Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.425/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_425/2008

Urteil vom 20. Januar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiber Lanz.

Parteien
B.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urban Bieri,
Ober-Emmenweid 46, 6020 Emmenbrücke,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 17. April 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1946 geborene B.________ bezog vom 1. Juli 1997 bis 30. September 1998 eine
befristete ganze Rente der Invalidenversicherung. Auf erneute Anmeldung vom
Juni 2000 hin sprach ihm die IV-Stelle Luzern mit Verfügung vom 1. Juni 2001
rückwirkend ab 1. Juni 1999 bei einem Invaliditätsgrad von 44 % eine
Viertelsrente zu. Sie stützte sich dabei in medizinischer Hinsicht auf das
Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts X.________ vom 17. Oktober
2000. Dieses erklärte aufgrund einer Pathologie im unteren Wirbelsäulenbereich
die frühere Tätigkeit eines Maschinenführers als ungünstig und bestätigte für
behinderungsgerechte Verrichtungen eine Restarbeitsfähigkeit von 80 %. Die
Verfügung vom 1. Juni 2001 wurde mit rechtskräftigem Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 22. Oktober 2001 bestätigt.
Im Februar 2003 ersuchte B.________ mit der Begründung, es sei eine
gesundheitliche Verschlechterung eingetreten, um Erhöhung der Rente. Dies
lehnte die IV-Stelle nach medizinischen Abklärungen mit Verfügung vom 11. Mai
2004 ab. Auf Einsprache hin holte die Verwaltung weitere Arztberichte, worunter
das Gutachten des Dr. med. M.________, Spezialarzt FMH für Physikalische
Medizin und Rehabilitation, speziell Rheumaerkrankungen, vom 9. Juni 2006 (mit
undatierter, am 26. September 2006 bei der Verwaltung eingegangener Korrektur),
ein. Mit Entscheid vom 29. September 2006 wies die IV-Stelle die Einsprache mit
der Begründung ab, es sei weder eine gesundheitliche Verschlechterung noch eine
Änderung der erwerblichen Situation eingetreten.

B.
B.________ erhob Beschwerde mit dem Antrag auf Zusprechung einer ganzen
Invalidenrente. Er machte eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die
Verwaltung geltend und erhob überdies materielle Einwände. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern gewährte ihm die unentgeltliche
Rechtspflege und wies die Beschwerde mit Entscheid vom 17. April 2008 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt B.________ die
Aufhebung des kantonalen Entscheides beantragen.

Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zur
Sache zu äussern. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2 Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist aufgrund der Vorbringen in der
Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene kantonale
Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und
beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht, Völkerrecht oder kantonale
verfassungsmässige Rechte verletzt (Art. 95 lit. a-c BGG), einschliesslich
einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1,
Art. 105 Abs. 2 BGG). Hingegen hat unter der Herrschaft des BGG eine freie
Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheids in tatsächlicher Hinsicht zu
unterbleiben, ausser wenn sich die Beschwerde gegen einen Entscheid über die
Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder
Unfallversicherung richtet (Art. 97 Abs. 2 BGG). Zur auch unter der Geltung des
BGG massgebenden Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen im Bereich der
Invaliditätsbemessung wird auf BGE 132 V 393 verwiesen.

2.
Die massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze sind im angefochtenen Entscheid
und im Einspracheentscheid, auf den die Vorinstanz verweist, zutreffend
dargelegt. Es betrifft dies nebst dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29
Abs. 2 BV; Art. 42 ATSG) den Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG in
Verbindung mit Art. 8 ATSG), den Rentenanspruch nach Massgabe des
Invaliditätsgrades (Art. 28 Abs. 1 IVG in den vor und ab 2004 gültig gewesenen
Fassungen), die Bestimmung des Invaliditätsgrades mittels Einkommensvergleich
(Art. 16 ATSG), die revisionsweise Erhöhung, Herabsetzung oder Aufhebung der
Rente bei erheblicher Änderung des Invaliditätsgrades (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE
130 V 343 E. 3.5 S. 349 ff. mit Hinweisen) mit den dabei in zeitlicher Hinsicht
zu vergleichenden Sachverhalten (BGE 133 V 108; vgl. auch BGE 130 V 64 E. 2 S.
66 mit Hinweis und 71 E. 3.1 S. 73 ff. mit Hinweisen) sowie die Anforderungen
an beweiswertige ärztliche Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352
mit Hinweis; vgl. auch BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Wie das kantonale Gericht
ebenfalls zutreffend erwogen hat, sind die mit der 5. IV-Revision am 1. Januar
2008 in Kraft getretenen Rechtsänderungen intertemporalrechtlich nicht
anwendbar.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob im Zeitraum zwischen der auf Zusprechung einer
Viertelsrente lautenden Verfügung vom 1. Juni 2001 und dem Einspracheentscheid
vom 29. September 2006 eine erhebliche Änderung des Invaliditätsgrades
eingetreten ist, welche eine revisionsweise Erhöhung der Rente rechtfertigt.
Dabei steht letztinstanzlich einzig eine Änderung infolge wesentlicher
Verschlechterung des Gesundheitszustandes zur Diskussion.
Das kantonale Gericht hat eine solche Verschlechterung verneint. Es stützt sich
dabei auf das Gutachten des Dr. med. M.________ vom 9. Juni 2006 (mit
nachträglicher Korrektur). Danach ist gegenüber den Befunden, welche mit
Expertise des medizinischen Begutachtungsinstituts X.________ vom 17. Oktober
2000 erhoben und der Rentenverfügung vom 1. Juni 2001 zugrunde gelegt worden
waren, aus orthopädisch-rheumatologischer wie auch aus radiologischer Sicht
objektiv keine massive Änderung eingetreten. Dasselbe gilt gemäss Dr. med.
M.________ bezüglich der gegebenen Restarbeitsfähigkeit von 80 % in einer
behinderungsangepassten Tätigkeit.
Der Beschwerdeführer beanstandet erneut, die Verwaltung habe seinen Anspruch
auf rechtliches Gehör verletzt. Er äussert sich sodann zur Frage der
erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung, welche er bejaht.

4.
Der Einwand betreffend Gehörsverletzung ist aufgrund seiner formellen Natur
vorab zu prüfen. Ihm liegt zugrunde, dass die Verwaltung dem Beschwerdeführer
im Einspracheverfahren die ihr am 26. September 2006 zugegangene Korrektur des
Gutachtens des Dr. med. M.________ nicht zur Kenntnis gebracht hat, womit ihm
auch eine Stellungnahme verwehrt blieb.

4.1 Das kantonale Gericht ist zum Ergebnis gelangt, zwar liege eine Verletzung
des rechtlichen Gehörs durch Nichtgewährung des Akteneinsichtsrechts vor. Diese
werde aber im kantonalen Verfahren geheilt, zumal mit voller gerichtlicher
Überprüfungsbefugnis zu entscheiden sei und sich der Beschwerdeführer habe
äussern können. Die Heilung des Verfahrensmangels sei auch aus verfahrens- und
prozessökonomischer Sicht angezeigt. Denn die Verwaltung würde kaum zu einem
anderen Entscheid gelangen, nachdem sie vernehmlassungsweise die Abweisung der
Beschwerde beantragt habe.

4.2 Diese Beurteilung ist im Lichte der Rechtsprechung (vgl. BGE 132 V 387 E. 5
S. 390 f. mit Hinweisen) nicht zu beanstanden. Daran vermögen sämtliche
Vorbringen in der Beschwerde nichts zu ändern.
Dies betrifft auch den Einwand, es sei dem Versicherten verwehrt gewesen, dem
Experten Ergänzungsfragen, konkret zur Aussage betreffend massive Veränderung
zu stellen: Der Beschwerdeführer hat von der Verwaltung die Gelegenheit
erhalten, zum Gutachten vom 9. Juni Stellung zu nehmen. Er hat davon am 15.
September 2006 Gebrauch gemacht, ohne Ergänzungsfragen, etwa zu der im
Gutachten enthaltenen Aussage betreffend massive Veränderung, zu stellen. Was
sodann die am 26. September 2006 bei der Verwaltung eingegangene Korrektur des
Gutachtens betrifft, gilt Folgendes: Der Experte korrigierte dabei lediglich
die prozentualen Angaben zur Restarbeitsfähigkeit, wobei er zur Begründung
Tippfehler im Originalgutachten angab. Zu dieser Korrektur konnte der
Versicherte im kantonalen Verfahren Stellung nehmen. Es wird nicht geltend
gemacht, dass die Korrektur noch Anlass für irgendwelche Ergänzungsfragen an
den Experten gegeben hätte. Die vorinstanzliche Beurteilung, wonach das
rechtliche Gehör geheilt worden sei, hält daher auch diesbezüglich stand.

5.
Das kantonale Gericht hat eingehend begründet, weshalb es das Gutachten des Dr.
med. M.________ auch inhaltlich als verlässliche Grundlage für die Beurteilung
der Frage einer gesundheitlichen Verschlechterung betrachtet.
Die Vorbringen in der Beschwerde vermögen nicht, diese Beurteilung als
offensichtlich unrichtig oder in anderer Weise bundesrechtswidrig erscheinen zu
lassen. Zwar trifft zu, dass Dr. med. M.________ im Gutachten vom 9. Juni 2006
einerseits angibt, die Akten der IV-Stelle erhalten zu haben, sich aber
anderseits nicht mit den der Verwaltung erstatteten Berichten der Frau Dr. med.
W.________, Rheumatologie FMH, auseinandersetzt. Die Vorinstanz hat indessen
dargelegt, weshalb sie die Aussagen des Dr. med. M.________ für überzeugender
ansieht als diejenigen der Frau Dr. med. W.________, soweit sich diese anders
zu Gesundheitszustand und Restarbeitsfähigkeit äussert. Diese Beweiswürdigung
ist im Rahmen der bundesgerichtlichen Überprüfungsbefugnis nicht zu
beanstanden. Gleiches gilt, soweit das kantonale Gericht erwogen hat, die
Ergebnisse der bildgebenden Untersuchungen, auf welche Dr. med. M.________ und
Frau Dr. med. W.________ Bezug genommen haben, wiesen ebenfalls keine
erheblichen Veränderungen aus. Es kann im Übrigen auf die Erwägungen im
angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Die Beschwerde ist damit in allen
Teilen unbegründet.

6.
Die Kosten des Verfahrens sind vom unterliegenden Beschwerdeführer zu tragen
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem
Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. Januar 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:

Leuzinger Lanz