Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.36/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_36/2008

Urteil vom 9. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
Y.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Saner,
Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 27. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1963 geborene Y.________ war als Lagermitarbeiter der Firma T.________ AG
bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von
Unfällen versichert, als er am 9. Januar 1996 von einem Stapler fiel und sich
am Ellbogen verletzte. Der Versicherte konnte seine angestammte Tätigkeit
offenbar im Februar 1996 wieder aufnehmen. Er war weiterhin über seine
Arbeitgeberin bei der SUVA gegen die Folgen von Unfällen versichert, als er
sich am 23. Juni 2000 beim Anziehen eines "Rolli-Gummis" erneut am Ellbogen
verletzte. Die Behandlung konnte am 20. Juli 2000 abgeschlossen werden.

Am 24. Juli 2001 liess der Versicherte der SUVA einen Rückfall bezüglich der
beiden Ereignisse von 1996 und 2000 melden. Die SUVA anerkannte ihre
Leistungspflicht und erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Insbesondere wurde
am 14. Dezember 2001 in der Orthopädischen Klinik B.________ eine operative
mediale Seitenbandrekonstruktion am rechten Ellbogen durchgeführt. Mit
Verfügung vom 2. August 2005 und Einspracheentscheid vom 20. Oktober 2005
stellte die SUVA ihre Leistungen per 31. August 2005 ein, da die darüber hinaus
bestehenden Beschwerden in erster Linie psychisch begründet seien und nicht
adäquat kausal durch die Ereignisse verursacht worden seien.

B.
Die von Y.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. November
2007 ab.

C.
Mit Beschwerde beantragt Y.________, die SUVA sei unter Aufhebung des
Einsprache- und kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, über den 31.
August 2005 hinaus Leistungen zu erbringen.

Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Schreiben vom 20. Februar 2008 reicht Y.________ ein Gutachten des Dr. med.
U.________ vom 8. Februar 2008 zu den Akten und beantragt, die SUVA sei zur
Erstattung der Gutachtenskosten in der Höhe von Fr. 9'960.- zu verpflichten.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Mit Schreiben vom 20. Februar 2008 reicht Y.________ ein Gutachten des Dr. med.
U.________ vom 8. Februar 2008 zu den Akten und beantragt, die SUVA sei zur
Erstattung der Gutachtenskosten in der Höhe von Fr. 9'960.- zu verpflichten.
Die vom Bundesgericht bis anhin offen gelassene Frage, ob im
Beschwerdeverfahren um Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der
Militär- oder Unfallversicherung neue Beweismittel eingereicht werden dürfen
(vgl. etwa Urteile 8C_260/2007 vom 31. Oktober 2007, E. 2; 8C_619/2007 vom 29.
Januar 2008, E. 3.2.6 und 8C_806/2007 vom 7. August 2008, E. 3), braucht auch
vorliegend nicht beantwortet zu werden: Selbst wenn man von der grundsätzlichen
Zulässigkeit neuer Beweismittel ausgehen würde, so ist doch an der
Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 132 OG festzuhalten (Urteil 9C_40/
2007 vom 31. Juli 2007, E. 3.1), gemäss der nach Ablauf der Beschwerdefrist
oder nach Abschluss eines zweiten Schriftenwechsels neue erhebliche Tatsachen
oder schlüssige Beweismittel nur noch vorgebracht werden dürfen, wenn diese
eine Revision im Sinne von Art. 137 lit. b OG (heute: Art. 123 Abs. 2 lit. a
BGG) zu rechtfertigen vermöchten (BGE 127 V 353; Urteil I 600/00 vom 10.
Dezember 2001, E. 1b). Dies trifft vorliegend nicht zu, womit das Gutachten des
Dr. med. U.________ vom 8. Februar 2008 ein unzulässiges Beweismittel
darstellt. Damit entfällt auch eine Entschädigungspflicht der
Beschwerdegegnerin für die Kosten der Begutachtung.

3.
Die Zusprechung von Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung setzt
grundsätzlich das Vorliegen eines Berufsunfalles, eines Nichtberufsunfalles
oder einer Berufskrankheit voraus (Art. 6 Abs. 1 UVG). Der Unfallversicherer
haftet jedoch für einen Gesundheitsschaden nur insoweit, als dieser nicht nur
in einem natürlichen, sondern auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum
versicherten Ereignis steht (BGE 129 V 177 E. 3 S. 181). Dabei spielt die
Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der sich aus dem natürlichen
Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Unfallversicherers im Bereich
organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen praktisch keine Rolle, da sich
hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 134 V
109 E. 2 S. 111 f.; 127 V 102 E. 5b/bb S. 103). Bei psychischen Unfallfolgen
ist demgegenüber zur Beurteilung der Adäquanz vom augenfälligen
Geschehensablauf auszugehen, und es sind gegebenenfalls weitere unfallbezogene
Kriterien einzubeziehen (BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140).

4.
Streitig und zu prüfen ist, welche vom Versicherten über den 31. August 2005
hinaus anhaltend geklagten Beschwerden adäquat kausal durch die
Unfallereignisse vom 9. Januar 1996 und/oder vom 23. Juni 2000 verursacht
wurden.

5.
5.1 Vorinstanz und Verwaltung gingen davon aus, dass zwischen den
Unfallereignissen und der humero-radialen Arthrose am rechten Ellbogen, nicht
aber zwischen den Ereignissen und der humero-ulnaren Arthrose ein
Kausalzusammenhang besteht. Auch unter Berücksichtigung dieses Krankheitsbildes
sei ein Ganztageseinsatz selbst bei einer manuellen Tätigkeit zumutbar. Die
weitergehenden Einschränkungen seien auf eine somatoforme Schmerzstörung
zurückzuführen; die Schmerzstörung sei indessen nicht adäquat kausal durch die
Unfallereignisse verursacht.

Der Beschwerdeführer macht seinerseits geltend, nicht nur die humero-radiale,
sondern auch die humero-ulnare Arthrose sei durch die beiden Ereignisse
verursacht. Bereits durch diese Arthrosen sei er wesentlich in seiner
Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Die weitergehenden Einschränkungen seien zudem
nicht durch eine somatofrome Schmerzstörung, sondern durch ein unfallkausales
Complex Regional Pain Syndrom Typ II (CRPS II) verursacht.

5.2 Eine somatoforme Schmerzstörung (ICD-10: F45.4) wurde beim Beschwerdeführer
durch den SUVA-Arzt Dr. med W.________, (FMH Psychiatrie und Psychotherapie),
in seiner Beurteilung vom 28. Oktober 2004 diagnostiziert. Gemäss den
Klassifikationskriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) darf diese
Diagnose nur gestellt werden, wenn der schwere und belastende Schmerz nicht
adäquat durch den Nachweis eines physiologischen Prozesses oder einer
körperlichen Störung erklärt werden kann (vgl. Dilling/Freyberger [Hrsg.]),
Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, 3. Aufl. Bern
2006, S. 185). Dr. med. W.________ stützt sich bei seiner Diagnosenstellung
denn auch auf die Annahme, dass die somatischen Befunde die geklagten
Beschwerden nicht ausreichend zu erklären vermögen und dass insbesondere der
Verdacht auf ein CRPS II nicht bestätigt wurde. Daraus ist zu folgern, dass das
Vorliegen einer somatoformen Schmerzstörung beim Beschwerdeführer nur dann
überwiegend wahrscheinlich erscheint, wenn diese Annahme zutrifft und er nicht
an einem CRPS II litt.

5.3 Beim Beschwerdeführer wurde ein CRPS II erstmals von Dr. med. U.________
(Chirurgie FMH, speziell Handchirurgie), in seinem Bericht vom 21. März 2003
diagnostiziert. Die Schmerzabteilung der Rehaklinik führte in der Diagnoseliste
ihres Berichtes vom 22. Mai 2003 einen Verdacht auf ein Quadrantensyndrom bei
CRPS II auf. Am 26. Januar 2004 führten die Ärzte der Rehakliniik aus, dass die
anamnestischen und klinischen Befunde unverändert für ein neuropathisches
Schmerzsyndrom mit sympathisch vermittelter Ausweitung auf den rechten oberen
Quadranten nach neuropathischem Schmerzsyndrom (CRPS II) sprechen würden. Aus
den Akten ist nicht ersichtlich, dass zwischen dem 26. Januar und dem 28.
Oktober 2004 weitere Untersuchungen stattfanden, welche dazu dienten, den
Verdacht auf ein CRPS II zu bestätigen oder zu widerlegen. Die Ausführungen des
Dr. med. W.________ in seinem Bericht vom 28. Oktober 2004, wonach der Verdacht
auf ein CRPS II nicht habe bestätigt werden können, entbehren somit einer
aktenmässigen Grundlage.

5.4 Entgegen den Ausführungen der Vorinstanz kann aus dem Umstand, dass der
Beschwerdeführer sich nicht nur über ein eng auf den Ellbogen bezogenes
Schmerzsyndrom beklagt, nicht ohne weitere Abklärungen geschlossen werden, er
leide nicht an einem CRPS. In der Literatur wurde jedenfalls für den einen
Subtypus des CRPS, der sympathischen Reflexdystrophie, eine Tendenz zur
Generalisierung der Symptome, die die gesamte distale Extremität betreffen und
sich auf den betroffenen Körperquadranten bzw. selten sogar auf die
kontralaterale Extremität ausbreiten können, beschrieben (Mumenthaler/Stöhr/
Müller-Vahl, Läsionen peripherer Nerven und radikuläre Syndrome, 8. Aufl.
Stuttgart 2003, S. 60). Aufgrund der Akten ist weder mit dem notwendigen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erstellt, dass der
Beschwerdeführer an einem CRPS litt, noch dass der Verdacht auf ein solches
Leiden unbegründet war. Insbesondere fehlt bis anhin eine neurologische
Stellungnahme zur Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerden des Versicherten
durch ein neuropathisches Schmerzsyndrom verursacht sind. Da die Diagnose der
somatoformen Schmerzstörung von der Annahme ausgeht, dass kein CRPS vorlag,
erscheint auch eine psychiatrische Störung solange nicht überwiegend
wahrscheinlich, bis die Möglichkeit eines CRPS mit dem notwendigen Beweisgrad
ausgeschlossen werden kann. Der Sachverhalt erweist sich als zu wenig
abgeklärt. Die Beschwerde ist somit in dem Sinne gutzuheissen, dass Einsprache-
und kantonaler Gerichtsentscheid aufzuheben sind und die Sache an die
Versicherung zurückzuweisen ist, damit diese mit einer umfassenden
neurologischen Begutachtung kläre, ob der Beschwerdeführer tatsächlich an einem
unfallkausalen neuropathischen Schmerzsyndrom litt bzw. leidet. Anschliessend
wird sie über ihre Leistungspflicht neu zu entscheiden haben.

6.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat
die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE
133 V 643 E. 5). Diese hat dem Beschwerdeführer überdies eine
Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. November 2007 und der
Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) vom
20. Oktober 2005 werden aufgehoben. Es wird die Sache an die SUVA
zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen,
über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers ab 31. August 2005 neu
verfüge. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Holzer