Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.903/2008
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_903/2008

Urteil vom 27. März 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille,
Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Jancar.

Parteien
J.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Lagerhausstrasse 19, 8400
Winterthur,
Beschwerdegegner,

A.________.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 9. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
A.________ war ab 1. Oktober 2006 als Mitarbeiterin bei der Firma C.________
angestellt. Am 26. Oktober 2007 kündigte die Arbeitgeberin das
Arbeitsverhältnis auf den 30. November 2007. Am 12. November 2007 meldete sich
A.________ zur Arbeitsvermittlung an und beantragte Arbeitslosenentschädigung
ab 1. Dezember 2007. Mit Verfügung vom 10. Dezember 2007 verneinte die
Arbeitslosenkasse IAW (nachfolgend Kasse) diesen Anspruch. Die dagegen erhobene
Einsprache wies sie mit Entscheid vom 3. Januar 2008 ab.

B.
Die hiegegen am 4. Februar 2008 eingereichte Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab. Die Verfahrenskosten von
total Fr. 1780.- erlegte es Rechtsanwalt J.________, dem Vertreter der
A.________, auf (Entscheid vom 9. Juni 2008).

C.
Mit Beschwerde beantragt Rechtsanwalt J.________, es sei festzustellen, dass
das Verfahren nicht mutwillig geführt worden und kostenlos sei, weshalb er
nicht kostenpflichtig sei; demzufolge seien alle Kosten auf die Gerichtskasse
zu nehmen.

Das kantonale Gericht, die Kasse und das Staatssekretariat für Wirtschaft
verzichten auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Urteil vom 28. November 2008 verneinte das Bundesgericht den Anspruch von
A.________ auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. Dezember 2007 (Verfahren 8C_722/
2008).

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Dies ist aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde zu prüfen (in SVR 2008
AlV Nr. 12 S. 35 publ. E. 1.2 und 2.2 des Urteils BGE 133 V 640).

2.
Gemäss Art. 61 lit. a ATSG muss das Verfahren vor dem kantonalen
Versicherungsgericht einfach, rasch, in der Regel öffentlich und für die
Parteien kostenlos sein; einer Partei die sich mutwillig oder leichtsinnig
verhält, können jedoch eine Spruchgebühr und die Verfahrenskosten auferlegt
werden.

Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen, unter welchen
mutwillige oder leichtsinnige Prozessführung gegeben ist (BGE 128 V 323 f.;
vgl. auch SVR 2007 IV Nr. 19 S. 68 E. 2.2 [I 252/06], 2004 EL Nr. 2 S. 5 E. 3
[P 23/03]), grundsätzlich zutreffend dargelegt. Richtig wiedergegeben hat sie
auch die kantonalzürcherischen Bestimmungen über die mutwillige oder
leichtsinnige Prozessführung und die Kostenauferlegung an die Partei oder an
Dritte (§ 28 lit. a und § 33 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über das
Sozialversicherungsgericht vom 7. März 1993 [GSVGer] in Verbindung mit § 66
Abs. 3 der Zivilprozessordnung vom 13. Juni 1976 [ZPO]). Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Die Kasse hat den Anspruch der A.________ auf Arbeitslosenentschädigung ab
Dezember 2007 in Anwendung der Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 234 ff. mit der
Begründung verneint, sie habe bis 30. November 2007 in der Firma C.________
gearbeitet, die ihrem Mann gehöre. Als im Betrieb mitarbeitende Ehegattin könne
sie keine Arbeitslosenentschädigung beziehen (Einspracheentscheid vom 3. Januar
2008). Dieser Standpunkt ist von der Vorinstanz mit Entscheid vom 9. Juni 2008
und vom Bundesgericht mit Urteil vom 28. November 2008 bestätigt worden
(Verfahren 8C_722/2008).

3.2 Mit Verfügung vom 21. Februar 2008 eröffnete der vorinstanzliche
Gerichtssekretär der Versicherten, streitig sei, ob die Regelung bei der
Kurzarbeitsentschädigung (sowie Schlechtwetter- und Insolvenzentschädigung)
betreffend arbeitgeberähnliche Stellung auch bei der Arbeitslosenentschädigung
zu beachten sei. Nach klarer, konstanter und von der Lehre anerkannter
Rechtsprechung sei Art. 31 Abs. 3 AVIG auch beim Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung anwendbar; der Ausschluss gelte auch für den
mitarbeitenden Ehegatten des Arbeitgebers (Art. 31 Abs. 3 lit. b AVIG) und sei
absolut. Dazu habe sich die Versicherte bislang nicht geäussert. Der
Gerichtssekretär forderte sie deshalb auf, innert 20 Tagen zur
Beschwerdeantwort der Kasse Stellung zu nehmen und die Beschwerde
gegebenenfalls zurückzuziehen.

Mit vorinstanzlicher Eingabe vom 20. März 2008 verlangte der Beschwerdeführer
Fristerstreckung bis 18. April 2008 und führte aus, er sei noch nicht dazu
gekommen, den Fall juristisch abzuklären. Er sei einigermassen schockiert, dass
man sich im Sozialversicherungsrecht nicht mehr auf das geltende Gesetz soll
verlassen dürfen und können und dass auch die Auslegungsregeln, insbesondere
die zum qualifizierten Schweigen, nicht mehr Geltung haben sollten. In der
Folge liess er sich vorinstanzlich nicht mehr vernehmen.

3.3 Die Vorinstanz hat die Gerichtskosten wegen mutwilliger bzw. leichtsinniger
Prozessführung direkt dem Beschwerdeführer als Vertreter der A.________
auferlegt, da er diese Kosten schuldhaft verursacht habe.

4.
4.1 Die Begriffe der Mutwilligkeit und des Leichtsinns gehören dem Bundesrecht
an. Ihre Tatbestände können als erfüllt betrachtet werden, wenn eine Partei
Tatsachen wider besseres Wissen als wahr behauptet oder ihre Stellungnahme auf
einen Sachverhalt abstützt, von dem sie bei der ihr zumutbaren Sorgfalt wissen
müsste, dass er unrichtig ist. Mutwillig ist ferner das Festhalten an einer
offensichtlich gesetzwidrigen Auffassung. Leichtsinnige oder mutwillige
Prozessführung liegt aber so lange nicht vor, als es der Partei darum geht,
einen bestimmten, nicht als willkürlich erscheinenden Standpunkt durch das
Gericht beurteilen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn das Gericht die Partei
im Laufe des Verfahrens von der Unrichtigkeit ihres Standpunktes überzeugen und
zu einem entsprechenden Verhalten (Beschwerde- oder Klagerückzug) veranlassen
will. Die Erhebung einer aussichtslosen Beschwerde darf einer leichtsinnigen
oder mutwilligen Beschwerdeführung nicht gleichgesetzt werden. Das Merkmal der
Aussichtslosigkeit für sich allein lässt einen Prozess noch nicht als
leichtsinnig oder mutwillig erscheinen. Vielmehr bedarf es zusätzlich des
subjektiven - tadelnswerten - Elements, dass die Partei die Aussichtslosigkeit
bei der ihr zumutbaren vernunftgemässen Überlegung ohne weiteres erkennen
konnte, den Prozess aber trotzdem führt. Mutwillige Prozessführung kann ferner
darin begründet liegen, dass eine Partei eine ihr in dieser Eigenschaft
obliegende Pflicht (Mitwirkungs- oder Unterlassungspflicht) verletzt (BGE 128 V
323 f. E. 1b, SVR 2007 IV Nr. 19 S. 68 E. 2.2, je mit Hinweisen).

4.2 Vorliegend sind weder die Elemente der Tatsachenwidrigkeit noch der
Gesetzwidrigkeit noch der Mitwirkungspflichtsverletzung gegeben. In Frage kommt
die Erkennbarkeit der Aussichtslosigkeit der Beschwerde durch die Partei.
Dieses Tatbestandselement wurde bejaht bei einem schlechterdings
unverständlichen, je geradezu trölerischen Verhalten einer Partei (vgl. RKUV
1992 Nr. K 891 S. 70 E. 3).

Die Rechtsprechung gemäss BGE 123 V 234 ff., deren Anwendung in casu zu
beurteilen war, wird nicht selten kritisiert, einerseits wegen der fehlenden
ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage und andererseits, weil die
arbeitgeberähnlichen Personen und ihre Ehegatten doch die Beiträge an die
Arbeitslosenversicherung bezahlen (vgl. z.B. ARV 2005 Nr. 16 S. 201 E. 3 f. [C
160/04]). Hierauf hat sich der Beschwerdeführer denn auch in der
vorinstanzlichen Beschwerde berufen. Auch Thomas Nussbaumer äussert sich
bezüglich der Anwendung dieser Rechtsprechung auf den Fall der Liquidation der
Firma kritisch (vgl. Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Ulrich
Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Band XIV, Soziale
Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, S. 2263 Rz. 275). Angesichts dieser
wiederholt bestätigten Rechtsprechung war die erhobene Beschwerde zwar
aussichtslos, aber der darin angenommene Rechtsstandpunkt nicht schlechterdings
unverständlich.

4.3 Weiter ist zu beachten, dass eine beschwerdeführende Partei nicht schon
allein deswegen mutwillig handelt, weil sie trotz Rechtsbelehrung durch das
Gericht bzw. vorliegend den Gerichtssekretär, ihre Beschwerde nicht zurückzieht
(vgl. E. 4.1 hievor). Denn grundsätzlich hat eine beschwerdeführende Partei
Anspruch auf ein gerichtliches Urteil und nicht bloss auf eine gerichtliche
Beurteilung der Erfolgsaussichten. Von diesem Grundsatz darf nur bei ganz
klaren und eindeutigen Situationen abgewichen werden (RKUV 1992 Nr. K 891 S. 70
E. 3b; ZAK 1987 S. 117 E. 3a). Solche Verhältnisse waren im vorliegenden Fall
nicht gegeben.

4.4 Es kann auch nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer als
Rechtsvertreter elementarste Sorgfaltspflichten verletzt und damit unnötige
Kosten verursacht habe (vgl. BGE 129 IV 206 E. 2 S. 207 f.; Thomas Geiser, in:
Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, S. 583 Rz. 24 zu Art.
66). Von einem irregulären oder unerlaubten Verhalten im Rahmen der
Beschwerdeerhebung kann ebenfalls nicht gesprochen werden (vgl. auch Poudret/
Sandoz-Monod, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Bd. V,
Bern 1992, N. 4 zu Art. 156 OG, S. 148).

4.5 Nach dem Gesagten war die vorinstanzliche Beschwerdeerhebung weder
mutwillig noch leichtsinnig. Schon deshalb kann die Kostenüberbindung an den
Beschwerdeführer nicht geschützt werden. Demnach kann offen bleiben, ob Art. 61
lit. a Teilsatz 2 ATSG, der in diesem Zusammenhang lediglich die Partei
aufführt, eine Kostenauferlegung an ihren Rechtsvertreter bzw. ihre
-vertreterin in grundsätzlicher Hinsicht überhaupt zulässt.

5.
Es wird ausnahmsweise auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet (Art. 66
Abs. 1 BGG). Der in eigener Sache prozessierende Anwalt hat nur in
Ausnahmefällen Anspruch auf eine Parteientschädigung. Die Voraussetzungen, die
kumulativ gegeben sein müssen, damit eine solche Ausnahmesituation anzunehmen
ist (komplexe Sache mit hohem Streitwert, hoher Arbeitsaufwand, vernünftiges
Verhältnis zwischen dem betriebenen Aufwand und dem Ergebnis der
Interessenwahrung; vgl. BGE 129 V 113 E. 4.1 S. 116 mit Hinweisen), sind
letztinstanzlich im Falle des obsiegenden Beschwerdeführers nicht erfüllt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde wird Dispositiv-Ziff. 2 des Entscheides des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 9. Juni 2008 aufgehoben.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Staatssekretariat für Wirtschaft, der Arbeitslosenkasse IAW und dem
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. März 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Jancar