Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.436/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_436/2008

Urteil vom 29. April 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Grunder.

Parteien
B.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Rudolf Sutter,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
19. November 2008.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die 1953 geborene B.________ meldete sich am 2. März 2004 wegen erhöhtem
Blutdruck, Diabetes, Arthrose, Übergewicht und Sehschwäche zum Leistungsbezug
bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Thurgau holte u.a.
ein polydisziplinäres Gutachten der Medizinischen Begutachtungsstelle des
Medizinischen Zentrums X.________ vom 6. Juli 2005 ein und verneinte mit in
Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 19. Juli 2005 einen Leistungsanspruch
mangels gesundheitlich bedingter Einschränkung der Arbeitsfähigkeit im
angestammten Beruf als Näherin.

A.b. Am 26. März 2007 liess B.________ durch den behandelnden Hausarzt, Dr.
med. G.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, um Neubeurteilung der
Arbeitsfähigkeit ersuchen. Auf eine Aufforderung der IV-Stelle hin, die geltend
gemachte Verschlechterung des Gesundheitszustandes glaubhaft zu begründen,
liess die Versicherte einen Bericht des Dr. med. E.________, Facharzt für
Neurologie, vom 10. Juli 2007, und nach Erlass des Vorbescheids vom 14. März
2008 weitere ärztliche Stellungnahmen (des Dr. med. E.________ vom 26. Mai 2008
sowie des Dr. med. S.________, Allgemeinarzt, vom 29. Mai 2008) auflegen. Mit
Verfügung vom 5. Juni 2008 trat die Verwaltung auf das Neuanmeldegesuch mangels
glaubhaft gemachter veränderter tatsächlicher Verhältnisse nicht ein.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau ab (Entscheid vom 19. November 2008).

C.
Mit Beschwerde lässt B.________ beantragen, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei die Sache an die IV-Stelle zur materiellen
Prüfung des Leistungsanspruchs zurückzuweisen.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn
die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393
zur auch unter der Herrschaft des BGG gültigen Abgrenzung von Tat- und
Rechtsfragen im Bereich der Invaliditätsbemessung).

2.
Die Vorinstanz hat die Bestimmung über die hinsichtlich der Prüfung eines
Revisionsgesuchs vorausgesetzte Glaubhaftmachung einer anspruchserheblichen
Tatsachenänderung (Art. 87 Abs. 3 IVV), welche auch bei einer Neuanmeldung nach
vorangegangener Rentenverweigerung zu beachten ist (Art. 87 Abs. 4 IVV),
zutreffend dargelegt. Gleiches gilt für die Ausführungen zu den von der Praxis
entwickelten Grundsätzen für die Bestimmung der in zeitlicher Hinsicht
massgebenden Vergleichsbasis (vgl. auch BGE 130 V 71 E. 3.2.3 S. 75; 109 V 262
E. 4a S. 265). Darauf wird verwiesen.

3.
Nach der Rechtsprechung zur Rechtslage in Bezug auf das IV-rechtliche
Verwaltungsverfahren, wie sie bis In-Kraft-Treten des ATSG am 1. Januar 2003
galt, hatten die Gerichte grundsätzlich ihrer beschwerdeweisen Überprüfung
einer Nichteintretensverfügung auf eine Neuanmeldung hin den Sachverhalt zu
Grunde zu legen, der sich der Verwaltung im Zeitpunkt der Verfügung darbot (BGE
130 V 64 E. 5.2.5 in fine S. 69). Mit der am 1. Juli 2006 in Kraft gesetzten 4.
IV-Revision wurde das mit dem ATSG eingeführte Einspracheverfahren wieder
abgeschafft, weshalb die zitierte Praxis hier ohne Weiteres anwendbar ist.
Nachdem die IV-Stelle die im Vorbescheidverfahren aufgelegten medizinischen
Berichte in der Begründung der Nichteintretensverfügung vom 5. Juni 2008
einbezogen hat (vgl. hiezu Urteil I 619/04 vom 10. Februar 2005 E. 2.2 in
fine), hat das kantonale Gericht diese bei der Beurteilung der Frage, ob
veränderte tatsächliche Verhältnisse glaubhaft gemacht worden sind, zu Recht
berücksichtigt.

4.
4.1 Es ist unbestritten, dass zu den im Gutachten des Medizinischen Zentrums
X.________ vom 6. Juli 2005 diagnostizierten Beschwerden (Gonarthrose beidseits
rechtsbetont; lumbovertebrales Schmerzsyndrom bei degenerativen Veränderungen;
metabolisches Syndrom bei Diabetes mellitus Typ II, Hypertonie und familiär
bedingter Adipositas; leichte depressive Episode; psychosoziale
Belastungssituation; Varicosis) keine neuen Leiden hinzugekommen sind. Die
Beschwerdeführerin macht aber geltend, laut ärztlichen Stellungnahmen sei eine
deutliche Verschlechterung des Beschwerdebildes eingetreten; die Vorinstanz
habe an das Glaubhaftmachen dieser Tatsachenänderung überhöhte Anforderungen
gestellt.

4.2 Nach der Rechtsprechung sind die Beweisanforderungen an das Glaubhaftmachen
im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV herabgesetzt. Es genügt, dass für den geltend
gemachten rechtserheblichen Sachumstand wenigstens gewisse Anhaltspunkte
bestehen, auch wenn durchaus noch mit der Möglichkeit zu rechnen ist, bei
eingehender Abklärung werde sich die behauptete Sachverhaltsänderung nicht
erstellen lassen (Urteil I 460/01 vom 18. Februar 2003 E. 3.2 mit Hinweisen).
Bei der Prüfung des Glaubhaftmachens kann der zeitliche Abstand zwischen
Ablehnungsverfügung und Neuanmeldegesuch entscheidend sein (vgl. BGE 130 V 64
E. 6.2 S. 70 mit Hinweis auf das zitierte Urteil I 460/01 E. 4.1).

4.3 Die Vorinstanz hat die vorhandenen ärztlichen Unterlagen in Bezug auf den
massgebenden, bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Nichteintretensverfügung vom
5. Juni 2008 eingetretenen Sachverhalt (vgl. BGE 131 V 242 E. 2.1 S. 234 mit
Hinweisen) einlässlich gewürdigt. Nach ihren für das Bundesgericht
verbindlichen Feststellungen hält Dr. med. G.________ im Neuanmeldegesuch vom
26. März 2007 nicht eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes fest,
sondern beanstandet die Einschätzung der Arbeitsfähigkeit der Gutachter des
Medizinischen Zentrums X.________ (Expertise vom 6. Juli 2005), was
revisionsrechtlich nicht erheblich ist. Den Ausführungen des Dr. med.
E.________ vom 10. Juli 2007 und 26. Mai 2008 folgend beruht die depressive
Störung wie schon im Gutachten des Medizinischen Zentrums X.________ vom 6.
Juli 2005 hauptsächlich auf soziokulturellen und familiären Belastungen,
weshalb in dieser Hinsicht kein invalidisierender Gesundheitsschaden im
Rechtssinne vorliegen kann. Schliesslich begründet Dr. med. S.________ im
Bericht vom 29. Mai 2008 die Verschlechterung des Gesundheitszustands vor allem
mit einer Chronifizierung diffuser Schmerzen, wodurch ebenfalls keine
Veränderung eines invalidisierenden Gesundheitszustandes glaubhaft gemacht
wird. Insgesamt ist aufgrund der Feststellungen im angefochtenen Entscheid
nicht ersichtlich, inwiefern das kantonale Gericht in Bestätigung der Verfügung
vom 5. Juni 2008 an das Glaubhaftmachen einer Tatsachenänderung im Rahmen der
Neuanmeldung gemäss Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 IVV überhöhte
Anforderungen gestellt hat.

5.
Die Beschwerdeführerin hat als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. April 2009

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Grunder