Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.449/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_449/2008

Urteil vom 16. Dezember 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.

Parteien
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Berner Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not, Eigerplatz 5, 3007 Bern,

gegen

GastroSocial Ausgleichskasse,
Heinerich Wirri-Strasse 3, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Kantonale Familienzulagen,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 23. April 2008.

Sachverhalt:

A.
A.________, geboren 1972, stammt aus der Volksrepublik China. Er reiste am 29.
September 2002 in die Schweiz ein und ersuchte um Asyl. Am 11. April 2006 zog
das Bundesamt für Migration (nachfolgend: BFM) seine Verfügung vom 30. Juni
2004 in Wiedererwägung und nahm A.________ als Flüchtling vorläufig auf.
A.________ war vom 1. November 2005 bis 31. März 2007 als Mitarbeiter im
Restaurant K.________ angestellt. Am 4. Dezember 2006 bewilligte das BFM seiner
Ehefrau und seinen beiden Söhnen (geboren 1997 und 2000) die Einreise in die
Schweiz zwecks Familienvereinigung. Diese erfolgte am 19. Januar 2007. Mit
Verfügung vom 5. November 2007 lehnte die GastroSocial Ausgleichskasse
(nachfolgend: Ausgleichskasse) seinen Anspruch auf Kinderzulagen für die Zeit
vom 1. November 2005 bis 18. Januar 2007 ab, sprach ihm hingegen vom 19. Januar
bis 31. März 2007 Kinderzulagen zu.

B.
Mit Entscheid vom 23. April 2008 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
die hiegegen erhobene Beschwerde ab.

C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und die Ausgleichskasse
sei zu verpflichten, ihm die Kinderzulagen auch für die Zeit vom 1. November
2005 bis 18. Januar 2007 zuzüglich Verzugszins auszurichten. Zudem ersucht er
um unentgeltliche Rechtspflege. Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Beschwerde. Das BFM beantragt die teilweise Gutheissung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit a BGG). Soweit sich der
angefochtene Entscheid auf Quellen des kantonalen Rechts stützt, welche nicht
in Art. 95 lit. c-e BGG genannt werden, beschränkt sich die Überprüfung durch
das Bundesgericht demgegenüber thematisch auf die erhobenen und begründeten
Rügen (Art. 106 Abs. 2 BGG) und inhaltlich auf die Frage, ob die Anwendung des
kantonalen Rechts zu einer Bundesrechtswidrigkeit führt. Im Vordergrund steht
dabei eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte, insbesondere des
Willkürverbots nach Art. 9 BV. Was die Feststellung des Sachverhalts anbelangt,
kann gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG nur gerügt werden, diese sei offensichtlich
unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung nach Art. 95 (BGE 133 I 201 E.
1 S. 203 mit Hinweisen).

2.
Die Vorinstanz bestätigte die Ablehnung des Anspruchs auf Kinderzulagen durch
die Ausgleichskasse, da der Beschwerdeführer als Staatsbürger der Volksrepublik
China nach Art. 1 Abs. 5 des kantonalen Gesetzes über Kinderzulagen für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom 5. März 1961 (BAG 832.71; nachfolgend:
KZG) nur dann Anspruch auf Kinderzulagen habe, wenn er mit seinen Kindern in
der Schweiz wohne oder sich auf ein Sozialversicherungsabkommen berufen könne.
Art. 84 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (SR 142.31; nachfolgend: AsylG)
stelle keine Anspruchsgrundlage dar, sondern regle lediglich die
Auszahlungsmodalitäten resp. die Fälligkeit; ob ein Anspruch bestehe, richte
sich aber nach kantonalem Recht.
Vor Bundesgericht beruft sich der Beschwerdeführer nicht mehr auf Art. 84
AsylG. Er rügt hingegen, die Ausgleichskasse hätte ihm angesichts seiner
Rechtsstellung als anerkannter Flüchtling Kinderzulagen wie einem
schweizerischen oder privilegierten ausländischen Arbeitnehmer zusprechen
müssen und die kantonale Regelung missachte das verfassungsmässige Gebot der
Rechtsgleichheit sowie Völkerrecht, indem sie die besondere Rechtsstellung der
Flüchtlinge nicht berücksichtige.

3.
Art. 59 AsylG besagt, dass Personen, denen die Schweiz Asyl gewährt hat oder
die als Flüchtlinge vorläufig aufgenommen wurden, gegenüber allen
eidgenössischen und kantonalen Behörden als Flüchtlinge im Sinne des
Asylgesetzes sowie des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom
28. Juli 1951 (SR 0.142.30; nachfolgend: Flüchtlingskonvention) gelten. Gemäss
Art. 24 Ziff. 1 der Flüchtlingskonvention gewähren die vertragsschliessenden
Staaten den auf ihrem Gebiet rechtmässig sich aufhaltenden Flüchtlingen die
gleiche Behandlung wie Einheimischen mit Bezug u.a. auf die Entlöhnung mit
Einschluss der Familienzulagen, die Bestandteil des Lohnes sind (lit. a), und
auf die soziale Sicherheit, einschliesslich der gesetzlichen Bestimmungen über
Familienlasten, sofern diese Leistungen nicht ausschliesslich aus öffentlichen
Mitteln vorgesehen sind (lit. b). Nach der Rechtsprechung kommt eine Person
erst dann in den vollen Genuss der erweiterten Konventionsrechte, wenn der
Staat nach Massgabe seines nationalen Rechts sie als Flüchtling anerkannt hat;
zu diesen Konventionsrechten gehören namentlich die Ausgestaltung der Fürsorge,
der sozialen Sicherheit und der Arbeitsgesetzgebung nach Art. 23 und 24 der
Flüchtlingskonvention (VPB 1999 Nr. 3 S. 32 E. 11 mit Hinweisen).

4.
Der Beschwerdeführer ist vorläufig aufgenommener Flüchtling und hat deshalb
gegenüber allen kantonalen und Bundesbehörden dieselbe Rechtsstellung wie eine
Person mit Schweizer Bürgerrecht (Art. 59 AsylG). Diese Gleichstellung gilt
kraft internationalem Recht ausdrücklich auch für den hier strittigen Bereich
der Familienzulagen (Art. 24 Ziff. 1 lit. a Flüchtlingskonvention; vgl. etwa
zum Bereich der Krankenversicherung RKUV 2005 Nr. KV 315 S. 25 [K 22/04 vom 22.
Oktober 2004] und zum Bereich der Arbeitslosenversicherung ARV 1981 Nr. 12 S.
53). Allerdings gilt sie nicht rückwirkend auf den Tag der Einreise in die
Schweiz oder den Tag der Erfüllung des Flüchtlingsbegriffs, sondern erst mit
der Anerkennung als Flüchtling durch die Behörden. Dies bedeutet, dass der
Beschwerdeführer von den eidgenössischen und kantonalen Behörden seit Erlass
der Verfügung vom 11. April 2006 wie eine Person mit Schweizer Bürgerrecht zu
behandeln ist und auch dieselben Ansprüche wie eine Person mit Schweizer
Bürgerrecht hat. Abs. 5 von Art. 1 KZG ist somit auf ihn nicht anwendbar, und
es ist unzulässig, wenn Verwaltung und Vorinstanz ihm für die Zeit vom 11.
April 2006 bis 18. Januar 2007 Kinderzulagen absprechen, weil er eine
ausländische Staatsbürgerschaft besitzt. Demnach sind die Verfügung vom 5.
November 2007 sowie der kantonale Entscheid vom 23. April 2008 aufzuheben und
die Sache ist an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit sie den Anspruch des
Beschwerdeführers auf Kinderzulagen ab 11. April 2006 prüfe, wie wenn dieser
das Schweizer Bürgerrecht besitzen würde.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Ausgleichskasse hat als unterliegende
Partei die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdeführer
steht bei diesem Prozessausgang eine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 2
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern vom 23. April 2008 und die Verfügung der GastroSocial
Ausgleichskasse vom 5. November 2007 werden aufgehoben. Die Sache wird an die
GastroSocial Ausgleichskasse zurückgewiesen, damit sie den Anspruch auf
Kinderzulagen im Sinne der Erwägungen neu festsetze.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und
dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. Dezember 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Riedi Hunold