Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.892/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

8C_892/2008
{T 0/2}

Urteil vom 23. Januar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Grunder.

Parteien
K.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Karin Caviezel, Reichsgasse 65, 7000 Chur,

gegen

IV-Stelle des Kantons Graubünden,
Ottostrasse 24, 7000 Chur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 19. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.

A.a. Der 1960 geborene K.________, welcher seit Jahren als ausgebildeter
Physiotherapeut arbeitet, meldete sich erstmals am 17. März 2005 wegen
Beschwerden im Bereich des rechten Armes und Handgelenks zum Leistungsbezug bei
der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Graubünden tätigte berufliche und
medizinische Abklärungen (worunter Berichte der Dres. med. S.________, FMH
Physikalische Medizin und Rehabilitation, Sportmedizin [SGSM], Manuelle Medizin
[SAMM], Medizinisches Zentrum X.________, vom 19. Mai 2006, R.________,
Handchirurgie FMH, Ärztehaus C.________, vom 30. Juni 2006 sowie U.________,
FMH Innere Medizin, Zentrum für Ultraschalldiagnostikvom 22. August 2006) und
lehnte nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren einen Rentenanspruch mangels
leistungsbegründendem Invaliditätsgrad ab (Verfügung vom 3. April 2007). Eine
hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgerichts des Kantons
Graubünden ab (Entscheid vom 3. Juli 2007).

A.b. Am 8. November 2007 liess K.________ durch den behandelnden Hausarzt, Dr.
med. T.________, Spezialarzt für Innere Medizin FMH, um Neubeurteilung des
Rentenanspruchs ersuchen. Auf den Vorbescheid der IV-Stelle vom 19. November
2007 hin liess der Versicherte weitere Unterlagen einreichen (Berichte des
Spitals Y.________ vom 16. November 2006, sowie der Dres. med. R.________ vom
27. Mai 2007 und S.________ vom 18. Januar 2008). Mit Verfügung vom 26. März
2008 trat die Verwaltung auf das Neuanmeldegesuch mangels glaubhaft gemachter
veränderter Verhältnisse nicht ein.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher eine Stellungnahme des
Versicherten an seine Lebensversicherung vom 27. März 2008 sowie ein Bericht
des Dr. med. S.________ vom 9. April 2008 aufgelegt wurden, wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden ab (Entscheid vom 19. Juni 2008).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt K.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle
anzuweisen, auf das Leistungsbegehren zwecks Gewährung einer IV-Rente
einzutreten.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn
die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Versicherte mit dem von seinem Hausarzt
eingereichten Neuanmeldegesuch vom 8. November 2007 einen in revisionsrechtlich
erheblicher Weise veränderten Gesundheitszustand seit der mit Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 3. Juli 2007 bestätigten
Ablehnungsverfügung vom 3. April 2007 bis zum Erlass der
Nichteintretensverfügung vom 26. März 2008 glaubhaft gemacht hat.

3.
Nach der Rechtsprechung zur Rechtslage in Bezug auf das IV-rechtliche
Verwaltungsverfahren, wie sie bis In-Kraft-Treten des ATSG am 1. Januar 2003
galt, hatten die Gerichte grundsätzlich ihrer beschwerdeweisen Überprüfung
einer Nichteintretensverfügung auf eine Neuanmeldung hin den Sachverhalt zu
Grunde zu legen, der sich der Verwaltung im Zeitpunkt der Verfügung darbot (BGE
130 V 64 E. 5.2.5 in fine S. 69). Mit der am 1. Juli 2006 in Kraft gesetzten 4.
IV-Revision wurde das mit dem ATSG eingeführte Einspracheverfahren wieder
abgeschafft, weshalb die zitierte Praxis hier ohne Weiteres anwendbar ist.
Nachdem die IV-Stelle die im Vorbescheidverfahren aufgelegten medizinischen
Berichte in der Begründung der Nichteintretensverfügung vom 26. März 2008
einbezogen hat (vgl. hiezu Urteil I 619/04 vom 10. Februar 2005 E. 2.2 in
fine), sind diese, nicht aber die im kantonalen Verfahren neu eingereichten
Unterlagen bei der Beurteilung der Frage, ob veränderte tatsächliche
Verhältnisse glaubhaft gemacht worden sind, zu berücksichtigen.

4.
4.1 Das kantonale Gericht kam zum Schluss, dass die Ärzte in den aufgelegten
medizinischen Berichten einzig eine medizinische Neubeurteilung des gleich
gebliebenen Gesundheitszustands vorgenommen hätten.

Demgegenüber macht der Beschwerdeführer vor allem geltend, trotz der Annahmen
in der Ablehnungsverfügung habe er zunehmend an Beschwerden im Bereich des
linken Armes gelitten, was in der Nichteintretensverfügung vom 26. März 2008
ausser Acht gelassen worden sei.
4.2
4.2.1 Laut Bericht des Dr. med. S.________ vom 19. Mai 2006, welcher der
Ablehnungsverfügung der IV-Stelle vom 3. April 2007 hinsichtlich der
Beurteilung des Gesundheitszustands und der Arbeitsunfähigkeit hauptsächlich
zugrunde lag, litt der Versicherte seit Jahren an Schmerzen im Bereich des
lateralen Epicondylus rechts (sog. Tennisarm) mit Ausstrahlung bis in den
Daumen. Nach fehlgeschlagenen konservativen Therapien wurde ein chirurgischer
Eingriff am rechten Arm vorgenommen; die Schmerzen am lateralen Epicondylus
verschwanden, nicht aber die Sensibilitätsstörungen im Bereich des radialen
Vorderarmes sowie des Daumens und Zeigefingers. Aufgrund der reduzierten Kraft
und raschem Auftreten von Schmerzen im rechten Arm bei manueller Tätigkeit
konnte der Versicherte nicht mehr alle Patienten behandeln; das Hauptproblem
jedoch bestand in der verminderten Sensibilität im Bereich des Daumens und des
Zeigefingers rechts, weil er verschiedene Therapiemanöver nicht mehr
fachgerecht auszuführen vermochte. Wegen dieser Beeinträchtigungen war er im
angestammten Beruf als Physiotherapeut nurmehr hälftig, in einer adaptierten
Erwerbstätigkeit hingegen vollständig arbeitsfähig. Das gestützt auf diese
Auskünfte von der IV-Stelle ermittelte hypothetische Invalideneinkommen
(Ablehnungsverfügung vom 3. April 2007) war im anschliessenden kantonalen
Verfahren nicht streitig (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
Graubünden vom 3. Juli 2007).
4.2.2 Gemäss Bericht des Dr. med. T.________ vom 8. November 2007, mit welchem
sich der Versicherte erneut zum Bezug einer Rente der Invalidenversicherung
anmelden liess, "ist wegen einer zusätzlichen Epicondylitis am linken Arm seit
Anfang Mai 2007 eine deutliche Verschlechterung eingetreten. Die
Arbeitsunfähigkeit musste ab 27. August 2007 auf 75 % gesteigert werden." Damit
wurde aus medizinischer Sicht (allerdings ohne nähere Begründung) eine
wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes, die für die Beurteilung der
Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit erheblich sein kann, festgehalten. Wohl war,
wie die Vorinstanz an sich zutreffend erwogen hat, die beginnende Epicondylitis
links, die im November 2006 mittels chirurgischem Eingriff und damit vor Erlass
der Ablehnungsverfügung vom 3. April 2007 saniert worden war (Bericht des
Spitals Y.________ vom 16. November 2006), bekannt gewesen. Die von Dr. med.
S.________ erwartete vollständige Genesung durch invasiven Eingriff im Bereich
des linken Armes (Bericht vom 19. Mai 2006), auf welcher Prognose die
Ablehnungsverfügung der IV-Stelle vom 3. April 2007 im Wesentlichen beruhte
(vgl. Auszug aus dem Case Report der Verwaltung vom 15. November 2006), trat
danach offensichtlich nicht ein. So bestand laut Bericht des Dr. med.
S.________ vom 18. Januar 2008 eine deutliche belastungsabhängige
Kraftminderung mit Sensibilitätsstörungen im Bereich der Finger I ulnar und II
radial und ulnar links fort. Insgesamt betrachtet hat die Vorinstanz, in
Bestätigung der Verfügung der IV-Stelle vom 26. März 2008, offensichtlich
überhöhte Anforderungen an das Glaubhaftmachen einer Tatsachenänderung im
Rahmen der Neuanmeldung gemäss Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 IVV
gestellt.

5.
Die IV-Stelle hat als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen (Art.
61 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden vom 19. Juni 2008 und die Verfügung vom 26. März 2008
aufgehoben und die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Graubünden
zurückgewiesen, damit sie die Neuanmeldung vom 8. November 2007 materiell
prüfe.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden,
der Ausgleichskasse des Kantons Graubünden und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 23. Januar 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Leuzinger Grunder