Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.400/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_400/2008

Urteil vom 15. Oktober 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiber Flückiger.

Parteien
S.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Dieter Kehl, Poststrasse 22,
9410 Heiden,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell
Ausserrhoden vom 19. März 2008.

Sachverhalt:

A.
S.________ war bei der Firma E.________ AG angestellt und damit bei der
Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch
unfallversichert. Am 5. Mai 2003 meldete die Arbeitgeberin der SUVA, der
Versicherte habe am 23. (richtig: 22.) Dezember 2002 einen Autounfall erlitten.
Die SUVA traf entsprechende Abklärungen. Am 30. Juni 2003 erklärte der
Versicherte telefonisch, er ziehe die Unfallmeldung zurück. Dies wurde durch
die SUVA gleichentags schriftlich bestätigt.

Am 2. Juli 2004 wandte sich Dr. med. G.________, Allgemeinmedizin FMH
schriftlich an die SUVA. Er bat, den Fall wieder zu eröffnen, und erklärte, die
Schulterbeschwerden links seien wahrscheinlich doch eine Folge des Unfalls vom
22. Dezember 2002. Die SUVA verneinte jedoch mit Verfügung vom 12. November
2004 ihre Leistungspflicht. Der Versicherte liess Einsprache erheben. Die SUVA
nahm ein der IV-Stelle des Kantons Appenzell Ausserrhoden erstattetes Gutachten
der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 10. Mai 2005 (mit
psychiatrischem Konsiliargutachten von Dr. med. K.________, Psychiatrie und
Psychotherapie FMH vom 8. April 2005 sowie mit ergänzenden Angaben vom 27. Juni
2005) sowie Berichte des Kantonalen Spitals X.________, Abteilung Chirurgie,
vom 8. September, 5. Oktober und 25. Oktober 2005 zu den Akten. Ausserdem holte
sie Stellungnahmen des Kreisarztes Dr. med. C.________ vom 14. Oktober 2005 und
des Dr. med. Speck, Chirurgie FMH, SUVA Versicherungsmedizin, vom 14. November
2005 ein. Der Versicherte liess seinerseits eine medizinische Beurteilung von
Dr. med. U.________, Innere Medizin, FMH, speziell Rheumakrankheiten, vom 12.
Dezember 2005 (mit Schreiben des Röntgeninstituts Dr. med. A.________ vom 7.
Dezember 2005) und ein Schreiben desselben Arztes vom 23. Dezember 2005
einreichen. Anschliessend hielt die SUVA - nach Einholung einer weiteren
Stellungnahme von Dr. med. C.________ vom 9. Januar 2006 - mit
Einspracheentscheid vom 26. Januar 2006 an ihrem Standpunkt fest.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Appenzell Ausserrhoden ab (Entscheid vom 19. März 2008). Das Verfahren war
zwischenzeitlich mit Blick auf einen vor Bundesgericht hängigen Prozess
zwischen dem Versicherten und der Eidgenössischen Invalidenversicherung (vgl.
Urteil vom 16. Oktober 2007, I 921/06) sistiert worden.

C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, es sei die Beschwerdegegnerin "zu verpflichten, dem
Beschwerdeführer für alle Folgen des Unfalls vom 23.12.2002 die gesetzlich
vorgeschriebenen Leistungen - Pflegeleistungen und Kostenvergütungen sowie
Geldleistungen: Taggelder, Rente, Integritätsentschädigung usw. - zu erbringen,
rückwirkend und weiterhin, eventuell sei die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen." In formeller Hinsicht wird beantragt, das Verfahren sei zu
vereinigen mit dem Parallelverfahren (Unfall vom 13.6.1987) und beide Verfahren
seien zu sistieren "bis zur Erledigung des noch bei der Vorinstanz hängigen
dritten Verfahrens durch jene (Ereignis vom 5.8.2005 = Spätfolge des Unfalls
vom 13.6.1987)".

Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer beantragt, das vorliegende Verfahren sei mit dem Verfahren
8C_401/2008 zu vereinigen. Ob die vorliegend zur Diskussion stehenden
Schulterbeschwerden eine Folge (im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs)
des Ereignisses vom 22. Dezember 2002 darstellen, kann jedoch unabhängig vom
Verfahren 8C_401/2008 geprüft werden, denn dieses betrifft ein anderes
Unfallereignis und einen anderen Gesundheitsschaden. Deshalb besteht auch kein
Anlass für eine Sistierung mit Blick auf eine weiteres hängiges Verfahren, wie
sie der Beschwerdeführer überdies verlangt.

2.
2.1 Die Leistungspflicht eines Unfallversicherers gemäss UVG setzt zunächst
voraus, dass zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden
(Krankheit, Invalidität, Tod) ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht.
Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs sind alle Umstände, ohne
deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als eingetreten oder nicht
als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen Zeit eingetreten gedacht
werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist für die Bejahung des
natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich, dass ein Unfall die
alleinige oder unmittelbare Ursache gesundheitlicher Störungen ist; es genügt,
dass das schädigende Ereignis zusammen mit anderen Bedingungen die körperliche
oder geistige Integrität der versicherten Person beeinträchtigt hat, der Unfall
mit andern Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch die eingetretene
gesundheitliche Störung entfiele (BGE 129 V 181 Erw. 3.1, 406 Erw. 4.3.1, 119 V
337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen).

Ob zwischen einem schädigenden Ereignis und einer gesundheitlichen Störung ein
natürlicher Kausalzusammenhang besteht, ist eine Tatfrage, worüber die
Verwaltung bzw. im Beschwerdefall das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden
Beweiswürdigung nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der
überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu befinden hat. Die blosse Möglichkeit eines
Zusammenhangs genügt für die Begründung eines Leistungsanspruches nicht (BGE
129 V 181 Erw. 3.1, 119 V 338 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen).

2.2 Die Folgen einer allfälligen Beweislosigkeit in Bezug auf das
Unfallereignis als solches (RKUV 2002 Nr. U 469 E. 3a S. 528, 1996 Nr. U 247 S.
171 E. 2a, 1988 Nr. U 55 S. 362 E. 1b) wie auch hinsichtlich der
Unfallkausalität des Gesundheitsschadens (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 E. 3b)
sind in dem Sinne vom Leistungsansprecher zu tragen, als der Entscheid
diesfalls zu seinen Ungunsten ausfallen muss.

2.3 Im sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungs- und
Verwaltungsgerichtsverfahren gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung
(vgl. Art. 61 lit. c ATSG). Danach haben Versicherungsträger und Gerichte die
Beweise frei, das heisst ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie
umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Für den Beweiswert eines Arztberichtes
ist insbesondere entscheidend, ob er in Kenntnis der Vorakten (Anamnese)
abgegeben worden ist, in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in
der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet sowie ob die
Schlussfolgerungen begründet sind (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).

3.
Strittig ist, ob die SUVA aufgrund des Unfalls vom 22. Dezember 2002 für die
vom Beschwerdeführer geklagten Schulterbeschwerden leistungspflichtig ist. Die
SUVA hat dies verneint mit der Begründung, der natürliche Kausalzusammenhang
sei nicht erstellt.

3.1 Zum Hergang des Unfalls ist den Akten zu entnehmen, dass der
Beschwerdeführer in der Gegend von Y.________ (Bosnien/Herzegowina) als Lenker
eines Personenwagens in eine Kollision mit einem anderen Auto verwickelt war.
Die linke Vorderseite des anderen Fahrzeugs prallte in die linke hintere Türe
des Wagens des Versicherten.

3.2 Am 11. Februar 2003 wandte sich der Versicherte wegen der
Schulterbeschwerden an Dr. med. G.________. Am 29. April 2003 wurde er wegen
einer Impingementsymptomatik der linken Schulter bei
Supraspinatussehnenpartialruptur im Kantonalen Spital X.________, Chirurgische
Abteilung, operiert. Laut dem Austrittsbericht der Klinik vom 14. Mai 2003
bestanden seit ca. 6 Monaten (Beginn ohne Trauma) Bewegungs- und Ruheschmerzen
im Bereich der linken Schulter. Der Versicherte zog die Anfang Mai 2003
erstattete Unfallmeldung Ende Juni 2003 telefonisch zurück mit der Bemerkung,
Dr. med. Baudenbacher, Chefarzt der Chirurgischen Klinik am Kantonalen Spital
X.________, habe ihm gesagt, die Schulterbeschwerden stellten keine Unfallfolge
dar. Dr. med. G.________ erklärte am 2. Juli 2004, die Schulterbeschwerden
links, welche zur Operation führten, seien wahrscheinlich doch Folge eines
Unfalls. Der Versicherte habe sich am 23. Dezember 2002 nach dem Unfall wegen
Schulterbeschwerden bei einem Arzt im Spital in Bosnien gemeldet. Im
MEDAS-Gutachten vom 10. Mai 2005 wird erklärt, die Aussage, wonach die
Schulterbeschwerden - u.a. Supraspinatussehnenruptur links und
Supraspinatussehnenruptur rechts - eine Folge des Unfalls vom 23. Dezember 2002
darstellten, sei medizinisch nicht haltbar. Zur Begründung führen die Gutachter
unter anderem aus, der im Operationsbericht vom 29. April 2003 beschriebene
intraoperative Befund sei keineswegs als klarer posttraumatischer Zustand zu
interpretieren, sondern vielmehr als degenerativ. Zudem spreche der zeitliche
Ablauf gegen das Bestehen eines Kausalzusammenhangs. Im gleichen Sinn
bezeichnet Dr. med. Speck in seiner Stellungnahme vom 14. November 2005 eine
Unfallkausalität der ab 11. Februar 2003 behandelten Schulter-Beschwerden als
unwahrscheinlich. Dr. med. U.________ geht dagegen in seinem Gutachten vom 12.
Dezember 2005 von einem Status nach Schulterkontusion und -distorsion im
Dezember 2002 mit wahrscheinlicher Supraspinatussehnenruptur aus, wobei als
Folge des Unfalls ein persistierendes Impingement und eine
Bewegungseinschränkung der linken Schulter vorliege.

3.3 Mit Blick auf die dargelegte Aktenlage haben Vorinstanz und SUVA zu Recht
erkannt, der natürliche Kausalzusammenhang zwischen den Beschwerden an der
linken Schulter und dem Verkehrsunfall vom 22. Dezember 2002 sei nicht mit dem
erforderlichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt.
Insbesondere die überzeugenden Ausführungen im - der IV-Stelle erstatteten -
MEDAS-Gutachten vom 10. Mai 2005 stehen der Annahme eines entsprechenden
Beweises entgegen. Die anders lautenden Meinungsäusserungen von Dr. med.
G.________ und Dr. med. U.________ sind nicht näher begründet und lassen eine
Auseinandersetzung mit der Gegenansicht vermissen. Da weitere Abklärungen keine
zusätzlichen Erkenntnisse versprechen, muss die Anspruchsbeurteilung zu
Ungunsten des Beschwerdeführers ausfallen (E. 2.2 hiervor). Die Beschwerde ist
dementsprechend abzuweisen.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die
Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer als der unterliegenden Partei
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Anträge auf Verfahrensvereinigung und Verfahrenssistierung werden
abgewiesen.

2.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht von Appenzell
Ausserrhoden, 1. Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 15. Oktober 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Flückiger