Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.615/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_615/2008

Urteil vom 15. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Hofer.

Parteien
N.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl, Poststrasse 22, 9410 Heiden,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 10. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Schreiben vom 10. Dezember 2007 teilte die IV-Stelle des Kantons St. Gallen
der 1954 geborenen N.________ mit, um den Anspruch auf Leistungen der
Invalidenversicherung prüfen zu können, sei eine medizinische Abklärung
notwendig, welche von der MEDAS Y.________ durchgeführt werde. Nachdem ihr die
MEDAS die Namen der dafür vorgesehenen Ärzte bekannt gegeben hatte, liess die
Versicherte der IV-Stelle am 18. Januar 2008 mitteilen, Dres. med. H.________
und Q.________ hätten sie bereits im Auftrag der SWICA-Krankenversicherung (als
Taggeldversicherung nach VVG) begutachtet, weshalb sie vorbefasst seien und
wegen Befangenheit abgelehnt würden. Mit Verfügung vom 28. Januar 2008 hielt
die IV-Stelle an der Abklärung durch die MEDAS Y.________ fest, da keine
schützenswerten Ausstands- oder Ablehnungsgründe gegen die begutachtenden
Personen vorlägen, welche den Anschein der Befangenheit oder der
Voreingenommenheit zu begründen vermöchten.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung der
Zwischenverfügung vom 28. Januar 2008 und Gutheissung des Ausstandsbegehrens
gegen Dres. med. M.________, H.________ und Q.________ wies der Präsident des
Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 10. Juni 2008
ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt N.________
beantragen, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben, und das
Ausstandsbegehren sei gutzuheissen.

Erwägungen:

1.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a
BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.
Nach der in Art. 30 Abs. 1 BV enthaltenen Garantie des verfassungsmässigen
Richters hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von einem
unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirkung
sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtung
Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der
Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt. Für
Sachverständige gelten grundsätzlich die gleichen Ausstands- und
Ablehnungsgründe, wie sie für den Richter vorgesehen sind. Da sie nicht
Mitglied des Gerichts sind, richten sich die Anforderungen zwar nicht nach Art.
30 Abs. 1 BV, sondern nach Art. 29 Abs. 1 BV. Hinsichtlich der Unparteilichkeit
und Unbefangenheit kommt Art. 29 Abs. 1 BV indessen ein mit Art. 30 Abs. 1 BV
weitgehend übereinstimmender Gehalt zu (Urteil 8C_89/2007 vom 20. August 2008
mit Hinweisen).

3.
3.1 Im zwischen denselben Parteien ergangenen Entscheid der Vorinstanz vom 13.
Dezember 2006 ging das kantonale Gericht davon aus, Dr. med. W.________ vom
Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) habe sich im Rahmen des Einspracheverfahrens
ausser Stande gesehen, einen unveränderten Gesundheitszustand des Versicherten
zu bestätigen und daher eine "Vergleichsbegutachtung" bei der MEDAS Y.________
vorgeschlagen. Es habe sich für ihn die Frage gestellt, ob sich der
Gesundheitszustand seit der Begutachtung vom Mai 2005 objektivierbar verändert
habe, dies mit Blick auf die zwischenzeitlich vorgelegten Berichte der Dres.
med. G.________ und B.________. Falls Änderungen ausgewiesen seien, sei die
aktuelle zumutbare Arbeitsfähigkeit zu beurteilen. Der RAD-Arzt sei der
Auffassung gewesen, weil es sich um eine Vergleichsbegutachtung handle, sei
diese aus Gründen der Vergleichsqualität bei der Erstbegutachtungsstelle
einzuholen. Das kantonale Gericht hat erwogen, es handle sich somit nicht um
eine Vertiefung des MEDAS-Gutachtens vom 12. Mai 2005 im Sinne einer
Oberbegutachtung. Vielmehr hätten die gleiche Stelle und die gleichen Ärzte
eine aktuelle Momentaufnahme zu machen und demnach eine Anschlussbegutachtung
für einen neuen Zeitraum unter Einbezug von zwischenzeitlich erhobenen neuen
Befunden zu erstellen, die der Erhebung des Sachverhalts diene, wie er sich
nach dem Zeitpunkt der ersten Begutachtung abgespielt habe. Ein eigentliches
Obergutachten sei schon deshalb nicht vorgesehen, weil für den massgebenden
Zeitraum nach der ersten Begutachtung noch gar keine Expertise der MEDAS
vorliege. Eine unzulässige Vorbefassung und damit Befangenheit liege bei diesen
Gegebenheiten nicht vor. Diesen Entscheid hat das Bundesgericht mit Urteil I 18
/07 vom 5. Februar 2007 bestätigt, soweit er sich auf die MEDAS Y.________ als
Institution bezog. Bezüglich der Frage nach dem Ausstand einzelner Mediziner,
die für die MEDAS tätig sind, hat das Bundesgericht ausgeführt, diese könne
sich offenkundig erst stellen, wenn diese namentlich bezeichnet seien, was im
Zeitpunkt der Ausfällung des kantonalen Gerichtsentscheids nicht der Fall
gewesen sei. Dem Versicherten sei es unbenommen, nach Bekanntgabe der Namen
einzelne Personen wegen Vorbefassung abzulehnen.

3.2 Am 16. Januar und 5. Februar 2008 hat die MEDAS Y.________ mitgeteilt, die
Versicherte werde von Dres. M.________, H.________ und Q.________ beurteilt
werden, worauf diese die bezeichneten Gutachter als vorbefasst und befangen
abgelehnt hat.

4.
4.1 Im angefochtenen Entscheid vom 10. Juni 2008 hält das kantonale Gericht
unter Verweis auf seinen Entscheid vom 13. Dezember 2006, die Stellungnahmen
des RAD-Arztes vom 21. Februar 2006 und 29. März 2006 und den Auftrag der
IV-Stelle an die MEDAS samt Fragenkatalog vom 10. Dezember 2007 fest, es gehe
um ein Verlaufsgutachten. Es sei daher sinnvoll, die bereits mit der
versicherten Person befassten Mediziner zur Entwicklung des Beschwerdebildes
und der Arbeitsfähigkeit zu befragen. Umstände, die den Anschein einer
Befangenheit oder die Gefahr einer Voreingenommenheit seitens der Gutachter
Dres. med. M.________, H.________ und Q.________ zu begründen vermöchten, lägen
nicht vor.

4.2 Soweit die Beschwerdeführerin ihre bereits vorinstanzlich vorgebrachte Rüge
wiederholt, es handle sich nicht um ein Verlaufsgutachten, sondern um ein
Obergutachten, weil die beauftragten Fachärzte ihr eigenes, für die SWICA
erstelltes Gutachten gegen die Kritik der behandelnden Ärzte zu verteidigen
hätten, kann auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid
verwiesen werden. Welche Art von Gutachten anzuordnen ist (Zweitgutachten
[Obergutachten] oder Ergänzungsgutachten), ist eine Ermessensfrage (Urteile
8C_89/2007 vom 20. August 2008, 6B_283/2007 vom 5. Oktober 2007). Dabei
rechtfertigt sich die Anordnung eines ergänzenden Gutachtens namentlich dann,
wenn eine Frage noch nicht ausreichend abgeklärt ist, weil neue Tatsachen
vorliegen oder wenn in einer durch die Partei eingereichten Stellungnahme
Mängel des bereits vorliegenden Gutachtens aufgezeigt werden (Urteil 8C_89/2007
vom 20. August 2008; Ueli Kieser, Die rechtliche Würdigung von medizinischen
Gutachten, in: René Schaffhauser/Franz Schlauri [Hrsg.], Rechtsfragen der
medizinischen Begutachtung in der Sozialversicherung, St. Gallen 1997, S. 157
f.). Dass dies mit Bezug auf die erneute Begutachtung der Versicherten der Fall
ist, ist entgegen ihrer Auffassung nicht aktenwidrig, sondern ergibt sich
insbesondere aus den laut RAD-Arzt Dr. med. W.________ den Gutachtern zu
unterbreitenden Fragen zur Änderung des Gesundheitszustandes unter
Berücksichtigung der Beurteilungen von Dres. med. G.________ und B.________ und
dem Auftrag an die MEDAS Y.________ vom 10. Dezember 2007, welcher mit
"Verlaufsgutachten" überschrieben ist. Vorbefassung begründet nicht zwingend
den Anschein der Befangenheit. Bleibt das Verfahren in Bezug auf den konkreten
Sachverhalt - wie vorliegend - offen, ist die Besorgnis trotz Vorbefassung
unbegründet (Urteil 8C_89/2007 vom 20. August 2008) und der Einwand bei
objektiver Betrachtung nicht geeignet, einen begründeten Anschein der
Befangenheit zu erwecken. Soweit die Beschwerdeführerin eine Befangenheit aus
dem Umstand ableiten will, dass dieselben Mediziner bereits für eine
Privatversicherung ein Gutachten erstellt haben, was ein späteres Tätigwerden
für die soziale Invalidenversicherung in der gleichen Sache ausschliesse, ist
darauf hinzuweisen, dass SWICA und Invalidenversicherung überein kamen, die
Kosten des Gutachtens gemeinsam zu übernehmen. Die IV-Stelle unterbreitete
alsdann mit Schreiben vom 14. März 2005 ergänzende Fragen, welche von den
Gutachtern ebenfalls beantwortet wurden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die
Ärzte der MEDAS aus dem alleinigen Grunde nicht unabhängig sein sollten, dass
ein Privatversicherer der Begutachtungsinstitution gegenüber als Auftraggeber
in Erscheinung trat. Ob im Rahmen jener Auftragserteilung die aus Art. 44 ATSG
fliessenden Rechte der Versicherten gewahrt wurden, beschlägt nicht den
Ausstand und braucht im vorliegenden Verfahren nicht geprüft zu werden.

5.
Die Beschwerde ist offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten
Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG ohne Schriftenwechsel erledigt wird.

6.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 15. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Hofer