Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.769/2008
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_769/2008

Urteil vom 18. März 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Maillard,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Parteien
L.________,
K.________,
Beschwerdeführer,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Erdös,

gegen

Visana Versicherungen AG, Weltpoststrasse 19, 3015 Bern,
Beschwerdegegnerin,

P.________.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 30. Juli 2008

und Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Tessin
vom 2. August 2007.

Sachverhalt:

A.
Die 1966 geborene, in X.________ wohnhaft gewesene, P.________ war bei der
Visana Versicherungen AG (nachfolgend: Visana) obligatorisch gegen die Folgen
von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Am 10. Juli 2004 erlitt sie bei
einem Messerstich in die Bauchgegend tödliche Verletzungen. Sie hinterliess
ihren Ehemann sowie den Sohn K.________, die nach dem Tod der Ehefrau und
Mutter den Wohnsitz in den Kanton Tessin verlegten. Mit Verfügung vom 22. März
2005 übernahm die Visana die Kosten für die Überführung der Leiche an den
Bestattungsort und die Bestattungskosten. Einen Anspruch der Hinterbliebenen
auf Versicherungsleistungen verneinte sie, da die Verstorbene sich die zum Tode
führenden Verletzungen selbst zugefügt habe. Daran hielt die Visana mit
Einspracheentscheid vom 4. Juli 2006 fest.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons Tessin trat mit Entscheid vom 2. August
2007 auf die von den Hinterbliebenen gegen den Einspracheentscheid vom 4. Juli
2006 erhobene Beschwerde wegen örtlicher Unzuständigkeit nicht ein, da sich der
letzte Wohnsitz der Verstorbenen nicht im Kanton Tessin, sondern im Kanton St.
Gallen befunden habe. Gleichzeitig überwies es die Akten dem seiner Ansicht
nach zuständigen Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen. Dieses trat mit
Entscheid vom 30. Juli 2008 auf die Beschwerde mangels örtlicher Zuständigkeit
ebenfalls nicht ein.

C.
L.________ und K.________ lassen gegen die Entscheide der Versicherungsgerichte
des Kantons Tessin vom 2. August 2007 und des Kantons St. Gallen vom 30. Juli
2008 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und
beantragen, es sei das für die Beurteilung der Sache örtlich zuständige
kantonale Gericht zu bezeichnen.

Die Visana schliesst sich diesem Antrag mit dem Hinweis an, das
Versicherungsgericht des Kantons Tessin sei für die materielle Beurteilung der
Streitsache örtlich zuständig. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

D.
Die I. sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts hat bezüglich der
Rechtsfrage, ob Art. 58 Abs. 1 ATSG gegebenenfalls die Zuständigkeit des
kantonalen Versicherungsgerichts am Wohnsitz der Hinterlassenen begründet, die
Zustimmung der II. sozialrechtlichen Abteilung eingeholt (Art. 23 Abs. 2 BGG).

Erwägungen:

1.
1.1 Nach Art. 100 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde innert 30 Tagen nach der
Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen. Bei
Beschwerden wegen interkantonaler Kompetenzkonflikte beginnt die
Beschwerdefrist gemäss Abs. 5 derselben Bestimmung spätestens dann zu laufen,
wenn in beiden Kantonen Entscheide getroffen worden sind, gegen welche beim
Bundesgericht Beschwerde geführt werden kann. Darunter fallen namentlich
Beschwerden wegen Verletzung des Verbots der Doppelbesteuerung oder
beispielsweise auch Kompetenzkonflikte betreffend die Unterstützungspflicht
eines Kantons gemäss ZUG (AMSTUTZ/ARNOLD, in: Basler Kommentar,
Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, S. 994).

1.2 Nach dem im Abschnitt Rechtspflegeverfahren unter der Überschrift
Zuständigkeit stehenden Art. 58 Abs. 3 ATSG überweist die Behörde, die sich als
unzuständig erachtet, die Beschwerde ohne Verzug dem zuständigen
Versicherungsgericht. Mit der Einreichung der Beschwerde bei der unzuständigen
Behörde wird die Beschwerdefrist gewahrt (Art. 60 Abs. 2 ATSG i.V.m. Art. 39
Abs. 2 ATSG). Dabei kann das sich als unzuständig betrachtende kantonale
Versicherungsgericht einen Nichteintretensentscheid erlassen oder sich darauf
beschränken, die Sache an das als zuständig betrachtete Versicherungsgericht
eines anderen Kantons weiterzuleiten. Unabhängig davon, ob das erste Gericht
die Beschwerde formlos weiterleitet oder einen förmlichen
Nichteintretensentscheid erlässt, welcher von der rechtsuchenden Person im
Hinblick auf die vorgenommene Weiterleitung der Sache an das zweite Gericht
unangefochten blieb, ist bei Verneinung der örtlichen Zuständigkeit in einem
Nichteintretensentscheid des zweiten Gerichts im Rahmen des dagegen
eingeleiteten Beschwerdeverfahrens die Zuständigkeit beider infrage kommenden
Gerichte vom Bundesgericht ohne Bindung an den Nichteintretensentscheid des
ersten kantonalen Gerichts zu prüfen. Da bei fehlender Zuständigkeit des
zweiten Gerichts keine Instanz nach Art. 58 ATSG zur Verfügung stünde, kann bei
einer solchen Verfahrenskonstellation die Rechtskraft des
Nichteintretensentscheids des ersten kantonalen Gerichts nicht eintreten
(ULRICH MEYER-BLASER, Die Rechtspflegebestimmungen des Bundesgesetzes über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG], in: HAVE 5/2002 S. 330;
anders noch altrechtlich die Urteile U 356/01 vom 24. September 2002 und H 236/
00 vom 29. Januar 2001, welche von der Nichtigkeit des ersten rechtskräftigen
kantonalen Nichteintretensentscheids ausgingen). Massgebend für die
Fristwahrung ist somit der am 14. August 2008 versandte Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 30. Juli 2008. Die
Beschwerdeeinreichung erfolgte daher fristgerecht.

1.3 Beim Entscheid, mit welchem das kantonale Gericht mangels örtlicher
Zuständigkeit auf die Beschwerde nicht eintritt, handelt es sich um einen
Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (BGE 133 V 477 E. 4.1.1 S. 480; Urteil
5A_398/2007 vom 28. April 2008 E. 2.2).

1.4 Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG).

2.
Nach Art. 58 Abs. 1 ATSG (in Verbindung mit Art. 1 UVG) ist das
Versicherungsgericht desjenigen Kantons zuständig, in dem die versicherte
Person oder der Beschwerde führende Dritte zur Zeit der Beschwerdeerhebung
Wohnsitz hat. Befindet sich der Wohnsitz der versicherten Person oder des
Beschwerde führenden Dritten im Ausland, so ist das Versicherungsgericht
desjenigen Kantons zuständig, in dem sich ihr letzter schweizerischer Wohnsitz
befand oder in dem ihr letzter schweizerischer Arbeitgeber Wohnsitz hat; lässt
sich keiner dieser Orte ermitteln, so ist das Versicherungsgericht desjenigen
Kantons zuständig, in dem das Durchführungsorgan seinen Sitz hat (Art. 58 Abs.
2 ATSG).

3.
3.1 Das Versicherungsgericht des Kantons Tessin begründet seine örtliche
Unzuständigkeit zur Behandlung der Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom
4. Juli 2006 im Wesentlichen damit, dass die Hinterlassenen nicht Dritte im
Sinne von Art. 58 Abs. 1 ATSG seien. Zuständig sei daher das Gericht des
letzten Wohnsitzkantons der versicherten Person und somit dasjenige am
ehemaligen Wohnsitz der Verstorbenen. Dabei stützt es sich auf BGE 124 V 310,
wo das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht in E. 6c erwogen habe, dass
im Bereiche der Unfallversicherung ein einheitlicher Gerichtsstand mit dem
Anknüpfungspunkt am Wohnsitz der versicherten Person geschaffen werden sollte
und auf das in RKUV 2000 Nr. U 372 S. 112 auszugsweise publizierte Urteil des
ehemaligen Eidgenössischen Versicherungsgerichts U 269/99 vom 3. Dezember 1999,
gemäss welchem die Hinterlassenen nicht als Betroffene im Sinne von altArt. 107
Abs. 2 UVG zu qualifizieren seien. Art. 58 Abs. 1 ATSG habe am bestehenden
Rechtszustand nichts ändern wollen.

3.2 Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen geht zur Begründung seiner
örtlichen Unzuständigkeit zur Behandlung der Beschwerde davon aus, dass die
materiellrechtlichen Ansprüche auf eine Witwer- bzw. eine Halbwaisenrente
gemäss Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 1 UVG aus dem Versicherungsverhältnis
zwischen der Verstorbenen und der Visana entstanden seien. Nachdem die
Verstorbene selber keinen Wohnsitz mehr begründen könne, komme subsidiär der
Wohnsitz des Beschwerde führenden Dritten zur Anwendung. Da die
Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung ihren Wohnsitz im Kanton
Tessin gehabt hätten, falle die materielle Beurteilung in die Zuständigkeit des
dortigen kantonalen Gerichts. Sofern die Beschwerdeführer nicht als Dritte im
Sinne von Art. 58 Abs. 1 ATSG zu betrachten seien, wäre davon auszugehen, dass
sie als Hinterlassene eigene Versicherungsansprüche durchsetzen wollten und
somit selber als versicherte Personen zu betrachten seien, was wiederum die
Zuständigkeit des Versicherungsgerichts des Kantons Tessin begründen würde.

3.3 Die Beschwerdeführer vertreten ebenfalls die Auffassung, dass bezüglich der
Verstorbenen keine örtliche Zuständigkeit im hängigen Beschwerdeverfahren
abgeleitet werden könne, weshalb zur Bestimmung des örtlich zuständigen
Gerichts am Wohnsitz der Hinterbliebenen im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung
anzuknüpfen sei.

4.
4.1 Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist der
Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen möglich, so muss
nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller
Auslegungselemente. Abzustellen ist dabei namentlich auf die
Entstehungsgeschichte der Norm und ihren Zweck, auf die dem Text zu Grunde
liegenden Wertungen sowie auf die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit
anderen Bestimmungen zukommt. Die Gesetzesmaterialien sind zwar nicht
unmittelbar entscheidend, dienen aber als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu
erkennen. Namentlich bei neueren Texten kommt den Materialien eine besondere
Stellung zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis
eine andere Lösung weniger nahelegen. Das Bundesgericht hat sich bei der
Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen und
nur dann allein auf das grammatische Element abgestellt, wenn sich daraus
zweifelsfrei die sachlich richtige Lösung ergab (BGE 134 I 184 E. 5.1 S. 193;
134 V 1 E. 7.2 S. 5; 133 III 497 E. 4.1 S. 499).

4.2 Der am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Art. 58 Abs. 1 ATSG nennt für die
Ordnung der örtlichen Zuständigkeit in der deutschsprachigen Fassung den
Wohnsitz der versicherten Person oder des Beschwerde führenden Dritten zur Zeit
der Beschwerdeerhebung. Der italienische Gesetzestext spricht von "...dove
l'assicurato o il terzo è domiciliato nel momento in cui interpone ricorso",
während die französische Version lautet: "...celui du canton de domicile de
l'assuré ou d'une autre partie au moment du dépôt du recours". Der Wortlaut der
Bestimmung erscheint nicht als derart klar, dass er aus sich selbst heraus zu
einem unzweifelhaft richtigen Ergebnis zu führen vermöchte.

4.3 Während das Gesetz sich zu dem im deutschen und im italienischen Text
verwendeten Begriff Dritte nicht weiter äussert, definiert es im Abschnitt
Sozialversicherungsverfahren des vierten Kapitels "Allgemeine
Verfahrensbestimmungen" in Art. 34 ATSG die Parteien wie folgt: Als Parteien
gelten Personen, die aus der Sozialversicherung Rechte oder Pflichten ableiten,
sowie Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die
Verfügung eines Versicherungsträgers oder eines ihm gleichgestellten
Durchführungsorgans zusteht. Ausser den unter den Parteibegriff im engeren
Sinne fallenden Personen, die aus der Sozialversicherung Rechte oder Pflichten
ableiten, ordnet diese Bestimmung somit auch Dritten den Parteistatus zu. Denn
nebst dem Verfügungsadressaten, zu dem regelmässig die Versicherte Person
selbst gehört, können verschiedene Dritte durch die Verfügung in ihren Rechten
und Pflichten berührt sein (vgl. UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 2. Aufl., 2009,
S. 475, Rz. 2 ff. zu Art. 34).

4.4 Nach Art. 28 UVG haben der überlebende Ehegatte und die Kinder Anspruch auf
Hinterlassenenrenten, wenn die versicherte Person an den Folgen des Unfalles
stirbt. Sie besitzen kraft Gesetzes einen selbständigen Anspruch, der sich aber
aus dem (unfallbedingten) Tod der versicherte Person ableitet. Davon ging auch
das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht in RKUV 2000 Nr. U 372 S. 112
(U 269/99) aus. Mit Bezug auf die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts
hat es in diesem Urteil erwogen, da die Hinterlassenen somit nicht Versicherte
im Sinne des Art. 1 UVG (neu Art. 1a UVG) seien und auch nicht als "Betroffene"
im Sinne von altArt. 107 Abs. 2 UVG gelten könnten, sei nicht an ihrem Wohnsitz
anzuknüpfen. Die Beschwerde müsse daher beim kantonalen Gericht am Wohnsitz der
(verstorbenen) versicherten Person erhoben werden.

4.5 Der bis 31. Dezember 2002 in Kraft gestandene altArt. 107 Abs. 2 UVG
lautete: "Zuständig ist das Versicherungsgericht desjenigen Kantons, in welchem
der Betroffene seinen Wohnsitz hat. Befindet sich der Wohnsitz im Ausland, so
ist das Versicherungsgericht des Kantons zuständig, in dem sich der letzte
schweizerische Wohnsitz des Betroffenen befand oder in dem sein letzter
schweizerischer Arbeitgeber Wohnsitz hat; lassen sich beide nicht ermitteln, so
ist das Versicherungsgericht des Kantons zuständig, in dem der Versicherer
seinen Sitz hat." Aufgrund dieser Bestimmung war bezüglich
Leistungsstreitigkeiten das Sozialversicherungsgericht am Wohnsitz der
versicherten Person zuständig, und zwar unabhängig davon, ob die versicherte
Person selbst, ein Versicherer (BGE 124 V 310; SVR 2001 UV Nr. 10 S. 37) oder
die Hinterlassenen (RKUV 2000 Nr. U 372 S. 112) Beschwerde führten.

4.6 So hat das Gericht in BGE 124 V 301 E. 6a/bb S. 312 erwogen, die Wortwahl
in altArt. 107 Abs. 2 UVG sei klar auf die natürliche Person zugeschnitten, um
deren Versicherungsleistungen es gehe oder deren Versicherteneigenschaft
streitig sei. Dies bedeute, dass der Gesetzgeber einen einheitlichen
Gerichtsstand mit dem Anknüpfungspunkt des Wohnsitzes der versicherten Person
habe schaffen wollen. Damit werde auch dem Gedanken Rechnung getragen, dass
sich sinnvollerweise diejenigen Gerichte mit einer Streitigkeit befassen
sollten, die dem zu beurteilenden Sachverhalt räumlich am nächsten stünden. Der
Wohnsitz der versicherten Person müsse daher auch dann massgebend sein, wenn
diese nicht Beschwerde erhebe, sondern allein ein anderer Versicherer. Zum
gleichen Ergebnis führte nach den Erwägungen des Gerichts auch die
Entstehungsgeschichte der fraglichen Gerichtsstandsbestimmung. Zudem habe der
Gesetzgeber einen einheitlichen Gerichtsstand schaffen und den bisherigen
Wahlgerichtsstand (Wohnsitz des Klägers oder Sitz der Anstalt) fallen lassen
wollen, um der Überlastung des Versicherungsgerichts am Sitz der SUVA und dem
Nachteil der Versicherten, die örtlichen Verhältnisse nicht zu kennen und die
Verhandlung in einer Sprache führen zu müssen, welche sie nicht verstehen,
entgegenzuwirken (vgl. BGE 124 V 310 E. 6c S. 313). Nebst dem grammatikalischen
und entstehungsgeschichtlichen Auslegungselement veranlasste sodann auch die
Vermeidung von Mehrfachprozessen mit der Gefahr sich widersprechender Urteile
das Gericht dazu, den Begriff "Betroffene" eng auszulegen und als örtlichen
Anknüpfungstatbestand nach alt Art. 107 Abs. 2 Satz 1 UVG allein den Wohnsitz
der Person, um deren Versicherungsleistungen es geht oder deren
Versicherteneigenschaft streitig ist, zu interpretieren (BGE 124 V 310 E. 6d/aa
S. 314).

4.7 In RKUV 2000 Nr. U 372 S. 112 verwarf das damalige Eidgenössische
Versicherungsgericht die Ansicht des kantonalen Gerichts, wonach mit
"Betroffener" im Sinne von altArt. 107 Abs. 2 Satz 1 UVG nicht nur der
Versicherte selbst gemeint sei, sondern auch allfällige Dritte, die aus dem
Unfallversicherungsgesetz eigene Rechte oder Leistungen ableiten können. Dabei
hat es erwogen, da bereits die Versicherteneigenschaft umstritten sein könne,
lasse sich die Verwendung des Begriffes "Betroffene" statt "Versicherte" ohne
weiteres erklären. Zudem liess es sich im Wesentlichen von der Gefahr von
Mehrfachprozessen leiten, welche es darin erblickte, dass die Wohnsitze des
hinterlassenen Ehegatten und der Kinder (sowie der Pflegekinder; vgl. Art. 30
Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 40 UVV) nicht identisch seien und der
geschiedene Ehegatte der Witwe oder dem Witwer gleichgestellt sei, sofern die
verunfallte Person ihm gegenüber zu Unterhaltsbeiträgen verpflichtet gewesen
sei, wobei der Unfallversicherer an mehrere geschiedene Ehegatten eine
Hinterlassenenrente zu entrichten habe.

4.8 Die vom Sozialversicherungsgericht des Kantons Tessin wiedergegebene, zu
altArt. 86 Abs. 3 Satz 1 KVG ergangene Rechtsprechung (LGVE 1998 II Nr. 47),
ist für die vorliegend zu beurteilende Frage insofern nicht von Belang, als das
Krankenversicherungsgesetz keinen Leistungsanspruch der Hinterlassenen kennt.
In jenem Entscheid ging es denn auch nicht um Hinterlassene, sondern um den
Gerichtsstand für die Beurteilung einer Beschwerde des Erben einer (ehemals)
versicherten Person.

4.9 Aus den Materialien zu Art. 58 ATSG ergibt sich, dass dessen Wortlaut im
Wesentlichen altArt. 86 Abs. 3 KVG entliehen worden ist, weil es sinnvoll
erschien, den in den meisten Sozialversicherungsbereichen geltenden
Gerichtsstand am Wohnsitz des Beschwerdeführers als Grundsatz ins ATSG
aufzunehmen (vgl. BBl 1999 4620). In der Folge wurde die Bestimmung dann jedoch
dahingehend angepasst, dass die zuständige kantonale Gerichtsinstanz nicht
alternativ durch den Sitz der Versicherung, sondern ausschliesslich durch den
Wohnsitz der versicherten Person bestimmt wird. Diese einschränkende Regelung
wurde aus der Befürchtung heraus getroffen, die luzernischen Gerichte wegen des
Sitzes der SUVA im Kanton nicht zunehmend mit Beschwerden zu belasten (AB 2000
S 184; AB 2000 N 650 f.). Dieselben Überlegungen lagen bereits altArt. 107 Abs.
2 UVG zugrunde (vgl. dazu BGE 124 V 310 E. 6c S. 313).

4.10 Gemäss UELI KIESER (a.a.O., S. 724 f.) soll mit Art. 58 Abs. 1 ATSG,
welcher die Regelung von altArt. 86 Abs. 3 KVG übernommen habe, am bestehenden
Rechtszustand nichts geändert werden. Nach der bisherigen - auf altArt. 107
Abs. 2 UVG bezogenen - Rechtsprechung (BGE 124 V 310 ff; SVR 2001 UV Nr. 10 S.
37, U 85/98) habe der Gesetzgeber eine einheitliche Anknüpfung am Wohnsitz der
versicherten Person schaffen wollen, um dem Gedanken Rechnung zu tragen, dass
sich sinnvollerweise diejenigen Gerichte mit einer Streitigkeit befassen
sollen, die dem zu beurteilenden Sachverhalt am nächsten stünden. Mit der
Bezugnahme auf den "Wohnsitz" habe er die örtliche Zuständigkeit desjenigen
Gerichts festlegen wollen, das einen besonderen Bezug zur Beschwerde führenden
natürlichen Person habe. Daraus schliesst der Autor, der Wohnsitz der
Beschwerde führenden Drittperson sei nur dann von Belang, wenn ein solcher der
versicherten Person nicht bestehe. Dies sei der Fall, wenn der Anspruch auf
Versicherungsleistungen der Hinterlassenen strittig sei.

4.11 Zusammenfassend ergibt sich aufgrund des Wortlautes, der
Entstehungsgeschichte sowie von Sinn und Zweck von Art. 58 Abs. 1 ATSG der
Grundsatz, dass Verfahren vor derjenigen Instanz durchzuführen sind, zu welcher
die Parteien den direktesten Bezug haben. Aufgrund des in allen
Sprachregelungen insoweit übereinstimmenden Wortlautes wird dabei an den
hauptsächlichen Sachverhalt angeknüpft, dass die versicherte Person selbst
Beschwerde erhebt. Sie ist Partei im engeren Sinne und regelmässig auch
primärer Verfügungsadressat. Partei im engeren Sinne sind auch die
Hinterlassenen, die aus dem Unfallversicherungsgesetz direkt einen
selbständigen Leistungsanspruch geltend machen. An die Beschwerdeführer war
denn auch der Einspracheentscheid der Visana vom 4. Juli 2006 gerichtet. Sie
gelten zwar selber nicht als versicherte Person, fallen jedoch ohne weiteres
unter die Begriffe "autre partie" gemäss französischsprachigem Gesetzestext und
"Dritte" im Sinne der deutschen und italienischen Sprachfassung. Durch die
alternative Anknüpfung in Art. 58 Art. 1 ATSG können sie Beschwerde beim
Versicherungsgericht des Wohnsitzkantons erheben. Sie stehen zudem im Zeitpunkt
der Beschwerdeerhebung dem zu beurteilenden Sachverhalt räumlich am nächsten,
zumal der zu fällende Entscheid auf die verstorbene (ehemals) versicherte
Person keine Rechtswirkung mehr entfalten kann. Aufgrund des Wegfalls des
Wohnsitzes der versicherten Person hat die Subsumtion des überlebenden
Ehegatten und der Kinder der verstorbenen Person unter den Begriff Dritte
("autre partie") im Sinne der obigen Gesetzesbestimmung keine ungewollte
Ausdehnung der Anknüpfungstatbestände zur Folge. Die Gefahr von
Mehrfachprozessen allein, welche sich im vorliegenden Fall jedenfalls nicht
stellt, rechtfertigt es nicht, die Hinterlassenen nicht unter den Begriff
Dritte fallen zu lassen. Sollten in einem Fall aus dem gleichen Todesfall
verschiedene Gerichte zuständig sein, worüber jedenfalls der Versicherer
aufgrund der Beschwerdeerhebung gegen den von ihm erlassenen
Einspracheentscheid informiert wäre, könnte zur Vermeidung von
widersprüchlichen Gerichtsurteilen die Sistierung der in anderen Kantonen
anhängig gemachten Prozesse verlangt werden.

4.12 Aus dem Gesagten ergibt sich somit die Begründung der örtlichen
Zuständigkeit des Sozialversicherungsgerichts am Wohnsitz der Beschwerdeführer
im Kanton Tessin. Dies führt zur Gutheissung der Beschwerde.

5.
5.1 Das Verfahren ist grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Aufgrund der
besonderen Umstände (negativer Kompetenzkonflikt zweier kantonaler
Versicherungsgerichte) ist indessen ausnahmsweise auf eine Kostenerhebung zu
verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

5.2 Im Einspracheentscheid der Visana vom 4. Juli 2006 wurde als
Beschwerdeinstanz das Versicherungsgericht des Kantons Tessin angegeben. Die
Beschwerdeführer stellten sich ebenfalls auf den Standpunkt, dieses Gericht sei
zuständig. Sie sahen sich aufgrund der beiden Nichteintretensentscheide zur
Beschwerde veranlasst. Daher hat sie der Kanton Tessin für die Prozessführung
vor Bundesgericht zu entschädigen (Art. 68 Abs. 4 BGG i.V.m. Art. 66 Abs. 1 und
3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Tessin vom 2. August 2007 aufgehoben und die
Sache an dieses zurückgewiesen wird, damit es über die Beschwerde gegen den
Einspracheentscheid vom 4. Juli 2006 materiell entscheide.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Tessin hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, dem Tribunale delle assicurazioni del Cantone Ticino und dem Bundesamt
für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. März 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Hofer