Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.799/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_799/2008

Urteil vom 11. Februar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
S.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Fiechter,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 13. August 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1972 geborene S.________ war als Gipser der F.________ AG bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen
versichert, als er am 4. November 2003 auf der Autobahn als Lenker eines
Personenwagens einen Selbstunfall erlitt. Die SUVA anerkannte ihre
Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses und erbrachte die
gesetzlichen Leistungen, stellte diese aber mit Verfügung vom 2. August 2006
und Einspracheentscheid vom 10. Dezember 2007 per 31. August 2006 ein, da die
über dieses Datum hinaus anhaltend geklagten Beschwerden nicht adäquat kausal
durch das Ereignis verursacht worden seien.

B.
Die von S.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 13. August 2008 ab.

C.
Mit Beschwerde beantragt S.________ sinngemäss, es seien ihm unter Aufhebung
des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides auch über den 31. August
2006 hinaus die gesetzlichen Leistungen auszurichten. Gleichzeitig stellt er
ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung.
Während die SUVA beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit auf sie
einzutreten sei, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Im kantonalen Entscheid werden die nach der Rechtsprechung für den Anspruch auf
Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG [SR
832.20]) geltenden Voraussetzungen des natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden
(BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181), insbesondere bei Schleudertraumen der
Halswirbelsäule und bei schleudertraumaähnlichen Verletzungen (BGE 134 V 109),
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Die Vorinstanz hat in umfassender Würdigung der gesamten medizinischen
Akten überzeugend erwogen, dass die über den 31. August 2006 hinaus anhaltend
geklagten Beschwerden nicht auf einen organisch hinreichend nachweisbaren (vgl.
Urteil 8C_806/2007 vom 7. August 2008 E. 8.2 mit Hinweisen) Gesundheitsschaden
zurückzuführen sind, diese aber überwiegend wahrscheinlich mindestens teilweise
durch den Unfall vom 4. November 2003 verursacht sind. Diese Würdigung wurde
von den Parteien nicht bestritten; somit liegt zu Recht ausser Streit, dass die
Adäquanz des Kausalzusammenhanges ausgehend vom augenfälligen Geschehensablauf
zu prüfen ist und gegebenenfalls weitere unfallbezogene Kriterien einzubeziehen
sind. Während Beschwerdeführer und Vorinstanz hiebei die Kriterien der sog.
"Schleudertrauma-Praxis" (BGE 134 V 109 E. 10 S. 126 ff.) für anwendbar halten,
macht die Beschwerdegegnerin geltend, vorliegend sei die Adäquanz nach der für
psychische Unfallfolgen entwickelten Rechtsprechung (BGE 115 V 133 E. 6c/aa S.
140) zu beurteilen. Wie es sich damit verhält, braucht indessen nicht
entschieden zu werden, da die Adäquanz des Kausalzusammenhanges - wie
nachstehend gezeigt wird - selbst bei einer Prüfung nach BGE 115 V 133 zu
bejahen ist.
3.2
3.2.1 Die Schwere des Unfalles bestimmt sich nach dem augenfälligen
Geschehensablauf und nicht nach den Kriterien, welche bei der Beurteilung der
Adäquanz bei mittelschweren Unfällen Beachtung finden. Zu prüfen ist im Rahmen
einer objektivierten Betrachtungsweise, ob der Unfall eher als leicht, als
mittelschwer oder als schwer erscheint, wobei im mittleren Bereich
gegebenenfalls eine weitere Differenzierung nach der Nähe zu den leichten oder
schweren Unfällen erfolgt. Massgebend sind der augenfällige Geschehensablauf
mit den sich dabei entwickelnden Kräften, nicht jedoch Folgen des Unfalles oder
Begleitumstände, die nicht direkt dem Unfallgeschehen zugeordnet werden können.
Derartigen dem eigentlichen Unfallgeschehen nicht zuzuordnenden Faktoren ist
gegebenenfalls bei den Adäquanzkriterien Rechnung zu tragen. Dies gilt etwa für
die - ein eigenes Kriterium bildenden - Verletzungen, welche sich die
versicherte Person zuzieht, aber auch für - unter dem Gesichtspunkt der
besonders dramatischen Begleitumstände oder besonderen Eindrücklichkeit des
Unfalls zu prüfende - äussere Umstände, wie eine allfällige Dunkelheit im
Unfallzeitpunkt oder Verletzungs- resp. gar Todesfolgen, die der Unfall für
andere Personen nach sich zieht (SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, U 2/07 E. 5.3.1).
3.2.2 Gemäss dem Polizeirapport vom 11. November 2003 fuhr der Versicherte am
4. November 2003 mit einem Personenwagen auf der Überholspur der Autobahn. Bei
einer Geschwindigkeit von etwa 130 km/h geriet das Fahrzeug plötzlich ins
Schleudern, überquerte die Normalspur und den Pannenstreifen und kollidierte
mit der Böschung, wo es sich überschlug. Der Personenwagen wurde auf die
Überholspur zurückgeschleudert und kam auf den Rädern stehend zum Stillstand.
Beim Überschlagen wurde der Beifahrer aus dem Dachfenster auf die Böschung
geschleudert. Der Versicherte konnte das Fahrzeug nicht mehr eigenständig
verlassen. Spätere Abklärungen ergaben massive Rostschäden an der Radaufhängung
der Hinterachse, das Abbrechen des linken Hinterrades führte schliesslich zum
Unfall (vgl. die Strafverfügung des Bezirksamtes vom 28. Januar 2004). Aufgrund
des augenfälligen Geschehensablaufs mit den sich dabei entwickelnden Kräften
ist das Ereignis vom 4. November 2003 als mittelschwer aber in Abweichung der
vorinstanzlichen Beurteilung nicht im mittleren, sondern im Grenzbereich zu den
schweren Unfällen zu qualifizieren (vgl. RKUV 2003 Nr. U 481 S. 203, U 161/01
E. 3.3.2 und das Urteil 8C_257/2008 vom 4. September 2008 E. 3.3.2). Somit
genügt die Erfüllung eines der Adäquanzkriterien, um den natürlichen
Kausalzusammenhang zwischen dem Ereignis und den organisch nicht nachweisbaren
Beschwerden als adäquat und damit als rechtsgenüglich erscheinen zu lassen.
3.2.3 Das Kriterium der besonders dramatischen Begleitumstände oder besonderen
Eindrücklichkeit des Unfalles ist objektiv zu beurteilen und nicht aufgrund des
subjektiven Empfindens bzw. Angstgefühls der versicherten Person (RKUV 1999 Nr.
U 335 S. 207, U 287/97 E. 3b/cc; Urteil U 56/07 vom 25. Januar 2008 E. 6.1). Zu
beachten ist, dass jedem mindestens mittelschweren Unfall eine gewisse
Eindrücklichkeit eigen ist, welche somit noch nicht für eine Bejahung des
Kriteriums ausreichen kann (vgl. Urteil 8C_39/2008 vom 20. November 2008 E.
5.2). In jüngerer Zeit bejahte das Bundesgericht dieses Kriterium etwa bei
einer Massenkarambolage auf einer Autobahn (Urteil 8C_623/2007 vom 22. August
2008 E. 8.1; vgl. auch Urteil 8C_633/2007 vom 7. Mai 2008 E. 6.3), bei einem
Zusammenstoss zwischen einem Personenwagen und einem Lastwagen in einem
Autobahntunnel mit mehreren sich anschliessenden Kollisionen mit der Tunnelwand
(Urteil 8C_257/2008 vom 4. September 2008 E. 3.3.3), bei einem Zusammenprall
zwischen einem Sattelschlepper und einem Personenwagen, wobei der Fahrer des
Sattelschleppers die Kollision zunächst nicht bemerkte und den Personenwagen
der versicherten Person noch auf einer längeren Distanz vor sich herschob,
wobei die Insassen des Personenwagens verzweifelt versuchten, den
Unfallverursacher auf sie aufmerksam zu machen (Urteil 8C_508/2008 vom 22.
Oktober 2008 E. 5.3) oder bei einem in der 29. Woche schwangeren Unfallopfer
(Urteil 8C_590/2008 vom 3. Dezember 2008 E. 5.3). Am 4. November 2003 war der
Versicherte bei starkem Verkehr mit hoher Geschwindigkeit auf der Autobahn
unterwegs, als das linke Hinterrad des von seinem Arbeitgeber zur Verfügung
gestellten Fahrzeuges abbrach. Der Personenwagen geriet ins Schleudern und
überquerte zweimal die Normalspur; der Beifahrer wurde, als sich das Fahrzeug
überschlug, durch das Dach aus dem Wagen geschleudert. Das Ereignis hatte
objektiv einen dramatischen und unmittelbar lebensbedrohenden Charakter. Da
bereits die Erfüllung dieses einen Kriteriums den natürlichen
Kausalzusammenhang als adäquat erscheinen lässt, brauchen die übrigen Kriterien
nicht geprüft zu werden. Somit kann insbesondere offenbleiben, ob aufgrund der
vorbestehenden (aber bis zum Unfall unbekannten) Hämosiderinablagerung im
rechten Globus pallidus, welche zunächst als Anzeichen für eine unfallbedingte
Hirnblutung gedeutet wurde, allenfalls von einer Verletzung besonderer Art
auszugehen wäre.

3.3 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch die vom Beschwerdeführer über
den 31. August 2006 hinaus anhaltend geklagten Beschwerden noch in einem
natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfallereignis vom 4. November
2003 standen. Der Einsprache- und der vorinstanzliche Gerichtsentscheid sind
daher aufzuheben und die Sache ist an die Beschwerdegegnerin zurückzuweisen,
damit sie über den Leistungsanspruch neu verfüge. Sie wird dabei insbesondere
zu berücksichtigen haben, dass gesundheitliche Beschwerden nur dann zu einer
Invalidität führen, wenn die durch die Beschwerden verursachte
Erwerbsunfähigkeit aus objektiver Sicht nicht überwindbar ist (vgl. Art. 7 Abs.
2 Satz 2 ATSG [SR 830.1]).

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat
die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE
133 V 642 E. 5). Diese hat dem Beschwerdeführer überdies eine
Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Damit wird das Gesuch
des Versicherten um unentgeltliche Prozessführung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 13. August 2008 und der Einspracheentscheid der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt vom 10. Dezember 2007 werden
aufgehoben. Die Sache wird an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt
zurückgewiesen, damit sie über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers ab
1. September 2006 neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 11. Februar 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Holzer