Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.655/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_655/2008

Urteil vom 9. Oktober 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiber Jancar.

Parteien
K.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Alfred Dätwyler, Bielstrasse 3, 4500 Solothurn,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 20. Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1954 geborene K.________ arbeitete seit März 1987 als Monteur für die Firma
S.________ AG und war damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt
(SUVA) obligatorisch unfallversichert. Am 26. Februar 2003 hielt er mit seinem
Wagen vor einem Fussgängerstreifen an, worauf der nachfolgende Personenwagen
mit dem Heck seines Fahrzeugs kollidierte. Gleichentags begab sich der
Versicherte zu Dr. med. H.________, Allgemeine Medizin FMH, in Behandlung, der
ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule (HWS) diagnostizierte. Die SUVA
erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). Sie holte
unter anderem ein polydisziplinäres Gutachten des Zentrums für Medizinische
Begutachtung (ZMB) vom 28. Februar 2006 ein, worin folgende Diagnosen gestellt
wurden: depressive Störung, derzeit mittelschwere bis schwere Episode mit
somatischem Syndrom (cervicocephales und hemicorporell rechtsseitiges
Schmerzsyndrom sowie sensomotorische Hemisymptomatik), ICD-10: F 32.11 bzw.
F32.2 als Ausdruck einer chronifizierten Anpassungsstörung mit längerer
depressiver Reaktion (ICD-10: F43.21) sowie akzentuierter neurotischer
Persönlichkeitszüge (ICD-10: Z73.1); Status nach HWS-Distorsionstrauma am 26.
Februar 2003; muskuläre Dysbalance im Schulter- und Beckengürtelbereich. Mit
Verfügung vom 27. Juli 2006 stellte die SUVA die Taggeldleistungen auf den 31.
Mai 2006 und die Heilkostenleistungen auf den 31. Juli 2006 ein. Hiegegen
erhoben der Versicherte und die SWICA (sein Krankenversicherer) Einsprachen.
Letztere zog sie am 7. August 2006 zurück. Mit Entscheid vom 21. Februar 2007
wies die SUVA die Einsprache des Versicherten ab.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn mit Entscheid vom 20. Mai 2008 ab.

C.
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen
Entscheides sei die SUVA zu verpflichten, ihm mit Wirkung ab 1. Juni 2006 eine
Erwerbsunfähigkeitsrente sowie eine Integritätsentschädigung in angemessener
Höhe zu entrichten; eventuell seien die Akten an die SUVA zurückzuweisen, damit
sie über die Höhe der Erwerbsunfähigkeitsrente und der ihm zustehenden
Integritätsentschädigung befinde. Er legt neu eine Gewichtsliste (Werkangaben)
von Toyota-Fahrzeugen auf.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG
erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung
abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140).
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art.
97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Die Vorinstanz hat die Grundsätze über den für die Leistungspflicht des
Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem
Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 134 V
109 E. 9.5 S. 125, 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen), die erforderliche
Adäquanz des Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181,
127 V 102 E. 5b/bb S. 103, je mit Hinweisen), bei psychischen Unfallfolgen (BGE
129 V 177 E. 4.1 S. 183, 115 V 133) sowie Folgen eines Unfalls mit
HWS-Schleudertrauma oder einer diesem äquivalenten Verletzung (BGE 127 V 102 E.
5b/bb S. 103, 122 V 415, 119 V 335, 117 V 359; SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 2;
vgl. auch RKUV 2002 Nr. U 465 S. 437, U 164/01, 2000 Nr. U 395 S. 316, U 160/
98) ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle zutreffend dargelegt.
Gleiches gilt für den im Sozialversicherungsrecht geltenden
Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG; BGE 130 V 64 E.
5.2.5 S. 68 f.), den Beweisgrad der übewiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V
177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen) sowie den Beweiswert von Arztberichten (BGE
134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351). Richtig wiedergegegen hat die Vorinstanz
auch Art. 24 Abs. 1 UVG sowie Art. 36 Abs. 1 UVV betreffend den Anspruch auf
Integritätsentschädigung. Darauf wird verwiesen.

Im von der Vorinstanz ebenfalls angeführten BGE 134 V 109 hat das Bundesgericht
die Schleudertrauma-Praxis in zweierlei Hinsicht präzisiert: Zum einen wurden
die Anforderungen an den Nachweis einer natürlich unfallkausalen Verletzung,
welche die Anwendung dieser Praxis bei der Prüfung des adäquaten
Kausalzusammenhangs rechtfertigt, erhöht. Zum anderen wurden die Kriterien,
welche abhängig von der Unfallschwere gegebenenfalls in die Adäquanzbeurteilung
einzubeziehen sind, teilweise modifiziert (BGE 134 V 109 E. 9 und 10 S. 121
ff.). Die bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall geltenden Grundsätze
liess das Bundesgericht hingegen unverändert bestehen (BGE 134 V 109 E. 6.1 S.
116; vgl. auch Urteil 8C_28/2008 vom 28. Juli 2008, E. 1).

3.
3.1 Die Vorinstanz hat nach eingehender und sorgfältiger Würdigung der
medizinischen Akten mit einlässlicher Begründung zutreffend erwogen, dass die
adäquate Kausalität zwischen dem Unfall vom 26. Februar 2003 und den
bestehenden gesundheitlichen Beschwerden des Versicherten in Anwendung der
Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen zu beurteilen ist, mithin unter
Ausschluss psychischer Aspekte (BGE 134 V 109 E. 6.1 S. 116, 115 V 133 ff.;
vgl. auch erwähntes Urteil 8C_28/2008, E. 4.2 und 4.4, je mit Hinweisen).
Weiter ist der Vorinstanz im Ergebnis beizupflichten, dass der Unfall vom 26.
Februar 2003 (Heckauffahrkollision auf ein haltendes Fahrzeug) auf Grund des
augenfälligen Geschehensablaufs mit den sich dabei entwickelnden Kräften - die
Arbeitsgruppe für Unfallmechanik ging von einer kollisionsbedingten
Geschwindigkeitsänderung (delta-v) des vom Versicherten gelenkten Wagens von 10
- 15 km/h aus, wobei ihr die Schadenfotos und die Reparaturrechnung dieses
Fahrzeugs bekannt waren; vgl. biomechanische Kurzbeurteilung (Triage) vom 15.
Dezember 2003 - als mittelschwer im Grenzbereich zu den leichten Ereignissen zu
qualifizieren ist (vgl. SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26 E. 5.3.1, U 2/07; RKUV 2005 Nr.
U 549 S. 236 E. 5.1.2, U 380/04, und 2003 Nr. U 489 S. 357 E. 3.2 und 4.2, U
193/01; Urteile 8C_141/2007 vom 28. Juli 2008, E. 5.4.2, und U 503/05 vom 17.
August 2006, E. 2.2 und 3.1 f. [Letzteres zusammengefasst wiedergegeben in SZS
2008 S. 183]). Schliesslich hat die Vorinstanz auf Grund einer Gesamtwürdigung
des Unfallgeschehens und der unfallbezogenen Kriterien (BGE 115 V 133 E. 6c/aa
und bb S. 140 f.) richtig erkannt, dass die adäquate Kausalität zwischen dem
Unfall und den anhaltenden psychischen Beschwerden des Versicherten zu
verneinen ist, weshalb die SUVA zu Recht die Leistungen ab 31. Mai 2006
(Taggelder) bzw. 31. Juli 2007 (Heilkosten) eingestellt und den Anspruch auf
Invalidenrente sowie Integritätsentschädigung verneint hat. Es wird auf die
entsprechenden vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG).

3.2 Die letztinstanzlichen Einwendungen des Versicherten vermögen an diesem
Ergebnis nichts zu ändern.
3.2.1 Die von ihm in der Beschwerde angekündigte Einreichung eines von ihm in
Auftrag gegebenen fachärztlichen Gutachtens braucht nicht abgewartet zu werden,
da nach Ablauf der Beschwerdefrist und nicht im Rahmen eines angeordneten
Schriftenwechsels (Art. 102 Abs. 3 BGG) erfolgte Eingaben unzulässig und damit
unbeachtlich sind (Urteil 8C_254/2008 vom 5. Juni 2008, E. 4.2.3 mit Hinweis).
3.2.2 Es bestehen keine Gründe, von der Einstufung des Auffahrunfalls vom 26.
Februar 2003 als mittelschwer, an der Grenze zu den leichten Ereignissen
liegend, abzuweichen. Weiter war der Unfall objektiv betrachtet (RKUV 1999 Nr.
U 335 S. 207 E. 3b/cc) nicht von besonderer Eindrücklichkeit. Die
diesbezüglichen Einwendungen des Versicherten - er sei gross und schwer (186
cm, 105 kg); er habe vorbestehende degenerative HWS-Veränderungen gehabt; der
von ihm damals gelenkte Wagen (Toyota Landcruiser 400 4.2 D) habe ein
Leergewicht von über zwei Tonnen sowie eine mit dem Chassis verschraubte
Anhängerkupplung und damit praktisch keine Knautschzone gehabt; sein Wagen sei
wegen der Kollision zwei Meter nach vorne geschoben worden; der auffahrende
Personenwagen habe Totalschaden erlitten; aus der biomechanischen
Kurzbeurteilung vom 15. Dezember 2003 gehe nicht hervor, dass die Tatsache des
festen Chassis mitgewürdigt worden sei - sind unbehelflich (vgl. auch Urteil U
488/05 vom 20. Oktober 2006, E. 3.1 und 3.2.1 bezüglich eines von einer
Heckkollision betroffenen Fahrzeugs mit Anhängerkupplung, das nach dem Aufprall
ein bis zwei Meter nach vorne geschoben wurde). Hievon abgesehen war der
Arbeitsgruppe für Unfallmechanik im Rahmen der biomechanischen Kurzbeurteilung
(Triage) vom 15. Dezember 2003 auf Grund der Schadenfotos und der
Reparaturrechnung bekannt, dass der Wagen des Versicherten mit einer
Anhängerkupplung ausgestattet war, die beim Unfall mitbeschädigt wurde.

Soweit der Versicherte die obigen, von ihm dargelegten Unfallumstände auch als
aggravierende Faktoren des von ihm erlittenen HWS-Distorsionstraumas im Sinne
von RKUV 2005 Nr. U 549 S. 236 E. 5.2.3 anführt, ist dem entgegenzuhalten, dass
ein HWS-Distorsionstrauma bei der Adäquanzbeurteilung einer psychischen
Fehlentwicklung im Rahmen des Kriteriums der Schwere oder besonderen Art der
erlittenen Verletzungen ausser Betracht fällt (Urteile 8C_33/2008 vom 20.
August 2008, E. 8.2, U 88/06 vom 18. Juli 2007, E. 7.2.2, und U 66/04 vom 14.
Oktober 2004, E. 6.3).

Demnach kann offen bleiben, ob die vom Versicherten rechtzeitig mit der
Beschwerde neu eingereichte Gewichtsliste von Toyota-Fahrzeugen im Rahmen der
Kognition nach Art. 97 Abs. 2 bzw. Art. 105 Abs. 3 BGG (Geldleistungen der
Unfallversicherung) als unzulässiges Novum im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG zu
gelten hat (vgl. Urteil 8C_806/2007 vom 7. August 2008, E. 3 mit Hinweis).
3.2.3 Nicht erfüllt sind im Lichte von BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140 auch die
übrigen Adäquanzkriterien, auf die sich der Versicherte beruft (ungewöhnlich
lange Dauer der ärztlichen Behandlung der physischen Leiden, körperliche
Dauerschmerzen sowie Grad und Dauer der physisch bedingten Arbeitsunfähigkeit).
3.2.4 Da von zusätzlichen Abklärungen keine neuen Erkenntnisse zu erwarten
sind, kann darauf verzichtet werden (BGE 131 I 153 E. 3 S. 157, 124 V 90 E. 4b
S. 94; SVR 2007 IV Nr. 45 S. 149 E. 4, I 9/07).

4.
Die Gerichtskosten sind dem unterliegenden Versicherten aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Oktober 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Jancar