Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.424/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_424/2008

Urteil vom 16. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Frésard,
Gerichtsschreiber Lanz.

Parteien
H.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Marcus Andreas
Sartorius, Bälliz 32, 3600 Thun,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 17.
April 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1969 geborene H.________ meldete sich am 27. Oktober 2005, Eingang am 1.
November 2005, bei der Invalidenversicherung für eine Umschulung an. Nach
verschiedenen Sachverhaltsabklärungen und Durchführung des
Vorbescheidsverfahrens eröffnete ihm die IV-Stelle Bern mit Verfügung vom 25.
September 2007, es bestehe kein Anspruch auf eine Invalidenrente. Gemäss dem
polydisziplinären medizinischen Gutachten des Instituts X.________, vom 25.
Juni 2007 bestehe für leidensadaptierte Tätigkeiten seit Oktober 2004 eine
Arbeitsfähigkeit von 80 %; der darauf gestützte Einkommensvergleich ergebe
einen nicht rentenbegründenden Invaliditätsgrad von 35 %.

B.
H.________ erhob beim Verwaltungsgericht Bern Beschwerde. Er beantragte, die
Verfügung vom 25. September 2007 sei aufzuheben. Es sei eine ganze
Invalidenrente ab 1. Oktober 2005 zuzusprechen; eventuell sei die IV-Stelle zu
verpflichten, berufliche/medizinische Massnahmen zu gewähren. H.________
kündigte dabei an, einen Bericht der Psychiatrie Y.________ nachzureichen.
Nachdem die IV-Stelle ihre Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde
eingereicht hatte, setzte das Verwaltungsgericht H.________ eine Frist, um den
in Aussicht gestellten Bericht der Psychiatrie Y.________ aufzulegen.
Fristgerecht reichte H.________ den Psychiatrie Y.________-Bericht vom 28.
November 2007 ein. Das Verwaltungsgericht gab der IV-Stelle Gelegenheit, sich
dazu zu äussern. Davon machte die Verwaltung mit Stellungnahme vom 4. Februar
2008 Gebrauch, wobei sie sich auf eine beigelegte Ärztliche Beurteilung des
Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 23. Januar 2008 stützte. Am 17. April
2008 fällte das Verwaltungsgericht folgenden Entscheid:
"1. Die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 4. Februar 2008 samt
RAD-Bericht wird dem Beschwerdeführer zur Kenntnisnahme zugestellt.
2. Die Beschwerde wird abgewiesen."
Das Gericht auferlegte dem Beschwerdeführer sodann die Gerichtskosten von Fr.
700.-; eine Parteientschädigung sprach es nicht zu.

C.
H.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und den
vorinstanzlich im Hauptpunkt und eventualiter gestellten Leistungsbegehren zu
entsprechen; eventuell sei die Sache in Aufhebung des kantonalen Entscheides
zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zu
äussern. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) schliesst in seiner
Vernehmlassung ebenfalls, die Beschwerde sei abzuweisen.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer erhebt formelle Rügen. Diese sind, obschon zur Begründung
des Eventualantrages vorgebracht, vorab zu behandeln. Geltend gemacht wird, die
Vorinstanz habe den Anspruch des Versicherten auf rechtliches Gehör verletzt:
Zum einen sei dies im Zusammenhang mit dem RAD-Bericht vom 23. Januar 2008
geschehen. Zum anderen habe das kantonale Gericht im angefochtenen Entscheid
die Begründungspflicht verletzt.

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat dem Beschwerdeführer die Ärztliche Beurteilung
des RAD vom 23. Januar 2008 zusammen mit der Stellungnahme der IV-Stelle vom 4.
Februar 2008 zum Bericht der Psychiatrie Y.________ vom 28. November 2007 erst
mit dem hier angefochtenen Entscheid zur Kenntnis zugestellt. Der Versicherte
konnte sich deswegen vor der Entscheidfällung durch das kantonale Gericht nicht
mehr zur Ärztlichen Beurteilung des RAD äussern. Er sieht darin eine Verletzung
seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Demgegenüber verneint das BSV einen solchen formellen Mangel. Es führt dazu
aus, bei der Ärztlichen Beurteilung vom 23. Januar 2004 handle es sich nicht um
einen Abklärungsbericht des RAD, sondern lediglich um eine medizinische
Stellungnahme zuhanden der Invalidenversicherung. Diese wiederum habe daraufhin
selbst eine Eingabe verfasst, welcher der RAD-Bericht vollständigkeitshalber
beigelegt worden sei. Bei dieser Eingabe der IV-Stelle handle es sich entgegen
der Auffassung des Beschwerdeführers nicht um ein neues Beweismittel, sondern
nur um eine Stellungnahme zu seinen neu eingebrachten Beweismitteln. Der
Anspruch des Versicherten auf rechtliches Gehör werde dadurch nicht tangiert.
Andernfalls könnte ein Verfahren unendlich in die Länge gezogen werden, indem
zwischen den Parteien ein "Stellungnahmen-Pingpong" lanciert werde.

2.2 Zu den Rechtsverletzungen bei der Feststellung des Sachverhalts, welche
nach Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 95 BGG mit der Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gerügt werden können, gehört namentlich
auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 97 Abs. 1 BGG; Seiler/von
Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, N 22 f. zu Art. 97;
Markus Schott, Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N 16 ff.
zu Art. 97).

Im vorliegenden Fall geht es um die besagte Ärztliche Beurteilung vom 23.
Januar 2008. Darin hat sich eine auf Neurologie und Psychiatrie spezialisierte
Fachärztin des RAD mit der ihr vom Rechtsdienst der IV-Stelle hauptsächlich
unterbreiteten Frage befasst, ob mit dem Bericht des Berichtes der Psychiatrie
Y.________ vom 28. November 2007 eine dauerhafte Verschlechterung des
Gesundheitszustandes mit entsprechenden Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit
ausgewiesen sei oder ob weiterhin auf das Gutachten des Instituts X.________
vom 25. Juni 2007 abgestellt werden könne. Die RAD-Ärztin hat eine dauerhafte
Verschlechterung des Gesundheitszustandes verneint und das Gutachten des
Instituts X.________ als verlässliche Grundlage für die Beurteilung der
Arbeitsfähigkeit bezeichnet.

Die Ärztliche Beurteilung des RAD hätte dem Versicherten zugestellt werden
müssen, damit er sich noch vor Fällung des kantonalen Gerichtsentscheides dazu
hätte äussern können. Dass dies nicht erfolgt ist, rügt der Beschwerdeführer zu
Recht als Gehörsverletzung (vgl. Urteil 8C_147/2007 vom 27. Februar 2008, E.
4.1 und 4.2 mit Hinweisen). Es verhält sich im Ergebnis nicht anders als in dem
Fall, den das Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil I 211/06 vom 22.
Februar 2007 (veröffentlicht in: SVR 2008 IV Nr. 13 S. 37, E. 5, insbes. 5.3
und 5.4) entschieden hat. Es ging um eine im (damals noch gesetzlich
vorgesehenen) Einspracheverfahren von der IV-Stelle eingeholte
RAD-Stellungnahme zu einem Arztbericht. Der versicherten Person blieb im
Einspracheverfahren und im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren verwehrt, sich
zu dieser RAD-Stellungnahme zu äussern (erwähntes Urteil I 211/06, E. 5.3). Das
Eidgenössische Versicherungsgericht erkannte darin eine Verletzung des
rechtlichen Gehörs. Dies gelte unabhängig davon, ob es sich nun um einen
schriftlichen Bericht des RAD im Sinne von Art. 49 Abs. 3 IVV (in der bis Ende
2007 gültig gewesenen Fassung) oder um eine Exploration mittels eigener
Untersuchungen im Sinne von Art. 49 Abs. 2 IVV (in der bis Ende 2007 gültig
gewesenen Fassung) handle (erwähntes Urteil I 211/06, E. 5.4.2 mit Hinweisen;
vgl. zur Bedeutung der RAD-Berichte nach Art. 49 Abs. 2 IVV auch: Urteil I 143/
07 vom 14. September 2007, E. 3.3). Anzufügen bleibt, dass die Bestimmungen
über die RAD im Rahmen der auf den 1. Januar 2008 in Kraft getretenen 5.
IV-Revision teilweise revidiert wurden. An der Feststellung einer
Gehörsverletzung im Sinne des Gesagten hat sich damit aber nichts geändert.

2.3 Nach der Rechtsprechung kann eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung
des rechtlichen Gehörs ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die betroffene
Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die
sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Unter dieser
Voraussetzung ist darüber hinaus - im Sinne einer Heilung des Mangels - selbst
bei einer schwerwiegenden Verletzung des Gehörs von einer Rückweisung der Sache
an die Vorinstanz abzusehen, wenn und soweit die Rückweisung zu einem
formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die
mit dem (der Anhörung gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei an
einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 133
I 201 E. 2.2 S. 204, 132 V 387 E. 5.1 S. 390 mit Hinweis).

Das Bundesgericht urteilt in der vorliegenden Streitsache mit eingeschränkter
Kognition (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Dies steht einer Heilung
des festgestellten Mangels im letztinstanzlichen Verfahren entgegen. Der
angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache ist an das kantonale
Gericht zurückzuweisen. Dieses hat, nach formgerechter Gewährung des
rechtlichen Gehörs, erneut über die Beschwerde zu befinden.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer beanstandet in formeller Hinsicht weiter, das
kantonale Gericht habe im angefochtenen Entscheid zwar die Beschwerde
gesamthaft, d.h. im Hauptpunkt und hinsichtlich Eventualantrag, abgewiesen. Es
setze sich in der Entscheidsbegründung aber nicht mit dem - auf Zusprechung von
beruflichen/medizinischen Massnahmen - lautenden Eventualantrag auseinander.
Dies trifft zu und stellt eine Verletzung der - Teil des Anspruchs auf
rechtliches Gehör bildenden - Begründungspflicht dar. Die Vorinstanz wird dem
bei der erneuten Beurteilung ebenfalls Rechnung zu tragen haben.

3.2 Der Versicherte macht zudem geltend, das kantonale Gericht habe auch in
anderer Hinsicht, insbesondere bei der Auseinandersetzung mit dem Gutachten des
Instituts X.________ vom 25. Juni 2007 und dem Bericht der Psychiatrie
Y.________ vom 28. November 2007, die Begründungspflicht verletzt.
Diesbezüglich hat es mit der Feststellung sein Bewenden, dass der vom
kantonalen Gericht neu zu fällende Entscheid den entsprechenden
Formerfordernissen zu genügen haben wird.

4.
Die Beschwerdegegnerin gilt als unterliegende Partei (Urteil 8C_241/2007 vom 9.
Juni 2008, E. 2, mit Hinweis; vgl. auch Urteil 8C_671/2007 vom 13. Juni 2008,
E. 4.1 mit Hinweisen), weshalb ihr die Gerichtskosten aufzuerlegen sind (Art.
66 Abs. 1 BGG) und sie dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung
auszurichten hat (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
vom 17. April 2008 aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen,
damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über die Beschwerde gegen die
Verfügung vom 25. September 2007 neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Lanz