Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.598/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_598/2008

Urteil vom 8. April 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Flückiger.

Parteien
S.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Reto Ineichen,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 24. Juni 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a Der 1964 geborene S.________ war ab 1. Oktober 1999 als Chef Haustechnik
der M.________ AG angestellt und damit bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch unfallversichert. Am 10.
Dezember 2003 erlitt er beim Aufladen von Festbänken eine Verletzung am rechten
Handgelenk (Hypersupinationstrauma). Die SUVA sprach ihm für die Folgen dieses
Ereignisses mit Einspracheentscheid vom 6. November 2006 eine Invalidenrente
auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 18 % zu.
A.b Am 10. Februar 2004 war S.________ erneut von einem Unfall betroffen. Er
fuhr als Lenker eines Personenwagens auf ein anderes, an erster Stelle vor
einem Rotlicht stehendes Fahrzeug auf. Dabei zog er sich gemäss Arztzeugnis UVG
des am Unfalltag aufgesuchten Dr. med. D.________, Assistenzarzt, Spital
X.________, ein HWS-Schleudertrauma zu. Die SUVA erbrachte die gesetzlichen
Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). Zudem nahm sie Abklärungen vor. Mit
Verfügung vom 30. November 2005 stellte die Anstalt die laufenden Leistungen
per 1. Januar 2006 ein. Gleichzeitig lehnte sie es ab, eine Rente oder eine
Integritätsentschädigung auszurichten. Zur Begründung wurde erklärt, die
fortbestehenden Beschwerden stünden in keinem adäquaten Kausalzusammenhang mit
dem Unfallereignis. Daran hielt die SUVA mit Einspracheentscheid vom 20.
Oktober 2006 fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
ab, soweit darauf eingetreten wurde (Entscheid vom 24. Juni 2008).

C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, es sei die SUVA zu verpflichten, ihm ab 1. Januar 2006
die gesetzlichen Leistungen auszurichten, und es sei "eine unabhängige und
umfassende Begutachtung der Situation des Beschwerdeführers durchzuführen und
dem Beschwerdeführer nach Vorliegen der Ergebnisse Gelegenheit einzuräumen, die
Anträge entsprechend anzupassen oder zu ergänzen".

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den für die
Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG)
vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und
Gesundheitsschaden im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181; 119 V 335 E. 1
S. 337 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Richtig sind auch die
vorinstanzlichen Erwägungen zur überdies erforderlichen Adäquanz des
Kausalzusammenhangs (vgl. auch BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181; 125 V 456 E. 5a S.
461 f. mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass die
Rechtsprechung zur Adäquanzprüfung bei psychischen Fehlentwicklungen nach
Unfall (BGE 115 V 133) sowie bei Unfällen mit Schleudertrauma der
Halswirbelsäule (HWS; BGE 117 V 359, präzisiert durch BGE 134 V 109)
spezifische, die allgemeine Adäquanzformel konkretisierende Regeln entwickelt
hat.

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat erwogen, es liessen sich keine objektivierbaren
organischen Unfallfolgen nachweisen. Rechtsgenüglich erstellt sei dagegen, dass
der Beschwerdeführer anlässlich der Auffahrkollision vom 10. Februar 2004 ein
HWS-Distorsionstrauma erlitten habe. Eine nähere Prüfung des natürlichen und
auch des adäquaten Kausalzusammenhangs erübrige sich jedoch: Der Zeitpunkt für
den Fallabschluss sei am 1. Januar 2006 erreicht gewesen. Damit seien gemäss
Art. 19 Abs. 1 UVG die Ansprüche auf Heilbehandlung und Taggeld dahingefallen.
Ein Anspruch auf Invalidenrente oder Integritätsentschädigung bestehe
offensichtlich nicht. Folglich seien keine Leistungen mehr geschuldet.

2.2 Der Beschwerdeführer lässt geltend machen, die Vorinstanz übersehe, dass
nach Art. 21 Abs. 1 UVG eine weitere Heilbehandlung unter anderem dann gewährt
werden müsse, wenn sie zur Erhaltung der verbleibenden Erwerbsfähigkeit
beitrage. Die heute bestehende 80%ige Arbeitsfähigkeit habe nur erreicht werden
können und lasse sich nur weiter erhalten, weil sich der Beschwerdeführer einer
sehr intensiven Schmerzbehandlung und einer physiotherapeutischen Behandlung
unterzogen habe und nach wie vor unterziehe. Ohne diese Behandlung wäre er
heute arbeitsunfähig. Aus den medizinischen Unterlagen, insbesondere den
Stellungnahmen des behandelnden Arztes Dr. med. R.________, Neurologie FMH,
könne der Schluss gezogen werden, dass der Beschwerdeführer zur
Aufrechterhaltung der heutigen Arbeitsfähigkeit auf Schmerzbehandlungen und
Therapien angewiesen sei. Diese seien deshalb weiterhin durch den
obligatorischen Unfallversicherer zu tragen. Der adäquate Kausalzusammenhang
sei in Anwendung der Rechtsprechung gemäss BGE 134 V 109 zu bejahen, denn der
Unfall sei als mittelschwer zu qualifizieren und es seien mindestens drei
Kriterien erfüllt (besondere Art der erlittenen Verletzung; fortgesetzte
spezifische, belastende ärztliche Behandlung; erhebliche Beschwerden).

3.
3.1 Nach Lage der Akten litt der Beschwerdeführer während des zur Debatte
stehenden Zeitraums ab 1. Januar 2006 weiterhin an Kopfschmerzen und
Nackenbeschwerden. Diese liessen sich organisch nicht objektivieren. Von einer
Fortsetzung der ärztlichen Behandlung war zu diesem Zeitpunkt, wie die
Vorinstanz überzeugend darlegt, keine namhafte Besserung des
Gesundheitszustands des Versicherten mehr zu erwarten. Die SUVA hat den Fall
demnach zu Recht abgeschlossen (BGE 134 V 109 E. 4.1 S. 114). Ein Anspruch auf
weitere Leistungen bestünde nur dann, wenn die fortbestehenden Beschwerden in
einem natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis
stehen sollten. Lässt sich die Adäquanz des Kausalzusammenhangs aufgrund der
vorhandenen Unterlagen verneinen, kann auf weitere Abklärungen zur natürlichen
Kausalität verzichtet werden (SVR 1995 UV Nr. 23 S. 67 E. 3c [U 183/93]; Urteil
8C_42/2007 vom 14. April 2008 E. 2).

3.2 Zum Hergang des Unfalls vom 10. Februar 2004 ist den Akten zu entnehmen,
dass der Beschwerdeführer mit seinem Auto auf einen vor einem Rotlicht
stehenden Personenwagen auffuhr. Die kollisionsbedingte
Geschwindigkeitsänderung (delta-v) für das vom Versicherten gelenkte Fahrzeug
lag gemäss der biomechanischen Kurzbeurteilung der Arbeitsgruppe
Unfallmechanik, Prof. Dr. med. W.________ vom 27. Dezember 2004 unterhalb eines
Bereichs von 20-30 km/h. Im Rahmen der für die Adäquanzbeurteilung
vorzunehmenden Einteilung (BGE 134 V 109 E. 10.1 S. 126) ist dieses Ereignis
den mittelschweren Unfällen im Grenzbereich zu den leichten zuzuordnen (vgl.
SVR 2007 UV Nr. 25 S. 81 E. 7.2 [U 479/05]; RKUV 2005 Nr. U 549 S. 237 E. 5.1.2
[U 380/04]; Urteil 8C_797/2008 vom 19. März 2009 E. 5.3). Die Adäquanz des
Kausalzusammenhangs ist demzufolge zu bejahen, falls die von der Rechtsprechung
entwickelten Kriterien (dazu BGE 134 V 109 E. 10.2 S. 127 ff.) in gehäufter
oder auffallender Weise erfüllt sind (BGE 117 V 359 E. 6b S. 367 f.).
3.2.1 Der Unfall vom 10. Februar 2004 ist weder als besonders eindrücklich zu
bezeichnen noch ereignete er sich unter besonders dramatischen
Begleitumständen.
3.2.2 Die Diagnose einer HWS-Distorsion (oder einer anderen, adäquanzrechtlich
gleich zu behandelnden Verletzung) genügt für sich allein nicht zur Bejahung
des Kriteriums der Schwere und besonderen Art der erlittenen Verletzung. Es
bedarf hiezu einer besonderen Schwere der für das Schleudertrauma typischen
Beschwerden oder besonderer Umstände, welche das Beschwerdebild beeinflussen
können. Diese können allenfalls auch in einer beim Unfall eingenommenen
besonderen Körperhaltung und dadurch bewirkten Komplikationen bestehen (BGE 134
V 109 E. 10.2.2 S. 127 f.). Der Beschwerdeführer macht diesbezüglich geltend,
er habe nach oben zur Ampel geblickt und sich deshalb nach vorne gebeugt. Dies
vermag jedoch unter den konkreten Umständen keine besondere Art der Verletzung
zu begründen. Andere diesbezüglich relevante Sachverhaltselemente werden nicht
geltend gemacht. Das Kriterium ist zu verneinen.
3.2.3 Erhebliche Beschwerden im Sinne der präzisierten Rechtsprechung (BGE 134
V 109 E. 10.2.4 S. 128 f.) liegen vor. Sie sind jedoch nicht in derart
ausgeprägter Weise gegeben, dass die Adäquanz allein aus diesem Grund zu
bejahen wäre.
3.2.4 Der Beschwerdeführer bezieht aufgrund des Unfalls mit
Handgelenksverletzung vom 10. Dezember 2003 eine Invalidenrente aufgrund einer
Erwerbsunfähigkeit von 18 %. Von Seiten des Unfalls vom 10. Februar 2004 ist
ihm gemäss den Ergebnissen der Abschlussuntersuchung durch den Kreisarzt Dr.
med. T.________ vom 13. September 2005 jede Erwerbstätigkeit, welche nicht mit
stundenlangen Zwangshaltungen verbunden ist, in vollem Zeitpensum zuzumuten.
Der Beschwerdeführer arbeitet denn auch zu 80 %, was beinahe vollumfänglich dem
verbliebenen Leistungsvermögen entspricht. Deshalb ist das Kriterium der
erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen nicht erfüllt.
3.2.5 Aus der Dauer der ärztlichen Behandlung und der geklagten Beschwerden -
welche im Rahmen der spezifischen Adäquanzkriterien (fortgesetzt spezifische,
belastende ärztliche Behandlung; erhebliche Beschwerden) zu berücksichtigen
sind - darf nicht auf einen schwierigen Heilungsverlauf oder erhebliche
Komplikationen geschlossen werden. Es bedarf hierzu besonderer Gründe, welche
die Genesung beeinträchtigt oder verzögert haben (SVR 2007 UV Nr. 25 S. 81 E.
8.5 mit Hinweis [U 479/05]; Urteil 8C_726/2007 vom 16. Mai 2008, E. 4.3.2.6).
Solche Umstände liegen hier nicht vor. Dasselbe gilt für eine ärztliche
Fehlbehandlung.
3.2.6 Ob von einer fortgesetzt spezifischen, belastenden ärztlichen Behandlung
(BGE 134 V 109 E. 10.2.3 S. 128) gesprochen werden kann, ist nicht näher zu
prüfen, denn das Kriterium wäre jedenfalls nicht in besonderer Ausprägung
erfüllt. Wenn es bejaht würde, ergäben sich zwei Kriterien. Dies reicht nicht
aus, um die Adäquanz zu bejahen.

3.3 Nach dem Gesagten stehen die ab 1. Januar 2006 fortbestehenden Beschwerden
in keinem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfall vom 10. Februar 2004. Die
Vorinstanz hat demnach einen Anspruch auf weitere Leistungen zu Recht verneint.
Unter diesen Umständen ist nicht näher zu prüfen, ob ein Anspruch auf
Heilbehandlung nach Fallabschluss (Art. 21 UVG) voraussetzt, dass die
versicherte Person eine Rente bezieht.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Als
unterliegende Partei hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. April 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Flückiger