Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.917/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_917/2008

Urteil vom 17. März 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille,
Gerichtsschreiber Lanz.

Parteien
D.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch A.________,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 2. Oktober 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1956 geborene D.________ war als technischer Sachbearbeiter in der Firma
E.________ AG tätig und dadurch bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert.
Am 23. November 2006 liess er dem Versicherer melden, er leide nach mehreren
Zeckenstichen vom 18. Juni 2006 an einer Neuro-Borreliose. Die SUVA holte nebst
Berichten des behandelnden Arztes, Dr. med. T.________, Arzt für Innere Medizin
FMH, ein Gutachten des Prof. Dr. med. M.________, Leiter der Neurologischen
Poliklinik am Spital X.________ vom 6. August (recte wohl: September) 2007 ein.
Gestützt auf die Aussagen des Experten verneinte sie mit Verfügung vom 17.
September 2007 ihre Leistungspflicht mangels eines kausalen Zusammenhangs
zwischen den geklagten Beschwerden und dem gemeldeten Ereignis vom 18. Juni
2006. Die vom Krankenpflegeversicherer des D.________ hiegegen vorsorglich
erhobene Einsprache wurde wieder zurückgezogen. Der Versicherte erhob
seinerseits Einsprache und legte ein Aktengutachten des Dr. med. S.________,
Facharzt für Innere Medizin FMH, vom 21. November 2007 auf. Dazu gab Prof. Dr.
med. M.________ auf Anfrage der SUVA am 21. Februar 2008 eine Stellungnahme ab,
zu welcher sich wiederum Dr. med. S.________ am 17. März 2008 äusserte. Sodann
gab Dr. med. C.________, Facharzt FMH für Innere Medizin und Arbeitsmedizin,
von der Abteilung Arbeitsmedizin der SUVA, am 2. April 2008 eine Ärztliche
Beurteilung ab. Mit Entscheid vom 22. April 2008 wies der Versicherer die
Einsprache des D.________ ab.

B.
Die von D.________ hiegegen erhobene Beschwerde, welcher eine weitere
Stellungnahme des Dr. med. S.________ vom 8. Mai 2008 beilag, wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 2. Oktober 2008 ab.

C.
D.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalen Entscheids sei die Sache zu
ergänzenden Abklärungen und zum neuen Entscheid über die Zusprechung von
Leistungen an die Vorinstanz oder an den Unfallversicherer zurückzuweisen;
eventuell sei ein Obergutachten zur Frage des Vorliegens einer Neuro-Borreliose
einzuholen. Sodann sei das kantonale Gericht zu verpflichten, über eine
Parteientschädigung für das vorinstanzliche Verfahren zu befinden. Mit der
Beschwerde wird ein Bericht des Dr. med. T.________ vom 31. Oktober 2008
aufgelegt.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet
das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es kann die Verletzung von
Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen,
als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist
(Art. 106 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder
Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das
Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen
Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob aufgrund von Zeckenstichen eine Neuro-Borreliose
(als Erscheinungsform der Lyme-Krankheit [auch: Lyme-Borreliose] mit
Beteiligung des Nervensystems) eingetreten ist, welche einen Anspruch auf
Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung begründet.
Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze
zutreffend dargelegt. Es betrifft dies namentlich den Unfallbegriff und die für
einen Leistungsanspruch aus der obligatorischen Unfallversicherung
erforderlichen kausalen Zusammenhänge zwischen dem versicherten Ereignis und
dem eingetretenen Schaden, insbesondere bei Zeckenstichen, sowie die sich
stellenden beweisrechtlichen Fragen. Darauf wird verwiesen.
Hervorzuheben ist, dass der Stich der Zecke der Gattung Ixodes sämtliche
Merkmale des Unfallbegriffs (Art. 4 ATSG; aArt. 9 Abs. 1 UVV) erfüllt, weshalb
der obligatorische Unfallversicherer für die damit verbundenen
Infektionskrankheiten (Lyme-Krankheit, Enzephalitis) und deren Folgen
aufzukommen hat (BGE 122 V 230 E. 4 S. 239 ff. E. 5 und seitherige Entscheide).

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat zunächst erkannt, der Beschwerdeführer habe mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit am 18. Juni 2006 mehrere Zeckenstiche erlitten
und sei dabei mit Borrelien infiziert worden. Das ist nicht umstritten.
Wie die Vorinstanz sodann richtig erwogen hat, genügt der Nachweis eines
Kontaktes mit dem Borreliose-Erreger nicht für den Schluss auf eine
Lyme-Krankheit. Vielmehr setzt die Diagnose dieser Krankheit - gleich welchen
Stadiums - ein entsprechendes klinisches Beschwerdebild und den Ausschluss von
Differentialdiagnosen voraus, wobei je nach Krankheitsstadium ein
pathologischer laborchemischer Test die Wahrscheinlichkeit der Diagnose erhöhen
kann (Urteil U 585/06 vom 11. September 2007 E. 4 mit Hinweisen, u.a. auf:
NORBERT SATZ, Klinik der Lyme-Borreliose, 2. Aufl. 2002, S. 70). Das gilt auch
bei der Neuro-Borreliose (SATZ, a.a.O., S. 159 ff.; H.C. DIENER ET ALII,
Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, herausgegeben von der
Kommission "Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie", 3. Aufl.
2003, S. 359 ff.). Deren Diagnose ergibt sich aus der Kombination einer
typischen klinischen Symptomatik, entzündlicher Liquorveränderungen und der
positiven Borrelienserologie im Liquor (DIENER, a.a.O., S. 359).

3.2 Das kantonale Gericht hat wie bereits die SUVA eine Neuro-Borreliose
verneint. Es stützt sich namentlich auf das fachärztliche Gutachten des Prof.
Dr. med. M.________ vom 6. September 2007 (mit Ergänzung vom 21. Februar 2008).
Danach ist eine Neuro-Borreliose auszuschliessen. Der Experte begründet dies
zusammenfassend damit, dass für diese Krankheit typische objektivierbare
klinische Ausfälle fehlten, die laborchemischen Untersuchungen der Blutseren
keine eindeutigen Ergebnisse erbracht hätten, der Liquorbefund als normal
betrachtet werden müsse und die aus neuropsychologischer Sicht festgestellten
Symptome unspezifischer Art seien. Formal leide der Versicherte an einem
chronischen Spannungskopfschmerz mit migräniformen Exacerbationen. Diese
Beschwerden könnten durch die ausgeprägte psychosoziale Belastungssituation und
durch eine depressive Episode verstärkt werden. Prof. Dr. med. M.________ legt
überdies in der ergänzenden Stellungnahme vom 21. Februar 2008 dar, weshalb er
sich durch die abweichende Auffassung, welche im Aktengutachten des Dr. med.
S.________ vom 21. November 2007 vertreten wird, zu keiner anderen Sichtweise
veranlasst sieht.

3.3 Das kantonale Gericht hat einlässlich ausgeführt, weshalb es die
Feststellungen des Prof. Dr. med. M.________ für verlässlich erachtet und die
davon abweichenden Aussagen der Dres. med. T.________ und S.________ für
weniger überzeugend hält. Diese Würdigung ist in allen Teilen nachvollziehbar
und schlüssig begründet. Die Vorinstanz verweist dabei auch richtigerweise auf
die Beurteilung des SUVA-Arztes Dr. med. C.________ vom 2. April 2008, worin
die fachärztlichen Aussagen des Prof. Dr. med. M.________ bestätigt und mit
weiteren, schlüssigen Argumenten untermauert werden.
Was in der Beschwerde vorgebracht wird, rechtfertigt keine andere
Betrachtungsweise. Namentlich können sämtliche Einwendungen nichts daran
ändern, dass die aufgetretenen Symptome unspezifisch sind und nicht dem für
eine Neuro-Borreliose typischen klinischen Bild entsprechen. Prof. Dr. med.
M.________ äussert sich dazu gestützt auf die von ihm durchgeführten
Untersuchungen sowie unter Berücksichtigung der von Dr. med. T.________
erwähnten Symptome in eingehender und überzeugender Weise. Demgegenüber hat Dr.
med. S.________ den Beschwerdeführer nicht klinisch untersucht, sondern alleine
gestützt auf die medizinischen Vorberichte und serologischen Abklärungen
Stellung genommen. Dies hat das kantonale Gericht zutreffend gewürdigt. Es hat
zudem richtigerweise auf weitere medizinische Abklärungen, wie sie
letztinstanzlich erneut beantragt werden, verzichtet, da davon kein
entscheidrelevanter neuer Aufschluss zu erwarten ist. Es kann auch im Übrigen
auf die einlässlichen Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.

3.4 Der Versicherte beruft sich sodann auf den Arztbericht des Dr. med.
T.________ vom 31. Oktober 2008. Es stellt sich grundsätzlich die Frage der
prozessualen Zulässigkeit dieses erst letztinstanzlich aufgelegten Belegs. Dies
kann indessen offenbleiben, da der Bericht ohnehin keine abweichende
Beurteilung zu rechtfertigen vermöchte. Das zeigen die folgenden Erwägungen:
3.4.1 Dr. med. T.________ führt zunächst aus, ausgehend vom Zeckenstich sei im
Bereich der linken Brust ein Erythema chronicum migrans aufgetreten.

Das solitäre, an der Zeckenstichstelle entstandene Erythema (chronicum) migrans
ist eine lokale Reaktion auf die eingedrungenen (Borrelien-)Erreger (SATZ,
a.a.O., S. 104). Ob eine solche Hautmanifestation aufgetreten ist, ist
vorliegend umstritten. In den medizinischen Vorberichten hat Dr. med.
T.________ keinerlei entsprechenden Angaben gemacht. Offenbar erwähnte er auch
bei der telefonischen Besprechung, welche Prof. Dr. med. M.________ im Rahmen
seines Begutachtungsauftrages am 7. August 2007 mit ihm geführt hat, kein
Erythema migrans, ansonsten der Experte dies sicher festgehalten hätte. Zu
erwähnen ist weiter, dass gemäss dem Gutachten vom 6. September 2007 vom
Versicherten angegeben wurde, er sei eine Woche nach den erstmaligen
Zeckenstichen erneut von einer Zecke gestochen worden. Einige Wochen danach sei
eine bräunliche Verfärbung im Bereich der linken Axilla, verbunden mit
Juckreiz, aufgetreten und habe während Monaten persistiert. Der Versicherte
habe dem anfänglich keine Beachtung geschenkt, da es sich um eine bräunliche
und nicht um eine rötliche Verfärbung gehandelt habe; zudem habe er schon hin
und wieder bräunliche Hautverfärbungen gehabt, welche jeweils mit Salben- oder
Deodorant-Applikation verbunden gewesen seien. Prof. Dr. med. M.________ ging
in der Folge davon aus, es sei kein Erythema migrans aufgetreten (Gutachten vom
6. September 2007). Diese fachärztliche Beurteilung ist aufgrund der Angaben
des Versicherten und mangels anderweitiger Hinweise, welche in für den Experten
erkennbarer Weise auf eine solche Hautmanifestation hingedeutet hätten,
nachvollziehbar.
Weshalb Dr. med. T.________ erst im Bericht vom 31. Oktober 2008 ein Erythema
migrans erwähnt hat, kann offenbleiben. Denn auch das Vorliegen eines Erythema
migrans in der Anamnese oder zum Zeitpunkt der physikalischen Untersuchung ist
nicht zwangsläufig mit den aktuellen abzuklärenden Beschwerden des Patienten in
Verbindung zu bringen. Der Befund dispensiert nicht von einer sorgfältigen
Erhebung der weiteren Anamnese und von einem gründlichen Ausschluss anderer
Ätiologien (SATZ, a.a.O., S. 104 f.). Im vorliegenden Fall hat Prof. Dr. med.
M.________ eine Neuro-Borreliose namentlich auch deswegen ausgeschlossen, weil
es an der für diese Krankheit typischen neurologischen Symptomatik mangelt.
Zudem fand er einen normalen Liquorbefund vor und erwiesen sich die
blutserologischen Untersuchungen als nicht aussagekräftig. Damit fehlen
entscheidende diagnostische Merkmale, welche den Schluss auf eine
Neuro-Borreliose gestatten könnten.
3.4.2 Daran ändert auch der Hinweis des Dr. med. T.________ auf eine livide
Verfärbung, welche in der rechten Axillar-Gegend aufgetreten und im Mai 2007
mittels Hautbiopsie untersucht worden sei, nichts. Der Arzt führt aus, die
dabei erhobenen Befunde seien zwar nicht absolut spezifisch, aber doch sehr
typisch für eine Borrelieninfektion. Dass eine solche stattgefunden hat, ist
indessen wie bereits dargelegt unbestritten und genügt nicht für den Schluss
auf eine Neuro-Borreliose (E. 3.1 hievor).
3.4.3 Dr. med. T.________ bezeichnet sodann als zweitrangig, ob eine
Neuro-Borreliose aufgetreten sei; wesentlich sei, dass eine Borrelieninfektion
stattgefunden habe. Zweifel an den Aussagen des neurologischen Experten Prof.
Dr. med. M.________ vermag dies nicht zu begründen. Gleiches gilt für den
Hinweis des Dr. med. T.________, wonach die durchgeführten antibiotischen
Behandlungen jeweils zu einer Besserung geführt haben. Dies wurde im Gutachten
vom 6. September 2007 gestützt auf die früheren Angaben des Dr. med. T.________
bereits berücksichtigt.

4.
Zusammenfassend haben SUVA und kantonales Gericht eine Neuro-Borreliose zu
Recht verneint. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

5.
Die Kosten des vorliegenden Verfahrens sind vom unterliegenden Beschwerdeführer
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dasselbe gilt für die Parteikosten des
vorinstanzlichen Prozesses.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. März 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Lanz