Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.453/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_453/2008

Urteil vom 12. Dezember 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Frésard,
Gerichtsschreiber Flückiger.

Parteien
B.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl, Poststrasse 22, 9410 Heiden,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
19. März 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a B.________, geboren 1977, war am 21. Dezember 2003 von einem Verkehrsunfall
betroffen. Sie sass auf dem Hintersitz eines vor einem Rotlicht stehenden
Personenwagens, als ein anderes Auto auf dessen Heck auffuhr. Der am Folgetag
aufgesuchte Dr. med. A.________, Allgemeine Medizin FMH, berichtete im
Arztzeugnis UVG vom 22. Januar 2004 über eine Streckhaltung im Bereich der
mittleren Halswirbelsäule (HWS) bei sonst unauffälligen Befunden und
diagnostizierte eine Distorsion HWS. In der Folge wurde die Versicherte am 14.
und 19. Februar 2004 durch Dr. med. C.________, Neurologie FMH, untersucht und
behandelt (Bericht vom 21. Mai 2004). Dr. med. A.________ erklärte am 14. Juni
2004, er habe die Patientin letztmals am 4. Februar 2004 wegen der
HWS-Distorsion gesehen.

Am 23. August 2005 wurde die Versicherte auf Zuweisung von Dr. med. A.________
durch Dr. med. D.________, Neurologie FMH, untersucht. Der Arzt führte aus, die
Beschwerden hätten sich nach dem Unfall unter Physiotherapie gebessert, bis
Beschwerdefreiheit erreicht worden sei. Seit März/April 2005 leide die
Patientin an druckartigen Dauerkopfschmerzen occipital beidseits sowie
Nackenschmerzen, ohne Ausstrahlung in die Arme. Im Vordergrund stünden aktuell
sicher Spannungskopfschmerzen ausgehend von tendomyotischen Beschwerden im
Nackenbereich. Die zusätzlich bekannte Migräne sei zur Zeit wenig aktiv. Die
SUVA als obligatorischer Unfallversicherer holte eine Stellungnahme des
Kreisarztes Dr. med. E.________ vom 5. Oktober 2005 ein. Anschliessend
verneinte sie mit Verfügung vom 6. Oktober 2005 ihre Leistungspflicht für die
erneut aufgetretenen Kopfschmerzen. Daran hielt der Versicherer mit
Einspracheentscheid vom 17. Oktober 2006 fest. Im Verlauf des
Einspracheverfahrens wurde ein Bericht des Dr. med. F.________, Neurologie FMH,
vom 12. Januar 2006 eingereicht.
A.b Am 5. Oktober 2006 erlitt die Versicherte erneut einen Auffahrunfall. Ein
anderer Personenwagen fuhr auf das Heck ihres an vierter Stelle in einer
Kolonne stehenden bzw. in langsamer Fahrt befindlichen Autos auf und schob
dieses in den davor fahrenden Wagen. In der Folge wurden alle fünf Autos
ineinander gedrückt. Die SUVA traf Abklärungen und erbrachte Leistungen in Form
von Taggeldern und Heilbehandlung. Unter anderem veranlasste sie einen
Aufenthalt in der Klinik Y.________ vom 21. November bis 24. Dezember 2006.

Nachdem sich der Heilungsverlauf ungünstig entwickelt hatte, meldete Dr. med.
H.________, Innere Medizin FMH, speziell Rheumakrankheiten, die Versicherte zu
einer stationären Therapie in der Klinik X.________ an (Schreiben vom 21.
September 2007). Nach Einholung einer Stellungnahme des Kreisarztes Dr. med.
G.________ vom 3. Oktober 2007 lehnte es die SUVA jedoch ab, entsprechende
Kostengutsprache zu leisten. Stattdessen nahm sie ihrerseits eine Anmeldung in
der Klinik Z.________ vor. Nachdem die Versicherte Einwände erhoben hatte,
hielt die SUVA mit Schreiben vom 29. Oktober 2007 an ihrem Standpunkt fest.
Gleichzeitig wies sie die Versicherte auf die Mitwirkungspflicht gemäss Art. 43
ATSG hin. Im Verlauf eines anschliessenden Briefwechsels wurde keine Einigung
erzielt.

B.
B.a Die Versicherte liess mit Eingabe vom 19. Januar 2007 Beschwerde gegen den
Einspracheentscheid vom 17. Oktober 2006 erheben. Sie beantragte, die SUVA sei
zu verhalten, für den Unfall vom 21. Dezember 2003 weiterhin Leistungen zu
erbringen; eventuell sei die Sache an die SUVA zurückzuweisen, damit diese nach
Art. 100 UVV verfahre; subeventuell sei das Verfahren bis auf Weiteres zu
sistieren.
B.b Im Zusammenhang mit dem Unfall vom 5. Oktober 2006 liess die Versicherte am
19. November 2007 Rechtsverweigerungsbeschwerde erheben. Sie stellte den
Antrag, die SUVA sei zu verpflichten, "für den ärztlich angeordneten
Rehabilitationsaufenthalt in der Klinik X.________ sofort Kostengutsprache zu
erteilen".
B.c Mit Entscheid vom 19. März 2008 vereinigte das Verwaltungsgericht des
Kantons Thurgau die beiden Verfahren und wies die Beschwerde vom 19. Januar
2007 sowie die Rechtsverweigerungsbeschwerde vom 19. November 2007 ab.

C.
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen.
Sie stellt die Rechtsbegehren, der kantonale Entscheid sei aufzuheben; die
Sache sei bezüglich der Beschwerde vom 19. Januar 2007 mit bestimmten Vorgaben
an das kantonale Gericht zurückzuweisen; bezüglich der vorinstanzlichen
Rechtsverweigerungsbeschwerde vom 19. November 2007 sei die SUVA zu
verpflichten, "für den ärztlich angeordneten Rehabilitationsaufenthalt in der
Klinik X.________ sofort Kostengutsprache zu erteilen".

Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin erhebt verschiedene formellrechtliche Rügen. Diese sind
vorab zu behandeln.

1.1 In der Beschwerdeschrift wird beanstandet, dass das kantonale Gericht die
beiden bei ihm anhängigen Verfahren VV.2007.3 (Leistungsstreitigkeit betreffend
den Unfall vom 21. Dezember 2003) und VV.2007.81 (Rechtsverweigerungsbeschwerde
im Zusammenhang mit dem Unfall vom 5. Oktober 2006) vereinigt hat, ohne den
Parteien vorgängig Gelegenheit zur Stellungnahme zu bieten. Die
Beschwerdeführerin legt jedoch nicht dar, inwiefern dieses Vorgehen auf einer
willkürlichen Anwendung der durch die Vorinstanz genannten kantonalrechtlichen
Bestimmung beruhen sollte. Ebenso wenig wird ausgeführt, warum die
Beschwerdeführerin im Vorgehen des kantonalen Gerichts eine Verletzung ihres
Anspruchs auf rechtliches Gehör erblickt. Auf die Beschwerde kann in diesem
Punkt nicht eingetreten werden.

1.2 Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, ihr Anspruch auf Durchführung
einer öffentlichen mündlichen Verhandlung sei verletzt worden.
1.2.1 Aus den Akten ergibt sich der folgende Verfahrensablauf: Am 19. Januar
2007 erhob die Versicherte Beschwerde gegen den Einspracheentscheid vom 17.
Oktober 2006 (betreffend den Unfall vom 21. Dezember 2003). Das kantonale
Gericht eröffnete das Verfahren VV.2007.3, holte die Vernehmlassung der SUVA
ein und setzte der Beschwerdeführerin Frist, um eine öffentliche Verhandlung zu
verlangen oder eine Replik einzureichen. Die Versicherte liess daraufhin am 31.
Mai 2007 erklären, sie wünsche eine öffentliche mündliche Verhandlung. In der
Folge teilte sie dem Gericht am 13. Juli 2007 mit, es liefen Verhandlungen über
eine Sistierung der laufenden Gerichtsverfahren und man ersuche einstweilen um
formlose Sistierung. Am 8. November 2007 erkundigte sich die Vorinstanz beim
Vertreter der Beschwerdeführerin nach dem Stand der Dinge. Die Versicherte
antwortete mit Schreiben vom 16. November 2007 und liess am 28. November 2007
um Sistierung des Verfahrens bis auf Weiteres, eventuell um Einräumung der
Gelegenheit zur Stellungnahme in der Sache (Replik) ersuchen.

Am 19. November 2007 liess die Versicherte ihre Rechtsverweigerungsbeschwerde
betreffend den Unfall vom 5. Oktober 2006 einreichen (Verfahren VV.2007.81).
Die Vorinstanz führte einen doppelten Schriftenwechsel durch (Beschwerdeantwort
vom 16. Januar 2008; Replik vom 4. Februar 2008; Duplik vom 18. Februar 2008).

Am 19. März 2008 fällte das kantonale Gericht den angefochtenen Entscheid.
1.2.2 Aus dem geschilderten Ablauf ergibt sich, dass die Versicherte am 31. Mai
2007 die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verlangte. In der Folge
kam sie jedoch nicht mehr auf diesen Antrag zurück und ersuchte stattdessen mit
ihrer Eingabe vom 28. November 2007 für den Fall der Abweisung des
Sistierungsgesuchs um Gelegenheit zur Erstattung einer Replik. Wenn das
kantonale Gericht diese Zuschrift als Rückzug des ursprünglich gestellten
Antrags um Durchführung einer öffentlichen Verhandlung interpretierte, lässt
sich dies ebenso wenig beanstanden wie der anschliessende Verzicht auf einen
zweiten Schriftenwechsel. Letzteres Vorgehen war unter dem Aspekt des
rechtlichen Gehörs zulässig, da die Beschwerdeantwort der SUVA keine neuen
rechtlichen oder tatsächlichen Begründungselemente enthielt, mit welchen nicht
gerechnet werden musste (SVR 1995 AHV Nr. 65 S. 196 E. 2b mit Hinweisen, H 152/
94; Urteil 8C_167/2007 vom 8. April 2008, E. 1.2). Zudem war es mit Blick auf
die bundesrechtliche Vorgabe eines einfachen und raschen Verfahrens (Art. 61
lit. a ATSG) geboten, weitere Verzögerungen zu vermeiden. Der Verzicht auf die
Durchführung einer öffentlichen Verhandlung lässt sich auch deshalb vertreten,
weil die Beurteilung im konkreten Fall nicht vom persönlichen Eindruck der
Partei, sondern in erster Linie von den Akten abhängt (vgl. Urteil 9C_555/2007
vom 6. Mai 2008, E. 3.3.2).

1.3 Den Sistierungsantrag vom 28. November 2007 hat die Vorinstanz sinngemäss
im Rahmen des Endentscheids abgewiesen. Dieses Vorgehen ist zulässig. Wie
dargelegt, bestand kein Anspruch auf Durchführung eines zweiten
Schriftenwechsels. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, ihr sei die
Einreichung einer Replik verunmöglicht worden, verfängt deshalb nicht.

2.
In Bezug auf den Unfall vom 21. Dezember 2003 verneinte die Vorinstanz eine
Leistungspflicht der SUVA für die geltend gemachten, ab März/April 2005
aufgetretenen Beschwerden. Zur Begründung erklärte das kantonale Gericht, das
Bestehen eines natürlichen Kausalzusammenhangs sei mehr als zweifelhaft. Mit
Sicherheit fehle es aber an der adäquaten Kausalität. In der Beschwerdeschrift
werden keine Einwände gegen diese Betrachtungsweise vorgebracht. Auch mit Blick
auf die Akten erscheint die vorinstanzliche Beurteilung als korrekt. Die
Beschwerde ist in diesem Punkt ebenfalls unbegründet.

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin erblickt in der Weigerung der SUVA, für den
Rehabilitationsaufenthalt in der Klinik X.________ Kostengutsprache zu leisten,
eine Rechtsverweigerung. In der Beschwerdeschrift wird weiter ausgeführt, die
SUVA versuche ihr Vorgehen zu rechtfertigen, indem sie behaupte, es gehe nicht
um Behandlung, sondern um Abklärung, und für eine solche sei die Klinik
Z.________ besser geeignet. Dies sei aber nachweislich falsch, denn die Klinik
Z.________ sei keine Abklärungsstelle, sondern eine Rehabilitationsklinik. Die
Wahl der Heilanstalt stehe gemäss Art. 68 Abs. 3 UVV der versicherten Person
zu.

3.2 Die SUVA wies im vorinstanzlichen Verfahren darauf hin, dass sie am 14.
Dezember 2007 Kostengutsprache für die ambulante Behandlung und einen kurzen
Abklärungsaufenthalt in der Klinik X.________ geleistet habe. Zudem sei eine
Rechtsverweigerungsbeschwerde in grundsätzlicher Hinsicht nicht das gegebene
Rechtsmittel, um den geltend gemachten Anspruch einzufordern. Überdies liege
die Verfahrenshoheit (analog zu Gutachten) beim Unfallversicherer.

3.3 Gemäss Art. 56 Abs. 2 ATSG kann Beschwerde erhoben werden, wenn der
Versicherungsträger entgegen dem Begehren der betroffenen Person keine
Verfügung oder keinen Einspracheentscheid erlässt. Das mit einer
Rechtsverweigerungsbeschwerde verfolgte rechtlich geschützte Interesse besteht
darin, einen an eine gerichtliche Beschwerdeinstanz weiterziehbaren Entscheid
zu erhalten (Urteil 8C_738/2007 vom 26. März 2008, E. 2; vgl. BGE 131 V 407 E.
1.1 S. 410). Nach der Rechtsprechung hat der Sozialversicherer über Leistungen
grundsätzlich mittels Verfügung zu entscheiden (Art. 49 Abs. 1 ATSG), während
der Anordnung bestimmter Abklärungsmassnahmen prinzipiell kein
Verfügungscharakter zukommt (BGE 132 V 93 E. 5.2 S. 100 f.). Wie aus dem
Wortlaut von Art. 56 Abs. 2 ATSG ("entgegen dem Begehren") hervorgeht, setzt
eine begründete Rechtsverweigerungsbeschwerde regelmässig voraus, dass die
betroffene Person den Erlass einer Verfügung verlangt hat. Im vorliegenden Fall
liess die Versicherte zwar am 26. Oktober 2007 ein Gesuch um Kostengutsprache
für den Aufenthalt in der Klinik X.________ stellen. Einen Entscheid in
Verfügungsform verlangte sie jedoch nicht. Unter diesen Umständen liegt keine
Rechtsverweigerung vor, und dies unabhängig davon, ob der Aufenthalt als
Heilbehandlungsleistung oder als Abklärungsmassnahme zu gelten hat. Damit kann
offen bleiben, ob die Beschwerde durch die am 14. Dezember 2007 erfolgte
Kostengutsprache gegenstandslos geworden wäre sowie ob die Voraussetzungen für
die vom kantonalen Gericht vorgenommene Ausdehnung des Streitgegenstandes (vgl.
dazu BGE 122 V 34 E. 2a S. 36 mit Hinweisen; Urteil K 39/03 vom 29. Dezember
2003, E. 2.2) auf die Frage, welche Klinik besser geeignet erscheine, erfüllt
waren. Die Beschwerde ist auch insoweit abzuweisen.

4.
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin als der unterliegenden Partei
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 12. Dezember 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung i.V. Holzer