Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.486/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_486/2008

Urteil vom 22. Dezember 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Parteien
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdeführerin,

gegen

S.________, Beschwerdegegner,
vertreten durch Advokat David Schweizer, Wartenbergstrasse 36, 4127 Birsfelden.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt
vom 6. März 2008.

Sachverhalt:

A.
S.________, geboren 1964, war während Jahren als selbstständiger Maler
erwerbstätig bzw. in den Jahren 2000 und 2001 nichterwerbstätig, bis er ab 1.
Juli 2004 bei der P.________ GmbH, für welche er als Gesellschafter und
Geschäftsführer zeichnete, als Arbeitnehmer tätig wurde. Er erlitt mehrere
Unfälle, bei welchen er sich an der rechten Hand verletzte. Dabei waren die
Ereignisse vom 10. Juli 2004, vom 27. Dezember 2005 und vom 14. April 2006 bei
der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (nachfolgend: SUVA) versichert.
Die SUVA erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Am 28. Oktober 2006 sprach sie
ihm eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 20 % sowie eine
Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 7.5 % zu. Mit
Einspracheentscheid vom 17. April 2007 verneinte sie nach Androhung einer
reformatio in peius den Anspruch auf eine Invalidenrente. Am 25. April 2007
verfügte sie die Rückforderung der bereits ausbezahlten Rentenbetreffnisse in
der Höhe von Fr. 8477.20. Nachdem S.________ hatte Einsprache erheben lassen,
sistierte die SUVA dieses Verfahren.

B.
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt hiess die gegen den
Einspracheentscheid vom 17. April 2007 erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 6.
März 2008 teilweise gut und sprach S.________ ab Oktober 2006 eine
Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 25 % und einem versicherten
Verdienst von Fr. 89'700.- zu. Zudem wies es die SUVA an, die Höhe der
unentgeltlichen Verbeiständung für das Einspracheverfahren festzusetzen.

C.
Die SUVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben. S.________ lässt auf
Abweisung der Beschwerde schliessen; eventualiter sei gemäss seinen Anträgen in
der Beschwerde an das kantonale Gericht zu verfahren, wonach die SUVA
anzuweisen sei, nach Durchführung weiterer Abklärungen die ihm zustehende Rente
und Integritätsentschädigung zuzusprechen. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann die Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin
prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen).
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen
der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und
Art. 105 Abs. 3 BGG). Es kann daher auch eine unvollständige
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz ergänzen, welche für die Anwendung des
materiellen Bundesrechts von rechtserheblicher Bedeutung ist.

2.
Streitig ist das Valideneinkommen. Vor Bundesgericht nicht mehr zu prüfen sind
hingegen der versicherte Verdienst, die zumutbare Arbeitsfähigkeit, das
Invalideneinkommen und der Anspruch auf eine Integritätsentschädigung. Die SUVA
beantragt zwar die vollumfängliche Aufhebung des kantonalen Entscheids, doch in
ihrer Beschwerde macht sie weder Ausführungen über den versicherten Verdienst
noch den Anspruch auf unentgeltliche Verbeiständung für das
Einspracheverfahren, weshalb es diesbezüglich an einer genügenden Begründung
fehlt (Art. 42 Abs. 2 BGG) und darauf nicht eingetreten werden kann. Ebenfalls
nicht Gegenstand dieses Verfahrens bildet die am 25. April 2007 verfügte
Rückforderung.

3.
3.1 Bei erwerbstätigen Versicherten ist der Invaliditätsgrad auf Grund eines
Einkommensvergleichs zu bestimmen. Dazu wird das Erwerbseinkommen, das die
versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der
medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine
ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in
Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht
invalid geworden wäre (Art. 16 ATSG). Der Einkommensvergleich hat in der Regel
in der Weise zu erfolgen, dass die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen
ziffernmässig möglichst genau ermittelt und einander gegenübergestellt werden,
worauf sich aus der Einkommensdifferenz der Invaliditätsgrad bestimmen lässt
(allgemeine Methode des Einkommensvergleichs; BGE 130 V 343 E. 3.4 S. 348, 128
V 29 E. 1 S. 30, je mit Hinweisen).
Was zunächst die Ermittlung des Valideneinkommens anbelangt, ist entscheidend,
was die versicherte Person im Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns nach
dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Gesunde tatsächlich
verdient hätte. Dabei wird in der Regel am zuletzt erzielten, nötigenfalls der
Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst angeknüpft,
da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die bisherige Tätigkeit ohne
Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre. Ausnahmen müssen mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit erstellt sein. Bezog eine versicherte Person aus
invaliditätsfremden Gründen (z.B. geringe Schulbildung, fehlende berufliche
Ausbildung, mangelnde Deutschkenntnisse, beschränkte Anstellungsmöglichkeiten
wegen Saisonnierstatus) ein deutlich unterdurchschnittliches Einkommen, ist
diesem Umstand bei der Invaliditätsbemessung nach Art. 16 ATSG Rechnung zu
tragen, sofern keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie sich aus freien
Stücken mit einem bescheideneren Einkommensniveau begnügen wollte. Nur dadurch
ist der Grundsatz gewahrt, dass die auf invaliditätsfremde Gesichtspunkte
zurückzuführenden Lohneinbussen entweder überhaupt nicht oder aber bei beiden
Vergleichseinkommen gleichmässig zu berücksichtigen sind. Diese
Parallelisierung der Einkommen kann praxisgemäss entweder auf Seiten des
Valideneinkommens durch eine entsprechende Heraufsetzung des effektiv erzielten
Einkommens oder durch Abstellen auf die statistischen Werte oder aber auf
Seiten des Invalideneinkommens durch eine entsprechende Herabsetzung des
statistischen Wertes erfolgen (BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 325 mit Hinweisen).

3.2 Der Versicherte verletzte sich bereits zehn Tage nach Aufnahme seiner
Tätigkeit für die P.________ GmbH am 1. Juli 2004 an der rechten Hand; es
folgten weitere Unfälle, die ebenfalls die rechte Hand betrafen. In der Folge
war er kaum mehr für die P.________ GmbH als Maler tätig (vgl. Aktennotiz vom
7. September 2007 sowie kreisärztlicher Bericht vom 31. August 2006), so dass
für die Ermittlung des Valideneinkommens nicht auf das Einkommen bei der
P.________ GmbH abgestellt werden kann, zumal sich den Akten keine
Lohnvereinbarung entnehmen lässt und die P.________ GmbH auch im Jahr 2007 noch
keinen Lohn für die Zeit ab 2004 abgerechnet hatte (Auszug aus dem
individuellen Konto [nachfolgend: IK] vom 17. Juli 2007). Die Vorinstanz hat
deshalb zu Recht auf die Einkommensverhältnisse vor Aufnahme der Tätigkeit für
die P.________ GmbH abgestellt und festgehalten, dass der Versicherte in den
Jahren vor den versicherten Ereignissen gemäss Eintrag im IK jährlich maximal
ein Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit von Fr. 10'000.- abgerechnet
hat (1999: Fr. 9588.-, 2000 und 2001: Fr. 0.-, 2002: Fr. 9888.- und 2003: Fr.
586.-). Unter Berücksichtigung des Einwands des Versicherten, diese Einkommen
seien zu niedrig, da er über seine Geschäfte unsorgfältig Buch geführt habe,
ist sie zum Schluss gelangt, dass dieser als selbstständiger Maler im Vergleich
zu den Tabellenlöhnen der Lohnstrukturerhebung des Bundes (LSE) ein
unterdurchschnittliches Einkommen erzielt hat und anzunehmen sei, dass er auch
ohne Gesundheitsschaden sich weiterhin mit einem bescheidenen Einkommen begnügt
hätte, obwohl ihm als gelerntem Maler bessere Verdienstmöglichkeiten offen
stehen würden. Dem ist beizupflichten. Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz
jedoch darin, dass sie in der Folge eine Parallelisierung der Einkommen
vorgenommen hat. Denn angesichts des Umstandes, dass der Versicherte aus
invaliditätsfremden Gründen und aus freien Stücken auf die Erzielung eines
durchschnittlichen Einkommens verzichtet hat, ist von einer Parallelisierung
abzusehen (E. 3.1; vgl. auch Urteile 9C_560/2008 vom 12. Dezember 2008, E.
3.4.1 bis 3.4.4, und U 291/05 vom 23. Januar 2006, E. 2.5.2). Es ist demnach
nicht zu beanstanden, dass die SUVA in ihrem Einspracheentscheid vom 17. April
2007 bei der Festsetzung des Valideneinkommens von einem im Vergleich zu den
IK-Auszügen höheren, aber unter den Tabellenwerten der LSE liegenden Einkommen
von Fr. 40'000.- ausgegangen ist. Unter Berücksichtigung des unbestrittenen
Invalideneinkommens von Fr. 43'882.- resultiert kein Anspruch auf eine
Invalidenrente der Unfallversicherung.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat
der Beschwerdegegner die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Angesichts der dargelegten finanziellen Situation ist seinem Begehren auf
unentgeltliche Rechtspflege zu entsprechen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Er hat jedoch
der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, sofern er später dazu in der Lage ist
(Art. 64 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid
des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 6. März 2008 wird insofern
aufgehoben, als damit dem Versicherten eine Invalidenrente der
Unfallversicherung zugesprochen und die Parteientschädigung für das kantonale
Verfahren geregelt wird.

2.
Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Advokat David Schweizer, Birsfelden, wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdegegners bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1000.- ausgerichtet.

5.
Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt wird über die Parteientschädigung
und unentgeltliche Rechtspflege für das kantonale Verfahren gemäss dem Ausgang
des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 22. Dezember 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Riedi Hunold