Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.577/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_577/2008

Urteil vom 7. November 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Widmer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
J.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter F.
Siegen, Dynamostrasse 2, 5400 Baden,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 5. Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a Die 1947 geborene J.________ meldete sich am 8. Juni 1999 bei der IV-Stelle
des Kantons Zürich zum Rentenbezug an. Die rentenablehnende Verfügung der
Verwaltung vom 12. September 2000 wurde auf Beschwerde hin vom
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 13. Februar
2001 aufgehoben und die Sache an die IV-Stelle zu weiteren Abklärungen
zurückgewiesen. Nach durchgeführtem Vorbescheidsverfahren sprach die IV-Stelle
J.________ mit Verfügung vom 11. Dezember 2002 mit Wirkung ab dem 1. Dezember
2002 bei einem Invaliditätsgrad von 46 % eine Viertelsrente der
Invalidenversicherung zu, während für die Zeit von Mai 1999 bis November 2002
eine separate Verfügung angekündigt wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde
hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 5.
Mai 2003 teilweise gut und stellte fest, dass J.________ Anspruch auf eine
halbe Rente habe. Das Eidgenössische Versicherungsgericht wies eine Beschwerde
der Versicherten gegen den kantonalen Entscheid mit Urteil vom 11. November
2003 (I 430/03) ab.
A.b Mit Verfügung vom 6. Februar 2003 sprach die IV-Stelle J.________ für die
Zeit vom 1. Mai 1999 bis 30. November 2002 eine Viertelsrente zu. Gegen diese
Verfügung erhob die Versicherte am 6. März 2003 Einsprache. Soweit aus den
vorliegenden Akten ersichtlich, ist diese Einsprache zur Zeit noch bei der
IV-Stelle Zürich hängig.
A.c Am 27. Januar 2004 meldete sich J.________ erneut bei der IV-Stelle des
Kantons Zürich an und machte eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes
geltend. Mit Verfügung vom 22. Oktober 2004 bestätigte die IV-Stelle des
Kantons Zürich den Anspruch der Versicherten auf eine halbe Invalidenrente ab
1. Dezember 2002. Diese betrage ab 1. Oktober 2004 Fr. 256.- pro Monat.
Bezüglich des Nachzahlungsbetrages für die Zeit vom 1. Dezember 2002 bis zum
30. September 2004, sowie der im Januar 2004 geltend gemachten Verschlechterung
wurde auf eine spätere Verfügung verwiesen. Die Versicherte erhob gegen diese
Verfügung am 19. November 2004 Einsprache. Mit Entscheid vom 18. Dezember 2006
wies die IV-Stelle diese ab und stellte gleichzeitig fest, dass sich der
Gesundheitszustand der Versicherten seit der Verfügung vom 11. Dezember 2002
nicht verschlechtert habe.

B.
Die von J.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 5. Mai 2008 ab,
soweit es auf sie eintrat.

C.
Mit Beschwerde beantragt J.________, der kantonale Gerichtsentscheid sei
aufzuheben, soweit damit ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf mehr als eine
halbe Rente ab dem 1. Oktober 2004 verneint wird, und es sei der
Beschwerdeführerin ab dem 1. Oktober 2004 eine ganze Invalidenrente
zuzusprechen.

Während die IV-Stelle des Kantons Zürich auf Abweisung der Beschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Da der vorinstanzliche Entscheid nicht Geldleistungen der Unfall- oder der
Militärversicherung betrifft, prüft das Bundesgericht nur, ob das
vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung
oder Missbrauch des Ermessens oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde.

2.
2.1 Über Leistungen, Forderungen und Anordnungen, die erheblich sind oder mit
denen die betroffene Person nicht einverstanden ist, hat der
Versicherungsträger schriftlich Verfügungen zu erlassen (Art. 49 Abs. 1 ATSG).
Gegen Verfügungen kann innerhalb von 30 Tagen bei der verfügenden Stelle
Einsprache erhoben werden; davon ausgenommen sind prozess- und
verfahrensleitende Verfügungen (Art. 52 Abs. 1 ATSG). Gemäss Art. 56 ATSG kann
gegen Einspracheentscheide oder Verfügungen, gegen welche eine Einsprache
ausgeschlossen ist, Beschwerde beim kantonalen Versicherungsgericht erhoben
werden.

2.2 Seit dem 1. Juli 2006 gilt im Bereich der Invalidenversicherung eine vom
ATSG abweichende Verfahrensordnung (vgl. Änderung des IVG vom 16. Dezember
2005, AS 2006 S. 2003 ff.): Die IV-Stelle teilt der versicherten Person den
vorgesehenen Endentscheid über ein Leistungsbegehren oder den Entzug oder die
Herabsetzung einer bisher gewährten Leistung mittels Vorbescheid mit. Die
versicherte Person hat Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 42 ATSG
(Art. 57a IVG). In Abweichung von Art. 52 und Art. 58 ATSG sind zudem gemäss
Art. 69 Abs. 1 lit. a IVG Verfügungen der kantonalen IV-Stelle direkt vor dem
Versicherungsgericht am Ort der IV-Stelle anfechtbar.

2.3 In den Übergangsbestimmungen zur Änderung des IVG vom 16. Dezember 2005
wird festgehalten, dass für die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle (1.
Juli 2006) von der IV-Stelle erlassenen, aber noch nicht rechtskräftigen
Verfügungen und bei der IV-Stelle hängigen Einsprachen noch das alte Recht
gilt.

3.
Streitig ist gemäss Rechtsbegehren einzig die Höhe des Rentenanspruch ab 1.
Oktober 2004. Da für die Zeit ab 1. Dezember 2002 bereits eine halbe Rente
zugesprochen wurde, ist für die vorliegend streitige Frage entscheidend, ob
sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin seit dem 11. September 2002
verschlechtert hat.

4.
4.1 Im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich nur
Rechtsverhältnisse zu überprüfen und zu beurteilen, zu denen die zuständige
Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung
genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung den beschwerdeweise
weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Umgekehrt fehlt es an einem
Anfechtungsgegenstand und somit an einer Sachurteilsvoraussetzung, wenn und
insoweit keine Verfügung ergangen ist (BGE 131 V 164 E. 2.1, 125 V 412 E. 1a S.
414 mit Hinweisen). Streitgegenstand im System der nachträglichen
Verwaltungsrechtspflege ist das Rechtsverhältnis, welches - im Rahmen des durch
die Verfügung bestimmten Anfechtungsgegenstandes - den auf Grund der
Beschwerdebegehren effektiv angefochtenen Verfügungsgegenstand bildet.
Anfechtungs- und Streitgegenstand sind danach identisch, wenn die
Verwaltungsverfügung insgesamt angefochten wird; bezieht sich demgegenüber die
Beschwerde nur auf einzelne der durch die Verfügung bestimmten
Rechtsverhältnisse, gehören die nicht beanstandeten - verfügungsweise
festgelegten - Rechtsverhältnisse zwar wohl zum Anfechtungs-, nicht aber zum
Streitgegenstand (BGE 131 V 164 E. 2.1, 125 V 412 E. 1b in Verbindung mit E.
2a, S. 414 ff.).

4.2 Die zu beurteilende Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 5. Mai 2008, mit welchem das
Gericht eine Beschwerde gegen einen Einspracheentscheid der IV-Stelle Zürich
vom 18. Dezember 2006 abwies, soweit es auf sie eintrat. Dieser Entscheid
erging wiederum aufgrund der Einsprache der Versicherten vom 19. November 2004
gegen die Verfügung der IV-Stelle vom 22. Oktober 2004. Mit dieser Verfügung
wurde - in Nachachtung des in dieser Sache ergangenen Urteiles des Eidg.
Versicherungsgerichtes I 430/03 vom 18. Juni 2003 - die halbe Invalidenrente
der Versicherten für die Zeit ab dem 1. Oktober 2004 frankenmässig festgelegt.
Weiter wurde ausgeführt, dass die IV-Stelle die erneute Anmeldung vom 28.
Januar 2004, mit welcher die Versicherte eine Verschlechterung des
Gesundheitszustandes geltend macht, noch am Prüfen sei und die Versicherte zu
gegebener Zeit eine diesbezügliche Verfügung erhalten werde.

4.3 Verweist die Verfügung vom 22. Oktober 2004 betreffend einer allfälligen
Verschlechterung des Gesundheitszustandes auf eine noch zu erlassende weitere
Verfügung, so folgt daraus, dass die geltend gemachte Verschlechterung gerade
nicht Gegenstand dieser Verfügung war. Somit konnte die Frage auch nicht
Gegenstand des sich auf diese Verfügung beziehenden Einspracheentscheides vom
18. Dezember 2006 sein.

4.4 Die geltend gemachte Verschlechterung des Gesundheitszustandes war weder
Gegenstand der Verfügung vom 16. Dezember 2004 - in der die halbe
Invalidenrente der Versicherten für die Zeit vom 1. Dezember 2002 bis zum 30.
September 2004 frankenmässig festgelegt wurde - noch Gegenstand der Verfügung
vom 20. Januar 2005, mit welcher die halbe Rente ab 1. März 2005 neu berechnet
wurde. Somit war über diese Frage im Zeitpunkt des Inkrafttretens der
Gesetzesänderung vom 16. Dezember 2005 am 1. Juli 2006 noch nicht verfügt
worden. Gemäss der in E. 2.3 dargelegten Übergangsbestimmungen zu dieser
Änderung folgt daraus, dass auf die in diesem Zeitpunkt noch zu erlassende
Verfügung das neue Verfahrensrecht Anwendung findet.

4.5 Im Einspracheentscheid vom 18. Dezember 2006 wird ausgeführt, dass
gleichzeitig mit der Erledigung der Einsprache das Erhöhungsgesuch abgewiesen
werden könne. Damit fällte die IV-Stelle als zuständige Behörde eine Anordnung
im Einzelfall, welche sich auf öffentliches Recht des Bundes stützt und die
Ablehnung eines Begehrens um Änderung von Rechten zum Gegenstand hatte. Soweit
mit ihm die geltend gemachte Verschlechterung des Gesundheitszustandes verneint
wurde, stellt der Entscheid somit eine Verfügung im Sinne von Art. 49 Abs. 1
ATSG dar (vgl. auch Art. 5 VwVG). Der Entscheid entspricht auch den formellen
Anforderungen an eine Verfügung: Er enthält eine schriftliche Begründung und
ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen. Da gemäss den anwendbaren
Verfahrensbestimmungen Verfügungen der kantonalen IV-Stellen, welche nach dem
1. Juli 2006 ergingen, direkt beim Versicherungsgericht am Ort der IV-Stelle
anfechtbar sind, ist die Vorinstanz im Ergebnis zu Recht auf die Beschwerde der
Versicherten bezüglich der geltend gemachten Verschlechterung eingetreten.

4.6 Es ist indessen festzustellen, dass die IV-Stelle am 18. Dezember 2006
betreffend der Verschlechterung des Gesundheitszustandes verfügt hat, ohne
zunächst das Vorbescheidsverfahren gemäss Art. 57a IVG durchzuführen und ohne
der Beschwerdeführerin das rechtliche Gehör zum vorgesehenen Entscheid zu
gewähren. Damit hat sie die anwendbaren bundesrechtlichen
Verfahrensvorschriften und den Anspruch der Versicherten auf rechtliches Gehör
in schwerwiegender Weise verletzt. Das Recht, angehört zu werden, ist formeller
Natur. Dies bedeutet, dass die Verletzung des rechtlichen Gehörs ungeachtet der
Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung der
angefochtenen Verfügung führt. Es kommt mit anderen Worten nicht darauf an, ob
die Anhörung im konkreten Fall für den Inhalt des Entscheids von Bedeutung ist
(BGE 132 V 387 E. 5.1 S. 390; 127 V 431 E. 3 d/aa S. 437 je mit Hinweisen).
Aufgrund dieser Bundesrechtsverletzung sind Verfügung und kantonaler
Gerichtsentscheid aufzuheben und die Sache ist an die IV-Stelle zurückzuweisen,
damit diese nach Durchführung des Vorbescheidsverfahren unter Gewährung des
rechtlichen Gehörs über die geltend gemachte Verschlechterung des
Gesundheitszustandes und damit über die Höhe der Rente ab 1. Oktober 2004 neu
verfüge.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat
die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese
hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu entrichten
(Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 5. Mai 2008 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons
Zürich vom 18. Dezember 2006 werden insoweit aufgehoben, als damit der Anspruch
auf eine höhere als eine halbe Invalidenrente ab 1. Oktober 2004 verneint
wurde. Es wird die Sache an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen,
damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und anschliessend über den
Rentenanspruch der Beschwerdeführerin neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse der graphischen und papierverarbeitenden Industrie
der Schweiz und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. November 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Widmer Holzer