Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.331/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_331/2008

Urteil vom 31. Oktober 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiberin Polla.

Parteien
G.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Erwin Künzler, Oberer Graben 3, 9000 St.
Gallen,

gegen

Regionales Arbeitsvermittlungszentrum, Beschwerdegegner, vertreten durch das
Amt für Arbeit des Kantons St. Gallen, Unterstrasse 22, 9000 St. Gallen.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 28. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1977 geborene G.________ meldete sich am 25. November 2004 bei der
Arbeitslosenversicherung zur Stellenvermittlung und am 3. Dezember 2004 zum
Bezug von Arbeitslosenentschädigung (ab 17. November 2004) an, nachdem der
Unfallversicherer die aufgrund einer Berufskrankheit ausgerichteten Taggelder
(vorübergehend) eingestellt hatte. Bereits am 19. Mai 2003 hatte G.________
zudem bei der Invalidenversicherung um Leistungen ersucht. Das Regionale
Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) verneinte einen Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung ab Anmeldung (25. November 2004) wegen fehlender
Vermittlungsfähigkeit, da G.________ wiederholt erklärt habe, nicht
arbeitsfähig zu sein. Auf Einsprache hin wurde ergänzend ausgeführt, ab 16.
August 2005 habe der Versicherte mit der Annahme eines Zwischenverdienstes
seine Vermittlungsfähigkeit unter Beweis gestellt, weshalb ab diesem Datum der
Arbeitslosenentschädigungsanspruch bejaht und Taggelder zugesprochen worden
seien (Verfügung vom 28. Januar 2005 und Einspracheentscheid vom 16. April
2007).

B.
Die gegen den Einspracheentscheid vom 16. April 2007 erhobene Beschwerde mit
dem Antrag auf Zusprechung von Arbeitslosenentschädigung ab Antragstellung wies
das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 28. Februar
2008 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt G.________ sein
vorinstanzlich gestelltes Rechtsbegehren erneuern.
Das Amt für Arbeit schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das
Staatssekretariat für Wirtschaft hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung
von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht
(Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung stellt eine
vom Bundesgericht ebenfalls zu korrigierende Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 lit. a BGG dar (SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N. 24 zu Art. 97 BGG).

1.2 Bei der Anwendung der gesetzlichen und rechtsprechungsgemässen Regeln über
die Vermittlungsfähigkeit geht es um eine Rechtsfrage. Zu prüfen ist hierbei
insbesondere die falsche Rechtsanwendung. Diese basiert auf einer im Rahmen von
Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG grundsätzlich verbindlichen Sachverhaltsfeststellung
(Urteile 8C_172/2008 vom 5. Juni 2008 E. 3 und 8C_773/2007 vom 9. Januar 2008
E. 3).

2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die
Vermittlungsfähigkeit im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 1 lit. f und 15 Abs. 1 AVIG;
BGE 125 V 51 E. 6a S. 58; 123 V 214 E. 3 S. 216) und von Behinderten im
Besonderen (Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 AVIV; ARV 2006 S.
141, C 268/04, Urteil C 282/05 vom 3. März 2006 E. 2.3) korrekt dargelegt.
Darauf wird verwiesen.

Ein wesentliches Merkmal der Vermittlungsbereitschaft ist die Bereitschaft zur
Annahme einer Dauerstelle als Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin; dazu genügt die
Willenshaltung oder die bloss verbal erklärte Vermittlungsbereitschaft nicht
(NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundessozialversicherungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel/Genf
/München 2007, S. 2261 N. 270). Dieses subjektive Element ist auch bei der
Überprüfung der Vermittlungsfähigkeit behinderter Personen zu beachten. Denn
eine versicherte Person, die sich bis zum Entscheid der Invalidenversicherung
als nicht arbeitsfähig erachtet und weder Arbeit sucht noch eine zumutbare
Arbeit annimmt, ist nicht vermittlungsfähig (ARV 2004 S. 124, C 272/02).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob das RAV für die Zeit vom 25. November 2004 bis
15. August 2005 einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung wegen fehlender
Vermittlungsfähigkeit zu Recht verneint hat.

3.1 Dem Anmeldeschreiben vom 23. November 2004 und dem Antrag auf
Arbeitslosenentschädigung vom 3. Dezember 2004 lässt sich entnehmen, dass sich
der Versicherte unter Hinweis auf ein Arztzeugnis des Dr. med. F.________, FMH
Chirurgie, vom 3. November 2004, das eine vollständige Arbeitsunfähigkeit seit
Januar 2003 bis auf Weiteres attestiert, ab seiner Anmeldung beim RAV am 25.
November 2004 nicht als arbeitsfähig erachtete. Weiter fügte er an, er sei mit
der im Schreiben der Zürich Versicherungsgesellschaft vom 16. November 2004
geäusserten Einschätzung, dass ihm eine leichte, leidensadaptierte (das linke
Handgelenk nicht belastende) Tätigkeit zumutbar sei, nicht einverstanden. Im
Schreiben des Dr. med. F.________, an die Zürich Versicherungsgesellschaft vom
25. November 2004 wird dementsprechend ausgeführt, "nach Angaben des Patienten
eine Arbeitsfähigkeit nicht möglich da keine Kraft und starke Schmerzen. Somit
Unmöglichkeit ein Tablett zu halten." Dr. med. F.________ ging hingegen
ärztlicherseits von einer vollen Arbeitsfähigkeit bei nicht repetitiver
Belastung des linken Handgelenks aus, wobei die Diagnose einer Tendovaginose de
Quervain nicht bestritten wird. Sodann bekräftigte der Beschwerdeführer in
einem Schreiben vom 31. Dezember 2004 an das RAV seine seit Januar 2003
bestehende 100%-ige Arbeitsunfähigkeit und führte aus, er sei auch nach der
Anmeldung beim RAV der Meinung, dass nur ein Gutachten des UVG-Versicherers
über zumutbare Tätigkeiten befinden könne. In der Stellungnahme seines
Rechtsvertreters zur Vermittlungsfähigkeit vom 20. Januar 2005 wird u.a.
nochmals festgehalten, dass der Beschwerdeführer ab Januar 2003 arbeitsunfähig
sei und angeführt, der seit langem Arbeitsunfähige könne sich nicht um eine
Stelle bemühen, solange er nicht wisse, in welchem Umfang und in welcher Weise
seine Arbeitsfähigkeit wieder eintrete. Die kantonale Amtsstelle könne eine
vertrauensärztliche Untersuchung anordnen, wenn erhebliche Zweifel an der
Arbeitsfähigkeit eines Versicherten bestünden. Es sei dann Sache des Arztes,
festzuhalten, in welchem Unfang und bezüglich welcher Tätigkeit und unter
welchen Rahmenbedingungen hinsichtlich Arbeitsplatz und -zeit der Versicherte
arbeitsfähig sei. Primär wäre es jedoch Sache des Unfallversicherers, für eine
umfassende Begutachtung zu sorgen. Gleiches ergibt sich aus den Formularen
"Angaben der versicherten Person" für die Monate November 2004 bis März 2005,
gemäss welchen sich der Versicherte seit seiner Anmeldung bei der
Arbeitslosenversicherung als arbeitsunfähig erachtete. Von November 2004 bis
Februar 2005 reichte er folglich unter Hinweis auf das vorgelegte Arztzeugnis
des Dr. med. F.________ keine persönlichen Arbeitsbemühungen ein.

3.2 Ausgehend von einem nicht offensichtlich unrichtig oder unvollständig
festgestellten Sachverhalt durfte die Vorinstanz angesichts dieser klaren
Haltung des Versicherten ohne Bundesrecht zu verletzen zum Schluss gelangen,
die subjektive Vermittlungsfähigkeit sei nicht gegeben. Die Rüge des
Beschwerdeführers, Art. 17 Abs. 1 AVIG sei verletzt, da es das RAV an der
notwendigen Unterstützung bei der Stellensuche habe vermissen lassen, ist nicht
stichhaltig. Der Versicherte unterliegt der
arbeitslosenversicherungsrechtlichen Pflicht, sich im beantragten Rahmen um
Arbeit zu bemühen und diese nachzuweisen (Art. 17 Abs. 1 AVIG). Er hat sich
primär selbst intensiv nach einer zumutbaren Stelle umzusehen (BGE 122 V 266 E.
4). Überdies stellte er sich durch seine wiederholte, unmissverständliche
Äusserung, nicht arbeitsfähig zu sein, der öffentlichen Arbeitsvermittlung gar
nicht zur Verfügung. Auch sein Einwand, bis zum Entscheid der Unfall- oder
Invalidenversicherung, welche zuerst die Verweisungstätigkeiten festzulegen
hätten, seien Art und Umfang der noch ausführbaren Arbeiten unklar, verfängt
nicht (ARV 2004 Nr. 13 S. 126 E. 2.3, C 272/02). Aus dem Schreiben des
Chirurgen Dr. med. F.________ vom 25. November 2004 geht hervor, dass dieser im
erwähnten Zeugnis vom 3. November 2004 einzig das subjektive Empfinden des
Versicherten, vollständig arbeitsunfähig zu sein, wiedergab und vom
medizinischen Standpunkt aus vielmehr von einer 100%-igen Arbeitsfähigkeit in
leidensangepassten Tätigkeiten ausging. Dies deckt sich im Übrigen mit der
Einschätzung des den Versicherten im Auftrag der Zürich
Versicherungsgesellschaft am 31. Mai 2005 untersuchenden Dr. med. V.________,
Facharzt FMH für Chirurgie, SUVA Versicherungsmedizin, welcher Einschränkungen
in der Arbeitsfähigkeit einzig aus belastungsabhängigen Restbeschwerden sah,
wobei ein wesentlicher Teil der Einschränkung (auch in seinem angestammten
Beruf als Kellner) mit der subjektiv erlebten Selbstlimitierung und weniger mit
dem objektiven Befund zusammenhänge. Dr. med. V.________ erachtete den
Versicherten in leidensadaptierten Tätigkeiten ebenfalls voll arbeitsfähig
(Bericht vom 1. Juni 2005). Mit Blick auf die objektive Vermittlungsfähigkeit
wären demnach ab Antragstellung auf Arbeitslosenentschädigung ärztlicherseits
sämtliche das linke Handgelenk nicht belastende Tätigkeiten vollständig
zumutbar gewesen. Aus den Akten ergibt sich sodann, dass der Beschwerdeführer
bereits bei seiner ersten Anmeldung zur Stellenvermittlung am 24. Februar 2003
angab, Tätigkeiten im Bereich "Elektronik, PC, Internet" zu suchen. Auch
gegenüber Dr. med. V.________ äusserte er sich dahingehend, dass er sich etwas
mit Elektronik, Computer oder Elektrotechnik für Automobile vorstelle; er
denke, nur noch feine elektrotechnische Tätigkeiten seien seiner linken Hand
zumutbar. In diesem Bereich bewarb sich der Versicherte denn auch selber ab
August 2005 und absolvierte im September 2005 einen Kurs zum PC Techniker ISS,
was arbeitslosenversicherungsrechtlich zur Bejahung der Vermittlungsfähigkeit
ab 16. August 2005 führte. Am 1. Januar 2006 konnte er eine Stelle als Call
Center Agent bei der Firma C.________ AG, antreten. Damit kann dem
Beschwerdeführer auch insoweit nicht gefolgt werden, als in der Beschwerde
dargelegt wird, ohne fachmännische Unterstützung seitens des RAV hätte die
Arbeitssuche reine "Alibifunkion" gehabt. Schliesslich ist mit Blick auf das
Gesagte nicht ersichtlich, inwiefern das kantonale Gericht Bundesrecht verletzt
haben soll, indem es bestätigte, eine vertrauensärztliche Untersuchung gemäss
Art. 15 Abs. 3 AVIG dränge sich bei offensichtlicher subjektiver
Vermittlungsunfähigkeit nicht auf, zumal sie der Abklärung der
Vermittlungsfähigkeit im objektiven Sinn diene. Dem ist vorbehaltlos
beizupflichten, denn im Rahmen einer Untersuchung zur Abklärung der
Vermittlungsfähigkeit hat der Arzt den Gesundheitszustand zu diagnostizieren
und dazu Stellung zu nehmen, ob, in welchem Umfang, bezüglich welcher
Tätigkeiten und unter welchen Rahmenbedingungen hinsichtlich Arbeitsplatz und
-zeit der Versicherte arbeitsunfähig ist. Im Lichte der Tatsache, dass
unbestrittenermassen eine Tendovaginose de Quervain diagnostiziert wurde,
welche - wie dargelegt - aus ärztlicher Sicht eine ganztägige Tätigkeit ohne
repetitive Belastung des linken Handgelenks bereits seit Anmeldung zum
Leistungsbezug zugelassen hätte (Schreiben des Dr. med. F.________ vom 25.
November 2004), bestand zu einer vertrauensärztlichen Untersuchung seitens der
Arbeitslosenversicherung kein Anlass. Damit muss es bei der Ablehnung des
Anspruchs auf Arbeitslosentaggelder in der Zeit vom 25. November 2004 bis 15.
August 2005 auf Grund fehlender subjektiver Vermittlungsfähigkeit sein Bewenden
haben.
3.3
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die
Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei aufzuerlegen
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 31. Oktober 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

i.V. Leuzinger Polla