Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.511/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_511/2008

Urteil vom 6. Juli 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille,
Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
I.________, Deutschland, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stefan Kaufmann, Deutschland,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung (Prozessvoraussetzung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1983 geborene I.________, deutscher Staatsangehöriger, war als
Trockenbaumonteur der X.________ GmbH bei der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert, als
er am 2. September 2006 auf einer Baustelle von einem Gerüst fiel. Die SUVA
anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses. Mit
Verfügung vom 11. Dezember 2006 setzte die Anstalt das Taggeld auf einen Betrag
von Fr. 74.85 fest. Auf Einsprache des I.________ hin erhöhte die SUVA den
Taggeldansatz mit Einspracheentscheid vom 1. Juni 2007 auf Fr. 83.40.

B.
Die von I.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 30. April 2008
ab.

C.
Mit Beschwerde beantragt I.________, der massgebliche Taggeldansatz sei unter
Aufhebung des Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides auf Fr. 201.76
festzusetzen.
Die SUVA und das Bundesamt für Gesundheit beantragen die Abweisung der
Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde gegen einen Entscheid ist - von hier nicht interessierenden
Ausnahmen abgesehen - gemäss Art. 100 Abs. 1 BGG innert 30 Tagen nach der
Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen.
Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses
ausgelöst werden, beginnen am folgenden Tag zu laufen (Art. 44 Abs. 1 BGG).
Eingaben müssen spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht
eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer
schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben werden
(Art. 48 Abs. 1 BGG).

2.
Der vorinstanzliche Entscheid erging am 30. April 2008. Das kantonale Gericht
stellte diesen direkt per Post an den Vertreter des Versicherten in Deutschland
zu. Somit ist zunächst zu prüfen, ob diese direkte Zustellung zulässig war.

2.1 Art. 32 des Abkommens vom 25. Februar 1964 zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit
(SR 0.831.109.136.1; nachfolgend: Abkommen mit Deutschland) erlaubt den
Behörden, Gerichten und Trägern der Vertragsparteien bei Anwendung des
Abkommens unmittelbar miteinander und mit den beteiligten Personen und ihren
Vertretern in ihren Amtssprachen zu verkehren. Diese unmittelbar anwendbare
Bestimmung (vgl. hiezu Patrick Edgar Holzer, Die Ermittlung der
innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Vertragsbestimmungen, 1998, S.
110 ff.) regelt nicht nur die Sprachenfrage, sondern statuiert auch die
Möglichkeit eines direkten postalischen Verkehrs (BGE 96 V 139 E. 4 S. 140).

2.2 Am 1. Juni 2002 ist das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft
und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit
(Freizügigkeitsabkommen; nachfolgend: FZA; SR 0.142.112.681) in Kraft getreten.
2.2.1 Gemäss Art. 20 FZA werden - von hier nicht interessierenden Ausnahmen
abgesehen - die bilateralen Abkommen über die soziale Sicherheit zwischen der
Schweiz und den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Inkrafttreten
des FZA insoweit ausgesetzt, als im FZA derselbe Sachbereich geregelt wird.
2.2.2 Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage des Art. 8 FZA ausgearbeiteten
und Bestandteil des Abkommens bildenden (Art. 15 FZA) Anhangs II "Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit" des FZA in Verbindung mit Abschnitt A
dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander insbesondere die
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der
Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren
Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (SR
0.831.109.268.1; nachfolgend: Verordnung Nr. 1408/71), und die Verordnung (EWG)
Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr.
1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer
und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der
Gemeinschaft zu- und abwandern (SR 0.831.109.268.11; nachfolgend: Verordnung
Nr. 574/72), oder gleichwertige Vorschriften an.
2.2.3 Nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 574/72 können Bescheide oder
sonstige Schriftstücke eines Trägers eines Mitgliedstaats, die für eine im
Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnende oder sich dort aufhaltende Person
bestimmt sind, dieser unmittelbar mittels Einschreiben mit Rückschein
zugestellt werden. Gerichte sind jedoch keine Träger im Sinne der
Koordinierungsverordnungen (SVR 2006 KV Nr. 6 S. 14, K 44/03 E. 2.5 mit
Hinweis). Ebenso wenig fallen Gerichte unter den Begriff der Behörde im Sinne
von Art. 84 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1408/71 (Verfügung des Eidg.
Versicherungsgerichts K 18/04 vom 18. Juli 2006 E. 2.1.2). Die Verordnungen Nr.
1408/71 und Nr. 574/72 enthalten demnach keine Vorschrift, die eine direkte
postalische Zustellung gerichtlicher Schriftstücke an in einem anderem
Mitgliedstaat wohnende Personen vorsieht (anderer Meinung: Laurent Merz, in:
Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 45 zu Art. 40 BGG). Auch
den übrigen Bestandteilen des FZA ist keine Bestimmung zu entnehmen, die der
Schweiz eine direkte postalische Zustellung gerichtlicher Schriftstücke an eine
im Ausland wohnende Person gestatten würde (zitierte Verfügung K 18/04 E.
2.1.3).
2.2.4 Die Koordinationsverordnungen bezwecken, bestimmte Hindernisse sachlicher
und verwaltungstechnischer Art zu beseitigen, welche die Arbeitnehmer davon
abhalten könnten, zwischen den Mitgliedstaaten zu wechseln (Urteil des EuGH vom
18. Februar 1975, Rs. 66/74, Alfonso Farrauto gegen Bau-Berufsgenossenschaft,
Slg. 1975 S. 157, Randnr. 4). Eine direkte Zustellung von Gerichtsentscheiden
per Post stellt eine Vereinfachung und Beschleunigung des üblichen
Verfahrensablaufes dar. Im Hinblick auf die europäische Integration ist eine
solche Handhabung den Förmlichkeiten grundsätzlich vorzuziehen, auf die
herkömmlicherweise für die Zustellung von Entscheidungen im Ausland
zurückgegriffen wird (zit. Urteil in der Rs. 66/74, ebd.). Es ist daher nicht
davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber durch das Nicht-Erwähnen einer
direkten postalischen Zustellung durch Gerichte den Mitgliedstaaten verbieten
wollte, eine solche zu dulden (vgl. auch Lothar Frank, Die Zustellung im
Ausland, in: Sozialgerichtsbarkeit 4/1988, S. 142 ff., S. 146). Die Frage, ob
Gerichte eine solche direkte postalische Zustellung vornehmen dürfen, ist
vielmehr in den Koordinationsverordnungen weder positiv noch negativ geregelt.
2.2.5 Ist die Frage der direkten postalischen Zustellung von
Gerichtsentscheiden ein Sachgebiet, welches durch das FZA keine Regelung
erfahren hat, so hindert Art. 20 FZA nicht, Art. 32 des Abkommens mit
Deutschland weiter anzuwenden (so auch Jean-Maurice Frésard, in: Commentaire de
la LTF, 2009, N. 20 zu Art. 49 BGG; vgl. im Weiteren Alois Lustenberger/Raymond
Spira, Das Verfahren in zwischenstaatlichen Fällen gemäss Abkommen, in: Erwin
Murer [Hrsg.], Das Personenverkehrsabkommen mit der EU und seine Auswirkungen
auf die soziale Sicherheit der Schweiz, 2001, S. 75 und 89).

2.3 Demnach war die direkte Zustellung des Entscheides gestützt auf Art. 32 des
Abkommens mit Deutschland zulässig.

3.
Gemäss der Bestätigung auf dem Rückschein erfolgte die postalische Zustellung
am 14. Mai 2008. Die dreissigtägige Beschwerdefrist lief somit bis zum 13. Juni
2008. Die am 16. Juni 2008 erfolgte Übergabe der Beschwerdeschrift an das
Schweizerische Generalkonsulat erfolgte demnach verspätet. Der Beschwerdeführer
macht geltend, sein Vertreter habe zum 31. August 2008 (recte wohl 31. August
2007) die bisherige Anwaltskanzlei verlassen und deshalb erst am 16. Mai 2008
Kenntnis vom vorinstanzlichen Entscheid erhalten. Da er jedoch diesen
Kanzleiwechsel dem kantonalen Gericht nicht mitgeteilt hat, wurde die
Beschwerdefrist bereits mit der Zustellung in der ehemaligen Anwaltskanzlei -
welche die Postsendung entgegengenommen hat - ausgelöst. Die Beschwerde
erfolgte demnach verspätet; es ist auf sie nicht einzutreten.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Juli 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Holzer