Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.805/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_805/2008

Urteil vom 4. Mai 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Parteien
M.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat
Dr. Alex Hediger,

gegen

Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft, Steinengraben 41, 4051
Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
13. August 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1963 geborene M.________, verheiratet und Mutter dreier Kinder (geb. 1982,
1984 und 1991), war als Mitarbeiterin im Hausdienst bei der Rehaklinik
X.________ angestellt und dadurch bei der Schweizerischen
National-Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: National) obligatorisch gegen
die Folgen von Unfällen versichert, als sie am 27. Juni 2002 als Mitfahrerin
einen Verkehrsunfall erlitt. Der von ihrem Ehemann gelenkte Wagen hielt
innerorts hinter einem Auto, welches nach links abbiegen wollte, als ein
Lieferwagenlenker die vor ihm stehenden Autos zu spät bemerkte und auffuhr. Der
Wagen, in dem die Versicherte sass, wurde ca. 1.5 Meter in den vor ihm
stehenden geschoben und erheblich beschädigt. Am Regionalspital Y.________, in
welches die Versicherte wegen sofort einschiessenden Schmerzen an der
Halswirbelsäule eingeliefert wurde, stellte man die Diagnose eines
Schleudertraumas mit HWS-Kontusion/-Distorsion. Die National erbrachte
Heilbehandlung und richtete Taggeldleistungen aus. M.________ unternahm
verschiedene Arbeitsversuche im August und Oktober 2002 und ab Anfang 2003,
welche jeweils nach kurzer Zeit wegen starker Beschwerdeexacerbationen wieder
abgebrochen wurden. Nach medizinischen Abklärungen, einem stationären
Rehabilitationsaufenthalt vom 5. März bis 2. April 2003 an der Rehaklinik
X.________ und ambulanter Psychotherapie, welche keine wesentliche Verbesserung
des Gesundheitszustandes brachten, liess die National die Versicherte am
Medizinischen Zentrum Z.________ polydisziplinär untersuchen. Gestützt auf die
Expertise vom 10. Mai 2005 eröffnete die Unfallversicherung der M.________ mit
Verfügung vom 24. Oktober 2005, sie stelle ihre Leistungen rückwirkend auf den
1. September 2005 ein. Zur Begründung führte sie aus, die noch geklagten
Beschwerden stünden nicht in einem rechtserheblichen Zusammenhang zum Unfall
vom 27. Juni 2002. Daran hielt die Unfallversicherung auf Einsprache hin fest
(Entscheid vom 20. September 2007).

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies die hiegegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 13. August 2008 ab.

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die
Beschwerdebeklagte zu verpflichten, ihr rückwirkend ab 1. September 2005 die
versicherten Leistungen auszurichten, insbesondere Taggelder bei einer 100%igen
Arbeitsunfähigkeit zu erbringen, eventuell eine Invalidenrente auf Grund eines
100%igen Invaliditätsgrades und eine Integritätsentschädigung basierend auf
einer Integritätseinbusse von mindestens 50 % zu gewähren.
Die National schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es
kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem
Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht
und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die
Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder
Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin aus dem Unfall vom 27.
Juni 2002 über den 31. August 2005 hinaus Anspruch auf Leistungen der
obligatorischen Unfallversicherung hat.

Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Streitsache sind im angefochtenen
Entscheid, auf den verwiesen wird, richtig dargelegt. Hervorzuheben ist, dass
die Leistungspflicht des Unfallversicherers nebst anderem einen natürlichen und
adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden
voraussetzt. Liegt eine Gesundheitsschädigung mit einem klaren organischen
Substrat vor, kann der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel ohne weiteres
zusammen mit dem natürlichen Kausalzusammenhang bejaht werden. Anders verhält
es sich bei natürlich unfallkausalen, aber organisch nicht objektiv
ausgewiesenen Beschwerden. Hier lässt sich die Adäquanzfrage nicht ohne eine
besondere Prüfung beantworten. Dabei ist vom augenfälligen Geschehensablauf
auszugehen, und es sind je nachdem weitere unfallbezogene Kriterien
einzubeziehen. Bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall werden diese
Adäquanzkriterien unter Ausschluss psychischer Aspekte geprüft (sog.
Psycho-Praxis; BGE 115 V 133), während bei Schleudertraumen und äquivalenten
Verletzungen der HWS sowie Schädel-Hirntraumen auf eine Differenzierung
zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet wird (sog.
Schleudertrauma-Praxis; zum Ganzen: BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112 mit Hinweisen).

3.
Das kantonale Gericht hat zunächst erwogen, dass keine organisch objektiv
ausgewiesene Unfallfolge vorliege, welche die persistierenden Beschwerden zu
erklären vermöchte. Namentlich stelle auch das diagnostizierte Cervicalsyndrom
in Form einer Verspannung der paravertebralen Muskulatur keine solche
Unfallfolge dar. Gleichzeitig hielt es fest, dass davon auszugehen sei, dass
die physischen wie auch die psychischen Beeinträchtigungen auf den Unfall vom
27. Juni 2002 zurückzuführen seien. Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen
der gesamten gesundheitlichen Situation und dem Unfallereignis sei daher zu
bejahen. Diese Beurteilung ist nach Lage der Akten sowie im Lichte der im
angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegten Praxis richtig und auch nicht
umstritten.

4.
Fehlt es nach dem Gesagten an einer organisch klar ausgewiesenen Unfallfolge,
hat eine besondere Adäquanzprüfung zu erfolgen (E. 2 hievor).

4.1 Dabei gehen die Meinungen zunächst in der Beantwortung der Frage
auseinander, ob die Adäquanz nach den für psychische Fehlentwicklungen
geltenden Grundsätzen oder aber nach der Schleudertrauma-Praxis zu beurteilen
ist.

Die Unfallversicherung und das kantonale Gericht haben den adäquaten
Kausalzusammenhang nach den bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall
geltenden Grundsätzen geprüft. Begründet wird dies im angefochtenen Entscheid
damit, es hätten sich schon bald nach dem Unfall dominante psychische Probleme
gezeigt, welche die physischen Beschwerden in den Hintergrund gedrängt hätten.
Zudem sei den Arztberichten der Folgezeit nach dem Unfall eine Häufung von
schleudertraumatypischen Beeinträchtigungen nicht mehr zu entnehmen.
Entsprechend sei die Beschwerdeführerin insbesondere auf psychotherapeutischer
Ebene weiterbehandelt worden.

4.2 Die Beantwortung der Frage, ob und bejahendenfalls inwieweit die über den
31. August 2005 hinaus andauernden Beschwerden als eigentliche Folge der
Halswirbelsäulen-Distorsion zu betrachten sind, oder ob es sich um reine
psychische Folgen handelt, ist äusserst schwierig. Sie ist auch nicht klar den
medizinischen Akten zu entnehmen. Die Gutachter des Medizinischen Zentrums
Z.________ stellen sich überlagernde Diagnosen zwischen somatischer
(Cervikalsyndrom) und psychiatrischer Problematik im Sinne einer Mischung aus
Angst und Depression, ängstlicher, beeindruckbarer Persönlichkeit,
Schmerzfehlverarbeitungsstörung sowie Selbstlimitierung. Ausdrücklich verneint
werden Anhaltspunkte für eine Aggravation. Abschliessend muss aber die Frage,
ob die rein psychiatrischen Aspekte diejenigen, welche als Folge der
HWS-Distorsion zu betrachten sind, in den Hintergrund gedrängt haben, dann
nicht beurteilt werden, wenn der adäquate Kausalzusammenhang auch nach der
Schleudertrauma-Praxis zu verneinen wäre. Das wird nachfolgend geprüft.

5.
5.1 Für die Adäquanzbeurteilung ist an das (objektiv erfassbare) Unfallereignis
anzuknüpfen, wobei zwischen banalen bzw. leichten Unfällen einerseits, schweren
Unfällen anderseits und schliesslich dem dazwischen liegenden mittleren Bereich
unterschieden wird. Während der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel bei
schweren Unfällen ohne weiteres bejaht und bei leichten Unfällen verneint
werden kann, lässt sich die Frage der Adäquanz bei Unfällen aus dem mittleren
Bereich nicht aufgrund des Unfallgeschehens allein schlüssig beantworten. Es
sind weitere, objektiv erfassbare Umstände, welche unmittelbar mit dem Unfall
in Zusammenhang stehen oder als direkte bzw. indirekte Folgen davon erscheinen,
in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen. Je nachdem, wo im mittleren Bereich der
Unfall einzuordnen ist und abhängig davon, ob einzelne dieser Kriterien in
besonders ausgeprägter Weise erfüllt sind, genügt zur Bejahung des adäquaten
Kausalzusammenhangs ein Kriterium oder müssen mehrere gegeben sein (BGE 134 109
E. 10.1 S. 126 f. mit Hinweisen).

Massgebend für die Beurteilung der Unfallschwere ist der augenfällige
Geschehensablauf mit den sich dabei entwickelnden Kräften (SVR 2008 UV Nr. 8 S.
26, U 2, 3 und 4/07, E. 5.2 und 5.3.1; Urteil 8C_986/2008 vom 23. März 2009, E.
4.2). Das kantonale Gericht hat den Unfall vom 27. Juni 2002 im mittleren
Bereich an der Grenze zu den leichten Ereignissen eingeordnet. Davon kann
grundsätzlich ausgegangen werden. Von den weiteren massgeblichen Kriterien
müssten für eine Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges daher entweder ein
einzelnes in besonders ausgeprägter Weise oder aber mehrere in gehäufter oder
auffallender Weise gegeben sein (BGE 134 V 109 E. 10.1 S. 126 f., 117 V 359 E.
6 S. 367 f.).
5.2
5.2.1 Das kantonale Gericht hat ? allerdings in Anwendung der Kriterien gemäss
BGE 115 V 133 ? diejenigen eines schwierigen Heilungsverlaufes und der
Dauerschmerzen als gegeben erachtet, die übrigen verneint. Zu Recht
unbestritten ist das Fehlen der beiden (durch BGE 134 V 109 nicht geänderten)
Kriterien der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzungen sowie der
ärztlichen Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert.

Die Beschwerdeführerin macht zusätzlich eine fortgesetzte spezifische und
belastende ärztliche Behandlung geltend, spezifiziert indessen nicht, worin
diese gelegen haben mag. Zudem erachtet sie auch dasjenige der erheblichen
Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen als gegeben.
5.2.2 Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung liegen kein
schwieriger Heilungsverlauf oder erhebliche Komplikationen im Sinne des
entsprechenden Kriteriums vor. Es müssten hiefür besondere Gründe, welche die
Heilung beeinträchtigt haben, gegeben sein (vgl. auch zum Folgenden: SVR 2007
UV Nr. 25 S. 81, U 479/05, E. 8.5; Urteil 8C_803/2007 vom 3. September 2008, E.
3.4.1). Solche Gründe sind aus den Akten nicht ersichtlich. Dass Beschwerden
trotz medizinischer Behandlung anhalten, genügt nicht (Urteile 8C_691/2007 vom
1. September 2008, E. 2.3.3, und 8C_57/2008 vom 16. Mai 2008, E. 9.6.1 mit
Hinweis).

Das modifizierte Kriterium der fortgesetzt spezifischen, belastenden ärztlichen
Behandlung kann nicht bejaht werden. Die im Wesentlichen erfolgte ambulante
Physiotherapie, später Psychotherapie, nebst Medikation und ärztlichen
Verlaufskontrollen, genügt ebensowenig (vgl. Urteil 8C_500/2007 vom 16. Mai
2008, E. 5.4), wie ein einmaliger stationärer Rehabilitationsaufenthalt während
rund eines Monats. Das Kriterium der erheblichen Beschwerden kann mit Blick auf
die glaubhaften Schmerzen und die Beeinträchtigung, welche die Versicherte
dadurch im Lebensalltag erfährt, mit der Vorinstanz als erfüllt betrachtet
werden (BGE 134 V 109 E. 10.2.4 S. 128). In besonders ausgeprägter Weise liegt
es aber nicht vor. Gleiches gilt für das Kriterium der erheblichen
Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen. Eine erhebliche
Arbeitsunfähigkeit ist zwar unstreitig gegeben. Zudem versuchte die
Beschwerdeführerin in den ersten sechs Monaten nach dem Unfall wiederholt ihre
angestammte Tätigkeit wieder aufzunehmen. Die Versuche dauerten hingegen
jeweils nur sehr kurze Zeit. Zu Gunsten der Beschwerdeführerin fällt allerdings
die Teilnahme im Beschäftigungsprogramm "S.________" vom 30. August 2005 bis
28. Februar 2006 ins Gewicht. Sie konnte die verabredete Präsenzzeit von 50 %
zwar in der Regel nicht einhalten, hat die arbeitsmarktliche Massnahme jedoch
während der ganzen Dauer absolviert. Trotz dieses Einsatzes kann aber auch das
Kriterium unter dem Stichwort Arbeitsfähigkeit zwar als erfüllt, nicht aber als
in besonders ausgeprägter Weise vorliegend qualifiziert werden.

5.3 Die adäquanzrelevanten Kriterien liegen somit weder gehäuft vor, noch ist
eines besonders ausgeprägt gegeben. Es fehlt daher an einem rechtserheblichen
Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 27. Juni 2002 und den noch bestehenden
Beschwerden. Das kantonale Gericht hat eine Leistungspflicht der National
hiefür demnach zu Recht verneint. An diesem Ergebnis vermögen sämtliche
Vorbringen in der Beschwerde nichts zu ändern.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Versicherte hat als unterliegende Partei
die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. Mai 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Schüpfer