Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.948/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_948/2008

Urteil vom 12. Januar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille,
Gerichtsschreiber Jancar.

Parteien
K.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Felix Barmettler, Bahnhofstrasse 8, 6403 Küssnacht
am Rigi,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene K.________ war ab 1. Januar 2003 bis 31. Oktober 2006 als
Hilfsisoleur bei der Firma D.________ AG angestellt. Am 17. Februar 2006
stolperte er bei der Arbeit auf einem Flachdach und fiel auf Rücken und Kopf.
Das Spital X.________, wo er ambulant behandelt wurde, diagnostizierte
gleichentags eine Kontusion der Lendenwirbelsäule (LWS) mit/bei Status nach
Stolpersturz sowie Zahnfraktur Nr. 11 und 21. Am 8. Januar 2008 meldete sich
der Versicherte bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Zur
Abklärung der Verhältnisse holte die IV-Stelle des Kantons Zürich diverse
Arztberichte sowie ein Gutachten des Dr. med. U.________, MBA Spezialarzt
Psychiatrie und Psychotherapie (FMH) sowie Psychosomatische uns psychosoziale
Medizin (APPM), und des Dr. med. M.________ vom 5. Mai 2007 ein. Mit Verfügung
vom 5. November 2007 verneinte die IV-Stelle einen Rentenanspruch des
Versicherten.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab, soweit es darauf eintrat (Dispositiv-Ziffer 1); es
auferlegte dem Versicherten die Gerichtskosten von Fr. 800.-, nahm sie jedoch
zufolge Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung einstweilen auf die
Gerichtskasse (Dispositiv-Ziffer 2; Entscheid vom 30. September 2008).

C.
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte die Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 1
und 2 des kantonalen Entscheides; ab Februar 2007 sei ihm eine ganze
Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die
IV-Stelle zurückzuweisen. Ferner verlangt er die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. Er legt
neue Akten auf. Mit Verfügung vom 5. Dezember 2008 wies das Bundesgericht das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde
ab, worauf der Versicherte fristgemäss den einverlangten Kostenvorschuss von
Fr. 500.- bezahlte.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140).

1.2 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Dies ist auf Grund der Vorbringen in der Beschwerde zu prüfen (in SVR
2008 AlV Nr. 12 S. 35 publ. E. 1.2 und 2.2 des Urteils BGE 133 V 640).

2.
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur insoweit vorgebracht werden, als der
Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).

2.1 Letztinstanzlich reicht der Versicherte neu eine Stellungnahme der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom 3. Februar 2006
betreffend Heilkosten- und Taggeldausrichtung für die Folgen des Unfalls vom
17. Februar 2006 ein. Im Rahmen von Art. 99 Abs. 1 BGG sind die Parteien
grundsätzlich gehalten, alle rechtsrelevanten Tatsachen und Beweismittel
bereits bei den Vorinstanzen zu nennen. Gründe zur Abweichung von dieser Regel
sind vorliegend nicht erkennbar, zumal der Versicherte nicht darlegt, dass ihm
die frühere Beibringung dieser SUVA-Stellungnahme prozessual unmöglich und
objektiv unzumutbar war (vgl. Urteil 8C_195/2008 vom 16. Dezember 2008, E. 4
mit Hinweis).

2.2 Weiter legt der Versicherte neu den vorinstanzlichen, unangefochten in
Rechtskraft erwachsenen Entscheid vom 30. September 2008 betreffend den
Einspracheentscheid der SUVA vom 28. März 2007 auf; hierin hat die Vorinstanz
die Leistungseinstellung der SUVA für die Folgen des Unfalls vom 17. Februar
2006 auf den 30. November 2006 bestätigt. Aus diesem vorinstanzlichen Entscheid
kann der Versicherte - wie die folgenden Erwägungen zeigen - nichts zu seinen
Gunsten ableiten. Zudem reicht er neu einen Bericht des Sozialpsychiatrischen
Dienstes vom 24. Oktober 2008 ein, worin ausgeführt wurde, ab 27. Oktober 2008
werde er wegen aktueller Zustandsverschlechterung (anhaltende
Anpassungsstörung, Angst und depressive Reaktion gemischt, ICD-10: F43.22) in
die Psychiatrische Klinik Y.________ eintreten. Auch dieser Bericht, der
lediglich obige Angaben enthält, ist unbehelflich, da er nicht geeignet ist,
die Beurteilung bezogen auf den massgebenden Zeitpunkt bis zum Verfügungserlass
am 5. November 2007 zu beeinflussen (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220, 121 V 362
E. 1b S. 366, je mit Hinweisen). Unter diesen Umständen kann offenbleiben, ob
die Einreichung dieser beiden neuen Akten im Lichte von Art. 99 Abs. 1 BGG
überhaupt zulässig ist.

3.
Die Vorinstanz hat richtig erkannt, dass die am 1. Januar 2008 in Kraft
getretenen Änderungen des IVG vom 6. Oktober 2006 und der IVV vom 28. September
2007 (5. IV-Revision) nicht anwendbar sind, da die streitige Verfügung vom 5.
November 2007 datiert. Bei den nachfolgend zitierten Bestimmungen handelt es
sich demnach um die bis Ende 2007 gültig gewesenen Fassungen.
Weiter hat die Vorinstanz die Bestimmungen über die Arbeitsunfähigkeit (Art. 6
ATSG), die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), die Invalidität (Art. 8 Abs. 1
ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG) sowie die Rechtsprechung zum
invalidisierenden Charakter psychischer Gesundheitsschäden (BGE 131 V 49, 130 V
352) und zum Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V
351) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

4.
Die auf Grund medizinischer Untersuchungen gerichtlich festgestellte Arbeits
(un)fähigkeit ist Entscheidung über eine Tatfrage. Tatfrage ist weiter, in
welchem Umfang eine versicherte Person vom funktionellen Leistungsvermögen und
vom Vorhandensein bzw. von der Verfügbarkeit psychischer Ressourcen her eine
(Rest-)Arbeitsfähigkeit aufweist und ihr die Ausübung entsprechend profilierter
Tätigkeiten zumutbar ist, es sei denn, andere als medizinische Gründe stünden
der Bejahung der Zumutbarkeit im Einzelfall in invalidenversicherungsrechtlich
erheblicher Weise entgegen. Soweit die Beurteilung der Zumutbarkeit von
Arbeitsleistungen auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützt wird, geht es um
eine Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Die Beachtung des
Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 43 Abs. 1
bzw. Art. 61 lit. c ATSG ist Rechtsfrage. Die konkrete und die antizipierte
Beweiswürdigung betreffen Tatfragen (Urteil 8C_474/2008 vom 4. Dezember 2008,
E. 3 mit Hinweis).

5.
5.1 Die Dres. med. U.________ und M.________ stellten im Gutachten vom 5. Mai
2007 folgende Diagnosen mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit:
Anpassungsstörung mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens (ICD-10:
F43.24). Auslösend sei vermutlich der Unfall vom 17. Februar 2006 gewesen. Ohne
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit seien a. Status nach depressiver Episode
(ICD-10: F32.4), aktuell remittiert, bei Status nach Anpassungsstörung mit
vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen (ICD-10: F43.23) bei Status
nach Unfall vom 17. Februar 2006 und b. Abhängigkeitssyndrom von ärztlich
verordneten Benzodiazepinen (Diazepam; ICD-10: F13.24). Die Vorinstanz hat
gestützt auf dieses Gutachten sowie in sorgfältiger Würdigung der übrigen
medizinischen Akten mit einlässlicher Begründung richtig festgestellt, dass die
Arbeitsfähigkeit des Versicherten in der bisherigen und in einer
leidensangepassten Tätigkeit zu weniger als 20 % eingeschränkt und er sofort
eingliederungsfähig ist.

5.2 Diese vorinstanzliche, auf ärztlicher Stellungnahme beruhende Feststellung
der Restarbeitsfähigkeit ist tatsächlicher Natur. Der Versicherte erhebt
letztinstanzlich keine Rügen, welche diese Feststellung als offensichtlich
unrichtig oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhend
erscheinen lassen (vgl. E. 1.2 hievor).
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers wurde der Sachverhalt weder
willkürlich (Art. 9 BV) noch in Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
(Art. 29 Abs. 2 BV) ermittelt. Hieran ändert nichts, dass im Gutachten der
Dres. med. U.________ und M.________ vom 5. Mai 2007 ausgeführt wurde, die
therapeutischen Massnahmen seien (noch) nicht ausgeschöpft und im Verlauf
sollte eine allfällige stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung
evaluiert werden. Denn entscheidend ist, dass sich diese Massnahmen auf eine
weitere Verbesserung des Gesundheitszustandes bezogen und bis zum massgebenden
Zeitpunkt des Verfügungserlasses am 5. November 2007 die Voraussetzungen für
einen Rentenanspruch nicht erfüllt waren (vgl. auch E. 6 hienach; Urteil I 128/
07 vom 16. Januar 2008, E. 7 mit Hinweisen).
Weiter ist es angesichts der eingeschränkten Kognition des Bundesgerichts nicht
zu beanstanden, wenn die Vorinstanz zur Auffassung gelangte, die Berichte des
Sozialpsychiatrischen Dienstes vom 21. Dezember 2006, 23. November 2007 und 21.
April 2008 vermöchten das Ergebnis des Gutachtens der Dres. med. U.________ und
M.________ vom 5. Mai 2007 nicht in Frage zu stellen.

5.3 Der Versicherte wendet ein, die Vorinstanz habe ihm in Verletzung von Art.
29 Abs. 1 BV das Recht verweigert, da sie es unterlassen habe, die
Anspruchsberechtigung nach Massgabe von Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG zu prüfen; er
sei seit dem Unfall vom 17. Februar 2006 während mehr als einem Jahr ohne
Unterbruch zu 100 % arbeitsunfähig gewesen; die SUVA habe ihm seit dem Unfall
bis 30. November 2006 auf Grund 100%iger Arbeitsunfähigkeit das ganze Taggeld
ausgerichtet. Auch dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Denn vorliegend ist
auf das Gutachten der Dres. med. U.________ und M.________ vom 5. Mai 2007
abzustellen, wonach die Arbeitsfähigkeit des Versicherten zu weniger als 20 %
eingeschränkt ist (E. 5.1 hievor). Zudem vermag eine Arbeitsunfähigkeit von
mindestens 40 % im bisherigen Beruf während eines Jahres nach Art. 29 Abs. 1
lit. b IVG (BGE 130 V 97 E. 3.2 S. 99) allein keinen Rentenanspruch zu
begründen, sondern nur, wenn sich daran eine Erwerbsunfähigkeit bzw.
Invalidität (Art. 7, Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG) in mindestens
gleicher Höhe anschliesst. Dies gilt in gleicher Weise für alle gesetzlichen
Rentenabstufungen (Art. 28 Abs. 1 IVG; BGE 121 V 264 E. 6b/cc S. 274; Urteil
8C_189/2008 vom 4. Juli 2008, E. 2.2). In casu liegt indessen der für einen
Rentenanspruch vorausgesetzte Invaliditätsgrad im massgebenden Zeitpunkt des
Verfügungserlasses am 5. November 2007 nicht vor (vgl. auch E. 6 hienach).

5.4 Schliesslich hat die Vorinstanz richtig erkannt, dass der Versicherte aus
dem Einspracheentscheid des Amtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit vom 13.
November 2007, worin seine Vermittlungsfähigkeit verneint wurde, nichts zu
seinen Gunsten ableiten kann.

Bei der gegebenen Aktenlage kann in antizipierter Beweiswürdigung (dazu BGE 131
I 153 E. 3 S. 157, 124 V 90 E. 4b S. 94) von weiteren medizinischen
Beweismassnahmen abgesehen werden.

6.
Vorliegend durfte die Vorinstanz ausnahmsweise auf einen Einkommensvergleich
(vgl. Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 132 V 393 E. 3.3
S. 399) verzichten, zumal der Versicherte nicht geltend macht und nicht
ersichtlich ist, inwiefern im Rahmen seiner unter 20 % liegenden
Arbeitsunfähigkeit (E. 5.1 hievor) der für einen Rentenanspruch erforderliche
Invaliditätsgrad von mindestens 40 % erreicht werden sollte (vgl. auch Urteil
8C_588/2007 vom 27. August 2008, E. 12.3). Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz
den Anspruch auf eine Invalidenrente zu Recht verneint.

7.
Der unterliegende Versicherte trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. Januar 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Jancar