Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.874/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_874/2008

Urteil vom 11. März 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Lanz.

Parteien
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________,
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Heiner Schärrer und dieser substituiert durch
Rechtsanwältin Monika Guth.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom
10. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1946 geborene A.________ war von 1989 bis Ende August 2000 als Maschinist
an einer Betonmischanlage in der Firma X.________ AG tätig. Danach war er
arbeitslos. Am 24. April 2002 erlitt er bei einem Temporär-Arbeitseinsatz einen
Unfall und zog sich eine Verletzung an der rechten Schulter zu. Die
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als zuständiger
obligatorischer Unfallversicherer erbrachte die gesetzlichen Leistungen
(Heilbehandlung; Taggeld). Mit Verfügung vom 12. Juli 2004 und
Einspracheentscheid vom 7. März 2005 schloss sie den Fall ab und sprach
A.________ ab 1. Mai 2004 eine Invalidenrente bei einer Erwerbsunfähigkeit von
17 % sowie eine Integritätsentschädigung entsprechend einer Integritätseinbusse
von 15 % zu. Nachdem der Einspracheentscheid im Rentenpunkt beim
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt (Entscheid vom 25. Oktober 2005)
erfolgreich angefochten worden war, traf die SUVA ergänzende Abklärungen und
verfügte am 5. September 2006 mit Wirkung ab 1. Mai 2004 eine Invalidenrente
bei einer Erwerbsunfähigkeit von 23 %. Die Invaliditätsbemessung erfolgte
mittels Einkommensvergleich. Das ohne invalidisierende Gesundheitsschädigung
zumutbarerweise erzielbare Einkommen (Invalideneinkommen) setzte der
Versicherer anhand von Tabellenlöhnen fest, unter Berücksichtigung eines
leidensbedingten Abzuges von 20 %. Auf Einsprache des Versicherten hin hielt
die SUVA an der Verfügung vom 5. September 2006 fest (Einspracheentscheid vom
21. Dezember 2007).

B.
A.________ erhob Beschwerde mit dem Antrag, es sei eine Invalidenrente
entsprechend einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 44 % zuzusprechen. Das
Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt hiess die Beschwerde (teilweise) gut und
setzte die der Rente zugrunde liegende Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung,
der leidensbedingte Abzug sei auf 25 % zu erhöhen, auf 28 % fest. Es hob den
Einspracheentscheid vom 21. Dezember 2007 auf und wies die Sache zum neuen
Entscheid an den Unfallversicherer zurück (Entscheid vom 10. September 2008).

C.
Die SUVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, der kantonale Entscheid sei aufzuheben.

A.________ und die Vorinstanz schliessen je auf Abweisung der Beschwerde. Das
Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Im
Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der
Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat auf Rückweisung der Sache an den Unfallversicherer
erkannt. Es stellt sich die Frage, ob die von der SUVA hiegegen erhobene
Beschwerde im Lichte der Art. 90 ff. BGG und der dazu ergangenen Rechtsprechung
zulässig ist. Dies ist zu bejahen, da die Vorinstanz in ihrem Entscheid den
Grad der Erwerbsunfähigkeit, nach dem sich der Rentenanspruch bestimmt, in für
den Unfallversicherer verbindlicher Weise erhöht hat und die Rückweisung nur
noch der Umsetzung dieser Anordnung dient (vgl. Urteil 8C_682/2007 vom 30. Juli
2008 E. 1.1 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 134 V 392; HANSJÖRG SEILER,
Rückweisungsentscheide in der neuere Sozialversicherungspraxis des
Bundesgerichts, in: Schaffhauser/Schlauri [Hrsg.],
Sozialversicherungsrechtstagung 2008, St. Gallen 2009, S. 28). Auf die
Beschwerde ist daher einzutreten, zumal auch die übrigen Voraussetzungen hiefür
gegeben sind.

3.
Die SUVA hat die für den Rentenanspruch massgebliche Erwerbsunfähigkeit mittels
Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG) bestimmt. Das im Jahr 2004 (Rentenbeginn als
massgeblicher Vergleichszeitpunkt: BGE 128 V 174; vgl. auch BGE 129 V 222) ohne
unfallbedingten Gesundheitsschaden mutmasslich erzielte Einkommen
(Invalideneinkommen) setzte sie gestützt auf die Auskünfte der früheren
Arbeitgeberin auf Fr. 59'475.- fest. Bei der Ermittlung des trotz
unfallbedingtem Gesundheitsschaden zumutbarerweise noch erzielbaren Einkommens
(Invalideneinkommen) ging die SUVA von einer vollen Arbeitsfähigkeit in
leidensangepassten Tätigkeiten aus. Gestützt auf Tabellenlöhne gemäss der
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) ermittelte sie für das Jahr 2004 ein
Einkommen von Fr. 57'258.-. Davon nahm sie einen leidensbedingten Abzug von 20
% vor. Es resultiert ein Invalideneinkommen von Fr. 45'806.- und in
Gegenüberstellung mit dem Valideneinkommen von Fr. 59'475.- eine
Erwerbseinbusse von Fr. 13'669.-, entsprechend einer Erwerbsunfähigkeit von
(gerundet) 23 % (Einsprachentscheid vom 21. Dezember 2007).

Das kantonale Gericht ist davon insoweit abgewichen, als es den
leidensbedingten Abzug auf 25 % erhöhte. Diese Erhöhung, welche zu einer
Erwerbsunfähigkeit von 28 % führt, ist streitig. Im Übrigen geben Einsprache-
und angefochtener Entscheid zu keinen weiteren Bemerkungen Anlass.

4.
Rechtsprechungsgemäss kann bei der Bestimmung des Invalideneinkommens nach den
Durchschnittslöhnen gemäss LSE dem Umstand, dass gesundheitlich eingeschränkte
Personen aufgrund bestimmter Faktoren (leidensbedingte Einschränkung, Alter,
Dienstjahre, Nationalität/Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad)
gegebenenfalls nur unterdurchschnittliche Löhne erzielen, mit einem Abzug vom
statistischen Lohn Rechnung getragen werden (BGE 126 V 75 E. 5 S. 78 ff.). Der
Abzug ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem
Ermessen gesamthaft zu schätzen und unter Berücksichtigung aller jeweils in
Betracht fallenden Merkmale auf insgesamt höchstens 25 % zu begrenzen (BGE 126
V 75 E. 5b/bb und cc S. 80).

Ob ein behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter Abzug vom Tabellenlohn
vorzunehmen ist, stellt eine frei überprüfbare Rechtsfrage dar. Dagegen geht es
bei der Höhe des (im konkreten Fall grundsätzlich angezeigten) Abzugs vom
Tabellenlohn um eine typische Ermessensfrage. Deren Beantwortung ist
letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich, wo die Vorinstanz das
Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also Ermessensüberschreitung,
-missbrauch oder - unterschreitung vorliegt (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 in fine
S. 399; SVR 2008 IV Nr. 49 S. 163 E. 1.3 [9C_404/2007]; insbesondere für die
Belange der Unfallversicherung: Urteil 8C_64/2008 vom 4. Februar 2008 E. 3.2).
Ermessensmissbrauch liegt vor, wenn eine Behörde zwar im Rahmen des ihr
eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem Zweck der
massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt oder allgemeine
Rechtsprinzipien, wie das Verbot von Willkür oder rechtsungleicher Behandlung,
das Gebot von Treu und Glauben sowie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit
verletzt (BGE 124 II 114 E. 1b S. 116; 123 V 150 E. 2 S. 152 mit Hinweisen;
Urteile 8C_64/2008 vom 4. Februar 2009 E. 3.2 und 8C_139/2008 vom 22. November
2008 E. 2.1). Dagegen liegt Ermessensüberschreitung vor, wenn die Behörde
Ermessen walten lässt, wo ihr das Gesetz keines einräumt, oder wo sie statt
zweier zulässiger Lösungen eine dritte wählt. In diesem Zusammenhang ist auch
die Ermessensunterschreitung bedeutsam, die darin besteht, dass die
entscheidende Behörde sich als gebunden betrachtet, obschon sie nach Gesetz
berechtigt wäre, nach Ermessen zu handeln, oder dass sie auf Ermessensausübung
ganz oder teilweise von vornherein verzichtet (Urteil 8C_179/2007 vom 25.
September 2007 E. 2.2 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 133 V 637, aber in: SVR
2008 ALV Nr. 14 S. 41; Urteil 8C_139/2008 vom 22. November 2008 E. 2.1).

5.
5.1 Die SUVA hat im Einspracheentscheid vom 21. Dezember 2007 zur Begründung
des von ihr vorgenommenen leidensbedingten Abzugs von 20 % auf die
gesundheitlich bedingten Einschränkungen und "die übrigen zu berücksichtigenden
Umstände" verwiesen. Das kantonale Gericht hat den Abzug mit der Begründung
erhöht, die behinderungsbedingte Einschränkung resp. der Verlust, Schwerarbeit
leisten zu können, falle erheblich als lohnmindernder Faktor ins Gewicht. Der
Versicherte sei zudem aufgrund der bestehenden Beeinträchtigung bei
Sortierarbeiten und bei der Verrichtung von Botengängen auf einen
Nischenarbeitsplatz angewiesen. Aufgrund dieser Gesichtspunkte lasse sich
bereits eine Reduktion des Tabellenlohnes um mindestens 25 % rechtfertigen. Da
der Beschwerdeführer Jahrgang 1946 habe und somit auch der Faktor Alter
berücksichtigt werden müsse, sei die Gewährung des Maximalabzuges von 25 % mehr
als ausgewiesen.

5.2 Das kantonale Gericht hat somit den Einfluss der behinderungsbedingten
Einschränkung auf den erzielbaren statistischen Lohn höher eingeschätzt als der
Versicherer, und zwar in vergleichsweise geringem Umfang. Ein rechtsfehlerhafte
Ermessensausübung kann darin, wie auch in den von der Vorinstanz angegebenen
Gründen, nicht gesehen werden. Was hiegegen vorgebracht wird, führt zu keiner
anderen Betrachtungsweise.

Hervorzuheben ist zunächst, dass zwar der Wortlaut im angefochtenen Entscheid,
wonach ein Abzug von mindestens 25 % gerechtfertigt sei, unglücklich gewählt
ist. Die weiteren Erwägungen des kantonalen Gerichts zeigen aber dessen -
zutreffendes - Verständnis, dass der leidensbedingte Abzug unter
Berücksichtigung aller relevanten Faktoren maximal auf 25 % anzusetzen ist. Es
erscheint sodann zweifelhaft, ob der im angefochtenen Entscheid erwähnte Faktor
Alter eine Erhöhung des Abzuges (bis zur Höchstgrenze) zu begründen vermöchte,
zumal bei zunehmendem Alter die Lohnkurve flacher verläuft, der Faktor Alter
sich aber nicht lohnsenkend auswirkt (AHI 1999 S. 237 E. 4c; Urteil 9C_382/2007
vom 13. November 2007 E. 6.1). Dies kann aber offen bleiben. Denn das kantonale
Gericht ist, wie oben dargelegt, zum Ergebnis gelangt, der Maximalabzug von 25
% sei schon alleine aufgrund der gesundheitsbedingten Beeinträchtigung, ohne
den Faktor Alter, gerechtfertigt. Die hiefür angegebenen Gründe mögen teils
diskutabel erscheinen, insbesondere, soweit eine Beschränkung auf
Nischenarbeitsplätze angenommen wird. Auch ist mit Blick auf das dem
Versicherten noch offen stehende berufliche Einsatzspektrum eine abweichende
Ermessensausübung ohne Erhöhung des Abzugs vorstellbar. Eine rechtsfehlerhafte
Ermessensbetätigung kann der Vorinstanz aber nicht angelastet werden.

Nichts anderes ergibt sich aus den weiteren Vorbringen in der Beschwerde. Das
gilt namentlich auch für den Hinweis auf verschiedene Urteile, in welchen das
Bundesgericht den Maximalabzug bei wesentlich höheren gesundheitsbedingten
Beeinträchtigungen gewährte, zumal jeweils nicht etwa eine Mindestbehinderung
als Voraussetzung für den Maximalabzug festgelegt wurde. Der Umstand, dass bei
der Bestimmung des Invalideneinkommens anhand von LSE-Löhnen häufig - und auch
im vorliegenden Fall - die Durchschnittseinkommen des niedrigsten
Anforderungsniveaus 4 (einfache und repetitive Tätigkeiten) verwendet werden,
lässt die Ermessensbetätigung durch die Vorinstanz ebenfalls nicht als
rechtsfehlerhaft erscheinen. Gleiches gilt für das Vorbringen der SUVA, bereits
der von ihr gewährte Abzug von 20 % sei als grosszügig zu betrachten. Ferner
trifft zwar zu, dass das erstinstanzliche Gericht bei der Überprüfung des
Abzuges sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der
Verwaltung setzen soll (vgl., auch zum Folgenden: Urteil 9C_721/2008 vom 14.
Oktober 2008 E. 1.3.2 mit Hinweisen). Auch hier beschränkt sich indessen die
bundesgerichtliche Überprüfung der vorinstanzlichen Ermessenausübung auf
Rechtsfehlerhaftigkeit. Eine solche ist im vorliegenden Fall nicht gegeben;
dass das kantonale Gericht das Ermessen anders als der Versicherer ausgeübt
hat, lässt seinen Entscheid nicht als rechtsfehlerhaft erscheinen. Festzuhalten
bleibt in diesem Zusammenhang, dass das Abweichen der Vorinstanz beim Ermessen
entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung nicht voraussetzte, dass
der Versicherer seinerseits das Ermessen in rechtsfehlerhafter Weise ausgeübt
hatte.

6.
Dem Verfahrensausgang entsprechend hat die SUVA die Kosten zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art.
68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. März 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Lanz