Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.620/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_620/2008

Urteil vom 5. Februar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Parteien
P.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl,

gegen

Arbeitslosenkasse des Kantons Appenzell Ausserrhoden, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell
Ausserrhoden
vom 22. Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügungen vom 19. September 2006 sprach die IV-Stelle Appenzell
Ausserrhoden (nachfolgend: IV-Stelle) P.________, geboren 1952, vom 1. November
2001 bis 31. Januar 2005 eine Viertels-, hernach eine ganze und von 1.
September 2005 bis 30. April 2006 wiederum eine Viertelsrente zu. Bereits am 5.
April 2006 hatte die IV-Stelle eine Viertelsrente ab 1. Mai 2006 verfügt.
Daneben bezog P.________ während der Rahmenfrist vom 21. Oktober 2004 bis 20.
Oktober 2006 Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Da die vollständige
Anmeldung zum erneuten Leistungsbezug vom 14. Juni 2006 datiert, jedoch erst am
12. Januar 2007 beim zuständigen RAV eingegangen ist, einigten sich P.________
und das RAV auf das Anmeldedatum des 1. Dezember 2006. Mit Verfügung vom 9.
Februar 2007, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 7. September 2007, lehnte
die Arbeitslosenkasse des Kantons Appenzell Ausserrhoden (nachfolgend:
Arbeitslosenkasse) einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. Dezember
2006 ab.

B.
Das Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden wies die dagegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 22. Mai 2008 ab.

C.
P.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, es seien der kantonale Entscheid aufzuheben und die
Arbeitslosenkasse zu verpflichten, ihm Arbeitslosenentschädigung auszurichten.
Die Arbeitslosenkasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist
folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann die Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin
überprüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren
Sachverhaltsfeststellung berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 und 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Der Versicherte macht geltend, der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt
sei offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG, was darauf
zurückzuführen sei, dass dem kantonalen Gericht die von ihm vor Bundesgericht
aufgelegten Unterlagen von der Arbeitslosenkasse nicht zur Verfügung gestellt
wurden. Die Vorinstanz gibt in ihrer Eingabe vom 17. September 2008 an, dass
ihr alle Akten zur Verfügung gestanden hätten. Dem Rechtsvertreter des
Versicherten seien am 15. Juli 2008 die Akten zugestellt worden. Dieser habe
sie am 8. August 2008 retourniert.

2.2 Gemäss Art. 61 lit. c ATSG stellt das kantonale Sozialversicherungsgericht
unter Mitwirkung der Parteien die für den Entscheid erheblichen Tatsachen fest;
es erhebt die notwendigen Beweise und ist in der Beweiswürdigung frei. Der
damit statuierte Untersuchungsgrundsatz zählt zu den wesentlichen
Verfahrensvorschriften. Er verpflichtet Verwaltung und kantonales Gericht -
unter Vorbehalt der Mitwirkungspflichten der Parteien - von sich aus für die
richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts zu
sorgen (SVR 2009 IV Nr. 4 S. 6 E. 4.2.2 mit Hinweisen) und weist enge Bezüge
zum Grundsatz der freien Beweiswürdigung auf (Urteil 8C_364/2007 vom 19.
November 2007, E. 3.2).
Um den Sachverhalt feststellen und die Beweise frei würdigen zu können, müssen
dem Sozialversicherungsgericht sämtliche Akten vorliegen, damit es entscheiden
kann, welche Unterlagen für die Beurteilung des streitigen Falles wesentlich
und welche nicht wesentlich sind. Es liegt demnach nicht im Belieben des
Versicherungsträgers, im Beschwerdeverfahren dem Gericht nur jene Akten
einzureichen, welche er als notwendig und für die Beurteilung des Falles
entscheidend betrachtet. Andernfalls würden die dargelegten Beweisgrundsätze
ihres Gehalts entleert (Urteil U 422/00 vom 10. Oktober 2001, E. 2a).

2.3 Wie das kantonale Gericht richtig ausführt, hat der Rechtsvertreter des
Versicherten sämtliche dem Gericht von der Arbeitslosenkasse zur Verfügung
gestellten Unterlagen (1-85) nach Erlass des strittigen Entscheids eingefordert
und diese auch vollständig wieder retourniert. Entgegen der Ansicht der
Vorinstanz fehlen aber drei der vom Versicherten gerügten Unterlagen bei diesen
Akten; es sind dies die Aufforderung des RAV zur Einreichung einer ärztlichen
Bestätigung zur Abklärung der Vermittlungsfähigkeit vom 19. Mai 2006, das
Gesuch des Rechtsvertreters um Fristerstreckung vom 12. Juni 2006 und das
Antwortschreiben des Rechtsvertreters vom 14. Juni 2006 samt ärztlicher
Bestätigung des Dr. med. G.________, Facharzt für Allgemeine Medizin, vom 10.
Juni 2006. Diese Unterlagen sind denn auch nicht im Verzeichnis der
Arbeitslosenkasse über die der Vorinstanz eingereichten 85 Aktenstücke
aufgeführt. Es ist demnach zutreffend, dass das kantonale Gericht bei Fällung
des Entscheids vom 22. Mai 2008 nicht über sämtliche Akten verfügte. Da es
nicht im Belieben der Verwaltung steht, welche Unterlagen sie dem kantonalen
Gericht zur Beurteilung des Streitfalles unterbreitet (E. 2.2), ist vorliegend
der Untersuchungsgrundsatz verletzt worden.
Allerdings hätte die Vorinstanz auch in Kenntnis der fehlenden Akten wohl nicht
anders entschieden, da Dr. med. G.________ keine über die Beurteilung der MEDAS
hinausgehende Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, sondern vielmehr auf deren
Gutachten vom 25. Januar 2006 verwies. Dieses stand der Vorinstanz jedoch bei
ihrem Entscheid zur Verfügung. In diesem Zusammenhang ist auch darauf
hinzuweisen, dass dem Rechtsvertreter des Versicherten am 14. November 2007 im
Rahmen des Replikrechts die Beschwerdeantwort der Arbeitslosenkasse sowie
sämtliche Akten zugestellt wurden und er in seiner Replik vom 25. Januar 2008
die unvollständige Akteneinreichung der Arbeitslosenkasse nicht rügte. Nach dem
Gesagten liegt zwar eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und damit eine
Rechtsverletzung im Sinne des Art. 95 BGG vor (vgl. dazu auch Urteil 8C_364/
2007 vom 19. November 2007, E. 3.3), doch hat dies weder die Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids noch die freie Überprüfung des Sachverhalts zur
Folge, da die Behebung dieses Mangels angesichts des der Vorinstanz zur
Verfügung gestandenen MEDAS-Gutachtens vom 25. Januar 2006 für den Ausgang des
Verfahrens nicht entscheidend sein kann und damit eine der Voraussetzungen von
Art. 97 Abs. 1 BGG nicht gegeben ist (E. 1 in fine).

3.
3.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmung über die Befreiung von der Erfüllung der
Beitragszeit infolge Invalidität (Art. 14 Abs. 2 AVIG) zutreffend dargelegt.
Darauf wird verwiesen.

3.2 In materieller Hinsicht rügt der Versicherte den Entscheid vom 22. Mai 2008
lediglich dahingehend, dass die Vorinstanz zu Unrecht den Befreiungsgrund von
Art. 14 Abs. 2 AVIG verneint habe. Er habe seine Restarbeitsfähigkeit sehr wohl
verwerten wollen, doch sei ihm dies infolge der absprachewidrigen Verhinderung
des geplanten Arbeitsversuches nicht möglich gewesen.

3.3 Dieser Einwand ist unbehelflich. Der Versicherte war während der
Rahmenfrist für die Beitragszeit (1. Dezember 2004 bis 30. November 2006)
angesichts der vom 1. Februar bis 31. August 2005 zugesprochenen ganzen
Invalidenrente nicht während mindestens 12 Monaten an der Ausübung jeglicher
Arbeitstätigkeit gehindert. Somit kann er sich nicht auf den
Befreiungstatbestand der Invalidität im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AVIG berufen,
da ihm während den übrigen 15 Monaten die Ausübung einer Teilzeittätigkeit
zumutbar war und er nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (E. 1)
während dieser Zeit keine beitragspflichtige (Teil-)Erwerbstätigkeit ausübte
(BGE 131 V 279 E. 1.2 S. 280 mit Hinweis; vgl. auch NUSSBAUMER,
Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl., 2007,
Rz. 234). Die Vorinstanz hat demnach zu Recht den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung infolge nicht erfüllter Beitragszeit verneint.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Gerichtskosten sind unter
Berücksichtigung der unvollständigen Aktenzustellung an die Vorinstanz der
Arbeitslosenkasse aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Zudem hat sie dem
Versicherten eine angemessene Parteientschädigung zu leisten (Art. 68 Abs. 4 in
Verbindung mit Art. 66 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1000.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht von Appenzell
Ausserrhoden, dem Kantonalen Arbeitsamt, Herisau, und dem Staatssekretariat für
Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Februar 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Riedi Hunold