Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.370/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_370/2008

Urteil vom 29. August 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.

Parteien
M.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Protekta Rechtsschutz-Versicherung AG,
Monbijoustrasse 68, 3007 Bern,

gegen

Unia Arbeitslosenkasse, Werdstrasse 36, 8036 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 21. März 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1968 geborene M.________ war vom 9. September 2004 bis 31. März 2006
vollzeitlich als Filialleiterin bei der Firma S.________ AG tätig gewesen.
Nachdem sie sich bei der Arbeitslosenversicherung zum Bezug von
Arbeitslosenentschädigung für die Zeit ab 1. April 2006 angemeldet hatte,
ermittelte die Unia Arbeitslosenkasse gestützt auf von der Versicherten
eingereichte monatliche Salärabrechnungen sowie die von der ehemaligen
Arbeitgeberin ausgestellten Bescheinigungen vom 6. April und 8. Mai 2006 einen
versicherten Verdienst im Rahmen eines 100 %-Pensums in Höhe von Fr. 4247.-
(Verfügung vom 1. Juni 2006). Auf Einsprache hin wurde dem versicherten Dienst
- auf der Basis eines massgebenden Bruttostundenlohnes von nunmehr Fr. 23.37
statt Fr. 23.- - ein Betrag von Fr. 4316.- zugrunde gelegt (Einspracheentscheid
vom 18. September 2006).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 21. März 2008 ab.

C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei der
versicherte Verdienst bzw. das ihr zustehende Arbeitslosentaggeld auf Grund
ihres gesamten effektiv mit der AHV abgerechneten Verdienstes in den letzten
sechs Monaten vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug zu berechnen.

Die Arbeitslosenkasse und das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco)
verzichten auf Vernehmlassungen.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2 Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist auf Grund der Vorbringen in der
Beschwerde an das Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene kantonale
Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und
beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht, Völkerrecht oder kantonale
verfassungsmässige Rechte verletzt (Art. 95 lit. a - c BGG), einschliesslich
einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1,
Art. 105 Abs. 2 BGG). Hingegen hat unter der Herrschaft des BGG eine freie
Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheids in tatsächlicher Hinsicht zu
unterbleiben (ausser wenn sich die Beschwerde gegen einen - im hier zu
beurteilenden Fall indessen nicht anfechtungsgegenständlichen - Entscheid über
die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder
Unfallversicherung richtet; Art. 97 Abs. 2 BGG). Ebenso entfällt eine Prüfung
der Ermessensbetätigung nach den Grundsätzen zur Angemessenheitskontrolle (BGE
126 V 75 E. 6 S. 81 zu Art. 132 lit. a OG [in der bis 30. Juni 2006 gültig
gewesenen Fassung]).

2.
Streitig und zu prüfen ist die Höhe des versicherten Verdienstes. Die
Vorinstanz hat diesbezüglich - in Bestätigung der Argumentation der
Beschwerdegegnerin - insbesondere erwogen, bei der Arbeitswegentschädigung,
welche die ehemalige Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin gemäss Bestätigung
vom 8. Mai 2006 zufolge des Arbeitsortes Luzern statt Zürich zusätzlich
ausbezahlt habe (zwei Stunden pro geleistetem Arbeitstag), handle es sich, da
die betriebliche Normalarbeitszeit überschreitend, um bei der Ermittlung des
versicherten Verdienstes unbeachtliches Entgelt für Überstundenarbeit. Dagegen
lässt die Beschwerdeführerin einwenden, die Entschädigung, die man ihr auf
Grund des Arbeitsweges regelmässig ausgerichtet habe, sei in Form einer
mündlich zugesicherten Zulage (und nicht über Arbeitszeit im Sinne von
Überstunden oder Überzeit) als Lohnbestandteil abgerechnet worden und daher, da
dafür auch eine Ferienentschädigung vergütet worden sei, als versicherter
Verdienst zu berücksichtigen.

3.
3.1 Gemäss Art. 23 Abs. 1 Satz 1 AVIG gilt als versicherter Verdienst der im
Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines
Bemessungszeitraumes (gemäss Art. 37 IVV; vorliegend nach Abs. 1 der Bestimmung
[Durchschnittslohn der letzten sechs Beitragsmonate vor Beginn der Rahmenfrist
für den Leistungsbezug]) aus einem oder mehreren Arbeitsverhältnissen
normalerweise erzielt wurde; eingeschlossen sind die vertraglich vereinbarten
regelmässigen Zulagen, soweit sie nicht Entschädigung für arbeitsbedingte
Inkonvenienzen darstellen.

3.2 Ausgehend vom Grundsatz, dass die Arbeitslosenversicherung nur für eine
normale übliche Arbeitnehmertätigkeit Versicherungsschutz bieten und demnach
keine Entschädigung für Erwerbseinbussen ausrichten soll, die aus dem Ausfall
einer Überbeschäftigung stammen, wurden sowohl die Überzeit- wie auch die
Überstundenentschädigung als im Rahmen der Ermittlung des versicherten
Verdienstes unbeachtlich qualifiziert (BGE 129 V 105 E. 3 S. 107 ff. mit
Hinweisen). In arbeitslosenversicherungsrechtlichem Sinne massgeblichen Lohn
stellen demgegenüber die - vom nicht Lohncharakter aufweisenden Ersatz der
Auslagen gemäss Art. 327a OR zu unterscheidenden - vertraglich vereinbarten
regelmässigen Zulagen dar, soweit es sich dabei nicht um Zulagen für
arbeitsbedingte Inkonvenienzen handelt (BGE 115 V 326 E. 4 S. 330 mit
Hinweisen). Mit der entsprechenden Formulierung im Gesetz wird betont, dass es
bei den fraglichen Zulagen auch solche gibt, die - obwohl sie massgebenden Lohn
im Sinne der AHV darstellen können - bei der Bemessung des versicherten
Verdienstes ausser Acht zu lassen sind, weil der eigentliche Grund ihrer
Ausrichtung mit der Arbeitslosigkeit entfallen ist (BGE 122 V 362 E. 4b S. 364
mit Hinweisen; Urteil C 27/99 vom 12. Juli 2001, E. 3b). Als
Unterscheidungskriterium, ob eine Zulage, die arbeitsvertragsrechtlich
Lohnbestandteil bildet, im Rahmen der Festsetzung des versicherten Verdienstes
zu berücksichtigen ist oder als in diesem Zusammenhang irrelevante
arbeitsbedingte Inkonvenienzentschädigung zu gelten hat, fungiert namentlich
der Umstand, ob die betreffende, regelmässig ausgerichtete Zulage während der
Ferien bezahlt wird oder nicht (BGE 115 V 326 E. 5b S. 331 f.; vgl. auch Ziffer
C2 des Kreisschreibens des seco über die Arbeitslosenentschädigung [KS ALE],
Ausgabe Januar 2007; Gerhard Gerhards, Kommentar zum
Arbeitslosenversicherungsgesetz [AVIG], Band I [Art. 1-58], Bern 1988, N 13 und
14 zu Art. 23).

4.
Unstrittig handelt es sich bei der fraglichen Wegentschädigung, da damit nicht
die effektiv angefallenen Kosten rückvergütet wurden, nicht um Auslagenersatz
gemäss Art. 327a OR. Uneinig sind sich die Verfahrensbeteiligten indessen
darüber, ob damit über das betriebliche Normalarbeitspensum hinausgehende
Arbeitszeit abgegolten oder eine Lohnbestandteil bildende, nicht den Charakter
einer Inkonvenienzentschädigung aufweisende Zulage im hievor umschriebenen
Sinne ausbezahlt wurde.

4.1 Der Wortlaut der Bestätigung der ehemaligen Arbeitgeberin vom 8. Mai 2006,
wonach "die Reisezeit für den Arbeitsweg Zürich-Luzern, Luzern-Zürich ein
bezahlter Lohnbestandteil von Frau M.________ sei", welche mit zwei Stunden pro
geleistetem Arbeitstag abgegolten wurde, lässt grundsätzlich beide Lesarten zu,
stellen doch sowohl Entgelt für Überstunden bzw. Überzeit wie auch vertraglich
vereinbarte, regelmässig ausgerichtete Zulagen Lohnbestandteil dar. Für die
Betrachtungsweise der Beschwerdeführerin spricht indessen der Umstand, dass
allfällige Überstunden- oder Überzeitarbeit - erstere soweit nichts anderes
schriftlich vereinbart wurde (Art. 321c Abs. 3 OR) und letztere zwingend (Art.
13 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 13. März 1964 über die Arbeit in Industrie,
Gewerbe und Handel [Arbeitsgesetz, ArG], SR 822.11) - mit einem Zuschlag von
mindestens einem Viertel des Normallohnes zu entschädigen gewesen wäre. Dies
ist, wie den Lohnabrechnungen, welche einzig den Grundlohn in Form der
monatlich insgesamt geleisteten Arbeitsstunden multipliziert mit dem
Stundenlohn wiedergeben, entnommen werden kann, nicht geschehen. Der Umstand,
dass die von der Versicherten geltend gemachte Zulage in den Salärabrechnungen
ebenfalls nicht gesondert ausgewiesen ist, liegt darin begründet, dass die in
Form von zusätzlichem Stundenlohn abgegoltene Wegentschädigung jeweils auf die
gearbeiteten Stunden aufgerechnet worden war (vgl. Aktennotiz vom 3. Mai 2006).
An diesem Ergebnis ändert Art. 13 Abs. 2 der Verordnung 1 vom 10. Mai 2000 zum
Arbeitsgesetz (ArGV 1; SR 822.111), nach welcher Norm die zeitliche Differenz
zur normalen Wegzeit, die allenfalls anfällt, wenn die Arbeit ausserhalb des
Arbeitsortes zu leisten ist, an dem der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin
normalerweise die Arbeit verrichtet, als Arbeitszeit definiert wird, nichts.
Diese Regelung erweist sich vorliegend entgegen der Auffassung der
Beschwerdegegnerin nicht als einschlägig, da die Versicherte sich insofern in
einer Ausnahmesituation befand, als sie nicht über einen festen Arbeitsort
Zürich verfügte, welchen sie zwischendurch verlassen musste, um Arbeit
ausserhalb zu verrichten, sondern sie ihre Tätigkeit als Filialleiterin,
obgleich ihr vertraglich offenbar der Standort Zürich zugesichert worden war,
dauerhaft in Luzern auszuüben hatte (vgl. dazu Adrian von Kaenel, in: Thomas
Geiser/Adrian von Kaenel/Rémy Wyler [Hrsg.], Arbeitsgesetz, Handkommentar, Bern
2005, N 14 zu Art. 9).

4.2 Ist nach dem Gesagten davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin die
fragliche Wegentschädigung in Form einer regelmässig ausgerichteten und daher
Lohnbestandteil bildenden Zulage erhalten hat, bleibt zu prüfen, ob diese, da
ihr als Abgeltung der mit dem Arbeitsortwechsel verbundenen Erschwernisse doch
überwiegend der Charakter einer - grundsätzlich nicht massgebenden Lohn im
Sinne von Art. 23 Abs. 1 AVIG darstellenden - arbeitsbedingten
Inkonvenienzentschädigung zukommen dürfte, überhaupt dem versicherten Verdienst
zuzurechnen ist. Diese Frage ist vor dem Hintergrund des in E. 3.2 hievor
Ausgeführten in Bezug auf die vorliegende Fallkonstellation zu bejahen, wurde
den Salärabrechnungen zufolge doch auf dem gesamten Grundlohn (einschliesslich
der Wegzulage in Form der zwei zusätzlich angerechneten Stunden) eine
Ferienentschädigung vergütet (vgl. namentlich auch Ziffer C2 des KS ALE).

Da für die von der Beschwerdeführerin bemängelten - und von der Vorinstanz in
für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlicher Weise implizit verneinten -
"Diskrepanzen zwischen den Arbeitgeberangaben und den effektiv erbrachten
Leistungen" sodann keine Anhaltspunkte bestehen, insbesondere hatte die
Versicherte, auch unter Ausserachtlassung der auf die Wegentschädigung
entfallenden zwei Arbeitsstunden (vgl. dazu die diesbezüglich einlässliche E. 3
des kantonalen Gerichtsentscheids, S. 4), regelmässig ein höheres als das auf
Grund der betrieblichen Normalarbeitszeit (von 42,5 Stunden gemäss
Bescheinigung der ehemaligen Arbeitgeberin vom 6. April 2006, Ziff. 5 und 6)
maximal erzielbare Gehalt erwirtschaftet, welches jedoch, soweit Ausfluss von
Überstundenarbeit, arbeitslosenversicherungsrechtlich unbeachtlich ist, ist der
versicherte Verdienst wie folgt festzusetzen: 184,66 Stunden monatlich (42,5
Stunden wöchentlich x 52,14 [Anzahl Wochen pro Jahr] : 12 Monate) x Fr. 28.87
(2 x Fr. 23.37 : 8,5 + Fr. 23.37), woraus sich ein massgebender Wert von Fr.
5331.- ergibt.

5.
Der im Wesentlichen unterliegenden Beschwerdegegnerin sind, da sie in ihrem
Vermögensinteresse handelt (vgl. Art. 66 Abs. 4 BGG; BGE 133 V 637 E. 4.6 S.
639 mit Hinweisen; Urteil 8C_455/2007 vom 2. April 2008, E. 7), die
Gerichtskosten gesamthaft aufzuerlegen (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit
Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat der durch eine Rechtsschutzversicherung
vertretenen Beschwerdeführerin ferner eine Parteientschädigung auszurichten
(Art. 68 Abs. 1 und 2
BGG; E. 3 des in ARV 2007 S. 46 diesbezüglich nicht vollständig wiedergegebenen
Urteils C 284/05 vom 25. April 2006; Urteil K 44/91 vom 27. Januar 1992).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 21. März 2008 und der
Einspracheentscheid der Unia Arbeitslosenkasse vom 18. September 2006 werden
aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung auf der Basis eines versicherten Verdienstes von Fr.
5331.- hat. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich und dem
Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. August 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung i. V. Flückiger