Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.825/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_825/2008

Urteil vom 9. April 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Leuzinger, Niquille,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
W.________, Deutschland, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Schütt,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 11. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1964 geborene W.________ war als Gipser der C.________ AG bei der
Schweizerischen Unfallversicherung (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen
versichert, als er im September 2004 von einem Baugerüst kopfüber auf ein
abgestelltes Arbeitsgerät stürzte. Im Spital X.________ wurden unter anderem
eine mehrfragmentäre Mandibulafraktur links, eine Jochbogenfraktur/
Jochbeinfraktur links und eine Thoraxkontusion diagnostiziert. Die SUVA
anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und
erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Mit unangefochten gebliebener Verfügung
vom 15. Dezember 2005 stellte die SUVA ihre Taggeldleistungen ein, da volle
Arbeitsfähigkeit bestehe; über allfällig weitere Geldleistungen werde erst nach
der geplanten operativen Metallentfernung entschieden. Diese erfolgte am 21.
November 2006; nachdem der Versicherte am 22. Februar 2007 dem SUVA-Kreisarzt
Dr. med. R.________ vorgestellt wurde, stellte die Versicherung mit Verfügung
vom 8. Juni 2007 und Einspracheentscheid vom 3. Dezember 2007 ihre Leistungen
per 30. Juni 2007 ein, da die über dieses Datum hinaus anhaltend geklagten
Beschwerde nicht adäquat kausal durch das Unfallereignis verursacht worden
seien.

B.
Die von W.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden mit Entscheid vom 11. Juni 2008 ab.

C.
Mit Beschwerde beantragt W.________ sinngemäss, die SUVA sei zu verpflichten,
die gesetzlichen Leistungen auch über den 30. Juni 2007 hinaus zu erbringen,
insbesondere seien ihm Erwerbsausfallleistungen und eine
Integritätsentschädigung von Fr. 10'000.- zuzusprechen. Gleichzeitig stellt er
ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung.
Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

1.3 Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG sind Noven im letztinstanzlichen Verfahren
grundsätzlich unzulässig (vgl. zur Geltung dieses Grundsatzes im
Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der
Militär- oder Unfallversicherung: BGE 8C_934/2008 E. 3.4). Die Voraussetzungen,
unter denen die vom Beschwerdeführer neu eingereichten Arztberichte
ausnahmsweise zulässig wären, sind vorliegend nicht erfüllt, so dass diese
unbeachtet bleiben müssen.

2.
Im Einspracheentscheid der SUVA vom 3. Dezember 2007 werden die nach der
Rechtsprechung für den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen
Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG [SR 832.20]) geltenden Voraussetzungen
des natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis
und dem eingetretenen Schaden (vgl. BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181),
insbesondere bei psychischen Unfallfolgeschäden (BGE 115 V 133), zutreffend
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin zu Recht ihre Leistungen
für die Folgen des Unfalles vom September 2004 per 30. Juni 2007 eingestellt
hat.

4.
4.1 Vorinstanz und Beschwerdegegnerin gingen davon aus, dass der
Beschwerdeführer nach dem 30. Juni 2007 nicht mehr durch einen organisch
hinreichend nachweisbaren Unfallschaden (vgl. Urteil 8C_806/2007 vom 7. August
2008 E. 8.2 mit Hinweisen) in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt war. Dem
Bericht des SUVA-Kreisarztes Dr. med. R.________, Facharzt FMH Orthopädische
Chirurgie, vom 22. Februar 2007 ist zu entnehmen, dass der Versicherte einzig
im Gesichtsbereich strukturell fassbare Verletzungen erlitten hat. Gemäss den
Vorbringen des Beschwerdeführers stehen die Gesichtsbeschwerden indessen nicht
im Vordergrund. Dr. med. R.________ hat zudem nach Vorliegen der definitiven
Fassung des Austrittsberichts der Klinik Y.________ vom 6. Februar 2007 mit
Stellungnahme vom 8. März 2007 präzisiert, dass die Arachnoidalzysten im
Gesichtsbereich den einzigen persistierenden strukturell fassbaren Befund
darstellen; gemäss den überzeugenden Schlussfolgerungen der Ärzte der Klinik
Y.________ haben sich diese Zysten jedoch nicht sekundär ausgebildet, sondern
haben bereits beim Unfall vorbestanden. Aufgrund der medizinischen Akten,
insbesondere aber der beiden erwähnten Berichte, ist somit davon auszugehen,
dass eine allfällige Einschränkung in der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des
Beschwerdeführers nach dem 30. Juni 2007 nicht durch organisch objektiv
nachweisbare Unfallfolgen verursacht wird. Ob die geltend gemachten
Einschränkungen natürlich kausal durch den Unfall bedingt sind, kann
offenbleiben, da, wie nachstehende Prüfung im Sinne der Rechtsprechung von BGE
115 V 133 ergibt, ein allfälliger natürlicher Kausalzusammenhang nicht adäquat
und damit nicht rechtsgenüglich wäre. Aus diesem Grund kann auch von den
beantragten weiteren Beweismassnahmen zum natürlichen Kausalzusammenhang
abgesehen werden.

4.2 Die Schwere des Unfalles ist aufgrund des augenfälligen Geschehensablaufs
mit den sich dabei entwickelnden Kräften zu beurteilen (SVR 2008 UV Nr. 8 S.
26, U 2/07 E. 5.3.1). Im September 2004 rutschte der Versicherte auf einem
Baugerüst aus und fiel kopfüber ein Stockwerk in die Tiefe, wobei er mit dem
Gesicht auf einem abgestellten Gerät aufschlug und sich eine Kieferfraktur
zuzog. Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, kann dieses Ereignis als
mittelschwerer Unfall qualifiziert werden. Die Adäquanz eines natürlichen
Kausalzusammenhanges wäre somit dann zu bejahen, wenn eines der massgebenden
Adäquanzkriterien in besonders ausgeprägter, oder mehrere der Kriterien in
gehäufter Weise erfüllt wären.

4.3 Das Kriterium der besonders dramatischen Begleitumstände oder besonderen
Eindrücklichkeit des Unfalles ist objektiv zu beurteilen und nicht aufgrund des
subjektiven Empfindens bzw. Angstgefühls der versicherten Person (RKUV 1999 Nr.
U 335 S. 207, U 287/97 E. 3b/cc; Urteil U 56/07 vom 25. Januar 2008 E. 6.1). Zu
beachten ist, dass jedem mindestens mittelschweren Unfall eine gewisse
Eindrücklichkeit eigen ist, welche somit noch nicht für eine Bejahung des
Kriteriums ausreichen kann (Urteil 8C_799/2008 vom 11. Februar 2009 E. 3.2.3
mit Hinweis). Wie das kantonale Gericht überzeugend ausgeführt hat, spielte
sich der Unfall im September 2004 weder unter besonders dramatischen
Begleitumständen ab, noch war er besonders eindrücklich.

4.4 Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers waren die erlittenen
Verletzungen (Frakturen im Gesichtsbereich) nicht besonders schwer, der
Versicherte konnte das Spital X.________ bereits nach kurzer Zeit wieder
verlassen. Da die Verletzungen auch nicht von solch besonderer Art waren, dass
sie speziell geeignet wären, psychische Fehlentwicklungen auszulösen, ist auch
dieses Kriterium nicht erfüllt.

4.5 Die Behandlung der körperlichen Unfallfolgen war, mit Ausnahme der vom
Beschwerdeführer aufgeschobenen Entfernung der Metallteile aus dem Mund, am 19.
Januar 2005, also rund vier Monate nach dem Unfall abgeschlossen. Das Kriterium
der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung ist somit ebenfalls
nicht gegeben.

4.6 Die organisch nachgewiesenen Unfallfolgen verursachen keine
Dauerbeschwerden; die als körperlich imponierenden, organisch jedoch nicht
hinreichend erklärbaren Beschwerden sind bei einer Prüfung der Adäquanz nach
BGE 115 V 133 nicht in die Beurteilung einzubeziehen. Das Kriterium ist somit
nicht erfüllt.

4.7 Kieferprobleme stehen nach den Vorbringen des Versicherten nicht im
Vordergrund. Somit ist nicht davon auszugehen, dass das abgebrochene
Bohrerstück, welches schliesslich aus dem Weichteilgewebe unterhalb des
Mundastes des Faszialis geborgen werden konnte, die Unfallfolgen erheblich
verschlimmert hätte. Das Kriterium der ärztlichen Fehlbehandlung, welche die
Unfallfolgen erheblich verschlimmert hat, liegt somit nicht vor.

4.8 Zur Bejahung des Kriteriums des schwierigen Heilungsverlaufs und der
erheblichen Komplikationen bedarf es besonderer Gründe, die die Heilung
beeinträchtigt haben (Urteil 8C_698/2008 vom 27. Januar 2009 E. 4.6 mit
Hinweis). Solche sind vorliegend nicht ersichtlich; das Kriterium ist zu
verneinen.

4.9 Ebenfalls nicht gegeben ist das Kriterium des Grades und der Dauer der
physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit, konnte doch der Versicherte am 1.
Februar 2005 seine bisherige Arbeit zunächst wieder voll aufnehmen und wäre er
doch in einer angepassten Tätigkeit vollzeitlich und ohne Einschränkungen der
Leistungsfähigkeit arbeitsfähig.

4.10 Da somit keines der massgebenden Kriterien erfüllt ist, wäre ein
allfälliger Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis im September 2004
und den über den 30. Juni 2007 hinaus anhaltend geklagten, objektiv nicht
hinreichend nachweisbaren Beschwerden nicht adäquat und damit nicht
rechtsgenüglich. Somit besteht weder ein Anspruch auf eine Rente, noch auf eine
Integritätsentschädigung; die Beschwerde ist abzuweisen.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Seinem Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die entsprechenden
gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird
indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die
begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Dr. Thomas Schütt wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. April 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Holzer