Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.37/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_37/2008

Urteil vom 15. Mai 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiber Lanz.

Parteien
Branchen Versicherung, Irisstrasse 9,
8032 Zürich, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Adelrich Friedli, Stationsstrasse 66a, 8907
Wettswil,

gegen

N.________, Beschwerdegegner,
vertreten durch B.________.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 10. Dezember 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1946 geborene N.________ war als Metzger in der Firma X.________ AG tätig
und dadurch bei der Metzger-Versicherungen (heute: Branchen Versicherung)
obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert. Am 3. März 2004 verletzte er sich
bei einem Unfall am Arbeitsplatz an der rechten Schulter. Es wurden eine
Schulterdistorsion/ Kontusion sowie eine Supraspinatusläsion diagnostiziert und
eine Arbeitsunfähigkeit bestätigt. Der Unfallversicherer erbrachte die
gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung, Taggeld). Nach medizinischen
Abklärungen (insbesondere Einholung des polydisziplinären Gutachtens des
Begutachtungsinstituts Y.________ vom 4. Mai 2006) eröffnete er dem
Versicherten mit Verfügung vom 9. Mai 2006, die Leistungen würden rückwirkend
auf den 31. Oktober 2004 eingestellt, da die darüber hinaus geklagten
Beschwerden nicht in einem rechtsrelevanten Zusammenhang zum versicherten
Ereignis stünden; auf eine Rückerstattung der seither erbrachten Leistungen
durch den Versicherten werde verzichtet. Die vom Krankenpflegeversicherer des
N.________ vorsorglich eingereichte Einsprache wurde wieder zurückgezogen. Die
Einsprache des Versicherten wurde abgewiesen (Einspracheentscheid vom 5. Juli
2006).

B.
Die von N.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern teilweise gut, indem es den Unfallversicherer verpflichtete,
die gesetzlichen Leistungen bis 31. Mai 2006 zu erbringen; im Übrigen wies es
die Beschwerde ab (Entscheid vom 10. Dezember 2007).

C.
Die Branchen Versicherung lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Entscheid sei,
soweit den Zeitpunkt der Leistungseinstellung betreffend, aufzuheben.
N.________ begnügt sich vernehmlassungsweise mit dem Hinweis, der kantonale
Entscheid sei rechtens. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine
Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Die Rechtsgrundlagen für den streitigen Anspruch auf Leistungen der
obligatorischen Unfallversicherung sind im angefochtenen Entscheid, auf den
verwiesen wird, zutreffend dargelegt. Es betrifft dies insbesondere den für
eine Leistungsberechtigung erforderlichen natürlichen und adäquaten
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden mit den
sich dabei stellenden Beweisfragen. Hervorzuheben ist, dass bei organisch klar
ausgewiesenen Unfallfolgen nach Unfall der adäquate Kausalzusammenhang in der
Regel ohne weiteres mit dem natürlichen Kausalzusammenhang bejaht werden kann.
Demgegenüber hat bei natürlich unfallkausalen, aber organisch nicht objektiv
ausgewiesenen Beschwerden eine besondere Adäquanzprüfung zu erfolgen (noch
nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil U 394/06 vom 19.
Februar 2008, E. 2.1 mit Hinweisen).

2.
2.1 Das kantonale Gericht ist, namentlich gestützt auf die Expertise des
Begutachtungsinstituts Y.________ vom 4. Mai 2006, zum Ergebnis gelangt, die
über den 31. Oktober 2004 bestandenen Beschwerden seien nicht mehr mit einer in
natürlichem Kausalzusammenhang zum Unfall vom 3. März 2004 stehenden, organisch
objektiv ausgewiesenen Gesundheitsschädigung zu erklären. Die sich weiter
stellende Frage, ob die festgestellte psychische Gesundheitsstörung natürlich
unfallkausal sei, könne offen bleiben. Denn es fehle ohnehin am natürlichen
Kausalzusammenhang zwischen der psychischen Problematik und dem Unfall vom 3.
März 2004. Dass der Unfallversicherer die vorübergehenden Leistungen
Heilbehandlung und Taggeld folgenlos eingestellt habe, sei daher grundsätzlich
nicht zu beanstanden.
Insoweit ist die vorinstanzliche Beurteilung zu Recht nicht umstritten. Sie
entspricht in allen Teilen Gesetz und Praxis. Es betrifft dies insbesondere
auch die Würdigung der medizinischen Akten (vgl. BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff.)
und die Anwendbarkeit der bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall
geltenden Grundsätze im Rahmen der Adäquanzprüfung (BGE 115 V 133).

3.
3.1 Unterschiedliche Auffassungen werden hinsichtlich des Zeitpunktes
vertreten, auf welchen die vorübergehenden Leistungen einzustellen waren und
mithin der Fallabschluss zu erfolgen hatte. Der Unfallversicherer hat
entschieden, dies habe rückwirkend auf den 31. Oktober 2004 zu geschehen, da ab
diesem Zeitpunkt keine unfallkausale Gesundheitsschädigung mehr bestanden habe.
Das kantonale Gericht ist zum Ergebnis gelangt, die Einstellung dürfe erst auf
den 31. Mai 2006 erfolgen.
Zur Begründung wird im angefochtenen Entscheid ausgeführt, am 31. Oktober 2004
habe der Unfallversicherer noch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf
das Dahinfallen der Unfallkausalität der Gesundheitsstörungen schliessen
können. Dies habe ergänzender Abklärungen bedurft. Die deswegen veranlasste
Expertise des Begutachtungsinstituts Y.________ vom 4. Mai 2006 sei dem
Unfallversicherer im Mai 2006 zugestellt worden. Erst in diesem Zeitpunkt habe
der Versicherer über die erforderlichen Beweisgrundlagen verfügt, um die
Leistungen einstellen zu können. Die Leistungen hätten daher nicht auf einen
früheren Zeitpunkt eingestellt werden dürfen. Vielmehr seien sie bis 31. Mai
2006 auszurichten.

3.2 Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. Gemäss den zutreffenden
Ausführungen der Beschwerdeführerin stand Ende Oktober 2004, auf welchen
Zeitpunkt sie die Leistungen einstellte, fest, dass der natürliche
Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und den noch geklagten Beschwerden
weggefallen war. Dies ergibt sich überzeugend aus dem Untersuchungsbericht des
Spitals Z.________, Neurologisch-Neurochirurgische Poliklinik, vom 26. Oktober
2004, mit Nachtrag vom 8. November 2004. Danach konnte ein organisches Substrat
auch mit bildgebenden Untersuchungen nicht festgestellt werden und entsprach
das Beschwerdebild einer dissoziativen Störung mit funktioneller Symptomatik.
Eine organische Ursache der verbleibenden Gesundheitsstörungen war dadurch mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschliessen.
Da im vorliegenden Fall über den 31. Oktober 2004 hinaus keine Unfallfolgen
mehr vorlagen (E. 2 hievor), hat der Unfallversicherer die Leistungen zu Recht
rückwirkend auf diesen Zeitpunkt eingestellt. Dem steht auch der
Vertrauensschutz nicht entgegen. Diesem Gesichtspunkt käme allenfalls Bedeutung
zu, wenn es um die Frage der Rückerstattung der über den 31. Oktober 2004
hinaus erbrachten Leistungen durch den Beschwerdegegner ginge (vgl. BGE 133 V
57 E. 6.8 S. 65). Darauf hat der Unfallversicherer indessen ausdrücklich
verzichtet.
Aufgrund des Gesagten ist der angefochtene Entscheid aufzuheben.

4.
Die Gerichtskosten sind vom unterliegenden Beschwerdegegner zu tragen (Art. 66
Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 10. Dezember 2007
aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit
schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 15. Mai 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

i.V. Widmer Lanz