Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.828/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_828/2008

Urteil vom 9. Februar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Grunder.

Parteien
H.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Paul Ramer, substituiert durch Rechtsanwältin
Esther Ruoss Vögeli,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 9. Juli 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1963 geborene H.________ arbeitete seit 25. Juli 2005 bei der P.________ AG
in einem Vollzeitpensum als Sachbearbeiterin und war dadurch bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen
obligatorisch versichert. Am 22. Dezember 2005 stürzte sie mit dem Velo in
einem Kreisverkehrsplatz wegen eines rechtsabbiegenden Personenwagens, dessen
Lenker sie übersehen hatte. Die Ärzte des Spitals X.________, wo die
Versicherte vom 22. bis 29. Dezember 2005 hospitalisiert war, diagnostizierten
am 30. Dezember 2005 im Bereich des Beckens einen knöchernen Ausriss der
Adduktorenmuskulatur links, eine hintere Schambeinastfraktur links sowie
fragliche Absprengung am Trochanter major links bei insulinpflichtigem Diabetes
mellitus, Hyperthyreose und Status nach Sudeck bei Handoperation rechts (vgl.
auch Bericht der Klinik Y.________ vom 13. Januar 2006). Trotz der ab 30.
Dezember 2005 bis 1. Februar 2006 in der Klinik Y.________ stationär
durchgeführten intensiven Therapien verblieb eine Arbeitsunfähigkeit im
angestammten Beruf von 50 %; prognostisch betrachtet war mittelfristig mit
einer vollständigen Rehabilitation zu rechnen (Austrittsbericht vom 9. Februar
2006). Wegen des schleppenden Verlaufs ordnete der Hausarzt Dr. med.
M.________, Allgemeine Medizin FMH, weitere fachmedizinische Abklärungen an
(Bericht vom 12. April 2006), die keinen die Hüftbeschwerden erklärbaren Befund
ergaben (Berichte des Spitals X.________ vom 13. und 18. April, 2., 12. und 26.
Mai sowie 22. Juni 2006). Die Klinik Z._________, Rehabilitationszentrum,
Klinik für Rheumatologie und Rehabilitation des Bewegungsapparates, wo sich die
Versicherte vom 16. August bis 13. September 2006 aufhielt, bestätigte eine
hälftige Arbeitsunfähigkeit und leitete weitere Abklärungen ein (Bericht vom 3.
Oktober 2006). Laut Auskünften des Spital A.________ vom 5. Oktober 2006 lag
hinsichtlich der Schulterproblematik links ein rein musculo-skelettarer Prozess
vor; im Bereich des linken Beckens war am ehesten eine inaktivitätsbedingte
Parese der Hüftbeuger bei unauffälligem elektrophysiologischem Befund ohne
Hinweis auf eine Läsion des Plexus brachialis und lumbosakralis links, nach
sensibler Polyneuropathie bei Diabetes mellitus, anzunehmen. Gemäss Bericht des
Dr. med. K.________, FMH Innere Medizin und Rheumatologie, vom 29. November
2006 entsprach die Symptomatik in der linken Schulter klinisch und radiologisch
(diskrete synoviale Reizung bei sonst unauffälliger Sonographie) einer
adhäsiven Kapsulitis. Dr. med. N.________, Orthopädie, kam aufgrund einer
Anfrage der SUVA vom 8. Januar 2007 in einer undatierten Aktenbeurteilung zum
Schluss, die somatischen Unfallfolgen seien bei vollständig ausgeheilter
Schambeinastfraktur durch weitere medizinische Massnahmen nicht mehr zu
bessern; die frozen shoulder beidseits (links mehr als rechts) hätten keinen
Zusammenhang mit dem Unfall; es bestehe keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit
mehr. Gestützt darauf teilte die SUVA der Versicherten mit (Schreiben vom 22.
Januar 2007), dass ab 1. Februar 2007 eine volle Arbeitsfähigkeit bestehe,
weshalb auf Ende Januar hin die Taggeldleistungen eingestellt würden. Nach
weiteren ärztlichen Auskünften (des Spitals X.________ vom 5. April 2007
[Skelettszintigraphie]; des Dr. med. M.________ vom 3. Mai 2007; der
Kreisärztin Dr. med. U._________, FMH Physikalische Medizin und und
Rehabilitation, Sportmedizin SGSM, SUVA, vom 6. Juli 2007) stellte die SUVA mit
Verfügung vom 17. August 2007 - unter Verneinung eines adäquaten
Kausalzusammenhangs der weiterhin geltend gemachten gesundheitlichen
Beschwerden mit dem Unfall - die Heilbehandlung ab 1. September 2007 ein. Eine
Einsprache, mit der ein Bericht des Dr. med. N.________ vom 18. Januar 2007
aufgelegt wurde, wies sie ab (Einspracheentscheid vom 15. Oktober 2007).

B.
Hiegegen liess H.________ unter Auflage zusätzlicher ärztlicher Stellungnahmen
(der Klinik B._________ vom 27. November 2007 und 23. Juni 2008 sowie des Dr.
med. K.________ vom 25. und 31. Oktober sowie 15. November 2007) Beschwerde
einreichen. Mit Entscheid vom 9. Juli 2008 wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau das Rechtsmittel ab.

C.
H.________ lässt mit Beschwerde Auskünfte der Klinik B._________ vom 3.
September 2008 und des Dr. med. K.________ vom 1. Oktober 2008 auflegen und das
Rechtsbegehren stellen, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die
Sache "zur weiteren Abklärung und Verfügung an die Vorinstanz zurückzuweisen".
Mit späteren Eingaben werden ein von der Invalidenversicherung eingeholtes
Gutachten der MEDAS, Medizinische Abklärungsstelle, vom 10. November 2008 (mit
Konsilien des Psychiatrie-Teams C.________ vom 2. September 2008 sowie des Dr.
med. S.________, Facharzt FMH für Physikalische Medizin und Rehabilitation,
speziell Rheumaerkrankungen, vom 1. September 2008) sowie Berichte der Klinik
B._________ vom 13. November und 16. Dezember 2008 aufgelegt.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nur so weit
vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt.
Nach Art. 97 Abs. 2 BGG kann jede unrichtige oder unvollständige Feststellung
des Sachverhalts gerügt werden, wenn sich die Beschwerde gegen einen Entscheid
über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder
Unfallversicherung richtet. Das Bundesgericht ist dabei nicht an die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden (Art. 105 Abs. 3 BGG). Ob aus
dieser Gesetzeslage zu schliessen ist, dass neue Beweismittel - wie vorliegend
u.a. das Gutachten der MEDAS vom 10. November 2008 - zuzulassen sind, sofern
sie form- und fristgerecht eingebracht werden, muss hier mit Blick auf die
nachfolgenden Erwägungen nicht weiter nachgegangen werden.

2.
Prozessthema bildet die Frage, ob die Beschwerdeführerin ab 1. Februar 2007
weiterhin Anspruch auf Taggeld und ab 1. September 2007 auf Heilbehandlung der
obligatorischen Unfallversicherung hat.

3.
3.1 Das kantonale Gericht gelangte in einlässlicher Würdigung der medizinischen
Unterlagen zum Schluss, dass die ärztlich diagnostizierte retraktile Kapsulitis
an der linken Schulter im Wesentlichen Folge des vorbestehenden Diabetes
mellitus war, zumal schon vor dem Unfall ähnliche Beschwerden im rechten
Schulter-/Armgelenk vorhanden gewesen waren. Der natürliche Kausalzusammenhang
mit dem Unfall war daher nicht überwiegend wahrscheinlich. Für die geklagten
Beschwerden im Bereiche der Hüfte und des Beckens konnte nach vollständig
konsolidierter Schambeinastfraktur weder klinisch noch radiologisch ein
medizinisches Korrelat gefunden werden, weshalb davon auszugehen war, dass
keine Unfallfolgen mehr vorlagen.
3.2
3.2.1 Das kantonale Gericht hat sich mit dem Einwand der Beschwerdeführerin,
der von der SUVA im Rahmen einer kreisärztlichen Beurteilung konsultierte Dr.
med. N.________ erwecke den Anschein von Befangenheit, einlässlich
auseinandergesetzt. Den nicht zu beanstandenden Erwägungen im angefochtenen
Entscheid ist einzig beizufügen, dass die undatierte Aktenbeurteilung dieses
Arztes auf die SUVA-Anfrage vom 8. Januar 2007 hin nicht in Widerspruch zu
dessen Auskünften vom 18. Januar 2007 steht. Darin wurde lediglich der Befund
wiederholt, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen medizinisch unklar
waren, wobei der Diabetes mellitus im Vordergrund stand. Mit der Vorinstanz
ergibt sich aus den medizinischen Akten klar, dass die diagnostizierte frozen
shoulder (oder retraktile Kapsulitis) beidseits nicht unfallbedingt sein kann.
Dem Einwand, diese Symptomatik sei durch die aufgrund der Schambeinastfraktur
notwendig gewordene Verwendung von Gehstöcken, mithin einer Mehrbelastung der
Schulter- und Armgelenke, entstanden, kann nicht beigepflichtet werden. Schon
kurze Zeit nach dem Unfall vom 22. Dezember 2005 empfahl das Spital X.________
der Versicherten, die Stöcke beim Gehen wegzulassen und weiterhin unter
Anleitung die Muskelfunktionen, insbesondere die Beckenmuskulatur zu trainieren
(Bericht vom 26. Mai 2006). Daraus ist zu schliessen, dass aus ärztlicher Sicht
schon früh eine vollständige Mobilisierung der Hüftgelenke zuzumuten war. Damit
übereinstimmend kam die Klinik B._________ (Bericht vom 27. November 2007) zum
Ergebnis, dass die Ursache der retraktilen Kapsulitis links weder anhand der
radiologischen Aufnahmen, noch der klinischen Untersuchungen geklärt werden
konnte. Die Ärzte wiesen auf die ungünstigen gesundheitlichen Bedingungen der
Versicherten hin, die seit Jahren an einem Diabetes mellitus sowie einer
Hypothyreose leidet. Dr. med. K.________ stellte im Bericht vom 15. November
2007 lediglich einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und den
Schulterbeschwerden fest. Seiner Auffassung, in solchen Fällen müsse die
Kausalitätsfrage zugunsten der Patienten entschieden werden, liegt die
beweisrechtlich unzulässige Regel "post hoc ergo propter hoc" zugrunde, wie die
Vorinstanz richtig erwogen hat. In Anbetracht der Beweislage hat das kantonale
Gericht zu Recht einen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehenden
natürlichen Zusammenhang zwischen den beidseitig bestehenden Schulter- und
Armbeschwerden und dem Unfall vom 22. Dezember 2005 verneint. An dieser
Beurteilung ändert das letztinstanzlich aufgelegte Gutachten der MEDAS vom 9.
November 2008 nichts. Danach waren für die chronische ankylosierende
Periarthroapathia humeroscapularis links mehr als rechts ätiologisch in erster
Linie der insulinpflichtige Diabetes mellitus mit axonaler Neuropathie
(Erstdiagnose 1976), eine subklinische Hypothyreose (Status nach
Hashimoto-Thyreoiditis 1993/94) als bekannte Co-Faktoren einer adhäsiven
Kapsulitis sowie im Bereich der rechten Hand ein postoperativer Residualzustand
(nach Synovektomie und Denervation 1993/1994) bei anderseits möglicher
Schulterprellung links nach Fahrradsturz (22. Dezember 2005) zu nennen. Die
erstbehandelnden Ärzte des Spitals X.________ hielten hinsichtlich der linken
Schulter und des linken Armes keine Beschwerden fest, weshalb nicht
nachgewiesen ist, dass die Versicherte beim Unfall vom 22. Dezember 2005 eine
Schulterprellung erlitten hatte.
3.2.2 Was die unstreitig konsolidiert abgeheilte Schambeinastfraktur und deren
allfällige Folgen anbelangt, hat die Vorinstanz entgegen den Einwänden der
Beschwerdeführerin nicht einzig die Schlussfolgerungen der Frau Dr. med.
U._________ (kreisärztlicher Untersuchungsbericht vom 6. Juli 2007) übernommen.
Sie berücksichtigte auch die Auskünfte der Klinik Z._________ vom 3. Oktober
2006, wonach die angegebenen Beeinträchtigungen in der linken Hüfte mit Beuger-
und Streckerschwäche aus rheumatologischer Sicht nicht interpretiert werden
konnten, sowie des Spital A.________ vom 5. Oktober 2006, laut welchen die
Hüftbeschwerden weitgehend inaktivitätsbedingt waren. Nicht ersichtlich ist in
diesem Zusammenhang, inwiefern Frau Dr. med. U._________ voreingenommen gewesen
sein soll. Die Kreisärztin legte gestützt auf eine umfassende Darstellung der
Anamnese, eine eigene klinische Exploration der Versicherten vom 6. Juli 2007
sowie unter Beurteilung der radiologischen Aufnahmen vom 18. Januar 2007
(Beckenübersicht) und 5. April 2007 (Skelettszintigraphie) plausibel dar, dass
für die geklagten Hüft-/Beckenschmerzen kein objektives Substrat mehr
feststellbar war, weshalb diese aus medizinischer Sicht nicht mehr mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolgen gewertet werden konnten. Der
vorinstanzlich eingereichte Bericht der Klinik B._________ vom 23. Juni 2008
steht diesem Ergebnis nicht entgegen, nachdem darin erneut festgestellt wurde,
dass weder klinisch noch radiologisch (Arthro-MRI vom 23. Juni 2008 in der
Klinik D.________) ein die geklagten Beschwerden erklärbarer unfallbedingter
Befund erhoben werden konnte. Dies betraf u.a. auch die radiologisch neu
entdeckte Labrumläsion, welche gemäss Diagnose degenerativen Ursprungs war.
Nichts anderes ist dem fast gleichlautenden letztinstanzlich aufgelegten
Bericht der Klinik B._________ vom 3. September 2008 zu entnehmen. Hinsichtlich
der Angaben des Dr. med. K.________ vom 1. Oktober 2008 an die
Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin wird auf das in vorstehender Erwägung
Gesagte verwiesen. Die MEDAS legt im Gutachten vom 10. November 2008 mangels
Fragestellung nicht dar, ob die geklagten Hüft-/Beckenbeschwerden unfallkausal
sind. Dasselbe trifft zu für den Operationsbericht der Klinik B._________ vom
16. Dezember 2008. Insgesamt betrachtet ist daher der kantonale Entscheid, mit
welchem ab 1. September 2007 ein natürlicher Kausalzusammenhang der weiterhin
geklagten Hüft-/Beckenbeschwerden mit dem Unfall vom 22. Dezember 2005 verneint
wurde, nicht zu beanstanden.
3.2.3 Was schliesslich den geltend gemachten Taggeldanspruch vom 1. Februar bis
1. September 2007 anbelangt, wird auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid
verwiesen, wonach die Versicherte in diesem Zeitraum im angestammten Beruf als
kaufmännische Sachbearbeiterin unfallbedingt nicht mehr eingeschränkt gewesen
war.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Februar 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Grunder