Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.629/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_629/2008

Urteil vom 3. Dezember 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Parteien
V.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 6. August 2008.

In Erwägung,
dass die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihre Leistungspflicht
für einen am 27. Juni 2005 gemeldeten Rückfall zum Unfall des V.________,
geboren 1963, vom 11. Dezember 2003 mit Verfügung vom 23. November 2006 und
Einspracheentscheid vom 23. Februar 2007 abgelehnt hat,
dass das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern die dagegen erhobene Beschwerde
mit Entscheid vom 6. August 2008 abgewiesen hat,
dass V.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
lässt mit den Anträgen, der angefochtene Entscheid sei wegen Befangenheit eines
Richters aufzuheben und die Sache sei zu neuem Entscheid an die Vorinstanz
zurückzuweisen, die Sache sei an die SUVA zur materiellen Anspruchsabklärung
zurückzuweisen, es seien ihm die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen und es
sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren,
dass die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, während das Bundesamt für
Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet,
dass nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK, die in dieser Hinsicht
dieselbe Tragweite besitzen, der Einzelne Anspruch darauf hat, seine Sache von
einem durch das Gesetz geschaffenen, zuständigen, unabhängigen und
unparteiischen Gericht ohne Einwirkung sachfremder Umstände entscheiden zu
lassen,
dass die Prüfung, ob diese Garantien verletzt worden sind, durch das
Bundesgericht mit freier Kognition erfolgt,
dass rechtsprechungsgemäss Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt
sind, wenn bei einer Richterin oder bei einem Richter - objektiv betrachtet -
Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der
Voreingenommenheit zu begründen vermögen (BGE 131 I 113 E. 3.4 S. 116 mit
Hinweisen),
dass solche Umstände entweder in einem bestimmten Verhalten der betreffenden
Richterin oder des betreffenden Richters oder in gewissen äusseren
Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein können,
dass für den Ausstand nicht verlangt wird, dass die richtende Person
tatsächlich befangen ist, sondern es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei
objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit
erwecken (BGE 131 I 24 E. 1.1 S. 25 mit Hinweisen),
dass mit anderen Worten gewährleistet sein muss, dass der Prozess aus Sicht
aller Beteiligten als offen erscheint (BGE 133 I 1 E. 6.2 S. 6; zum Ganzen:
Urteil 1B_221/2007 vom 16. Januar 2008 E. 2.2; Urteil 8F_3/2008 vom 20. August
2008),
dass der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers geltend macht, er führe für eine
Klientin gegen den beim angefochtenen Entscheid mitwirkenden Fachrichter Dr.
med. X.________ einen Zivilprozess wegen eines Behandlungsfehlers, wobei
bereits anlässlich der Verhandlung vor dem Friedensrichter massive Vorwürfe
gegen den Arzt hätten vorgetragen werden müssen, was zu einem schweren
Zerwürfnis zwischen ihm als Rechtsvertreter und dem nun urteilenden Richter
geführt habe,
dass ein Weisungsschein des Friedensrichters vom 23. Juni 2008 eingereicht
wird, aus welchem sich ergibt, dass der Arzt auf Zahlung eines Betrages von Fr.
30'000.- verklagt wurde, im Sinne einer Teilklage unter dem Titel Genugtuung,
und des Weiteren Fr. 20'000.- für die Auslagen der Klägerin anbegehrt wurden,
dass angesichts dieser Umstände auch unter Berücksichtigung, dass ein Ausstand
die Ausnahme bleiben muss, damit die regelhafte Zuständigkeitsordnung für die
Gerichte nicht illusorisch und die Garantie des verfassungsmässigen Richters
nicht von dieser Seite her ausgehöhlt wird (Urteile 4A_147/2008 vom 26. Mai
2008 E. 2.2, 1P.514/2002 vom 13. Februar 2003 E. 2.5), der nun als Richter
befasste Arzt bei objektiver Betrachtung sich des Anscheins der Befangenheit
und Voreingenommenheit nicht erwehren kann,
dass der Beschwerdeführer und sein Vertreter erst mit der Zustellung des
kantonalen Entscheids erfahren haben, dass Fachrichter Dr. med. X.________
daran mitgewirkt hatte,
dass der Anspruch auf Unabhängigkeit und auf eine rechtmässige personelle
Zusammensetzung des Gerichts das Recht des Betroffenen beinhaltet, zu erfahren,
welche Personen am Urteil mitwirken bzw. mitgewirkt haben, damit er Ausstands-
und Ablehnungsgründe überhaupt erkennen und gegebenenfalls geltend machen kann
(BGE 114 Ia 278 E. 3b S. 280, BGE 114 V 61 E. 2b S. 62),
dass der Anspruch auf Bekanntgabe der urteilenden Richter gewahrt ist, wenn
deren Namen im Urteil selbst aufgeführt sind, in einem besonderen Schreiben
mitgeteilt werden oder einer allgemein zugänglichen Publikation wie etwa einem
Staatskalender entnommen werden können (BGE 117 Ia 322 E. 1c S. 323, BGE 114 Ia
278 E. 3c S. 280),
dass die Mitwirkung von Fachrichtern in den Abteilungen und Kammern des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern auf Anordnung der Vorsitzenden
einzelfallweise erfolgt, wenn die Art der Streitsache es erfordert (§ 9
Geschäftsordnung für das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern vom 16. Mai
1973),
dass der beschwerdeführerische Rechtsvertreter entgegen der Auffassung der
Vorinstanz nicht gehalten war, vorab eine allenfalls nicht ordentliche
Zusammensetzung des Gerichts zu erfragen und vorsorglich für den Fall des
Einsatzes von Dr. med. X.________ als medizinischer Fachrichter anstelle eines
Verwaltungsrichters einen Ablehnungsgrund geltend zu machen,
dass demnach die Rüge der Befangenheit rechtzeitig erhoben worden ist,
dass ein in Missachtung der Ausstandsvorschriften zustande gekommenes Urteil
ohne Prüfung seiner materiellen Richtigkeit aufzuheben ist (SVR 2001 UV Nr. 11
S. 41, U 78/98 E. 4; Urteil 2P.152/2002 vom 12. Dezember 2002 E. 3.2),
dass dem Beschwerdeführer bei diesem Verfahrensausgang eine Parteientschädigung
zusteht (Art. 68 Abs. 2 BGG), wobei es sich hier in Anbetracht der besonderen
Umstände rechtfertigt, die Parteientschädigung nicht der Beschwerdegegnerin,
sondern dem Kanton Luzern aufzuerlegen (Urteil I 56/94 vom 6. Juli 1994 E. 3),
dass das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege damit hinfällig wird,

erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Luzern vom 6. August 2008 wird aufgehoben. Die Sache wird an die
Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie in neuer Besetzung über die Beschwerde
gegen den Einspracheentscheid vom 23. Februar 2007 entscheide.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Luzern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
mit Fr. 1500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 3. Dezember 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Durizzo