Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.551/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_551/2008

Urteil vom 13. November 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Widmer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiber Grunder.

Parteien
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Marco Biaggi, St.
Jakobs-Strasse 11, 4002 Basel,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 4.
April 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit rechtskräftig gewordener Verfügung vom 16. Januar 2003 lehnte die IV-Stelle
Basel-Landschaft ein Rentengesuch des 1965 geborenen, als Maurer erwerbstätig
gewesenen M.________ mangels rentenbegründendem Invaliditätsgrad ab. Auf eine
Neuanmeldung vom 24. September 2004 hin holte sie u.a. ein Gutachten des Dr.
med. E.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 13.
Dezember 2006 ein. Mit Verfügung vom 24. April 2007 sprach sie dem Versicherten
aufgrund eines ermittelten Invaliditätsgrades von 57 % eine halbe
Invalidenrente ab 1. Januar 2006 zu.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft
ab (Entscheid vom 4. April 2008).

C.
Mit Beschwerde lässt M.________ beantragen, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei die halbe Invalidenrente ab 1. Januar 2005
auszurichten. Ferner ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege.

Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Streitig und zu prüfen ist einzig, in welchem Zeitpunkt der Anspruch auf eine
halbe Rente der Invalidenversicherung entstanden ist.

2.
2.1 Der feststehende Sachverhalt ist nach der Rechtslage zu beurteilen, wie sie
vor der im Zuge der 5. IV-Revision auf den 1. Januar 2008 in Kraft gesetzten
Änderung des IVG (Bundesgesetz vom 6. Oktober 2006; AS 2007 5129 und 5147)
bestanden hat. Gemäss Art. 29 Abs. 1 IVG (in der bis 31. Dezember 2007 gültig
gewesenen Fassung) entsteht der Rentenanspruch nach Art. 28 frühestens in dem
Zeitpunkt, in dem der Versicherte mindestens zu 40 % bleibend erwerbsunfähig
(Art. 7 ATSG) geworden ist (lit. a) oder während eines Jahres ohne wesentlichen
Unterbruch durchschnittlich mindestens zu 40 % arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG)
gewesen war (lit. b).
2.2
2.2.1 Die Ablehnungsverfügung vom 16. Januar 2003 beruhte u.a. auf einer
Expertise des Zentrums X.________ vom 5. November 2002, wonach der Versicherte
wegen den sternalen Schmerzen und dem tendomyotischen, lumbalbetonten
Panvertebralsyndrom im bisher ausgeübten Beruf als Maurer nur noch
eingeschränkt arbeitsfähig (50 %) war; eine leichtere rückenadaptierte
Tätigkeit war ihm aber, auch unter Berücksichtigung der psychiatrisch
festgestellten hypochondrischen Störung, vollumfänglich zumutbar. Laut
Gutachten des Dr. med. E.________ vom 13. Dezember 2006 leidet der Versicherte
seit Januar 2005 an einer hypochondrischen Störung (ICD-10: F45.2) mit
psychosomatischer Entwicklung, einer rezidivierenden depressiven Störung
(mittelgradige Episode; ICD-10: F33.1) sowie an histrionischen
Persönlichkeitszügen (ICD-10: Z73.1), welche Diagnosen eine Arbeitsunfähigkeit
von 50 % in jeglicher Erwerbstätigkeit begründen. Die Vorinstanz hat gestützt
darauf den Beginn der Wartezeit auf den 1. Januar 2005 festgelegt.
2.2.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er schon seit Ende 1999 in seinem
angestammten Beruf als Bauarbeiter zu mindestens 50 % arbeitsunfähig gewesen
sei, weshalb die Wartezeit im Januar 2005 abgelaufen sei. Es stelle sich einzig
die Frage, wann eine rentenbegründende Erwerbsunfähigkeit eingetreten sei. Dazu
nehme die Vorinstanz nicht Stellung. Spätestens ab Januar 2005 sei er im
festgestellten Ausmass von 57 % erwerbsunfähig gewesen.

3.
3.1 Nach der Rechtsprechung ist bleibende Erwerbsunfähigkeit (Art. 29 Abs. 1
lit. a IVG) dann anzunehmen, wenn ein weitgehend stabilisierter, im
Wesentlichen irreversibler Gesundheitsschaden vorliegt, welcher die
Erwerbsfähigkeit des Versicherten voraussichtlich dauernd in rentenbegründendem
Masse beeinträchtigen wird (Art. 29 IVV). Als relativ stabilisiert kann ein
ausgesprochen labil gewesenes Leiden nur dann betrachtet werden, wenn sich sein
Charakter deutlich in der Weise geändert hat, dass vorausgesehen werden kann,
in absehbarer Zeit werde keine praktisch erhebliche Wandlung mehr erfolgen (BGE
119 V 98 E. 4a S. 102 mit Hinweisen). Das Hauptkriterium der Stabilität dient
der Abgrenzung der beiden Varianten des Art. 29 Abs. 1 IVG und bezieht sich
nicht auf die wirtschaftlichen Auswirkungen, sondern auf den Gesundheitsschaden
selbst (einlässlich dazu BGE 111 V 21; vgl. auch BGE 119 V 98 a.a.O.).

3.2 Aus den psychiatrischen Diagnosen (hypochondrische Störung mit
psychosomatischer Entwicklung; rezidivierende depressive Störung, aktuell
mittelgradige Episode; histrionische Persönlichkeitszüge) ist ohne weiteres zu
schliessen, dass es sich um ein labiles Krankheitsgeschehen handelte. Das für
die Anwendung des Art. 29 Abs. 1 lit. a IVG erforderliche Hauptkriterium der
Stabilität ist damit nicht gegeben. Anhaltspunkte, dass der Gesundheitsschaden
im Laufe der am 1. Januar 2005 eröffneten Wartezeit seinen labilen Charakter
verloren hat und daher vom zweiten (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG) auf den ersten
Entstehungsgrund der bleibenden Erwerbsunfähigkeit übergegangen werde könnte
(vgl. dazu AHI 1999 S. 79, I 417/97 E. 2a in fine mit Hinweisen), liegen nicht
vor. Aufgrund des Gesagten ist mit der Vorinstanz grundsätzlich davon
auszugehen, dass der Anspruch auf eine halbe Invalidenrente nach Ablauf der
einjährigen Wartezeit am 1. Januar 2006 entstanden ist.

3.3 Zu prüfen bleibt aufgrund der Vorbringen in der Beschwerde, ob ein
Tatbestand im Sinne von Art. 88a Abs. 2 Satz 1 IVV vorliegt, wonach u.a. bei
einer Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit die anspruchsbeeinflussende
Änderung zu berücksichtigen ist, sobald sie ohne wesentliche Unterbrechung drei
Monate angedauert hat. Diese Bestimmung setzt jedoch voraus, dass bei Eintritt
der anspruchsbeeinflussenden Änderung bereits eine rentenbegründende
Invalidität vorgelegen haben muss, mithin ein Rentenanspruch entstanden war
(vgl. dazu Urteil I 179/01 vom 10. Dezember 2001 E. 3b). So verhält es sich
hier nicht. Wohl war der Beschwerdeführer gemäss Ablehnungsverfügung der
IV-Stelle vom 16. Januar 2003 seit längerer Zeit im angestammten Beruf als
Maurer in erheblichem Umfang arbeitsunfähig gewesen; mit leichteren
Tätigkeiten, welche er ohne Einschränkung auszuüben vermochte, hätte er jedoch
bis zum Eintritt des psychiatrisch massgeblichen Gesundheitsschadens im Januar
2005 ein rentenausschliessendes Einkommen erzielen können. Unter diesen
Gegebenheiten ist das vorinstanzliche Ergebnis in Bezug auf die Entstehung des
Rentenanspruchs nicht zu beanstanden.

4.
4.1 Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 62 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit
Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die Gerichtskosten sind dem
Beschwerdeführer als unterliegender Partei aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1
BGG).

4.2 Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (vorläufige Befreiung von der
Bezahlung der Gerichtskosten und Bestellung eines unentgeltlichen Anwalts) kann
stattgegeben werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht
als aussichtslos zu bezeichnen ist und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt
geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 125 V 371 E. 5b S. 372 mit
Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam
gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten
haben wird, wenn sie später dazu imstande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Advokat Marco Biaggi, Basel, wird als unentgeltlicher Rechtsanwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1500.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. November 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Lustenberger Grunder