Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.743/2008
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2008


Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_743/2008

Urteil vom 9. Februar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Lanz.

Parteien
G.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Bürgin, Riesbachstrasse 57, 8008 Zürich,

gegen

Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich,
Brunngasse 6, 8400 Winterthur,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1949 geborene G.________ war ab 1. März 2004 als Chief Financial Officer in
der Firma A.________ AG tätig. Mit Schreiben vom 25. Februar 2005 löste die
Firma zufolge Insolvenz das Arbeitsverhältnis auf den 28. Februar 2005 auf.
G.________ meldete sich zur Stellenvermittlung und beantragte
Arbeitslosenentschädigung ab 4. März 2005. Mit Verfügung vom 2. März 2006
setzte die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich den versicherten Verdienst auf
Fr. 0.- fest, da keine Lohnzahlungen erfolgt seien, und verneinte einen
Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Daran hielt die Kasse mit
Einspracheentscheid vom 27. Oktober 2006 fest.

B.
Die von G.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. Juni 2008
ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt G.________
beantragen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei der versicherte
Verdienst auf Fr. 102'000.- festzusetzen; die gesamten bis dato aufgelaufenen
Leistungen seien überdies zu verzinsen; eventuell sei die Sache zur Festsetzung
des versicherten Verdienstes an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen.
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Mit Eingabe vom 22. Oktober 2008 lässt G.________ nochmals Stellung nehmen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist
aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der
angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell-
und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art. 95 lit. a
BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Auf die Beschwerde ist insoweit nicht einzutreten, als die Zusprechung von Zins
beantragt wird, bildete doch dies nicht Gegenstand des vorinstanzlichen
Verfahrens.

3.
Der Beschwerdeführer hat die Beitragszeit erfüllt, nachdem er während zwölf
Monaten eine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Art. 13 Abs. 1
AVIG). Streitig ist der - dem Taggeldanspruch zugrunde zu legende - versicherte
Verdienst und dabei die Frage, ob Lohn aus dem Arbeitsverhältnis bei der
A.________ AG an diesen anzurechnen ist.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der
Streitsache zutreffend dargelegt. Hervorzuheben ist Folgendes: Nach dem Gesetz
gilt als versicherter Verdienst der im Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende
Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes aus einem oder mehreren
Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde; eingeschlossen sind die
vertraglich vereinbarten regelmässigen Zulagen, soweit sie nicht Entschädigung
für arbeitsbedingte Inkonvenienzen darstellen (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 AVIG).
Praxisgemäss ist bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes der im
Bemessungszeitraum tatsächlich erzielte Lohn massgebend; eine davon abweichende
Lohnabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat grundsätzlich unbeachtlich
zu bleiben (BGE 131 V 444 E. 3.2.1 S. 450 f.; 128 V 189 E. 3a/aa S. 190, je mit
Hinweisen). Der versicherte Verdienst nach Art. 23 AVIG bildet ein Korrektiv
bei allfälligen missbräuchlichen Lohnvereinbarungen zwischen Arbeitnehmer und
Arbeitgeber, indem grundsätzlich die tatsächlichen Lohnbezüge im
Bemessungszeitraum massgebend sind (BGE 131 V 444 E. 3.2.3 S. 451 mit Hinweis).
Von dieser Regelung im Einzelfall abzuweichen, rechtfertigt sich nur dort, wo
ein Missbrauch im Sinne der Vereinbarung fiktiver Löhne, welche in Wirklichkeit
nicht zur Auszahlung gelangt sind, praktisch ausgeschlossen werden kann (BGE
128 V 189 E. 3a/aa S. 190 mit Hinweis; vgl. zum Ganzen auch: ARV 2006 Nr. 19 S.
226 E. 1 [C 5/06], 2003 Nr. 9 S. 114 E. 1 und 4.1 [C 9/2], 1999 Nr. 7 S. 27 E.
1 [C 359/97]; Urteile 8C_20/2007 vom 17. Januar 2008 E. 2.1, C 155/06 vom 3.
August 2007 E. 3.2).

4.
In tatbeständlicher Hinsicht steht Folgendes fest und ist unbestritten:
Gemäss Arbeitsvertrag vom 28. Februar 2004 hatte der Beschwerdeführer als CFO
der A.________ AG ab Stellenantritt am 1. März 2004 Anspruch auf einen Lohn von
Fr. 8500.- im Monat sowie auf eine an bestimmte Bedingungen geknüpfte
Leistungsprovision von Fr. 30'000.- im Jahr. Zudem vereinbarten die
Vertragspartner ebenfalls am 28. Februar 2004 separat, dass der Versicherte, da
die A.________ AG eine Start up-Company sei, die ihm zustehende monatliche
Lohnauszahlung von Fr. 8500.- nicht sofort beziehe. Der ihm zustehende Betrag
von Fr. 8500.- monatlich werde im Sinne einer Liquiditätshilfe gegenüber der
Firma gestundet und laufend vorgetragen. Der gesamte Betrag von Fr. 102'000.-
werde ihm per 31. März 2005 zusammen mit der Leistungsprovision ausbezahlt.
In der Folge gelangte der Lohn für das erste Anstellungsjahr, wie auch die
Leistungsprovision, wegen Insolvenz der Firma nicht zur Auszahlung. Streitig
ist, ob der Lohn von gesamthaft Fr. 102'000.- dennoch beim versicherten
Verdienst anzurechnen ist.

5.
5.1 Das kantonale Gericht hat dies mit der Begründung verneint, der Versicherte
habe während der ganzen Arbeitsdauer vom 1. März 2004 bis 28. Februar 2005
keinen Lohn erhalten und bewusst auf dessen Auszahlung bis zu diesem Zeitpunkt
verzichtet. Unmittelbar danach sei er arbeitslos geworden und habe die
Rahmenfrist für den Leistungsbezug begonnen. Rechtsprechungsgemäss könne aber
allein der tatsächliche Lohn zur Ermittlung des versicherten Verdienstes
dienen. Auch liege kein Ausnahmetatbestand vor, habe doch der Versicherte um
die Besonderheit des von ihm eingegangenen Vertrags gewusst und die Gefahr, auf
welche er sich eingelassen habe, gekannt. Das Vorgehen der Arbeitslosenkasse
sei daher nicht zu beanstanden. Dieses Ergebnis überzeuge auch in Anbetracht
des Gedankens der Missbrauchsverhütung. Andernfalls könnten die finanziellen
Risiken bei der Unternehmensgründung teilweise auf die Arbeitslosenkasse
abgewälzt werden, indem der Arbeitnehmer auch ohne Auszahlung eines Lohnes im
Konkursfall einen versicherten Verdienst nachweisen könnte. Bei objektiver
Betrachtung sei hier eine Missbrauchsgefahr gegeben.

5.2 Diese Beurteilung ist nicht zu beanstanden. Was in der Beschwerde
vorgebracht wird, führt zu keiner anderen Betrachtungsweise. Des Nachweises
eines konkret erfolgten Missbrauches bedarf es nicht, um nicht ausbezahlte
Löhne beim versicherten Verdienst unberücksichtigt zu lassen. Massgebend ist,
ob eine Missbrauchsgefahr praktisch ausgeschlossen werden kann. Dies trifft
hier nicht zu, wie die Vorinstanz richtig erkannt hat: Verzichtet der
Arbeitnehmer zur Unterstützung der neu gegründeten Arbeitgeberfirma vorläufig
auf die Auszahlung des vereinbarten Lohnes und kommt es in der Folge aufgrund
Insolvenz der Firma nicht zur Auszahlung des Lohnes, kann dieser beim
versicherten Verdienst nicht berücksichtigt werden. Andernfalls würde
Arbeitslosenentschädigung, deren Bemessung auf dem versicherten Verdienst
beruht, zur Absicherung des unternehmerischen Risikos verwendet. Das ist
zweckwidrig und damit missbräuchlich. Der Beschwerdeführer beruft sich in
diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf, die getroffene Vereinbarung sei auf
Verlangen und primär im Interesse der Arbeitgeberin getroffen worden. Dieses
Vorbringen vermag indessen seinen Standpunkt nicht zu stützen, sondern
verdeutlicht vielmehr den zweckwidrigen Charakter der getroffenen Lohnregelung.
Geltend gemacht wird weiter, die Firma habe den Versicherten übervorteilt. Das
findet aber in den Akten keine Bestätigung. Daher kann offenbleiben, wie es
sich andernfalls in Bezug auf den versicherten Verdienst verhielte. Der
vorliegende Fall ist auch nicht mit dem im Urteil C 161/04 vom 29. Juli 2005
beurteilten vergleichbar. Denn anders als dort wurde hier die Lohnauszahlung
bewusst vom unternehmerischen Erfolg der Arbeitgeberfirma abhängig gemacht und
damit auch das Risiko der Nichteinbringlichkeit in Kauf genommen. Der
Beschwerdeführer äussert sich im Weiteren ausführlich zur Frage der
beitragspflichtigen Beschäftigung und zu dem dazu in BGE 131 V 444 Gesagten.
Darum geht es hier aber nicht. Dass es sich um eine grundsätzlich
beitragspflichtige Beschäftigung gehandelt hat, ist nicht umstritten. Der
Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung scheitert vielmehr daran, dass der
vereinbarte Lohn nicht als versicherter Verdienst anzurechnen ist, weil eine
Missbrauchsgefahr nicht praktisch ausgeschlossen werden kann. An der fehlenden
Anrechenbarkeit vermögen die aus obligationsrechtlicher Sicht zu beachtenden
Grundsätze betreffend die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers und die Frage
der Zulässigkeit einer Lohnzahlungsvereinbarung, wie sie hier zur Diskussion
steht, ebenfalls nichts zu ändern. Es erübrigen sich daher Weiterungen zu den
diesbezüglichen Ausführungen von Vorinstanz und Versichertem. Sodann ist
festzuhalten, dass der Versicherte offensichtlich dem Verwaltungsrat der
A.________ AG angehört hat. Wie es sich damit genau verhielt, kann aber
offenbleiben, da sich daraus jedenfalls nichts ergäbe, was die Anrechenbarkeit
des nicht ausbezahlten Lohnes beim versicherten Verdienst zu stützen vermöchte.
Beantragt wird sodann eventualiter, es seien Abklärungen zu den üblichen
Vergütungen für Tätigkeiten, wie die vom Beschwerdeführer ausgeübte,
vorzunehmen. Solche Abklärungen lassen indessen keinen entscheidrelevanten
neuen Aufschluss erwarten, weshalb davon abzusehen ist. Es kann im Übrigen
vollumfänglich auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.
Die Beschwerde ist somit als unbegründet abzuweisen.

6.
Die Kosten des Verfahrens sind vom unterliegenden Beschwerdeführer zu tragen
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich und dem
Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Februar 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Lanz