten Bericht von Frau Dr. J.________ vom 29. Juni 2006 ergibt
sich, dass der Versicherte seit dem 22. Februar 2006 in ihrer Praxis
psychotherapeutisch behandelt wurde. Zur Arbeitsfähigkeit hielt die Fachärztin
für Psychiatrie fest, der vorhergehende Therapeut, Dr. H.________, habe den
Patienten vom 18. August 2005 bis 28. Januar 2006 zu 100 Prozent arbeitsunfähig
geschrieben. Ihrer Ansicht nach sei er seither und bis auf Weiteres aus
medizinisch-psychiatrischen Gründen voll arbeitsunfähig und sozialpraktisch auf
dem Arbeitsmarkt kaum vermittelbar. Dieser Arztbericht vom 29. Juni 2006 lag
dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich bei der Beurteilung, welche
zum Entscheid vom 11. September 2006 führte und Gegenstand des
bundesgerichtlichen Urteils vom 19. November 2007 bildete, vor. Das kantonale
Gericht hielt dazu fest, obschon sich Frau Dr. J.________ auf den Zeitraum ab
18. August 2005 beziehe, habe sie den Versicherten erst nach Erlass des
Einspracheentscheids vom 26. August 2005 am 22. Februar 2006 zum ersten Mal
gesehen und untersucht, weshalb sich gestützt auf ihren Bericht für den
massgebenden Beurteilungszeitraum keine von den Gutachten der Abklärungsstelle
X.________ abweichende Festsetzung der zumutbaren Restarbeitsfähigkeit
rechtfertigen lasse. Die Annahme einer vollen Arbeitsunfähigkeit ab August 2005
stellt daher keine neue Tatsache dar. Da Dr. R.________ lediglich auf frühere
Arztberichte verweist, um die höhere Arbeitsunfähigkeit zu begründen, ohne für
jenen Zeitraum eine Beurteilung aus eigener Feststellung vornehmen zu können,
stellt sein Gutachten auch keinen Beweis für eine Tatsache dar, die zwar im
früheren Verfahren bekannt war, aber zum Nachteil der gesuchstellenden Person
unbewiesen geblieben ist. Die Kenntnis des neu erstellten Gutachtens hätte das
Bundesgericht deshalb im Rahmen der ihm zustehenden Prüfungsbefugnis (vgl. E.
1.2 des Urteils I 961/06) nicht veranlassen können, die
sozialversicherungsgerichtlichen Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit zu
beanstanden. Dieses ist auch nicht geeignet, die tatbeständlichen Grundlagen
des angefochtenen Urteils vom 19. November 2007 bezüglich der Bemessung des
Invaliditätsgrades zu verändern und bei zutreffender rechtlicher Würdigung
hinsichtlich der Frage, ob ein leidensbedingter Abzug vom Invalideneinkommen
zuzulassen ist, zu einem anderen Ergebnis zu führen. Soweit der Gesuchsteller
diesbezüglich eine abweichende Beurteilung verlangt, ist er mit dieser Rüge im
Revisionsverfahren nicht zu hören. Dem im Revisionsgesuch gestellten
Eventualbegehren, wonach die Sache an die IV-Stelle oder das kantonale Gericht
zurückzuweisen sei, um weitere Abklärungen durchzuführen, kann im
bundesgerichtlichen Revisionsverfahren nicht Folge gegeben werden. Es ist Sache
des Versicherten dafür besorgt zu sein, dass notwendige Abklärungen von der
dafür zuständigen Instanz getätigt werden. Ob das Gutachten des Dr. R.________
vom 4. November 2007 Anlass zu einer Revision nach Art. 17 ATSG in Verbindung
mit Art. 87 Abs. 3 IVV gibt, bildet nicht Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens und braucht daher nicht geprüft zu werden.

6.
Die Gerichtskosten werden dem Gesuchsteller als unterliegender Partei auferlegt
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Gesuchsteller auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse der Schweizer Maschinenindustrie und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Hofer