Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.388/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_388/2008

Urteil vom 8. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiber Grunder.

Parteien
A.________, Beschwerdeführer,

vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet, Rebgasse 1, 4058 Basel,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom
27. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene, als Lastwagenchauffeur erwerbstätig gewesene A.________
meldete sich am 22. Dezember 2004 wegen Krankheit zur Arbeitsvermittlung bei
der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle Basel-Stadt klärte den
medizinischen (Berichte der Dres. med. Z.________, Psychiatrie/Psychotherapie,
vom 29. Januar 2005 und K.________, Rheumatologie FMH, vom 10. März 2005;
Gutachten des Dr. med. G.________, Facharzt FMH für Psychiatrie, vom 23.
September 2005) und erwerblichen (u.a. Auszug aus dem Individuellen Konto)
Sachverhalt ab. Nach Erhalt eines von der Taggeld-Versicherung bestellten
Gutachtens des Dr. med. et Dr. phil. B.________, Facharzt FMH für Psychiatrie/
Psychotherapie, Forensisch-versicherungsmedizinische Psychiatrie,
Klinisch-neuropsychometrische Leistungsdiagnostik, Institut für
Medizinisch-Psychiatrische Expertise, vom 18. Februar 2005 verneinte sie mit
Verfügung vom 24. Januar 2006 einen Anspruch auf Stellenvermittlung und -
mangels leistungsbegründendem Invaliditätsgrad - auf Invalidenrente. Auf
Einsprache hin holte sie zusätzliche Auskünfte des Dr. med. G.________ vom 26.
August 2006 ein. Mit Entscheid vom 15. Mai 2007 lehnte sie die Einsprache ab.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt ab (Entscheid vom 27. Februar 2008).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________
beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die Sache zur
Neubeurteilung an die IV-Stelle, eventualiter an das kantonale Gericht
zurückzuweisen; subeventualiter sei die Verwaltung anzuweisen, ihm mit Wirkung
ab Oktober 2004 und bis auf Weiteres eine halbe Invalidenrente auszurichten.
Ferner wird um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ersucht.

Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig
ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105
Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Es ist unbestritten, dass dem Versicherten Arbeiten, wie sie im Beruf als
Lastwagenchauffeur anfallen können (Heben und Tragen schwerer Lasten), wegen
der sich verstärkenden (medizinisch allerdings nicht objektivierbaren)
Beschwerden im Bereich der am 12. März 2004 chirurgisch behandelten Nabelhernie
nicht mehr zumutbar sind. Hingegen ist es ihm möglich, leichtere Tätigkeiten
ohne Einschränkungen zu verrichten. Strittig ist, inwieweit aufgrund der
psychiatrischen Befunde eine Arbeitsunfähigkeit besteht.
2.2
2.2.1 Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist zur
Beurteilung dieser Frage auf das Gutachten des Dr. med. G.________ vom 23.
September 2005 abzustellen. Danach leidet der Explorand an einer leichten
depressiven Episode (ICD-10 F32.0), welche eine seit Oktober 2004 bestehende
Arbeitsunfähigkeit von 20 % begründet. Es bestehen leichte Schlafstörungen, ein
gewisser sozialer Rückzug, Selbstvorwürfe sowie Gedankenkreisen um die
schwierige wirtschaftliche Situation. Der soziale Rückzug ist vor allem
kulturell bedingt, da der Explorand sich wegen seiner Arbeitslosigkeit schämt.
Zu erwarten ist, dass sich die leichten depressiven Verstimmungen eher
zurückbildeten, wenn er wieder arbeiten würde.
2.2.2 Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, es lägen zwei sich
widersprechende psychiatrische Gutachten vor, welche grundsätzlich gleichwertig
seien. Die Vorinstanz habe nicht schlüssig dargelegt, weshalb der Expertise des
Dr. med. et Dr. phil. B.________ nicht gefolgt werden könne. Sie hätte daher
ein Obergutachten anordnen müssen.
2.3
2.3.1 Das Verwaltungs- und das kantonale Gerichtsverfahren sind vom
Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG). Danach
haben IV-Stelle und Sozialversicherungsgericht den rechtserheblichen
Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Diese Untersuchungspflicht dauert so
lange, bis über die für die Beurteilung des streitigen Anspruchs erforderlichen
Tatsachen hinreichende Klarheit besteht. Der Untersuchungsgrundsatz weist enge
Bezüge zum - auf Verwaltungs- und Gerichtsstufe in gleicher Weise geltenden -
Prinzip der freien Beweiswürdigung (vgl. Art. 61 lit. c in fine ATSG; Ueli
Kieser, ATSG-Kommentar, Zürich/Basel/Genf 2003, N 26 zu Art. 43) auf
(einschliesslich die antizipierte Beweiswürdigung; vgl. BGE 124 V 90 E. 4b S.
94, 122 V 157 E. 1d S. 162). Führt die pflichtgemässe, umfassende und
sachbezogene Beweiswürdigung (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352) den
Versicherungsträger oder das Gericht zur Überzeugung, der Sachverhalt sei
hinreichend abgeklärt, darf von weiteren Untersuchungen (Beweismassnahmen)
abgesehen werden. Ergibt die Beweiswürdigung jedoch, dass erhebliche Zweifel an
Vollständigkeit und/oder Richtigkeit der bisher getroffenen
Tatsachenfeststellungen bestehen, ist weiter zu ermitteln, soweit von
zusätzlichen Abklärungsmassnahmen noch neue wesentliche Erkenntnisse zu
erwarten sind.
2.3.2 Die Vorbringen des Beschwerdeführers sind nicht stichhaltig. Die
Vorinstanz legte einlässlich dar, weshalb zur Beurteilung des psychischen
Gesundheitszustandes und der dadurch bewirkten Arbeitsunfähigkeit auf das
Gutachten des Dr. med. G.________ vom 23. September 2005 abzustellen ist. So
hielt sie zutreffend fest, dass dessen Befunde und Schlussfolgerungen in allen
wesentlichen Punkten mit den Angaben des behandelnden Psychiaters Dr. med.
Z.________ (vgl. Bericht vom 29. Januar 2005) übereinstimmen. Daher dringt der
Einwand, der Versicherte habe anlässlich der Exploration bei Dr. med.
G.________ unter dem Einfluss der verschriebenen Psychopharmaka gestanden,
nicht durch. Weiter nahm die Vorinstanz überzeugend Stellung zu den
letztinstanzlich wiederholten Vorbringen in der kantonalen Beschwerde, Dr. med.
G.________ habe den Versicherten lediglich während einer halben Stunde
untersucht und die psychischen Beeinträchtigungen vor allem auf den
Migrationshintergrund zurückgeführt, aus welchen Gründen er lediglich eine
Arbeitsunfähigkeit von 20 % geschätzt habe. Schliesslich sind die in der
Stellungnahme des Dr. med. G.________ vom 26. August 2006 genannten, im
angefochtenen Entscheid ausführlich zitierten Mängel der Expertise des Dr. med.
et Dr. phil. B.________ vom 18. Februar 2005 derart manifest, dass sich weitere
Erwägungen zur Gleichwertigkeit der zwei psychiatrischen Gutachten erübrigen.
Eine offensichtlich unrichtige oder unvollständige Sachverhaltsfestellung des
kantonalen Gerichts ist nicht ersichtlich.

2.4 Was die Festlegung der für die Bestimmung des Invaliditätsgrades
massgeblichen hypothetischen Vergleichseinkommen (vgl. Art. 16 ATSG) anbelangt,
wiederholt der Beschwerdeführer die im kantonalen Verfahren entkräfteten
Einwände. Es kann daher ohne Weiteres auf die nicht zu beanstandenden
Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).

3.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 62 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art.
65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem
Beschwerdeführer als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1
BGG).

4.
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (vorläufige Befreiung von der
Bezahlung der Gerichtskosten und Bestellung eines unentgeltlichen Anwalts oder
einer unentgeltlichen Anwältin) kann stattgegeben werden, da die Bedürftigkeit
ausgewiesen ist, die Beschwerde insgesamt nicht als aussichtslos zu bezeichnen
ist und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und
2 BGG; BGE 125 V 371 E. 5b S. 372 mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich
auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der
Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu imstande ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Advokat Dr. Nicolas Roulet, Basel, wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2000.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt,
der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Grunder