Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.99/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_99/2008

Urteil vom 26. November 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Parteien
G.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Hablützel, Lutherstrasse
4, 8004 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 10. Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1935 geborene G.________ war bis zu seinem Konkurs im Jahr 2000 als
selbstständiger Transportunternehmer tätig. Seine Geschäfte wurden von der
Firma T.________ GmbH weitergeführt, für welche er als Chauffeur und
Geschäftsleiter tätig war. Die Firma T.________ GmbH deklarierte für ihn der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (nachfolgend: SUVA) sowie der
zuständigen Ausgleichskasse gegenüber einen Lohn aus unselbstständiger
Erwerbstätigkeit. Am 25. September 2002 war G.________ als Lastwagenlenker in
einen Verkehrsunfall verwickelt. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen
Leistungen. Mit Verfügung vom 6. Januar 2005 lehnte die SUVA ihre
Leistungspflicht nachträglich ab und stellte die Rückforderung der bereits
erbrachten Leistungen in Aussicht. G.________ und sein Krankenversicherer
erhoben Einsprache. Mit Einspracheentscheid vom 9. November 2005 hielt die SUVA
an ihrem Entscheid fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 10. Dezember 2007 ab.

C.
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und
festzustellen, dass er mit Blick auf den Unfall vom 25. September 2002
obligatorisch, eventualiter freiwillig, versichert war und die SUVA die
gesetzlichen Leistungen zu erbringen habe. Die SUVA schliesst auf Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann die Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin
prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen).
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG). Es kann daher auch eine unvollständige
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz ergänzen, welche für die Anwendung des
materiellen Bundesrechts von rechtserheblicher Bedeutung ist.

1.2 Für die Beurteilung des hier strittigen Falles ist das Bundesgericht nach
Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG nicht an den vorinstanzlich
festgestellten Sachverhalt gebunden, da die SUVA mit Verfügung vom 6. Januar
2005 und Einspracheentscheid vom 9. November 2005 den Anspruch auf Leistungen
(u. a. Taggelder) rückwirkend verneint hat und damit Geldleistungen der
Unfallversicherung streitig sind.

2.
Mit Verfügung vom 6. Januar 2005, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 9.
November 2005, hat die SUVA ihre Leistungen eingestellt und eine Rückforderung
der bereits erbrachten Zahlungen mittels separater Verfügung angekündigt. Dabei
handelt es sich nicht um eine Feststellungs-, sondern eine
Leistungsaufhebungsverfügung. Daran ändert nichts, dass die SUVA nicht
gleichzeitig eine Rückforderungsverfügung erliess, da die Rückerstattung von zu
Unrecht erbrachten Leistungen nicht zwingend ist, sondern es der SUVA offen
steht, aus einzelfallgerechten Überlegungen (etwa finanzielle Situation) im
Sinne eines vorweggenommenen Erlasses auf die Rückforderung zu verzichten. Nach
dem Gesagten erübrigen sich weitere Ausführungen zum geltend gemachten Mangel
des Feststellungsinteresses.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die SUVA ihre Leistungspflicht für den Unfall
vom 25. September 2002 nachträglich ablehnen durfte.

3.1 Art. 49 Abs. 1 ATSG bestimmt, dass über Leistungen, Forderungen und
Anordnungen, die erheblich sind oder mit denen die betroffene Person nicht
einverstanden ist, der Versicherungsträger eine schriftliche Verfügung zu
erlassen hat. Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die nicht unter Art. 49
Abs. 1 ATSG fallen, können in einem formlosen Verfahren behandelt werden (Art.
51 Abs. 1 ATSG). Nach Art. 124 UVV ist insbesondere bei der Zusprechung von
Invalidenrenten, Abfindungen, Integritätsentschädigungen,
Hilflosenentschädigungen, Hinterlassenenrenten und Witwenabfindungen sowie bei
Revision von Renten oder Hiflosenentschädigungen (lit. a), bei der Kürzung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen (lit. b) und bei der Rückforderung von
Versicherungsleistungen (lit. c) eine schriftliche Verfügung zu erlassen.
Gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die
Verwaltung auf formell rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide,
die nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet haben,
zurückkommen, wenn sie zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von
erheblicher Bedeutung ist (Art. 53 Abs. 2 ATSG; BGE 133 V 50 E. 4.1 S. 52).

3.2 Taggelder der Unfallversicherung können in einem formlosen Verfahren
zugesprochen werden (Art. 124 UVV e contrario in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1
ATSG). Der im formlosen Verfahren nach Art. 51 Abs. 1 ATSG erlassene Entscheid
zeichnet sich dadurch aus, dass er - allenfalls nach einer bestimmten Frist -
in Rechtskraft erwächst. Er kann somit nicht mehr angefochten werden. Auch der
Versicherungsträger kann nicht voraussetzungslos auf den formlosen Entscheid
zurückkommen. Damit er eine formlose Verfügung abändern kann, müssen die
Voraussetzungen eines Rückkommenstitels nach Art. 53 ATSG gegeben sein (vgl.
auch Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich 2003, N 6 zu Art. 51 und N 19 zu Art. 53).
Die Rückerstattung zu Unrecht bezogener Leistungen setzt voraus, dass die
Bedingungen für eine Wiedererwägung oder eine prozessuale Revision des die
fraglichen Leistungen zusprechenden - formell oder formlos erlassenen -
Entscheids erfüllt sind (BGE 130 V 318 E. 5.2 in fine S. 320 mit Hinweisen;
vgl. auch KIESER, a.a.O., N 6 zu Art. 25).

4.
Die Firma T.________ GmbH deklarierte für den Beschwerdeführer ab 1. Januar
2001 der SUVA sowie der zuständigen Ausgleichskasse gegenüber einen Lohn aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit. Nachdem der Beschwerdeführer sich am 25.
September 2002 bei einem Unfall im Rahmen seiner Tätigkeit als Lastwagenfahrer
Verletzungen zugezogen hatte, erbrachte die SUVA die gesetzlichen Leistungen.
Auf Grund der bei der Firma T.________ GmbH am 14. Juli 2004 durchgeführten
Arbeitgeberkontrolle kamen der SUVA Zweifel an der Stellung des
Beschwerdeführers als Arbeitnehmer und damit an seiner Eigenschaft als
obligatorisch Versicherter. Zur Klärung dieser Zweifel forderte sie bei der
Firma T.________ GmbH Unterlagen an, welche Lohnzahlungen an den
Beschwerdeführer belegen. Sie holte auch Auskünfte bei der Treuhänderin der
Firma T.________ GmbH ein. Zudem lag ihr die Steuererklärung des
Beschwerdeführers für das Jahr 2002 vor. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2004
teilte die SUVA dem Beschwerdeführer mit, dass "für den Unfall vom 25.9.2002
die Versicherungsdeckung bestanden hat. Das Taggeld wird im bisherigen Rahmen
weiter ausgerichtet." Danach forderte sie nochmals Unterlagen für die Jahre
2002 und 2003 ein, lehnte mit Verfügung vom 6. Januar 2005, bestätigt mit
Einspracheentscheid vom 9. November 2005, ihre Leistungspflicht nachträglich ab
und stellte die Rückforderung der bereits erbrachten Leistungen in Aussicht.

5.
Nachdem die SUVA verschiedene Abklärungen vorgenommen hatte, teilte sie dem
Beschwerdeführer mit Schreiben vom 13. Oktober 2004 mit, dass sie das Taggeld
im bisherigen Rahmen weiter ausrichte. Sie hat ihm dadurch zu verstehen
gegeben, sie sei auf Grund der erfolgten Abklärungen zum Ergebnis gelangt, dass
er die bereits erbrachten Leistungen zu Recht bezogen und auch Anspruch auf
weitere Leistungen habe. Da sie seinem Begehren vollständig entsprach, war dazu
gemäss Art. 51 Abs. 1 ATSG und Art. 124 UVV der Erlass einer formellen
Verfügung im Sinne von Art. 49 Abs. 1 ATSG nicht nötig. Für den
Beschwerdeführer bestand deshalb kein Anlass, eine formelle Verfügung zu
verlangen.
Um die erbrachten Leistungen zurückfordern zu können, müssen auch bei diesen im
Verfahren nach Art. 51 ATSG zugesprochenen Leistungen die Voraussetzungen des
Art. 53 Abs. 2 ATSG erfüllt sein (E. 4). Die SUVA kann sich somit nicht drei
Monate später auf den Standpunkt stellen, die Leistungsausrichtung sei von
Beginn an fehlerhaft gewesen. Vielmehr fehlt es für ein Zurückkommen auf die
Leistungszusprechung unter diesen Umständen an der Voraussetzung der
zweifellosen Unrichtigkeit und damit eines Rückkommenstitels im Sinne von Art.
53 Abs. 2 ATSG, zumal sich die SUVA auf keine neuen, erst nach dem 13. Oktober
2004 bekannt gewordenen Tatsachen oder Beweismittel abstützen kann.
Insbesondere ist die Berufung auf die in der Verfügung vom 6. Januar 2005
erwähnte Besprechung vom 23. November 2004 unbehelflich, da sich in den Akten
keinerlei Unterlagen dazu befinden.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die SUVA hat als unterliegende Partei die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der obsiegende Beschwerdeführer
hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 10. Dezember 2007 und der Einspracheentscheid der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 9. November 2005 werden
aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. November 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Riedi Hunold