Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.855/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_855/2008

Urteil vom 27. März 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiberin Polla.

Parteien
Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen, 9000 St. Gallen, Beschwerdeführerin,

gegen

Z.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Regula Schmid.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 22. September 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1976 geborene Z.________ meldete sich am 29. Oktober 2004 bei der
Arbeitslosenversicherung zum Leistungsbezug an, nachdem sie vom 1. April 2004
bis 31. Oktober 2004 bei der Firma I.________ GmbH tätig gewesen war, welcher
sie vom 25. Mai 2001 bis 30. Mai 2006 als Gesellschafterin und
Geschäftsführerin mit Einzelunterschrift und anschliessend als
Gesellschafterin, angehörte. Ab 1. November 2004 bezog sie
Arbeitslosenentschädigung und meldete sich Ende Juni 2006 von der
Arbeitsvermittlung ab. Am 3. September 2007 stellte Z.________ erneut Antrag
auf Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Mit Verfügung vom 6. November 2007
verneinte die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen rückwirkend einen Anspruch
auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. November 2004 wegen arbeitgeberähnlicher
Stellung und forderte zu Unrecht bezogene Taggeldleistungen in der Höhe von Fr.
14'904.25 zurück. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid
vom 10. Dezember 2007).

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 22. September 2008 gut, da der gesamte
Rückforderungsbetrag verwirkt sei.

C.
Die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen führt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung
des vorinstanzlichen Entscheids sei festzustellen, dass ab 1. November 2004
kein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung bestehe und zu viel bezogene
Taggelder in der Höhe von Fr. 14'904.25 zurückzuzahlen seien.
Während Z.________ auf Abweisung der Beschwerde schliesst, hat das
Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Vorschriften zur Rückforderung von
zu Unrecht erbrachten Leistungen (Art. 95 Abs. 1 AVIG) zur Verjährung (Art. 25
Abs. 2 ATSG) und zum Ausschluss arbeitgeberähnlicher Personen sowie im Betrieb
mitarbeitender Ehegatten vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31
Abs. 3 lit. c AVIG) sowie die Rechtsprechung zur analogen Anwendung dieser
Bestimmung auf arbeitgeberähnliche Personen und ihre Ehegatten, die
Arbeitslosenentschädigung verlangen (BGE 123 V 236 E. 7), richtig dargelegt.
Darauf wird verwiesen.

3.
Streitig und zu prüfen sind der Anspruch der Versicherten auf
Arbeitslosenentschädigung und die damit verbundene Rückforderung.
In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass die Beschwerdegegnerin ihre
Anstellung bei der Firma I.________ GmbH aus wirtschaftlichen Gründen auf Ende
Oktober 2004 verlor, jedoch bis 30. Mai 2006 als Gesellschafterin und
Geschäftsführerin dieses Betriebs mit Einzelunterschrift und anschliessend als
Gesellschafterin (ohne Zeichnungsberechtigung) im Handelsregister eingetragen
blieb. Wenn das kantonale Gericht hieraus den Schluss zog, der Versicherten sei
von Gesetzes wegen ein massgeblicher Einfluss auf die
Unternehmensentscheidungen zuzuerkennen, was zur Verneinung eines Anspruchs auf
Arbeitslosenentschädigung aufgrund der arbeitgeberähnlichen Stellung führe (BGE
123 V 236), da bei Mitgliedern des Verwaltungsrates einer Aktiengesellschaft
und bei geschäftsführenden Gesellschaftern einer Gesellschaft mit beschränkter
Haftung der persönliche Ausschlussgrund des Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG ohne
weiteres Platz greife, und es diesfalls keiner weiteren Abklärungen zu den
konkreten Verantwortlichkeiten in der Firma bedürfe, lässt sich dies im Lichte
der bisherigen Rechtsprechung und in Berücksichtigung der bis Ende Dezember
2007 gültig gewesen Gesetzesbestimmungen zur GmbH, nicht beanstanden (BGE 122 V
270 E. 3 f. S. 273; ARV 2004 Nr. 21 S. 196 E. 3.2; Urteile 8C_ 608/2007 vom 9.
Juni 2008 E. 3.2; 8C_515/2007 vom 8. April 2008 E. 2.2 und C 12/07 vom 28.
September 2007 E. 3.2). Eine Änderung der Rechtsprechung ergibt sich sodann
auch nicht aus dem jüngst ergangenen Urteil 8C_84/2008 vom 3. März 2009 E. 2,
wonach der Geschäftsführer einer GmbH ohne Gesellschaftereigenschaft (ebenfalls
nach den bis Ende 2007 gültig gewesenen Rechtssätzen zur GmbH) nicht bereits
allein aufgrund dieser Eigenschaft, ungeachtet der konkreten Verhältnisse, vom
Leistungsanspruch ausgeschlossen ist. Da die zitierte Rechtsprechung nicht nur
dem ausgewiesenen Missbrauch an sich begegnen will, sondern bereits dem Risiko
eines solchen, welches der Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung an
arbeitgeberähnliche Personen und deren Ehegatten inhärent ist (ARV 2003 S.
240), braucht auch entgegen dem Einwand der Beschwerdegegnerin, kein konkreter
Missbrauch vorzuliegen. Damit sind die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung
erfüllt, hat die Versicherte doch die streitigen Leistungen zweifellos
unrichtigerweise bezogen und ist deren Umfang erheblich (BGE 129 V 110 E. 1.1).

4.
4.1 Mit Bezug auf die Frage der Verwirkung des Rückerstattungsanspruchs und der
Einhaltung der einjährigen relativen Frist gemäss Art. 25 Abs. 2 ATSG hat die
Vorinstanz erkannt, dass mit Erlass der Rückerstattungsverfügung vom 6.
November 2007 die Frist bezüglich der gesamten zu Unrecht ausgerichteten
Taggelder in der Zeit von November 2004 bis Juni 2006 nicht gewahrt wurde, da
sich die Beschwerdeführerin die Kenntnis der Eintragung der Versicherten als
Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Firma im Handelsregister ab Beginn
des Taggeldanspruchs entgegenhalten lassen müsse.

4.2 Was in der Beschwerde hiegegen eingewendet wird, ist nicht geeignet, zu
einem anderen Ergebnis zu führen. Wie die Vorinstanz feststellte, ist die
Funktion der Versicherten als Geschäftsführerin in den Akten der Kasse
vermerkt, obwohl die Versicherte die Frage nach der leitenden Funktion im
Betrieb unter Ziffer 29 des Antrags auf Arbeitslosenentschädigung vom 29.
Oktober 2004 verneint hatte. In Beachtung, dass eine solche Tätigkeit ebenfalls
- im Sinne der Teilhabe an der Betriebsleitung - die arbeitgeberähnliche
Stellung unter Umständen begründen kann (vgl. Thomas Nussbaumer,
Arbeitslosenversicherung in: Ulrich Meyer, [Hrsg.], Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht, Band XIV, Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, S.
2316 Rz. 463), hätte seitens der Verwaltung aufgrund der hiezu
widersprüchlichen Angabe in der Arbeitgeberbescheinigung vom 8. November 2004
zur ausgeübten Tätigkeit (Bürohilfe) hinreichender Anlass bestanden, die
Position der Versicherten in der Firma I.________ GmbH anzusprechen und näher
abzuklären. Entgegen der beschwerdeführerischen Ansicht vermag somit eine
allfällige Auskunfts- und Meldepflichtverletzung der Versicherten die eigene
Nachlässigkeit der Kasse nicht aufzuwiegen. Auch wenn die Beschwerdegegnerin im
Antragsformular die entsprechende Frage falsch beantwortete, muss sich die
Arbeitslosenkasse gemäss BGE 122 V 270 die aus dem Handelsregister
hervorgehende Kenntnis der Stellung als Gesellschafterin und Geschäftsführerin
demnach von Anfang an entgegenhalten lassen (Urteile 8C_527/2007 vom 5. März
2008 und C 267/01 vom 17. Juli 2002). Aus dem Gesagten ergibt sich, dass in
Bestätigung des vorinstanzlichen Entscheids die Rückforderung für die ab 1.
November 2004 erbrachten Leistungen verwirkt ist.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Kantonale Arbeitslosenkasse St.
Gallen die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der anwaltlich
vertretenen Beschwerdegegnerin eine nach dem Aufwand bemessene
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, dem Amt für Arbeit des Kantons St. Gallen und dem Staatssekretariat für
Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. März 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Polla