Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.749/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_749/2008

Urteil vom 15. Januar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
Basler, Versicherungs-Gesellschaft, Hauptsitz, Aeschengraben 21, 4002 Basel,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Advokat Dr. Manfred Bayerdörfer, Rathausstrasse 40/42, 4410
Liestal,

gegen

K.________, Passwangstrasse 31, 4106 Therwil,
Beschwerdegegner, vertreten durch Advokat Sebastian Laubscher, Greifengasse 1,
4058 Basel.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, vom 12. März 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1941 geborene K.________ war als Lehrer der Schule X.________ bei der
Basler, Versicherungs-Gesellschaft (nachstehend: Basler) gegen die Folgen von
Unfällen versichert, als er am 5. März 2006 beim Wegstemmen eines durch die
Schneelast abgedrückten Kieferastes einen heftigen Schmerz im Rücken verspürte.
Im Spital A.________ wurde eine intradurale extramedulläre Blutung auf Höhe des
Brustwirbelkörpers 11 mit inkompletter Paraplegie (komplett unterhalb L3
motorisch und L2 sensorisch) und neurogener Blasen-, Darm- und
Sexualfunktionsstörung diagnostiziert. Mit Verfügung vom 8. Juni 2006 und
Einspracheentscheid vom 7. März 2007 verneinte die Basler eine
Leistungspflicht, da das Ereignis vom 5. März 2006 nicht als Unfall im
Rechtssinne zu qualifizieren sei.

B.
Die von K.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht
Basel-Landschaft nach Durchführung eines Augenscheins am Ereignisort mit
Entscheid vom 12. März 2008 gut, hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf
und wies die Sache zur Durchführung ergänzender medizinischer Abklärungen im
Sinne der Erwägungen und anschliessender Neuverfügung an die Basler zurück.

C.
Mit Beschwerde beantragt die Basler sinngemäss, es sei unter Aufhebung des
kantonalen Gerichtsentscheides ihre Ablehnung einer Leistungspflicht zu
bestätigen.

Während K.________ beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten,
eventuell sei sie abzuweisen, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Das BGG unterscheidet in Art. 90 bis 93 zwischen End-, Teil- sowie Vor- und
Zwischenentscheiden und schafft damit eine für alle Verfahren einheitliche
Terminologie. Ein Endentscheid ist ein Entscheid, der das Verfahren prozessual
abschliesst (Art. 90 BGG), sei dies mit einem materiellen Entscheid oder
Nichteintreten, z.B. mangels Zuständigkeit. Der Teilentscheid ist eine Variante
des Endentscheids. Mit ihm wird über eines oder einige von mehreren
Rechtsbegehren (objektive und subjektive Klagehäufung) abschliessend befunden.
Es handelt sich dabei nicht um verschiedene materiellrechtliche Teilfragen
eines Rechtsbegehrens, sondern um verschiedene Rechtsbegehren. Vor- und
Zwischenentscheide sind alle Entscheide, die das Verfahren nicht abschliessen
und daher weder End- noch Teilentscheid sind; sie können formell- und
materiellrechtlicher Natur sein. Voraussetzung für die selbstständige
Anfechtbarkeit materiellrechtlicher Zwischenentscheide ist gemäss Art. 93 Abs.
1 BGG zunächst, dass sie selbstständig eröffnet worden sind. Erforderlich ist
sodann alternativ, dass der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gut zu
machenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder dass die Gutheissung der
Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden
Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde
(lit. b).

1.2 Beschlägt ein Rechtsstreit verschiedene Aspekte, und wird - etwa aus
prozessökonomischen Gründen - über einen dieser Aspekte vorab entschieden, so
handelt es sich beim Entscheid der letzten kantonalen Instanz je nach Ausgang
des Verfahrens um einen End- oder um einen Vorentscheid: Wird etwa bei mehreren
kumulativ zu erfüllenden Anspruchsvoraussetzungen eine dieser Voraussetzungen
vorab geprüft und verneint, so wird es sich beim kantonalen Entscheid in der
Regel um einen Endentscheid handeln, der gemäss Art. 90 BGG ohne weiteres
anfechtbar ist. Wird demgegenüber von mehreren Anspruchsvoraussetzungen eine
vorab bejaht, so handelt es sich beim kantonalen Entscheid um einen
Vorentscheid (weitere Beispiele bei FELIX UHLMANN, in: Basler Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N 4 zu Art. 92 BGG), welcher vor
Bundesgericht nur dann anfechtbar ist, wenn die Voraussetzungen von Art. 93 BGG
erfüllt sind.

1.3 Gelangt in einem Verwaltungsverfahren die Verwaltung zum Schluss, eine von
mehreren kumulativ zu erfüllenden Anspruchsvoraussetzungen sei nicht erfüllt,
so ist es zulässig, dass sie ihre Leistungspflicht verneint, ohne die anderen
Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen. Auch im daran sich allenfalls
anschliessenden kantonalen Verwaltungsgerichtsverfahren wird in der Regel
lediglich das Vorliegen dieser einen Anspruchsvoraussetzung geprüft (vgl. BGE
125 V 413 E. 1a S. 414). Könnte die Verwaltung einen kantonal
letztinstanzlichen Entscheid, wonach diese eine Voraussetzung erfüllt ist,
nicht vor Bundesgericht anfechten, so hätte dies zur Folge, dass sie zur
Prüfung der weiteren Anspruchsvoraussetzungen schreiten müsste und - sollten
diese zu bejahen sein - gezwungen wäre, eine ihres Erachtens rechtswidrige,
leistungszusprechende Verfügung zu erlassen. Diese könnte sie in der Folge
nicht selber anfechten; da die Gegenpartei in der Regel kein Interesse haben
wird, den allenfalls zu ihren Gunsten rechtswidrigen Endentscheid anzufechten,
könnte der kantonale Vorentscheid nicht mehr korrigiert werden und würde zu
einem nicht wieder gutzumachenden Nachteil für die Verwaltung führen (vgl. BGE
133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.).

1.4 Mit Verfügung vom 8. Juni 2006 und Einspracheentscheid vom 7. März 2007
verneinte die Beschwerdeführerin ihre Leistungspflicht, da das Ereignis vom 5.
März 2006 nicht als Unfall im Rechtssinne zu qualifizieren sei. Das kantonale
Gericht bejahte demgegenüber, dass am 5. März 2006 ein ungewöhnlicher äusserer
Faktor - im Sinne einer durch eine Programmwidrigkeit gestörten,
unkoordinierten Bewegung - auf den Körper des Versicherten eingewirkt hatte und
wies die Sache zu weiteren medizinischen Abklärungen über die Kausalität der
geklagten Beschwerden an die Versicherung zurück. Das Vorliegen eines
ungewöhnlichen äusseren Faktors ist eine Anspruchsvoraussetzung unter anderen
in Zusammenhang mit Leistungen der Unfallversicherung. Der kantonale Entscheid
ist demnach als Vorentscheid zu qualifizieren. Hätte er Bestand, so wäre die
Beschwerdeführerin unter Umständen gezwungen, eine ihres Erachtens
rechtswidrige Verfügung zu erlassen, womit sie offensichtlich einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil erlitte (vgl. Urteil 8C_554/2007 vom 20. Juni
2008 E. 1.4). Auf ihre Beschwerde ist demnach einzutreten.

2.
2.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

3.
3.1 Gemäss Art. 6 Abs. 1 UVG (SR 832.20) erbringt die Unfallversicherung
grundsätzlich Versicherungsleistungen bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen
und Berufskrankheiten. Unfall ist nach Art. 4 ATSG (SR 830.1) die plötzliche,
nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren
Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der
körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat.

3.2 Das für den Unfallbegriff wesentliche Merkmal des ungewöhnlichen äusseren
Faktors kann nach Lehre und Praxis auch in einer unkoordinierten Bewegung
bestehen. Der ungewöhnliche äussere Faktor liegt in solchen Fällen darin, dass
die körperliche Bewegung durch etwas "Programmwidriges" gestört wird, was
beispielsweise dann zutrifft, wenn der Versicherte stolpert, ausgleitet oder an
einem Gegenstand anstösst, oder wenn er, um ein Ausgleiten zu verhindern, eine
reflexartige Abwehrhaltung ausführt oder auszuführen versucht (RKUV 1999 Nr. U
345 S. 420, U 114/97 E. 2b mit Hinweisen). Bei einer solchen unkoordinierten
Bewegung ist der ungewöhnliche äussere Faktor zu bejahen; denn der äussere
Faktor - Veränderung zwischen Körper und Aussenwelt - ist wegen der erwähnten
Programmwidrigkeit zugleich ein ungewöhnlicher Faktor (BGE 130 V 117 E. 2.1 S.
118 mit Hinweisen).

3.3 Bei sich widersprechenden Angaben der versicherten Person über den
Unfallhergang ist auf die Beweismaxime hinzuweisen, wonach die sogenannten
spontanen "Aussagen der ersten Stunde" in der Regel unbefangener und
zuverlässiger sind als spätere Darstellungen, die bewusst oder unbewusst von
nachträglichen Überlegungen versicherungsrechtlicher oder anderer Art
beeinflusst sein können. Wenn die versicherte Person ihre Darstellung im Laufe
der Zeit wechselt, kommt den Angaben, die sie kurz nach dem Unfall gemacht hat,
meistens grösseres Gewicht zu als jenen nach Kenntnis einer Ablehnungsverfügung
des Versicherers (BGE 121 V 45 E. 2a S. 47 mit Hinweisen). Dabei handelt es
sich indessen nicht um eine förmliche Beweisregel, sondern lediglich um eine im
Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigende Entscheidungshilfe. Sie
kann zudem nur dann zur Anwendung gelangen, wenn von zusätzlichen
Beweismassnahmen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (RKUV 2004 Nr. U 524
S. 546, U 236/03 E. 3.3.4).

4.
Streitig ist die Leistungspflicht der Beschwerdeführerin für die Folgen des
Ereignisses vom 5. März 2006. Zu prüfen ist, ob an diesem Tag ein
ungewöhnlicher äusserer Faktor auf den Körper des Versicherten eingewirkt hat.

5.
5.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass die Rückenbeschwerden des
Versicherten auftraten, als er, in Sorge um die Rosen seiner Nachbarin, einen
etwa 15-20 cm dicken, weit ausladenden und mit einer grossen Schneemenge
beladenen Ast wegzudrücken suchte. Die Vorinstanz hat erwogen, dass dieses
Wegdrücken des Astes durch eine Programmwidrigkeit - das plötzliche Nachgeben
bzw. Brechen des Astes - gestört wurde, womit das Erfordernis des
ungewöhnlichen äusseren Faktors im Sinne einer unkoordinierten Bewegung erfüllt
sei. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Versuch, den Ast wegzudrücken,
sei aufgrund dessen Dicke nur dann erfolgversprechend gewesen, wenn der
Versicherte darum wusste, dass der Ast bereits beschädigt war. Die
Vorgehensweise lasse darauf schliessen, dass der Beschwerdegegner den Ast habe
abbrechen wollen; das Brechen desselben habe somit keine Programmwidrigkeit
dargestellt, sondern sei der Zweck seines Krafteinsatzes gewesen. Damit liege
keine Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den Körper des
Versicherten vor; das Ereignis sei deshalb nicht als Unfall zu qualifizieren.

5.2 Wie das kantonale Gericht zutreffend ausgeführt hat, ist es nicht
entscheidend, ob der Versicherte bereits wusste, dass der Ast beschädigt war.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin ist letztlich auch nicht erheblich,
ob der Versicherte den Ast abbrechen wollte oder nicht. Entscheidend ist
demgegenüber, ob der Ast zu einem Zeitpunkt nachgegeben hat, in dem der
Beschwerdegegner nicht - oder allenfalls noch nicht - mit dem Brechen rechnete.
Erstmals genauer zum Hergang befragt, gab der Versicherte am 19. April 2006 -
mithin etwa sechs Wochen nach dem Ereignis - zu Protokoll, er habe sich dem Ast
entgegengestemmt, als dieser plötzlich nachgegeben habe. Mit der Verwendung des
Adverbes "plötzlich" brachte er sinngemäss auch zum Ausdruck, dass das
Nachgeben des Astes für ihn überraschend eingetreten ist. Was die
Beschwerdeführerin vorbringt, vermag keine Zweifel an dieser Aussage des
Versicherten zu begründen. Wurde dieser vom Brechen des Astes überrascht, so
stellt das Nachgeben eine Programmwidrigkeit dar, welche seine körperliche
Bewegung - das Wegstemmen des Astes - unterbrochen hat. Der äussere Faktor in
der Veränderung zwischen Körper des Versicherten und Aussenwelt ist aufgrund
dieser Programmwidrigkeit als aussergewöhnlich zu qualifizieren.

5.3 Wirkte am 5. März 2006 ein ungewöhnlicher äusserer Faktor im Sinne einer
unkoordinierten Bewegung auf den Körper des Versicherten ein, so ist nicht zu
beanstanden, dass die Vorinstanz die Sache zu weiteren Abklärungen, ob die
geklagten Beschwerden auf diesen Faktor zurückzuführen sind, an die
Beschwerdeführerin zurückgewiesen hat. Die Beschwerde ist somit abzuweisen.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat
die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE
133 V 642 E. 5). Sie hat dem Beschwerdegegner überdies eine Parteientschädigung
zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 15. Januar 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Holzer