Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.88/2008
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_88/2008

Urteil vom 7. August 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Hochuli.

Parteien
K.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Marco Albrecht, Marktgasse 6, 4051 Basel,

gegen

Basler Versicherungs-Gesellschaft, Aeschengraben 21, 4051 Basel,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Advokat Dr. Manfred Bayerdörfer,
Rathausstrasse 40/42, 4410 Liestal.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 3. August 2007.

Sachverhalt:

A.
K.________, geboren 1959, arbeitete seit 21. April 2004 als Pflegehelfer im
Alters- und Pflegeheim W.________ und war in dieser Eigenschaft bei der Basler
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Basler) obligatorisch gegen die Folgen
von Unfällen versichert. Am 31. Juli 2005 sass er auf dem Beifahrersitz, als
der von seiner Frau gelenkte Personenwagen nach einem Ausweichmanöver auf der
Autobahn Richtung Norden kurz nach der Autobahneinfahrt bei der Raststätte
P.________ ins Schleudern geriet und mit der Front in die rechte Leitplanke
prallte. Gemäss Polizeirapport entstand am Unfallauto ein geschätzter
Sachschaden von circa Fr. 12'000.-. Der Versicherte, seine Frau und ihre beiden
Kinder wurden mit einem Rettungsfahrzeug zur vorsorglichen Untersuchung ins
Spital B.________ überführt, wo sie nach ambulanter Untersuchung noch am
Unfalltag wieder entlassen werden konnten. Dr. med. S.________ vom Spital
B.________ diagnostizierte beim Versicherten eine Kontusion des rechten
Rippenbogens, eine Distorsion der Lendenwirbelsäule (LWS) und eine Kontusion
der linken Leiste. Er schloss röntgenologisch Frakturen oder einen Pneumothorax
aus, attestierte eine volle Arbeitsunfähigkeit bis 5. August 2005 und
verordnete eine analgetische Behandlung. Die Basler übernahm die Heilbehandlung
und richtete ein Taggeld aus. Mit Schreiben vom 8. November 2005 kündigte das
Alters- und Pflegeheim W.________ den Arbeitsvertrag mit dem Versicherten und
löste das Arbeitsverhältnis per 28. Februar 2006 auf. Zur Begründung wurde
angeführt, er habe schon 2004 grosse krankheitsbedingte Arbeitsausfälle zu
beklagen gehabt und sei 2005 bisher - abgesehen von sechzehn Wochen - stets
krankheits- oder unfallbedingt arbeitsunfähig gewesen. Am 12. Januar 2006
meldete sich K.________ bei der Invalidenversicherung insbesondere wegen seit
dem Unfall vom 31. Juli 2005 anhaltenden Rücken-, Knie- und Steissbeinschmerzen
zum Leistungsbezug an. Nach einer orthopädischen Begutachtung im Zentrum
M.________ durch den Orthopäden Dr. med. A.________, welcher seine Expertise am
11. April 2006 erstattete (nachfolgend: Zentrum M.________-Gutachten), kündigte
die Basler dem Versicherten am 19. April 2006 den folgenlosen Fallabschluss per
31. Mai 2006 an und hielt daran mit Verfügung vom 1. Juni 2006 und
Einspracheentscheid vom 10. Januar 2007 fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des K.________ wies das Kantonsgericht
Basel-Landschaft mit Entscheid vom 3. August 2007 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt K.________
beantragen, der angefochtene Gerichtsentscheid sei aufzuheben, die Basler "zu
verurteilen, dem Beschwerdeführer ab 1. Juni 2006 weiterhin Leistungen zu
erbringen"; zudem sei ein "Gutachten über den Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers einzuholen" und dem Versicherten die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Das Bundesgericht prüft
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine
erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu
untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es
kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem
Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Leistungen der
obligatorischen Unfallversicherung im Allgemeinen (Art. 6 Abs. 1 UVG) sowie die
Grundsätze zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem
eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 129 V 177 E. 3.1 S.
181, 123 V 43 E. 2a S. 45, je mit Hinweisen), zur vorausgesetzten Adäquanz des
Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181 mit Hinweis)
und bei psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133 ff.) im Besonderen zutreffend
dargelegt. Gleiches gilt in Bezug auf die Ausführungen zum Wegfall des
ursächlichen Zusammenhangs und damit des Leistungsanspruchs der versicherten
Person bei Erreichen des Status quo sine vel ante und zu den sich dabei
stellenden Beweisfragen (SVR 2008 UV Nr. 11 S. 34 E. 3.3 S. 35, U 290/06, mit
Hinweisen). Richtig sind sodann die Hinweise zu dem im Sozialversicherungsrecht
massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 150 E.
2.1 S. 153 mit Hinweisen) sowie zur Beweiswürdigung (BGE 125 V 351 E. 3a S.
352, SVR 2006 IV Nr. 27 S. 92 E. 3.2.4, I 3/05, je mit Hinweisen). Darauf wird
verwiesen.

3.
Strittig ist, ob der Versicherte über den 31. Mai 2006 hinaus an natürlich und
adäquat kausalen Folgen des Unfalles vom 31. Juli 2005 litt, welche einen
Anspruch auf weitere Leistungen nach UVG ab 1. Juni 2006 begründen.

3.1 Das kantonale Gericht gelangte nach eingehender Beweiswürdigung zur
Auffassung, im Zeitpunkt der Leistungseinstellung seien keine organischen
Schädigungen mehr feststellbar gewesen, welche in einem rechtserheblichen
Kausalzusammenhang mit dem Unfall vom 31. Juli 2005 standen. Die seit 17.
November 2005 durch Psychiater Dr. med. R.________ behandelten psychischen
Beschwerden, insbesondere die posttraumatische Belastungsstörung, seien nach
der Praxis gemäss BGE 115 V 133 nicht adäquat kausal durch den Unfall vom 31.
Juli 2005 verursacht worden.

3.2 Hiegegen wendet der Beschwerdeführer ein, zwar habe er schon vor dem Unfall
vom 31. Juli 2005 an Rückenschmerzen gelitten und sich deswegen behandeln
lassen müssen, doch sei er "zum Unfallzeitpunkt vollkommen beschwerdefrei" und
zu 100 % arbeitsfähig gewesen. Alle drei behandelnden Ärzte - die Dres. med.
F.________, C.________ und R.________ - hätten die Unfallkausalität der
anhaltenden Beschwerden bejaht. Der Gutachter Dr. med. A.________ sei der
einzige, welcher behaupte, der Status quo sine sei erreicht. Verwaltung und
Vorinstanz hätten zu Unrecht "nur auf eine kausalitätsverneinende Meinung [des
Dr. med. A.________] abgestellt". Die anhaltenden Rückenschmerzen stünden
zumindest in einem teilkausalen Zusammenhang mit dem Unfall vom 31. Juli 2005.
Auch der psychische Gesundheitsschaden sei eine natürlich und adäquat
ursächliche Folge des genannten Unfalles. Der in der angestammten Tätigkeit als
Krankenpfleger dauerhaft arbeitsunfähige Versicherte habe somit auch ab 1. Juni
2006 weiterhin Anspruch auf die gesetzlichen Leistungen nach UVG.

4.
4.1 Die Vorinstanz hat nach umfassender Würdigung der medizinischen Unterlagen
- insbesondere auch der Berichte der behandelnden Ärzte - ausführlich dargelegt
und zutreffend erkannt, dass gestützt auf das Zentrum M.________-Gutachten
entgegen der Einschätzungen der Dres. med. F.________ und C.________ mit dem im
Sozialversicherungsrecht erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit vom Erreichen des Status quo sine spätestens per 31. Mai
2006 auszugehen ist. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, vor dem Unfall
vom 31. Juli 2005 - trotz früherer Rückenschmerzen - beschwerdefrei und voll
arbeitsfähig gewesen zu sein, nach diesem Unfall jedoch die Arbeitsfähigkeit in
der angestammten Tätigkeit als Krankenpfleger nicht mehr dauerhaft
wiedererlangt zu haben, hat das kantonale Gericht korrekt dargelegt, dass die
Beweisregel "post hoc ergo propter hoc" (vgl. BGE 119 V 335 E. 2b/bb S. 341 f.)
im Sinne der natürlichen Vermutung, Beschwerden müssten unfallbedingt sein,
wenn eine vorbestehende Erkrankung der Wirbelsäule bis zum Unfall schmerzfrei
war, unfallmedizinisch nicht haltbar und beweisrechtlich nicht zulässig ist,
sofern der Unfall keine strukturellen Läsionen an der Wirbelsäule und
namentlich keine Wirbelkörperfrakturen verursacht hat (SVR 2008 UV Nr. 11 S. 34
E. 4.2.3 S. 36, U 290/06). Schon seit dem Kindesalter leidet der Versicherte an
einem Status nach Leistenhernie. Am 12. Oktober 2005 musste er sich im Spital
D.________ einer laparoskopischen Leistenrevision rechts unterziehen, welche
nach übereinstimmender Einschätzung der Dres. med. A.________ und F.________ in
keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall vom 31. Juli 2005 stand. Weiter
wies Dr. med. A.________ darauf hin, es sei nicht erklärbar, wie der genannte
Unfall zu einer Verletzung des Steissbeines hätte führen können. Zudem stehe
fest, dass der Beschwerdeführer schon vor diesem Ereignis zur Stabilisierung
der lumbalen Wirbelsäule ein Lendenmieder getragen habe. Es sind keine Gründe
ersichtlich, weshalb Vorinstanz und Verwaltung nicht hätten auf das Zentrum
M.________-Gutachten abstellen dürfen. Dieses Gutachten ist für die streitigen
Belange umfassend, beruht auf allseitigen Untersuchungen, berücksichtigt die
geklagten Beschwerden und ist in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden; zudem
ist es in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der
medizinischen Situation einleuchtend und enthält begründete Schlussfolgerungen
(BGE 125 V 352 Erw. 3a). Somit kommt dieser Expertise grundsätzlich volle
Beweiskraft zu. Eine zusätzliche medizinische Abklärung ist nicht
durchzuführen, da hievon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind
(antizipierte Beweiswürdigung; BGE 131 I 153 E. 3 S. 157, 124 V 90 E. 4b S. 94;
SVR 2005 MV Nr. 1 S. 1 E. 2.3, M 1/02). Zufolge Erreichens des Status quo sine
waren demnach gemäss Zentrum M.________-Gutachten jedenfalls im Zeitpunkt des
Fallabschlusses per 31. Mai 2006 keine organischen Folgen des Unfalles vom 31.
Juli 2005 mehr feststellbar.

4.2 Was die mit einer gewissen Latenz zum Unfall aufgetretenen und seither
wechselhaft bestehenden psychischen Beschwerden anbetrifft, hat die Vorinstanz
ebenfalls überzeugend aufgezeigt, dass der für eine Leistungspflicht des
Unfallversicherers rechtsprechungsgemäss (BGE 115 V 133) vorausgesetzte
adäquate Kausalzusammenhang zum Unfall vom 31. Juli 2005, welchen das kantonale
Gericht zu Recht als mittelschweres Ereignis eingestuft hat, zu verneinen ist.
Die Vorbringen des Beschwerdeführers vermögen - soweit er sich überhaupt
rechtsgenüglich mit der einschlägigen Begründung des angefochtenen Entscheides
auseinandersetzt - die vorinstanzlichen Schlussfolgerungen, namentlich die
Ausführungen zu den einzelnen Kriterien der Adäquanzbeurteilung (siehe BGE 115
V 133 E. 6c/aa S. 140) nicht in Frage zu stellen. Es bleibt folglich dabei,
dass die gemäss Rechtsprechung bei mittleren Unfällen notwendigen Kriterien
weder gehäuft vorliegen, noch eines davon in besonders ausgeprägter Weise
erfüllt ist, weshalb die psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht in
einem anspruchsbegründenden adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfall vom 31.
Juli 2005 stehen.

4.3 Nach dem Gesagten ist der von der Basler per 31. Mai 2006 verfügte und mit
angefochtenem Entscheid bestätigte folgenlose Fallabschluss nicht zu
beanstanden.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung
mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der
Befreiung von den Gerichtskosten; Art. 64 Abs. 1 BGG) und Verbeiständung (Art.
64 Abs. 2 BGG) kann gewährt werden, weil die Bedürftigkeit aktenkundig ist, die
Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen ist und die Vertretung durch
einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin geboten war. Es wird indessen
ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte
Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im
Stande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Advokat Marco Albrecht, Basel, wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt.
Luzern, 7. August 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Hochuli