Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.367/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_367/2008

Urteil vom 26. November 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Kopp Käch.

Parteien
S.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Gerhard Lanz,
Kirchenfeldstrasse 68, 3005 Bern,

gegen

beco Berner Wirtschaft, Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, Lagerhausweg 10, 3018
Bern,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 20. März 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1972 geborene S.________ war seit 29. August 1988 als Mitarbeiterin
Abteilung Produktion I bei der O.________ AG tätig, ab 1. Mai 2004 - nach der
Geburt des ersten Kindes am 8. August 2003 - in einem 50%igen Arbeitspensum.
Infolge Umstrukturierung mangels Auftragsbestand kündigte die Arbeitgeberin das
Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. Oktober 2006 auf 31. Januar 2007.
Nachdem sich S.________ am 2. November 2006 beim Regionalen
Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zur Arbeitsvermittlung angemeldet hatte,
stellte sie am 1. Februar 2007 einen Antrag auf Arbeitslosenentschädigung ab
diesem Datum und gab an, eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von (höchstens)
50 % zu suchen.

Mit Verfügung vom 14. Juni 2007 verneinte das beco Berner Wirtschaft,
Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst (nachfolgend: beco) die Vermittlungsfähigkeit
und damit den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung von S.________ ab 1. Mai
2007. Die Einsprache der Versicherten hiess das beco mit Entscheid vom 15.
August 2007 in dem Sinne teilweise gut, als die Vermittlungsfähigkeit ab 1.
August 2007 bejaht werde und die Anspruchsberechtigung im Umfang von 50 %
gegeben sei, sofern die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien,
wohingegen die Vermittlungsfähigkeit für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2007
verneint werde.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 20. März 2008 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt S.________
beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihr auch für die
Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2007, eventualiter vom 2. bis 31. Juli 2007 die
gesetzliche Arbeitslosenentschädigung auszurichten.

Das beco und das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2 Bei der Anwendung der gesetzlichen und rechtsprechungsgemässen Regeln über
die Vermittlungsfähigkeit geht es um eine Rechtsfrage. Zu prüfen ist hierbei
insbesondere die falsche Rechtsanwendung. Diese basiert auf einer im Rahmen von
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG grundsätzlich verbindlichen Sachverhaltsfeststellung
(Urteil 8C_172/2008 vom 5. Juni 2008 E. 3).

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über die
Vermittlungsfähigkeit als eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung (Art. 8 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 15 Abs.
1 AVIG), die dazu ergangene Rechtsprechung (BGE 126 V 520 E. 3a S. 521 mit
Hinweisen) und die Rechtsprechung zur Vermittlungsfähigkeit von versicherten
Personen, die sich im Hinblick auf anderweitige Verpflichtungen oder besondere
persönliche Umstände lediglich während gewisser Tages- oder Wochenstunden
erwerblich betätigen wollen (BGE 123 V 214 E. 3 S. 216, 120 V 385 E. 3a S. 388
mit Hinweisen), zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.

2.2 Zu betonen ist, dass für die Frage der Vermittlungsfähigkeit die konkreten
Aussichten auf eine Anstellung auf dem für die versicherte Person in Betracht
fallenden allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der zeitlichen
Verfügbarkeit, aber auch der herrschenden konjunkturellen Verhältnisse sowie
aller andern Umstände, entscheidend sind. Nach der Rechtsprechung begründet der
Umstand, dass Versicherte sich im Hinblick auf anderweitige, namentlich
familiäre Verpflichtungen, oder besondere persönliche Umstände lediglich
während gewisser Tages- oder Wochenstunden erwerblich betätigen wollen oder
Eltern betreuungspflichtiger Kinder eine Arbeit in Gegenschicht zum
erwerbstätigen Ehegatten wünschen, allein noch keine Vermittlungsunfähigkeit.
Diese Rechtsfolge tritt indes dann ein, wenn der versicherten Person bei der
Auswahl des Arbeitsplatzes aus familiären oder persönlichen Gründen
nachweislich derart enge Grenzen gesetzt sind, dass das Finden einer passenden,
eventuell zu jener des Ehegatten komplementären, Stelle sehr ungewiss ist (vgl.
BGE 123 V 214 E. 3 S. 216, 120 V 385 E. 3a S. 388 mit Hinweisen; ARV 2004 Nr.
29 S. 278 E. 3.1, C 255/02 und 1991 Nr. 2 S. 18 E. 3a, C 45/90).

3.
Streitig und zu prüfen ist die Vermittlungsfähigkeit der Versicherten für die
Zeit ab 1. Mai bis 31. Juli 2007.

3.1 Fest steht, dass die Beschwerdeführerin ab 1988 bei der O.________ AG als
Mitarbeiterin Abteilung Produktion tätig war, wobei sie das Arbeitspensum nach
der Geburt des ersten Kindes ab 1. Mai 2004 auf 50 % reduziert hatte, und dass
das Arbeitsverhältnis infolge Umstrukturierung mangels Auftragsbestand durch
die Arbeitgeberin per 31. Januar 2007 aufgelöst worden ist. In der Anmeldung
zur Arbeitsvermittlung gab die Beschwerdeführerin an, eine 50 %-Stelle
vormittags/nachmittags als Hilfsarbeiterin für normale Arbeiten, als Monteurin
mechanischer Teile oder als Lagerarbeiterin zu suchen. Anlässlich der
Beratungsgespräche von Februar bis April 2007 bezeichnete der damals zuständige
Berater die Marktchancen als "etwas eingeschränkt infolge der 50 %
Vermittelbarkeit, jedoch durchaus vorhanden in den bekannten Bereichen wie
Lager, Montage, Spedition, Hilfsarbeiten...". Anlässlich des Gesprächs vom 7.
Mai 2007 bei der neu zuständigen Beraterin wurde vermerkt, dass die Versicherte
bei der O.________ AG jeweils eine Woche vormittags, eine Woche nachmittags dem
Schichtwechsel des Ehemannes angepasst, gearbeitet hatte, weshalb die Beraterin
die Marktchancen als gering bezeichnete. Nachdem die Beschwerdeführerin im
Formular "Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme" am 7. Mai 2007 als mögliche
Arbeitszeiten vormittags 07.00 bis 12.00 Uhr und nachmittags 14.00 bis 18.00
Uhr angegeben und unter dem Stichwort "Bemerkungen" festgehalten hatte, "Nur in
Gegenschicht mit Ehemann. Arbeitszeiten wechselnd: 1 Woche vormittags, 1 Woche
nachmittags." ,überwies das RAV die Sache dem beco zum Entscheid über die
Vermittlungsfähigkeit. Im Rahmen des rechtlichen Gehörs teilte die Versicherte
dem beco mit, das Arbeiten in Gegenschicht zu ihrem Ehemann und die dadurch
gewährte Kinderbetreuung hätten gut funktioniert. Sie suche deshalb wieder eine
Arbeit im Umfang von 50 % in Gegenschicht zu ihrem Ehemann; die Kinder würden
weder durch Privatpersonen noch in einer Krippe betreut.

3.2 Mit Verfügung vom 14. Juni 2007 verneinte das beco die
Vermittlungsfähigkeit der Beschwerdeführerin ab 1. Mai 2007 mit der Begründung,
auf Grund der angegebenen möglichen Arbeitszeiten in Gegenschicht zum Ehemann
seien der Beschwerdeführerin bei der Auswahl eines Arbeitsplatzes so enge
Grenzen gesetzt, dass das Finden einer Stelle unmöglich erscheine. Die
Versicherte erklärte daraufhin dem beco mit Schreiben vom 19. Juni 2007, es sei
zu einem Missverständnis gekommen. Sie suche nach wie vor eine 50 %-Stelle und
habe in den Bewerbungsschreiben nichts von Gegenschicht erwähnt. Wenn es nicht
anders gehe, nehme sie auch eine Stelle an, bei der sie nicht in Gegenschicht
zum Ehemann arbeiten könne. In Ergänzung der Einsprache liess die
Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 30. Juli 2007 ausführen, sobald sie darauf
aufmerksam gemacht worden sei, der Wunsch nach Arbeit in Gegenschicht zu ihrem
Ehemann könnte ihrer Vermittlungsfähigkeit entgegenstehen, habe sie
klargestellt, dass sie auch eine Stelle annehmen würde, bei welcher dies nicht
möglich sei, wobei in diesem Fall die Kinderbetreuung durch ihre im gleichen
Dorf lebenden Eltern gewährleistet würde. Eine entsprechende Bestätigung der
Eltern reichte sie am 31. Juli 2007 nach. Mit Einspracheentscheid vom 15.
August 2007 bejahte das beco die Vermittlungsfähigkeit ab 1. August 2007, da
gestützt auf die am 31. Juli 2007 eingereichte Bescheinigung der Eltern der
Beschwerdeführerin der Nachweis der Kinderbetreuung ab 1. August 2007 erbracht
sei.

3.3 Das kantonale Gericht hat die Rechtmässigkeit des Einspracheentscheids
bestätigt, indem es ebenfalls davon ausging, das Finden einer 50 %-Stelle in
Gegenschicht zum Ehemann sei sehr ungewiss. Eine allfällige Verletzung der
Aufklärungspflicht seitens des RAV-Beraters wäre sodann - so die Vorinstanz -
spätestens mit Schreiben des beco vom 18. Mai 2007 geheilt worden, da dort die
Zweifel an der Vermittlungsfähigkeit geäussert worden seien. Die Versicherte
habe jedoch diesbezüglich nicht reagiert, sondern an ihren Vorstellungen
festgehalten und bis zum 31. Juli 2007 keinen Betreuungsnachweis erbracht.

4.
4.1 Die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin aus familiären Gründen ein 50
%-Pensum grundsätzlich in Gegenschicht zu ihrem Ehemann arbeiten möchte,
reduziert - wie Vorinstanz und Verwaltung ausgeführt haben - ihre reellen
Chancen, auf dem ihr offen stehenden Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden. Die
Vermittlungsfähigkeit darf jedoch rechtsprechungsgemäss nicht leichthin unter
Verweis auf familiäre Betreuungsaufgaben verneint werden. Dies gilt namentlich
dann, wenn eine Person vor Eintritt der Arbeitslosigkeit bereits den Tatbeweis
erbracht hat, dass sie trotz Betreuungsaufgaben eine Beschäftigung auszuüben
bereit und in der Lage war, und die bisherige Stelle aus nicht selbst zu
verantwortenden Gründen aufgegeben werden musste (Urteil C 29/07 vom 10. März
2008 E. 4.1). Sämtliche dieser Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die
Beschwerdeführerin war seit 1. Mai 2004 neben der Kinderbetreuung in einem 50
%-Pensum in Gegenschicht zu ihrem Ehemann tätig und verlor diese Stelle infolge
Umstrukturierung der Arbeitgeberin. Ihre konkreten Aussichten, auf dem für sie
in Betracht fallenden Arbeitsmarkt vormittags zwischen 07.00 und 12.00 Uhr oder
nachmittags zwischen 14.00 und 18.00 Uhr wieder in einem 50 %-Pensum einer
ausserhäuslichen Tätigkeit nachgehen zu können, sind unter Berücksichtigung der
zeitlichen Verfügbarkeit, der regelmässigen Schichtarbeit des Ehemannes und der
konjunkturellen Verhältnisse - entgegen Vorinstanz und Verwaltung - als intakt
zu beurteilen. Für die Versicherte kommen nämlich in erster Linie Hilfs- oder
Lagerarbeiten in Frage, bei welchen sowohl Schichtarbeit wie stundenweise
Einsätze zu unterschiedlichen Tageszeiten üblich und möglich sind.

4.2 Was sodann die Frage des Nachweises der Kinderbetreuung anbelangt, ist
darauf hinzuweisen, dass - wie auch im Kreisschreiben ALE, Januar 2007, Rz. B
225 ausgeführt - die Kinderbetreuung der versicherten Person überlassen ist.
Erst wenn im Verlaufe des Leistungsbezugs der Wille oder die Möglichkeit, die
Kinder nötigenfalls einer Drittperson anzuvertrauen, als zweifelhaft erscheine,
müsse die zuständige Amtsstelle die Vermittlungsfähigkeit im Hinblick auf die
konkrete Möglichkeit einer Kinderbetreuung prüfen und einen Obhutsnachweis
verlangen. Ausser bei offensichtlichem Missbrauch ist somit nicht schon im
Zeitpunkt des Einreichens des Entschädigungsgesuchs der Nachweis der Betreuung
zu prüfen (ARV 2006 Nr. 3 S. 62, C 88/05, mit Hinweis), sondern auf plausible
Angaben abzustellen (vgl. THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in:
Ulrich Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Band XIV,
Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel 2007, Rz. 267). Vorliegend hat die
Beschwerdeführerin, nachdem allfällige Probleme hinsichtlich der
Vermittlungsfähigkeit wegen der Arbeit in Gegenschicht zum Ehemann sowie der
Kinderbetreuung thematisiert worden waren, darauf hingewiesen, dass ihre im
gleichen Dorf lebenden Eltern bei Bedarf einspringen würden, und eine
entsprechende Bestätigung nachgereicht. Auf diese plausiblen Angaben kann
abgestellt werden. Eine frühere Überprüfung war nach Gesagtem nicht angezeigt.

4.3 Zusammenfassend haben Vorinstanz und beco die Vermittlungsfähigkeit der
Beschwerdeführerin für die Zeit ab 1. Mai bis 31. Juli 2007 zu Unrecht
verneint.

5.
Dem beco als unterliegender Partei sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen, weil
es in seinem amtlichen Wirkungskreis und nicht im eigenen Vermögensinteresse
handelt (Art. 66 Abs. 4 BGG; BGE 133 V 640).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Bern vom 20. März 2008 und der Einspracheentscheid des beco Berner
Wirtschaft, Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst vom 15. August 2007 werden
aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin ab 1. Mai 2007
vermittlungsfähig war.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Beschwerdegegner hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen.
5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und
dem Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. November 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Kopp Käch