Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.750/2008
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_750/2008

Urteil vom 27. März 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Leuzinger, Niquille,
Gerichtsschreiber Grunder.

Parteien
IV-Stelle des Kantons Freiburg,
Route du Mont-Carmel 5, 1762 Givisiez,
Beschwerdeführerin,

gegen

M.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Danielle Julmy,

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, vom 10. Juli 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1947 geborene, seit November 1998 als selbstständig erwerbender Chauffeur
arbeitstätige M.________ meldete sich am 8. April 2002 wegen seit drei Jahren
bestehenden multiplen gesundheitlichen Beschwerden (Rheuma, Arthritis;
Schmerzen in den Händen sowie im Nacken-, Rücken-, Achsel-, Ellbogen-, Knie-,
Hüft- und Fussbereich) zum Bezug einer Rente der Invalidenversicherung an. Die
IV-Stelle des Kantons Freiburg tätigte medizinische und berufliche Abklärungen
(worunter ein Bericht der BEFAS Berufliche Abklärungsstelle X._______ vom 24.
Juni 2004) und verneinte mit Verfügung vom 6. Dezember 2004 einen Anspruch auf
Invalidenrente mangels leistungsbegründenden Invaliditätsgrades. Eine
Einsprache wies sie nach Beizug weiterer ärztlicher Unterlagen u.a. mit der
Begründung ab, dem Versicherten sei weiterhin eine den Leiden angepasste
Tätigkeit mit einer um 20 % verminderten Leistungsfähigkeit zuzumuten
(Einspracheentscheid vom 29. September 2006).

B.
In Gutheissung der hiegegen eingereichten Beschwerde sprach der
Sozialversicherungsgerichtshof des Kantons Freiburg M.________ eine
Dreiviertelrente mit Beginn ab Juni 2006 zu (Entscheid vom 10. Juli 2008).

C.
Die IV-Stelle des Kantons Freiburg beantragt mit Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unter Auflage eines
Bildschirmteilauszugs aus dem Individuellen Konto vom 4. September 2008 und
Steuerveranlagungsanzeigen des Kantons Freiburg vom 22. Juni 2006 und 16.
August 2007 für die Jahre 2005 und 2006 die Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheids; eventualiter sei die Sache zur Festlegung des Invalideneinkommens
und des Invaliditätsgrades an sie zurückzuweisen.

M.________ lässt um Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens ersuchen;
eventualiter sei ihm die Frist für die Eingabe einer Vernehmlassung zu
verlängern. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliesst auf
Gutheissung der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
beantragt, dieser sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

Erwägungen:

1.
Gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG kann die Feststellung des Sachverhalts nur gerügt
werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang
des Verfahrens entscheidend sein kann. Laut Art. 105 Abs. 1 BGG muss das
Bundesgericht dementsprechend seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde legen, den
die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der
Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Zur Begründung der beantragten Sistierung des bundesgerichtlichen Verfahrens
führt der Beschwerdegegner aus, mit dem Leiter des Rechtsdienstes der IV-Stelle
sei ein Termin zur Neubeurteilung des Sachverhalts vereinbart worden. Mit Blick
auf den Ausgang des Verfahrens muss darauf nicht näher eingegangen werden. Auf
die Ansetzung der eventualiter verlangten Nachfrist für die Eingabe einer
Vernehmlassung ist daher zu verzichten.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob dem selbstständigerwerbenden Beschwerdegegner,
der im Zeitpunkt des für die gerichtliche Überprüfung massgeblichen Zeitpunkts
bei Erlass des Einspracheentscheids vom 29. September 2006 (BGE 121 V 362 E. 1b
S. 366 mit Hinweisen) über 59 Jahre alt gewesen war, die Aufnahme einer den
multiplen Leiden angepassten Vollzeitbeschäftigung in einem
Anstellungsverhältnis bei einer um 20 % verminderten Leistungsfähigkeit
zuzumuten war.

4.
4.1 Nach den vorinstanzlichen Erwägungen kann praxisgemäss das fortgeschrittene
Alter, obgleich ein invaliditätsfremder Faktor, zusammen mit weiteren
persönlichen und beruflichen Gegebenheiten dazu führen, dass die einer
versicherten Person verbliebene Erwerbsfähigkeit auf dem ausgeglichenen
Arbeitsmarkt realistischerweise nicht mehr nachgefragt werde und ihr deren
Verwertung auch gestützt auf die Selbsteingliederungspflicht nicht mehr
zumutbar sei. Dem wenig gebildeten, zeit seines Arbeitslebens hauptsächlich als
Chauffeur erwerbstätig gewesenen Versicherten sei angesichts seines Alters die
Aufnahme einer anderen als der im Sommer 2003 aufgenommenen Tätigkeit für eine
Verwaltung nicht mehr zuzumuten. Der dabei erzielbare Verdienst von "ca. Fr.
20'000.-" sei daher bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades als
Invalideneinkommen einzusetzen. Verglichen mit dem von der Verwaltung gestützt
auf statistische Durchschnittswerte ermittelten Validenlohn von Fr. 52'957.-
ergebe sich ein Invaliditätsgrad von 62,24 %, der einen Anspruch auf eine
Dreiviertelrente begründe.
4.2
4.2.1 Die IV-Stelle bringt zu Recht vor, dass die vorinstanzliche Bestimmung
des Invalideneinkommens einzig auf den Angaben des Versicherten laut Protokoll
zur mündlichen Einsprache vom 6. Januar 2005 und Bericht über die
Berufsberatung vom 27. Oktober 2003 beruht. Danach erledigte er im Auftrag
eines Unternehmens namens Y.________ nicht näher spezifizierte Arbeiten, wobei
mit einer jährlichen Entlöhnung von Fr. 20'000.- zu rechnen war. Eine
Überprüfung dieser Angaben fand nicht statt. Unter diesen Umständen hat das
kantonale Gericht bei der Bestimmung des Invalideneinkommens offensichtlich den
ihm obliegenden Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) verletzt. Daher
kann das Bundesgericht die von der IV-Stelle im letztinstanzlichen Verfahren
eingereichten Unterlagen berücksichtigen (vgl. E. 1 hievor).
4.2.2 Gemäss Steuerveranlagungsanzeigen des Kantons Freiburg vom 22. Juni 2006
und 16. August 2007 erzielte der Versicherte in den Jahren 2005 und 2006
Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit von Fr. 35'092.- (zuzüglich Lohn
aus Nebenerwerb von Fr. 1'477.-) und Fr. 40'093.- (zuzüglich Lohn aus
Nebenerwerb von Fr. 5'035.-). Der Bildschirmteilauszug aus dem Individuellen
Konto vom 4. September 2008 weist u.a. für die Jahre 2004 bis 2006
AHV-beitragspflichtige Einkommen von Fr. 44'039.-, Fr. 38'300.- und 42'600.-
aus. Diese Unterlagen belegen, wie die IV-Stelle zu Recht vorbringt, dass der
Beschwerdegegner Einkünfte (mehrheitlich aus selbstständiger, teils aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit) erzielte, die dem vorinstanzlich gestützt
auf die durchschnittlichen Tabellenlöhne der Schweizerischen
Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik festgelegten hypothetischen
Valideneinkommen von Fr. 52'967.- gegenüber gestellt einen rentenbegründenden
Invaliditätsgrad ausschliessen. Die sich stellende Frage, ob diese Einkommen
bei der Y.________ erzielt worden sind, welche Arbeit gemäss vorinstanzlichem
Entscheid jedenfalls teilzeitlich zumutbar sein muss, kann aufgrund der Akten
nicht schlüssig geprüft werden. Aus den letztinstanzlich eingereichten
Unterlagen ergibt sich nur, dass der Beschwerdeführer, der laut Anmeldung zum
Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung die selbstständige
Erwerbstätigkeit im November 1998 aufnahm, anfänglich geringfügige Einnahmen
erzielte, die er trotz der seinen Angaben gemäss nach einem halben Jahr
aufgetretenen multiplen Beschwerden in den Jahren 2004 bis 2006 deutlich zu
steigern vermochte. Dazu bringt er in der Vernehmlassung zur Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor, diese Einkünfte seien "trotz
grösster gesundheitlicher Probleme" und wegen des drohenden "Gangs zum
Sozialdienst" zustande gekommen. Unter diesen Umständen sind weitere
Abklärungen zur Bestimmung des der Invaliditätsbemessung zu Grunde zu legenden
Invaliditätseinkommens unumgänglich, weshalb die Sache gemäss Eventualantrag in
der Beschwerde an die IV-Stelle zurückzuweisen ist.

5.
Ausnahmsweise wird auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs.
1 Satz 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Kantonsgerichts Freiburg, Sozialversicherungsgerichtshof, vom 10. Juli 2008 und
der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Freiburg vom 29. September
2006 aufgehoben werden und die Sache an die Verwaltung zurückgewiesen wird,
damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch
auf Invalidenrente neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. März 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Grunder