Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.556/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_556/2008

Urteil vom 10. März 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille,
Gerichtsschreiberin Polla.

Parteien
H.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch F.________,

gegen

Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, Zusatzleistungen zur AHV/IV,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 13. Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1922 geborene, in einem Altersheim lebende H.________ bezieht
Ergänzungsleistungen zu ihrer Altersrente. Im Rahmen einer im Februar 2007
durchgeführten periodischen Überprüfung erhielt die Sozialversicherungsanstalt
des Kantons Zürich, Ausgleichskasse, Kenntnis davon, dass die in die Berechnung
einbezogene Heimtaxe ab 1. Juli 2005 von Fr. 135.- auf Fr. 125.- pro Tag
reduziert worden war. Gestützt darauf nahm die Ausgleichskasse eine
rückwirkende Neuberechnung der jährlichen Ergänzungsleistung ab 1. Juli 2005
vor und verpflichtete H.________ mit Verfügung vom 8. Februar 2007 zur
Rückerstattung zu viel ausgerichteter Ergänzungsleistungen für den Zeitraum von
Juli 2005 bis Februar 2007 in Höhe von insgesamt Fr. 6'102.-. Das daraufhin
gestellte Gesuch um Erlass der Rückforderung wies die Ausgleichskasse mit
Verfügung vom 20. August 2007 ab, da es an der Voraussetzung des guten Glaubens
fehle. An ihrem Standpunkt hielt sie mit Einspracheentscheid vom 25. Oktober
2007 fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 13. Mai 2008 ab.

C.
H.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und sinngemäss beantragen, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids sei
die Rückerstattungsschuld zu erlassen. Zudem wird um unentgeltliche
Prozessführung ersucht.

D.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2009 unterbreitete das Bundesgericht den Parteien
einen Vergleichsvorschlag, welchem beide jedoch innert angesetzter Frist nicht
zustimmten.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2 Die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung haben durch das am 1. Januar 2008 in Kraft getretene
Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006 über die Schaffung von Erlassen zur
Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und
Kantonen (AS 2007 5779) eine umfassende Neuregelung erfahren. Weil in
zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen materiellen Rechtssätze massgebend
sind, welche bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes
Geltung haben, und weil ferner das Sozialversicherungsgericht grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Einspracheentscheids (hier: 25. Oktober 2007)
eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220 mit
Hinweisen), richtet sich der zu beurteilende Erlass der Rückforderung von
Ergänzungsleistungen aus der Zeit vom 1. Juli 2005 bis 28. Februar 2007 nach
den bis Ende 2007 gültig gewesenen Bestimmungen.

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführerin die rechtskräftig
festgestellte Rückerstattungsschuld über Fr. 6'102.- erlassen werden kann.

2.1 Wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, muss sie nicht
zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt (Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG,
im Bereich der Ergänzungsleistungen anwendbar gemäss Art. 1 Abs. 1 ELG; vgl.
auch Art. 2 ff. ATSV). Der Erlass setzt somit einerseits den gutgläubigen
Leistungsbezug und andererseits das Vorliegen einer grossen Härte voraus.

2.2 Wie das kantonale Gericht zutreffend erwog, ist der gute Glaube als
Erlassvoraussetzung nicht schon mit der Unkenntnis des Rechtsmangels gegeben.
Die Leistungsempfängerin darf sich vielmehr nicht nur keiner böswilligen
Absicht, sondern auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig gemacht haben. Der
gute Glaube entfällt somit einerseits von vornherein, wenn die zu Unrecht
erfolgte Leistungsausrichtung auf eine arglistige oder grobfahrlässige Melde-
oder Auskunftspflichtverletzung zurückzuführen ist. Anderseits kann sich die
rückerstattungspflichtige Person auf den guten Glauben berufen, wenn ihr
fehlerhaftes Verhalten nur leicht fahrlässig war (BGE 112 V 97 E. 2c S. 103).
Wie in anderen Bereichen beurteilt sich das Mass der erforderlichen Sorgfalt
nach einem objektiven Massstab, wobei aber das den Betroffenen in ihrer
Subjektivität Mögliche und Zumutbare (Urteilsfähigkeit, Gesundheitszustand,
Bildungsgrad usw.) nicht ausgeblendet werden darf (Urteil I 622/05 vom 14.
August 2006 E. 4.4, publiziert in: SVR 2007 IV Nr. 13 S. 49).

2.3 Es ist zu unterscheiden zwischen dem guten Glauben als fehlendem
Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen
auf den guten Glauben berufen kann und ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den
bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Das Unrechtsbewusstsein gehört
zum inneren Tatbestand und ist daher Tatfrage, die nach Massgabe von Art. 105
Abs. 1 BGG von der Vorinstanz verbindlich beantwortet wird. Demgegenüber
handelt es sich bei der gebotenen Aufmerksamkeit um eine frei überprüfbare
Rechtsfrage, soweit es darum geht, festzustellen, ob sich jemand angesichts der
jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE
122 V 221 E. 3 S. 223).

3.
3.1 Die Vorinstanz hat das fehlende Unrechtsbewusstsein der Versicherten in
einer für das Bundesgericht gemäss Art. 105 Abs. 1 BGG verbindlichen Weise
bejaht.

3.2 Zu prüfen bleibt - als Rechtsfrage -, ob der Beschwerdeführerin der gute
Glaube deshalb abgesprochen werden muss, weil sie die gebotene Aufmerksamkeit
vermissen liess und dadurch die Ausrichtung der unrechtmässig bezogenen
Leistungen bewirkt hat.

3.3 Gemäss den verbindlichen Feststellungen des kantonalen Gerichts hat die
Beschwerdeführerin der Ausgleichskasse nicht gemeldet, dass sich die Heimtaxe
ab 1. Juli 2005 um Fr. 10.- pro Tag reduzierte, da sie nach dem Tod ihrer
Lebens- und Wohnpartnerin von einem Zweizimmer-Appartement in ein Einerzimmer
des Altersheims umgezogen war. Wie die Vorinstanz mit Recht darlegte, findet
sich auf den Verfügungen der Ausgleichskasse der Hinweis auf die Meldepflicht
in Bezug auf Änderungen in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen,
insbesondere bei Erhöhung oder Verminderung des Vermögens, der Einnahmen oder
Ausgaben, sowie eine beispielhafte Aufzählung meldepflichtiger Tatbestände.
Dies schliesst den guten Glauben regelmässig aus. Eine abweichende Beurteilung
kommt nur in Frage, wenn besondere Umstände vorliegen. Diesbezüglich wendet die
Beschwerdeführerin ein, sie sei im Jahre 2005 83 Jahre alt gewesen und der Tod
der Lebenspartnerin sowie der Umzug in ein Einerzimmer hätten gravierende
Einschnitte in ihrem Leben dargestellt, die besonders in hohem Alter nicht so
einfach hingenommen und verarbeitet werden könnten. Überdies sei ihr die
reduzierte Heimtaxe nicht verfügungsweise mitgeteilt, sondern monatlich in
Rechnung gestellt worden. Erschwerend komme hinzu, dass die Rechnungen des
Altersheims wegen den schwankenden Zusatzleistungen nicht jeden Monat gleich
hoch seien, wobei sie diese ohne Prüfung immer prompt begleiche.

3.4 Es ist nachfühlbar, dass der Tod der Lebenspartnerin und der Umzug in ein
Einerzimmer des Altersheims für die damals 83-jährige Versicherte
einschneidende und belastende Ereignisse waren. Selbst wenn man daher annehmen
wollte, sie sei in ihrer damaligen Verfassung bei Anwendung der ihr zumutbaren
Aufmerksamkeit nicht in der Lage gewesen, die mit der Änderung der
Wohnsituation verbundene Meldepflicht zu erkennen und/oder zu erfüllen, hätte
sie, wie dies die Vorinstanz zutreffend ausführte, nach einer angemessenen
Trauerphase dennoch bei genügender Sorgfalt feststellen können und müssen, dass
der Wechsel vom Zweizimmerappartement in ein Einerzimmer mit verbundener
Reduktion der Heimtaxe um immerhin Fr. 10.- pro Tag, eine Veränderung der
Vermögensverhältnisse im Sinne des Ergänzungsleistungsrechts darstellt, die sie
der Ausgleichskasse hätte melden müssen. In den Akten finden sich keinerlei
Hinweise, dass ihr Gesundheitszustand oder ihr Alter dies dannzumal nicht
zugelassen hätten. Der Bezug der auf der höheren Heimtaxe berechneten
Ergänzungsleistung während des Zeitraums von Juli 2005 bis Februar 2007 kann
deshalb unter dem Aspekt der zumutbaren Aufmerksamkeit, bei allem Verständnis
für die persönliche Situation der Versicherten, nicht als gutgläubig gelten,
weshalb der vorinstanzliche Entscheid rechtens ist.

4.
Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände wird auf die Erhebung von
Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege im Sinne der Befreiung von Gerichtskosten wird damit
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. März 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Polla