Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.680/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_680/2008

Urteil vom 2. Februar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.

Parteien
B.________, Hinterhagweg 9, 5432 Neuenhof,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Paul Hollenstein, Stockerstrasse
39, 8002 Zürich,

gegen

Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Aargau, Rain 53, 5000 Aarau,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
10. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a Der 1950 geborene B.________ bezog ab 1. Februar 2005 (erneut) Taggelder
der Arbeitslosenversicherung. Mit Verfügung vom 14. November 2005 stellte das
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Aargau (AWA) fest, der Versicherte
habe in den Monaten Februar, März, Juni und Juli 2005 zusätzlich zur geltend
gemachten Arbeitslosenentschädigung bei zwei Arbeitgebern gearbeitet und dies
gegenüber dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) und der
Arbeitslosenkasse verschwiegen. Er habe auf den Kontrollunterlagen falsche
Angaben gemacht. Das AWA stellte B.________ für die Dauer von 45 Tagen in der
Anspruchsberechtigung ein. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess
eine gegen den bestätigenden Einspracheentscheid geführte Beschwerde mit
Entscheid vom 26. September 2006 in dem Sinne teilweise gut, als es die Anzahl
der Tage, an welchen der Beschwerdeführer in seiner Anspruchsberechtigung
eingestellt wurde, auf 35 reduzierte. Dieser Entscheid erwuchs ebenso in
Rechtskraft wie die von der Arbeitslosenkasse Unia am 13. Januar 2006 verfügte
Rückforderung von zu viel ausgerichteter Arbeitslosenentschädigung in der Höhe
von Fr. 2'089.25.
A.b B.________ stellte der Arbeitslosenkasse am 3. März 2006 ein Gesuch um
Erlass der Rückforderung im Betrage von Fr. 1'895.85. Er habe nicht gewusst
oder wissen müssen, dass er seine unentgeltliche Tätigkeit, welche er in der
Hoffnung geleistet habe, eine Festanstellung zu erhalten, als Zwischenverdienst
zu melden und abzurechnen hatte. Das AWA lehnte das Gesuch mit Verfügung vom
17. August 2007 ab und hielt auch auf Einsprache hin daran fest (Entscheid vom
29. Oktober 2007).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aarau
mit Entscheid vom 10. Juni 2008 ab.

C.
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des kantonalen Entscheides und der Verfügung vom
17. August 2007 sei ihm die Rückforderung im Betrage von Fr. 1'895.85 zu
erlassen.

Das AWA und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Die gesetzlichen Grundlagen für den Erlass der Rückerstattung unrechtmässig
bezogener Arbeitslosenentschädigung (Art. 95 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art.
25 Abs. 1 Satz 2 ATSG und Art. 4 f. ATSV) sind im kantonalen Entscheid
zutreffend dargelegt worden, worauf verwiesen wird. Dasselbe gilt hinsichtlich
der - noch nach früherem Recht ergangenen, unter der Herrschaft des hier
anwendbaren ATSG indessen weiterhin Geltung beanspruchenden (vgl. BGE 130 V 318
E. 5.2 S. 319 f.) - Rechtsprechung zu den beiden kumulativ zu erfüllenden
Erlassvoraussetzungen der Gutgläubigkeit beim Leistungsbezug einerseits und der
grossen Härte der Rückerstattung andererseits.

2.2 Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen dem guten Glauben als fehlendem
Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen
auf den guten Glauben berufen konnte oder bei zumutbarer Aufmerksamkeit den
bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen können. Während das Vorliegen oder
Fehlen des Unrechtsbewusstseins zum inneren Tatbestand gehört und eine Tatfrage
darstellt, welche durch das Bundesgericht nur im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 BGG
(E. 1 hiervor) überprüft werden kann, gilt die Frage nach der Anwendung der
gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage, soweit es darum
geht, ob sich jemand angesichts der jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse auf
den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 221 E. 3 S. 223; SVR 2007 EL Nr. 8 S.
19, 8C_1/2007).

Der angefochtene Entscheid enthält hinsichtlich des Unrechtsbewusstseins des
Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem Bezug der vollen
Arbeitslosentaggelder während seiner unentgeltlich ausgeübten Tätigkeit als
Aufsicht in einem Spielsalon keine für das Bundesgericht verbindlichen
Feststellungen. Da das kantonale Gericht das Vorliegen des guten Glaubens
vielmehr ausschliesslich unter dem Aspekt der groben Fahrlässigkeit untersucht
hat, ist die rechtliche Qualifikation des Verhaltens des Beschwerdeführers als
grobe Nachlässigkeit im letztinstanzlichen Verfahren frei zu prüfen.

3.
Mit Entscheid vom 26. September 2006 über die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung hat das kantonale Gericht bereits rechtskräftig
entschieden, dass der Beschwerdeführer seine Auskunfts- und Meldepflicht
verletzt hat. Ebenso ist die Rückforderung des zu viel ausbezahlten Betrages
grundsätzlich nicht umstritten. Uneinig sind sich die Parteien einzig in der
Frage, ob dem Beschwerdeführer bei seiner Unterlassung der gute Glaube
attestiert werden kann. In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass der
Versicherte im Juni 2005 während 22 Arbeitstagen und im Juli 2005 während 8
Arbeitstagen von jeweils 15.00 bis 22.00 Uhr als Aufsicht in einem Spielsalon
tätig war. Die Frage in den Zwischenverdienstformularen, ob er in den
Kontrollperioden Juni und Juli 2005 bei einem oder mehreren Arbeitgebern
gearbeitet habe, hat er jeweils verneint. Nach seinen Angaben hat er dies
gemacht weil er für seine Tätigkeit keinen Lohn erhalten habe. Auf diesen hatte
er offenbar verzichtet, weil er sich davon bessere Chancen für eine
Festanstellung erhoffte. Im genannten Entscheid hat die Vorinstanz das
Verhalten des Beschwerdeführers mit der Einstellung in der
Anspruchsberechtigung während 35 Tagen sanktioniert und damit als schweres
Verschulden, wenn auch im unteren Bereich eines solchen, qualifiziert (vgl.
Art. 45 Abs. 2 lit. c AVIV). Diese Beurteilung gilt auch bei der Prüfung der
Frage, ob sein Handeln gutgläubig gewesen sei. Ein schweres Verschulden
schliesst den guten Glauben zum Vorne herein aus. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht hat denn auch bereits in seinem Urteil i.S. M. vom 14.
April 1997 entschieden, dass die Nichtdeklarierung von unentgeltlicher Arbeit
im Betrieb des Sohnes eine schwere Sorgfaltspflichtverletzung darstelle, welche
den guten Glauben ausschliesse (ARV 1998 Nr. 14 S. 70). Der Beschwerdeführer
wendet ein, es sei für einen rechtlichen Laien überhaupt nicht naheliegend,
dass ein Zwischenverdienst mit einem zu tiefen (oder gar keinem) Lohn bei der
Berechnung der Kompensationszahlung durch die Arbeitslosenkasse fiktiv auf
einen berufs- und ortsüblichen hochgerechnet werde. Er lässt dabei ausser
Betracht, dass es ihm nur durch die Taggeldzahlungen der
Arbeitslosenversicherung möglich war, sich während mehr als einem Monat
entschädigungslos in den Dienst des Arbeitgebers zu stellen. Damit ist aber
evident, dass ihn die Versicherung letztlich für Arbeit zu Gunsten eines
Dritten bezahlte, was dem Zweck der Arbeitslosenversicherung grundlegend
widerspricht. Der Beschwerdeführer konnte nicht in guten Treuen davon ausgehen,
dass er gleichzeitig freiwillig entschädigungslose Arbeit verrichten und
Taggelder der Arbeitslosenversicherung beziehen kann. Der Bezug des Taggeldes
während der Zeit der unentgeltlichen Tätigkeit kann deshalb unter dem Aspekt
der zumutbaren Aufmerksamkeit nicht als gutgläubig gelten. Dementsprechend
haben Verwaltung und Vorinstanz einen Erlass der Rückforderung zu Recht
verweigert.

4.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem
unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 600.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. Februar 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Schüpfer