Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.380/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_380/2008

Urteil vom 17. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Frésard,
Gerichtsschreiber Hochuli.

Parteien
W.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Martin Zwahlen, Maulbeerstrasse
10, 3011 Bern,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 31.
März 2008.

Sachverhalt:

A.
W.________, geboren 1949, bezieht seit 1. Dezember 1995 wegen verschiedener
Beschwerden eine halbe Rente der Invalidenversicherung sowie zusätzlich seit
Januar 2005 auch eine Ergänzungsleistung von monatlich mehr als Fr. 3'800.-.
Nach mehrfacher Androhung der Anrechnung eines hypothetischen Erwerbseinkommens
der Ehegattin reduzierte die Ausgleichskasse des Kantons Bern (nachfolgend:
Kasse oder Beschwerdegegnerin) die Ergänzungsleistung unter Anrechnung eines
jährlichen Verzichtseinkommens der Ehefrau von Fr. 35'280.- mit Wirkung ab 1.
Dezember 2006 auf monatlich Fr. 1'532.- (Verfügung vom 30. Mai 2006). Auf
Einsprache hin hielt die Kasse insoweit an der Verfügung fest, als sie unter
Verzicht auf die Anrechnung eines jährlichen Resterwerbseinkommens von
W.________ die monatliche Ergänzungsleistung ab 1. Dezember 2006 auf Fr.
1'777.- und ab 1. Januar 2007 auf 1'858.- erhöhte (Einspracheentscheid vom 19.
Juni 2007).

B.
Dagegen beantragte W.________ unter anderem beschwerdeweise, auf die Anrechnung
eines hypothetischen Einkommens der Ehefrau von Fr. 35'280.- sei zu verzichten.
Eventualiter sei das hypothetische Einkommen auf Fr. 18'000.- zu reduzieren.
Mit Verfügung vom 3. Dezember 2007 drohte das angerufene kantonale Gericht dem
Beschwerdeführer eine reformatio in peius an und gewährte ihm das rechtliche
Gehör, worauf W.________ an seiner Beschwerde fest hielt. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern hob den Einspracheentscheid vom 19. Juni
2007 insoweit auf, als es die Sache zur Neuberechnung der Ergänzungsleistung ab
Dezember 2006 unter Anrechnung eines hypothetischen jährlichen
Erwerbseinkommens der Ehefrau von Fr. 50'465.- an die Kasse zurück wies und die
Beschwerde im Übrigen abwies (Entscheid vom 31. März 2008).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt W.________ die
Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids beantragen. Gleichzeitig ersucht er
um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

Die Kasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung.

D.
Das Bundesgericht hat das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege am 3. Juli 2008
wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde abgeweisen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Die
vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dies ist aufgrund der Vorbringen
in der Beschwerde zu prüfen. Eine freie Überprüfung des vorinstanzlichen
Entscheides in tatsächlicher Hinsicht hat ebenso zu unterbleiben wie eine
Prüfung der Ermessensbetätigung nach den Grundsätzen zur
Angemessenheitskontrolle. Auch besteht Bindung an die Parteianträge (nicht
publ. E. 1.2 und 2.2 des Urteils BGE 133 V 640).

2.
Die Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung
haben durch das am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6.
Oktober 2006 über die Schaffung von Erlassen zur Neugestaltung des
Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (AS 2007
5779) eine umfassende Neuregelung erfahren. Weil in zeitlicher Hinsicht
grundsätzlich diejenigen materiellen Rechtssätze massgebend sind, welche bei
der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben, und
weil ferner das Sozialversicherungsgericht grundsätzlich auf den bis zum
Zeitpunkt des Einspracheentscheids (hier: vom 19. Juni 2007) eingetretenen
Sachverhalt abstellt (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220 mit Hinweisen), ist die
hier strittige, mit Wirkung ab 1. Dezember 2006 berücksichtigte Anrechnung
eines hypothetischen Erwerbseinkommens der Ehefrau des EL-Ansprechers nach den
bis Ende 2007 gültig gewesenen Bestimmungen zu beurteilen (Urteil 8C_589/2007
vom 14. April 2008, E. 3 i.f. mit Hinweis).

3.
3.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die bei der Berechnung der
jährlichen Ergänzungsleistung anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten (Art. 3a
Abs. 4 ELG), insbesondere das Erwerbseinkommen (Art. 3c Abs. 1 lit. a ELG) und
das so genannte Verzichtseinkommen (Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG), zutreffend
dargelegt. Richtig ist auch die Darstellung der Rechtsprechung zur Ermittlung
des von der Ehefrau eines EL-Ansprechers in zumutbarer Weise erzielbaren und
anrechenbaren hypothetischen Erwerbseinkommens (vgl. BGE 117 V 287, AHI 2001 S.
132 ff., P 18/99). Darauf wird verwiesen.

3.2 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Schadenminderungspflicht als
allgemeiner Grundsatz des Sozialversicherungsrechts bei der
Leistungsfestsetzung regelmässig und zwingend zu beachten ist (BGE 129 V 460 E.
4.2 i.f. S. 463 mit Hinweis). Demnach haben praxisgemäss nicht nur der
EL-Bezüger, bei welchem sich das von den Ergänzungsleistungen abgedeckte Risiko
bereits verwirklicht hat, sondern auch dessen nicht invalide, im gemeinsamen
ehelichen Haushalt lebende Ehegattin sämtliche, ihnen verbleibenden
Einkunftsmöglichkeiten tatsächlich zu realisieren (Urteil 8C_589/2007 vom 14.
April 2008, E. 6.1 mit Hinweisen).

4.
4.1 Die in ihrem 19. Lebensjahr aus Thailand eingereiste Ehegattin des
Beschwerdeführers lebt seither in der Schweiz und ist kinderlos. Die Kasse
teilte dem EL-Ansprecher aktenkundig spätestens am 14. Mai 2003 erstmals
schriftlich mit, dass von seiner Ehegattin im Rahmen der gemeinsamen ehelichen
Unterhaltspflicht die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erwartet werde, sobald
sie den damals eingeleiteten Besuch eines Deutschkurses absolviert habe. Bis
dahin werde von der Anrechnung eines hypothetischen Einkommens der Ehegattin
abgesehen. Trotz Absolvierung weiterer Deutschkurse und wiederholter
Aufforderungen an den EL-Ansprecher, der Beschwerdegegnerin die allfällige
zwischenzeitliche Aufnahme einer Erwerbstätigkeit seiner Ehefrau unverzüglich
zu melden, berief sich der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 4. Juli 2005
darauf, seine Ehegattin spreche nach wie vor kein Deutsch. Zudem sei er selber
auf ihre Hilfeleistungen angewiesen. Angesichts fehlender Kenntnis von einem
dreimonatigen Aufenthalt des EL-Bezügers und seiner Ehefrau in Thailand (bis
zum 17. April 2006) verfügte die Kasse erstmals am 16. März 2006, sie werde dem
Beschwerdeführer mit Wirkung ab 1. Oktober 2006 ein hypothetisches
Erwerbseinkommen von Fr. 35'280.- seiner Ehefrau bei der Ermittlung der
jährlichen Ergänzungsleistung anrechnen. Nach verspäteter Kenntnisnahme von
dieser Landesabwesenheit eröffnete die Beschwerdegegnerin dem EL-Bezüger mit
ersatzweiser Verfügung vom 30. Mai 2006 erneut, dass sie das hypothetische
Erwerbseinkommen mit Wirkung ab 1. Dezember 2006 an die jährliche
Ergänzungsleistung anrechnen werde.

4.2 Es liegen aktenkundig keine Anhaltspunkte dafür vor und ist medizinisch
nicht belegt, dass der (teil-) invalide EL-Bezüger Anspruch auf eine
Hilflosenentschädigung der Invalidenversicherung hat. Zu Recht macht er nicht
geltend, seine Ehefrau könne keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, weil er
permanent auf ihre Hilfeleistungen angewiesen sei. Im letztinstanzlichen
Verfahren blieb vielmehr unbestritten, dass ihr grundsätzlich die erwerbliche
Verwertung einer vollzeitlich ausgeübten Arbeitstätigkeit zumutbar ist.

5.
5.1 Das kantonale Gericht hielt im angefochtenen Entscheid zutreffend fest, die
Nichterwerbstätigkeit der Ehegattin des EL-Ansprechers sei bisher stets mit
mangelhaften Sprachkenntnissen begründet worden. Es stellte sodann gestützt auf
den im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Bericht der Universitätsklinik
und Poliklinik für Psychiatrie in Bern vom 8. Januar 2008 für das Bundesgericht
grundsätzlich verbindlich fest, dass eine erschwerte Sprachlernfähigkeit nicht
Folge eines geistigen oder psychischen Gesundheitsschadens sei, sondern mit
einer mangelhaften Schulbildung bei Verdacht auf funktionellen Analphabetismus
begründet werde. Dem genannten Bericht ist zudem zu entnehmen, dass die Ehefrau
des Beschwerdeführers nach dem Besuch der vierjährigen Grundschule im Kontakt
mit den Touristen in Thailand - nur, aber immerhin - ein wenig Englisch gelernt
habe. Die Vorinstanz verwies zu Recht auf das Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts P 8/90 vom 25. November 1991 (ZAK 1992 S. 328), wonach es
im Falle eines Ehepaares türkischer Nationalität mit Blick auf eine seit knapp
zwei Jahren bei ihrem teilinvaliden Ehemann in der Schweiz lebende, 22-jährige,
kinderlose Ehegattin ohne Berufsausbildung und Sprachkenntnisse die
Zumutbarkeit bejahte, eine Erwerbstätigkeit als Hilfskraft in der
Landwirtschaft oder Hotellerie auszuüben und damit einen finanziellen Beitrag
an den gemeinsamen ehelichen Unterhalt zu leisten (ZAK 1992 S. 332 E. 3d).

5.2 Im Rahmen der praxisgemäss geforderten Berücksichtigung der konkreten
Verhältnisse des Einzelfalles (BGE 117 V 287 E. 3a S. 290 mit Hinweis; Urteil
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts P 2/06 vom 18. August 2006, E. 1.2
mit Hinweisen) verglich das kantonale Gericht die Ausgangslage der Ehegattin
des Beschwerdeführers mit derjenigen einer stellensuchenden, beruflich
unqualifizierten Asylbewerberin auf dem aktuellen örtlichen Arbeitsmarkt und
tätigte bei den Arbeitsmarktbehörden eigene Untersuchungen zur Abklärung der
lokal massgebenden Verhältnisse (vgl. Urteil des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts P 64/03 vom 27. Februar 2004, E. 3.3.2 i.f.). Dies,
obgleich die Ehegattin des EL-Bezügers schweizerischer Staatsbürgerschaft im
Gegensatz zu Asylsuchenden für die Aufnahme einer erstmaligen Erwerbstätigkeit
in der Schweiz keiner Bewilligung bedurfte. Die Abklärungen zeigten, dass
gerade im Wirtschaftsraum Bern viele Gesuche zum erstmaligen Stellenantritt zu
Gunsten von Asylbewerbern gestellt würden. In tatsächlicher Hinsicht stellte
die Vorinstanz fest, dass zwischen Juni 2006 und Juni 2007 unter Ausschluss des
Baugewerbes und der Landwirtschaft insgesamt 49 Bewilligungen zum erstmaligen
Stellenantritt von Asylsuchenden erteilt wurden, wobei die meisten dieser
Bewilligungen auf das Gastgewerbe sowie das Gesundheits- und Sozialwesen
entfielen. Gestützt auf diese Angaben ermittelte das kantonale Gericht das von
der Ehegattin des EL-Ansprechers auf dem örtlichen Arbeitsmarkt ab Dezember
2006 zumutbarerweise erzielbare Erwerbseinkommen unter Berücksichtigung der
entsprechenden statistischen Werte der vom Bundesamt für Statistik
herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2006 auf brutto Fr.
50'465.-.

5.3 Was die Höhe des hypothetischen Einkommens anbelangt, ist auf die
Rechtsprechung zu verweisen, wonach Annahmen kantonaler Instanzen über
hypothetische Geschehensabläufe, die auf Schlussfolgerungen aus konkreten
Anhaltspunkten (vorliegend: Alter, Gesundheitszustand, Arbeitsmarktlage)
beruhen, nicht als Rechtsfrage, sondern als Ergebnis von Beweiswürdigung gelten
(in BGE 132 III 593 [5C.43/2006] nicht publizierte E. 6.4 mit Hinweisen; Urteil
8C_589/2007 vom 14. April 2008, E. 7). Die Feststellung des kantonalen
Gerichts, wonach die Ehegattin des Beschwerdeführers aus der zumutbaren
erwerblichen Verwertung ihrer uneingeschränkten Leistungsfähigkeit ein
jährliches Bruttoeinkommen von Fr. 50'465.- zu erzielen vermag, ist
tatsächlicher Natur und für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (BGE
132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Was der EL-Ansprecher dagegen vorbringt, lässt
diese Entscheidung über eine Tatfrage weder als offensichtlich unrichtig noch
sonstwie als bundesrechtswidrig erscheinen. Insbesondere zeigt der
Beschwerdeführer nicht auf, inwiefern die vorinstanzliche Beweiswürdigung
rechtsfehlerhaft sei. Die im Wesentlichen rein appellatorische Kritik am
angefochtenen Entscheid ändert nichts an der Tatsache, dass sich die Ehegattin
des EL-Ansprechers zwischen Mai 2004 und dem massgebenden Zeitpunkt des
Erlasses des Einspracheentscheides vom 19. Juni 2007 (BGE 130 V 445 E. 1.2 S.
446 mit Hinweisen) nicht um eine zumutbare Arbeitsstelle bemüht hat. Vielmehr
erbrachte sie den Nachweis von Arbeitsbemühungen erst, nachdem sie vom
Sozialamt der Stadt Bern am 15. Dezember 2006 unter Androhung einer Kürzung des
Grundbedarfs dazu aufgefordert worden war, sich ab sofort regelmässig um
Arbeitsstellen zu bewerben. Der angefochtene Entscheid ist im Rahmen der
eingeschränkten Kognition nicht zu beanstanden. Die offensichtlich unbegründete
Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG zu erledigen.

6.
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art.
66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Hochuli