Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.533/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_533/2008

Urteil vom 26. November 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
T.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Horschik,
Schmidt Eugster, Rechtsanwälte, Weinbergstrasse 29, 8006 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
14. Mai 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1971 geborene T.________ war als Maurer der Firma X.________ AG bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen
versichert, als er am 22. September 2002 vorübergehend festgenommen wurde. Da
er sich geweigert hatte, ein Discozelt zu verlassen, wurde er von vier
Sicherheitsleuten überwältigt, auf den Boden gelegt, mit Handschellen
gefesselt, hinausgeführt und der Polizei übergeben. Der Versicherte beklagte
sich noch am gleichen Tag im Spital Y.________ über Prellmarken am rechten
Handgelenk, über eingeschränkte Beweglichkeit und diffuse Schmerzen am ganzen
Körper. Das vom Versicherten gegen die Sicherheitsleute angestrengte
Strafverfahren wurde eingestellt (vgl. Entscheid des Obergerichts des Kantons
Aargau vom 30. Juni 2004). Die SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht für die
Folgen des Ereignisses vom 22. September 2002 und erbrachte die gesetzlichen
Leistungen, stellte diese aber mit Verfügung vom 4. Januar 2007 und
Einspracheentscheid vom 4. Juni 2007 per 28. Februar 2007 ein, da die darüber
hinaus anhaltend geklagten Beschwerden nicht mehr adäquat kausal durch das
Ereignis verursacht worden seien.

B.
Die von T.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau mit Entscheid vom 14. Mai 2008 ab.

C.
Mit Beschwerde beantragt T.________, die SUVA sei unter Aufhebung des
Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, die
gesetzlichen Leistungen auch über den 28. Februar 2007 hinaus zu erbringen,
eventuell sei die Sache zu weiteren Abklärungen an die Versicherung
zurückzuweisen.

Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
2.1 Im kantonalen Entscheid werden die nach der Rechtsprechung für den Anspruch
auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung (Art. 6 Abs. 1 UVG)
geltenden Voraussetzungen des natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhangs
zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (BGE 129 V 177 E. 3.1
u. 3.2 S. 181), insbesondere bei psychischen Unfallfolgeschäden (BGE 115 V
133), zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

2.2 Unfall ist gemäss Art. 4 ATSG die plötzliche, nicht beabsichtigte
schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den
menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder
psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat. Rechtsprechung und Lehre
haben schreckbedingte plötzliche Einflüsse auf die Psyche seit jeher als
Einwirkung auf den menschlichen Körper (im Sinne des geltenden Unfallbegriffes)
anerkannt und für ihre unfallversicherungsrechtliche Behandlung besondere
Regeln entwickelt. Danach setzt die Annahme eines Unfalles voraus, dass es sich
um ein aussergewöhnliches Schreckereignis, verbunden mit einem entsprechenden
psychischen Schock, handelt; die seelische Einwirkung muss durch einen
gewaltsamen, in der unmittelbaren Gegenwart des Versicherten sich abspielenden
Vorfall ausgelöst werden und in ihrer überraschenden Heftigkeit geeignet sein,
auch bei einem gesunden Menschen durch Störung des seelischen Gleichgewichts
typische Angst- und Schreckwirkungen (wie Lähmungen, Herzschlag etc.)
hervorzurufen. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat diese Rechtsprechung
wiederholt bestätigt und dahingehend präzisiert, dass auch bei
Schreckereignissen nicht nur die Reaktion eines (psychisch) gesunden Menschen
als Vergleichsgrösse dienen kann, sondern in diesem Zusammenhang ebenfalls auf
eine "weite Bandbreite" von Versicherten abzustellen ist. Zugleich hat es dabei
relativierend, unter Bezugnahme auf den massgeblichen Unfallbegriff (BGE 118 V
59 E. 2b S. 61 und 283 E. 2a; ferner BGE 122 V 230 E. 1 S. 232 mit Hinweisen),
betont, dass sich das Begriffsmerkmal der Ungewöhnlichkeit definitionsgemäss
nicht auf die Wirkung des äusseren Faktors, sondern nur auf diesen selber
bezieht, weshalb nicht von Belang sein könne, wenn der äussere Faktor
allenfalls schwerwiegende, unerwartete Folgen nach sich zog (BGE 129 V 177 E.
2.1 S. 179; SVR 2008 UV Nr. 7 S. 22 E. 2.2 [U 548/06]). An den Beweis der
Tatsachen, die das Schreckereignis ausgelöst haben, an die Aussergewöhnlichkeit
dieses Ereignisses sowie den entsprechenden psychischen Schock sind strenge
Anforderungen zu stellen (Urteil 8C_341/2008 vom 25. September 2008, E. 2.3).

2.3 Nach ständiger Praxis ist das Sozialversicherungsgericht weder hinsichtlich
der Angabe der verletzten Vorschriften noch hinsichtlich der Beurteilung des
Verschuldens an die Feststellung und Würdigung des Strafgerichts gebunden. Es
weicht aber von den tatbeständlichen Feststellungen des Strafgerichts nur ab,
wenn der im Strafverfahren ermittelte Tatbestand und dessen rechtliche
Subsumtion nicht zu überzeugen vermögen oder auf Grundsätzen beruhen, die zwar
im Strafrecht gelten, im Sozialversicherungsrecht jedoch unerheblich sind (BGE
125 V 237 E. 6a S. 242, 111 V 172 E. 5a S. 177, je mit Hinweisen).

3.
Streitig und zu prüfen ist die Leistungspflicht der Unfallversicherung für die
über den 28. Februar 2007 hinaus anhaltend geklagten Beschwerden.

4.
4.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Festnahme am 22. September 2002 sei
als Schreckereignis zu werten. Dem kann nicht gefolgt werden. Weder war der
Vorfall von einer Heftigkeit, die geeignet erscheint, durch Störung des
seelischen Gleichgewichts typische Angst- und Schreckwirkungen (wie Lähmungen,
Herzschlag etc.) hervorzurufen, noch war er für den Versicherten überraschend:
Es ist unbestritten, dass der Versicherte zunächst von den Sicherheitsleuten
aufgefordert wurde, das Zelt zu verlassen und er sich weigerte, der
Aufforderung Folge zu leisten. Selbst wenn er sich tatsächlich im Recht gefühlt
haben sollte, musste er doch mit einer Gewaltanwendung rechnen. Gemäss den
Feststellungen des Obergerichts des Kantons Aargau (Entscheid vom 30. Juni
2004) war der Einsatz der Gewalt durch die Sicherheitsleute verhältnismässig;
die angewendete Gewalt ging mithin nicht über das hinaus, was der
Beschwerdeführer erwarten musste.

4.2 Der Versicherte wurde am 22. Dezember 2002 von den Sicherheitsleuten
überwältigt, auf den Boden gelegt und mit Handschellen gefesselt. In der Folge
wurden gemäss dem Bericht des SUVA-Kreisarztes Dr. med. O.________, vom 21.
Februar 2003 Prellmarken am rechten Handgelenk festgestellt, es fanden sich
eine Distorsion der Halswirbelsäule und eine Schürfung an der Innenseite der
linken Wange. Der Beschwerdeführer beklagte sich zudem über Schmerzen am ganzen
Körper. Es ist somit davon auszugehen, dass im Zuge der Festnahme ein
ungewöhnlicher äusserer Faktor auf den menschlichen Körper einwirkte, und
dieser eine Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit zur Folge hatte. Zu
beachten ist indessen, dass nicht der ganze Vorfall und insbesondere nicht die
Festnahme als solche den Unfallbegriff erfüllen.

4.3 Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte im Zeitpunkt des
Fallabschlusses (28. Februar 2007) nicht mehr an physischen Unfallfolgen litt.
Bezüglich der weiterhin vorhandenen psychischen Beschwerden ist folgendes
festzuhalten: Insofern sich diese einzig aufgrund der als demütigend
empfundenen - unfallfremden (vgl. E. 4.2 hievor) - Tatsache, festgenommen zu
werden, entwickelt haben sollten, sind sie im Vorneherein unbeachtlich. Eine
Leistungspflicht der Unfallversicherung besteht nur für Schäden, die durch das
Unfallereignis, mithin den verletzenden äusseren Faktor, mindestens teilweise
verursacht wurden. Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, kann die
Frage, ob unfallkausale psychische Beschwerden vorhanden sind, offenbleiben, da
ein allfälliger Kausalzusammenhang - wie nachstehende Prüfung ergibt - nicht
adäquat und damit nicht rechtsgenüglich wäre.

5.
5.1 Zur Prüfung der Adäquanz eines allfälligen Kausalzusammenhanges zwischen
Unfall und psychischen Beschwerden ist zunächst nach der Schwere des
Ereignisses zu fragen (BGE 115 V 133 E. 6 S. 138ff.). Diese ist auf Grund des
augenfälligen Geschehensablaufs mit den sich dabei entwickelnden Kräften zu
beurteilen (SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, E. 5.3.1 [U 2/07]). Der Versicherte wurde
von vier Sicherheitsleuten überwältigt, auf den Boden gelegt und mit
Handschellen gefesselt. Gemäss den Feststellungen des Obergerichts des Kantons
Aargau wurde dabei keine unverhältnismässige Gewalt angewendet. Das Ereignis
kann somit höchstens als mittelschwer im Grenzbereich zu den leichten Unfällen
qualifiziert werden. Die Adäquanz eines Kausalzusammenhanges wäre somit nur
dann zu bejahen, wenn eines der unfallbezogenen Kriterien in besonders
ausgeprägter oder mehrere dieser Kriterien in gehäufter Weise erfüllt wären.

5.2 Das Kriterium der besonders dramatischen Begleitumstände oder besonderen
Eindrücklichkeit des Unfalles ist objektiv zu beurteilen und nicht auf Grund
des subjektiven Empfindens bzw. Angstgefühls der versicherten Person (RKUV 1999
Nr. U 335 S. 207 E. 3b/cc [U 287/97]; Urteil 8C_623/2007 vom 22. August 2008,
E. 8.1). Objektiv betrachtet waren weder die Begleitumstände besonders
dramatisch, noch der Unfall besonders eindrücklich: Zum einen hat der
Beschwerdeführer das Eingreifen der Sicherheitsleute durch seine Weigerung, das
Zelt zu verlassen, provoziert; zum anderen hätte er auch während seiner
Festnahme jederzeit seine Widersetzlichkeit aufgeben können und somit den
Unfall verhindern können. Die Vorinstanz verneinte zu Recht das Vorliegen
dieses Kriteriums.

Wie das kantonale Gericht zutreffend ausführt, sind auch die übrigen
unfallbezogenen Kriterien zu verneinen. Insbesondere ist entgegen der Ansicht
des Versicherten nicht zu beanstanden, dass es die Folgen der psychischen
Beschwerden nicht in die Prüfung der Kriterien nach BGE 115 V 133 E. 6c/aa S.
140 einbezogen hat, da bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall die
Adäquanzkriterien praxisgemäss unter Ausschluss psychischer Aspekte geprüft
werden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112). Somit kann aus der Behandlungsdauer für
die geltend gemachte posttraumatische Belastungsstörung weder bezüglich des
Kriteriums der ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung, noch
bezüglich jenem des schwierigen Heilverlaufes etwas hergeleitet werden.

5.3 Waren somit die nach dem 28. Februar 2007 anhaltenden psychischen
Beschwerden nicht adäquat durch ein versichertes Unfallereignis verursacht, so
war die Leistungseinstellung der SUVA auf dieses Datum hin rechtens. Die
Beschwerde ist demnach abzuweisen.

6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. November 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Holzer