Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.834/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_834/2008

Urteil vom 5. Juni 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
T.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Altermatt,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 27.
Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1950 geborene T.________ war seit 1981 bei der Firma N.________ AG als
Maschinenführerin im Schichtbetrieb erwerbstätig, als sie sich am 24. März 2003
unter Hinweis auf Schmerzen, Schlafstörung und Depression bei der IV-Stelle
Basel-Landschaft zum Leistungsbezug anmeldete und eine Rente beantragte. Nach
medizinischen Abklärungen sprach die IV-Stelle der Versicherten mit Verfügung
vom 10. November 2003 ab 1. Januar 2003 bei einem Invaliditätsgrad von 50 %
eine halbe Invalidenrente (sowie eine halbe Zusatzrente für den Ehepartner) zu.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2003 beantragte die Versicherte eine höhere
Rente, da sich der Gesundheitszustand seit der ersten Anmeldung verschlechtert
habe. Die IV-Stelle nahm dieses Schreiben als Revisionsgesuch entgegen und
veranlasste weitere medizinische Abklärungen. Mit Verfügung vom 13. Dezember
2005 und Einspracheentscheid vom 17. Januar 2008 lehnte sie eine Erhöhung der
Rente ab.

B.
Die von T.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht
Basel-Landschaft mit Entscheid vom 27. Juni 2008 ab.

C.
Mit Beschwerde beantragt T.________, die IV-Stelle Basel-Landschaft sei unter
Anpassung bzw. Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides
zu verpflichten, ihr ab 1. Januar 2004 eine Dreiviertelsrente auszurichten.

Während die IV-Stelle Basel-Landschaft auf Abweisung der Beschwerde schliesst,
verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Eingabe vom 15. Januar 2009 reicht T.________ einen Einspracheentscheid der
SUVA vom 5. Januar 2009 zu den Akten.

E.
Die Parteien äusserten sich im Rahmen des ihnen gewährten rechtlichen Gehörs
übereinstimmend dahingehend, dass das Schreiben vom 5. Dezember 2003 als
Revisionsgesuch und nicht als Einsprache zu betrachten sei.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Da der vorinstanzliche Entscheid nicht Geldleistungen der Unfall- oder der
Militärversicherung betrifft, prüft das Bundesgericht nur, ob das
vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung
oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde.

1.3 Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG sind Noven im letztinstanzlichen Verfahren
grundsätzlich unzulässig. Die Voraussetzungen, unter denen die von der
Beschwerdeführerin neu eingereichten Unterlagen ausnahmsweise zulässig wären,
sind vorliegend nicht erfüllt, so dass diese unbeachtet bleiben müssen.

2.
2.1 Nach Art. 28 IVG [SR 831.20] besteht der Anspruch auf eine ganze Rente,
wenn die versicherte Person mindestens 70 %, derjenige auf eine
Dreiviertelsrente, wenn sie mindestens 60 % invalid ist. Bei einem
Invaliditätsgrad von mindestens 50 % besteht Anspruch auf eine halbe Rente und
bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % ein solcher auf eine
Viertelsrente. Bis zum 31. Dezember 2003 bestand nach der bis dahin geltenden
Fassung von Art. 28 Abs. 1 IVG (AS 1987 447) der Anspruch auf eine ganze Rente,
wenn die versicherte Person mindestens zu zwei Dritteln, derjenige auf eine
halbe Rente, wenn sie mindestens zur Hälfte invalid war. Bei einem
Invaliditätsgrad von mindestens 40 % bestand Anspruch auf eine Viertelsrente.
In Härtefällen hatte die versicherte Person nach Art. 28 Abs. 1bis IVG bereits
bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % Anspruch auf eine halbe Rente.

2.2 Gemäss Art. 29 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2007 geltenden Fassung
(AS 1987 447) entstand der Rentenanspruch frühestens in dem Zeitpunkt, in dem
der Versicherte mindestens zu 40 Prozent bleibend erwerbsunfähig geworden war
(lit. a) oder während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch
durchschnittlich mindestens zu 40 Prozent arbeitsunfähig gewesen war (lit. b).

2.3 Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines
Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin
für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs.
1 ATSG). Auch jede andere formell rechtskräftig zugesprochene Dauerleistung
wird von Amtes wegen oder auf Gesuch hin erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben,
wenn sich der ihr zu Grunde liegende Sachverhalt nachträglich erheblich
verändert hat (Art. 17 Abs. 2 ATSG). Zeitlichen Referenzpunkt für die Prüfung
einer anspruchserheblichen Änderung bildet die letzte (der versicherten Person
eröffnete) rechtskräftige Verfügung, welche auf einer materiellen Prüfung des
Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und
Durchführung eines Einkommensvergleichs (bei Anhaltspunkten für eine Änderung
in den erwerblichen Auswirkungen des Gesundheitszustands) beruht (BGE 133 V 108
E. 5.4 S. 114).

2.4 Bei einer Verbesserung der Erwerbsfähigkeit oder der Fähigkeit, sich im
Aufgabenbereich zu betätigen, oder bei einer Verminderung der Hilflosigkeit
oder des invaliditätsbedingten Betreuungsaufwandes ist die
anspruchsbeeinflussende Änderung für die Herabsetzung oder Aufhebung der
Leistung von dem Zeitpunkt an zu berücksichtigen, in dem angenommen werden
kann, dass sie voraussichtlich längere Zeit dauern wird. Sie ist in jedem Fall
zu berücksichtigen, nachdem sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate
angedauert hat und voraussichtlich weiterhin andauern wird (Art. 88a Abs. 1
IVV). Bei einer Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit oder der Fähigkeit, sich
im Aufgabenbereich zu betätigen, oder bei einer Verschlimmerung der
Hilflosigkeit oder Erhöhung des invaliditätsbedingten Betreuungsaufwandes ist
die anspruchsbeeinflussende Änderung zu berücksichtigen, sobald sie ohne
wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat (Art. 88a Abs. 2 IVV).

3.
Streitig ist die Höhe des Rentenanspruches der Versicherten ab dem 1. Januar
2004.

4.
4.1 Die kantonale IV-Stelle sprach der Versicherten mit Verfügung vom 10.
November 2003 bei einem Invaliditätsgrad von 50 % eine halbe Rente zu. Mit
Schreiben vom 5. Dezember 2003 (Eingang bei der IV-Stelle: 8. Dezember 2003)
beantragte die Versicherte eine höhere Rente, da sich ihr Gesundheitszustand
seit der ersten Anmeldung verschlechtert habe. Da die Beschwerdeführerin - wie
sie mit Stellungnahme vom 22. März 2009 bestätigt - keinen Einsprachewillen
hatte, ist das Schreiben vom 5. Dezember 2003 von der IV-Stelle zu Recht als
Revisionsgesuch und nicht als Einsprache entgegengenommen worden. Somit ist die
Verfügung vom 10. November 2003 unangefochten in Rechtskraft erwachsen.

4.2 Die Vorinstanz hat in Würdigung der medizinischen Akten für das
Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass sich der
Gesundheitszustand der Versicherten zwischen dem Zeitpunkt der ursprünglichen
Rentenzusprechung im Jahre 2003 und jenem des Einspracheentscheides vom 17.
Januar 2008 nicht dauerhaft verändert hat. Was die Beschwerdeführerin gegen
diese Feststellung vorbringt, vermag sie nicht offensichtlich unrichtig
erscheinen zu lassen: Das Gutachten des ZMB vom 15. Juli 2005 bestätigte, dass
bis zum Zeitpunkt der Begutachtung keine wesentliche Änderung des
Gesundheitszustandes eingetreten war. In der Folge stürzte die Versicherte am
28. Oktober 2005 und verletzte sich an der linken Schulter und am rechten Knie.
Aufgrund der Stellungnahmen des SUVA-Arztes Dr. med. V.________, vom 27. Juli
2006 und 6. Februar 2007 kann jedoch willkürfrei davon ausgegangen werden, dass
die Unfallfolgen im Gesamtschaden aufgehen und keine dauerhafte
Verschlechterung des Gesundheitszustandes verursachten.

4.3 Nicht geprüft hat das kantonale Gericht, ob aufgrund des Unfalles die Rente
befristet zu erhöhen ist.
4.3.1 Die Beschwerdegegnerin führte dazu im vorinstanzlichen Verfahren aus,
dass der Unfall ein neues Ereignis darstelle und es sich nicht um eine
Verschlechterung des bestehenden Leidens handelte. Deshalb habe das Ereignis
eine neue, ein Jahr dauernde Wartefrist gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG (vgl.
E.2.2 hievor) ausgelöst. Die Folgen des Unfalles seien aber nach weniger als
einem Jahr im Gesamtschaden aufgegangen, weshalb die Rente nicht zu erhöhen
sei.
4.3.2 Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Die Rechtsprechung, wonach ein
neues Ereignis eine neue Wartefrist auslöst, gilt nur in jenen Fällen, in denen
die aufgrund des ersten Schadens zugesprochene Rente bereits vor dem zweiten
Ereignis aufgehoben wurde; bei diesen versicherten Personen kann Art 88a Abs. 2
IVV mangels revidierbarer Rente keine Anwendung finden (Urteil I 179/01 vom 10.
Dezember 2001 E. 3b; vgl. auch Urteil 8C_551/2008 vom 13. November 2008 E.
3.3). So verhält es sich vorliegend nicht, war doch der Beschwerdeführerin im
Zeitpunkt des Unfalles mit rechtskräftiger (vgl. E. 4.1 hievor) Verfügung eine
halbe Rente zugesprochen gewesen. Somit ist Art. 88a Abs. 2 IVV, wonach bereits
nach drei Monaten eine Erhöhung der Rente vorzunehmen ist, anzuwenden.
4.3.3 Da das kantonale Gericht den Anspruch auf eine befristete Rentenerhöhung
nicht geprüft und deshalb auch die zur Beurteilung notwendigen
Sachverhaltsfeststellungen nicht getroffen hat, ist das Bundesgericht gestützt
auf Art. 105 Abs. 2 BGG befugt, den Sachverhalt von Amtes wegen zu ergänzen.
Dem Arztbericht der Dr. med. S.________, vom 24. November 2005 ist zu
entnehmen, dass die Versicherte nach dem Unfall vom 28. Oktober 2005 zunächst
zu 100 % arbeitsunfähig war. Am 24. Januar 2006 wurde im Spital X.________
unter anderem eine operative Rotatoren-Manschetten-Rekonstruktion vorgenommen.
Aufgrund des Berichts des Dr. med. V.________ vom 27. Juli 2006 ist davon
auszugehen, dass die volle Arbeitsunfähigkeit bis Ende Juli 2006 gedauert hat.
4.3.4 Bei dieser Ausgangslage hatte die Versicherte in der Zeit zwischen
Februar 2006 (Art 88a Abs. 2 IVV) und Oktober 2006 (Art. 88a Abs. 1 IVV)
Anspruch auf eine ganze IV-Rente.

4.4 Somit ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen und die Rente der
Versicherten befristet, von Februar bis Oktober 2006, auf eine ganze Rente zu
erhöhen. Was die Zeiträume bis Januar 2006 und ab November 2006 betrifft, ist
die Beschwerde abzuweisen (vgl. E. 4.2 hievor).

5.
Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten den Parteien je zur
Hälfte aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat der
Beschwerdeführerin überdies eine reduzierte Parteientschädigung zu entrichten
(Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 27. Juni 2008 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle
Basel-Landschaft vom 17. Januar 2008 werden für die Zeit zwischen Februar und
Oktober 2006 insoweit abgeändert, als festgestellt wird, dass die
Beschwerdeführerin Anspruch auf eine ganze Rente hatte. Für die Zeit bis Januar
2006 und ab November 2006 wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Von den Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin Fr. 250.-
und der Beschwerdegegnerin Fr. 250.- auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1400.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Kantonsgericht Basel-Landschaft
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, der
Caisse interprofessionnelle neuchâteloise de compensation pour l'industrie, le
commerce et les arts et métiers, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Juni 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Holzer