Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.325/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_325/2008

Urteil vom 17. Dezember 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiber Flückiger.

Parteien
R.________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Leo R. Gehrer,
Pestalozzistrasse 2, 9000 St. Gallen,

gegen

Zürich Versicherungs-Gesellschaft, Rechtsdienst, Generaldirektion Schweiz,
Postfach, 8085 Zürich Versicherung,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Hermann Rüegg, Bahnhofstrasse
11, 8630 Rüti.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 28. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
A.a Mit Verfügungen vom 21. September 2005 sprach die Allianz Suisse
Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Allianz) als zuständiger
obligatorischer Unfallversicherer der 1955 geborenen R.________ für die Folgen
eines Unfalls vom 19. März 1996 eine Invalidenrente von 50% für die Zeit vom 1.
März 1998 bis 31. Oktober 2019 und von 33% ab 1. November 2019 sowie eine
Integritätsentschädigung von 15% zu.
A.b Die Allianz erbrachte auch Leistungen im Zusammenhang mit einem
Auffahrunfall vom 7. Oktober 2001. Mit einer separaten, ebenfalls am 21.
September 2005 erlassenen Verfügung stellte sie diese Leistungen rückwirkend
per 31. Mai 2003 ein. Gleichzeitig verzichtete die Allianz auf eine
Rückforderung der bis 31. Mai 2004 erbrachten Taggeldleistungen.
A.c Am 1. Juli 1999 liess R.________ der Zürich Versicherungs-Gesellschaft
(nachfolgend: Zürich) als insoweit zuständigem obligatorischem
Unfallversicherer melden, sie habe am 27. Juni 1999 einen Unfall erlitten. Die
Zürich traf medizinische und erwerbliche Abklärungen. Namentlich holte sie ein
Gutachten der Klinik X.________ vom 10. Oktober 2000 ein. Anschliessend
verneinte sie mit Verfügung vom 10. November 2000 ihre Leistungspflicht für den
Vorfall vom 27. Juni 1999. Daran hielt der Versicherer - nach
zwischenzeitlicher Sistierung des Verfahrens - mit Einspracheentscheid vom 30.
Oktober 2006 fest. Zuvor hatte er unter anderem ein Gutachten des Dr. med.
J.________, Chefarzt-Stellvertreter an der Orthopädischen Universitätsklinik
des Spitals Y.________, vom 22. Mai 2003, mit ergänzenden Angaben vom 19.
August 2004, zu den Akten genommen.

B.
Die von der Versicherten gegen den Einspracheentscheid der Zürich vom 30.
Oktober 2006 erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen ab (Entscheid vom 28. Februar 2008). Im Verlauf des
Rechtsmittelverfahrens liess die Versicherte unter anderem Berichte des Dr.
med. M.________, Otorhinolaryngologie FMH, vom 11. April 2001 und 27. Februar
2007, des Dr. med. L.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 9. Juli
2004, des Dr. med. F.________, Allgemeine Medizin FMH, St. Gallen, vom 6.
September 2007 und des Dr. med. S.________, Facharzt für Anästhesie, St.
Gallen, vom 4. September 2007 einreichen.

C.
R.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, es seien der kantonale Entscheid und der
Einspracheentscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die
Zürich zurückzuweisen. Mit der Beschwerde werden weitere Dokumente eingereicht.

Die Zürich schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

D.
Mit Urteil U 394/06 vom 19. Februar 2008 hat das Bundesgericht die sog.
Schleudertrauma-Praxis bei organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden
präzisiert. Die Parteien hielten im Rahmen des ihnen zu dieser Präzisierung
gewährten rechtlichen Gehörs an ihren Rechtsbegehren fest.

Erwägungen:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff des
Unfalls (Art. 9 Abs. 1 UVV in der bis Ende 2002 gültig gewesenen Fassung; vgl.
jetzt Art. 4 ATSG) sowie den für die Leistungspflicht des obligatorischen
Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG) vorausgesetzten natürlichen
Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden bei
spezifischen Verletzungen der Halswirbelsäule (HWS; BGE 119 V 335 E. 2b/bb S.
340 f.; vgl. nun BGE 134 V 109 E. 9 S. 121 ff.), zutreffend dargelegt. Darauf
wird verwiesen.

2.
2.1 Über den Vorfall vom 27. Juni 1999 ist den Akten zu entnehmen, dass die
Beschwerdeführerin Beifahrerin in einem Personenwagen war. Dessen Lenker musste
auf der Autobahn - offenbar wegen eines Tieres - abrupt bremsen. Die
Beschwerdeführerin, welche sich nach eigenen Angaben nach vorne gebeugt hatte,
weil sie die weggerutschte Handtasche zu greifen versuchte, wurde zunächst nach
vorne in die Gurten gedrückt und anschliessend nach hinten geschleudert. Sie
macht geltend, sie sei mit dem Kopf gegen die Kopfstütze geprallt. Diesen
letzteren Umstand erachtete die Vorinstanz als nicht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit erstellt.

2.2 Nach der Rechtsprechung stellt die Hyperflexionsbewegung der
Halswirbelsäule bei der Vollbremsung eines Autos ohne Kollision für sich allein
genommen keinen ungewöhnlichen äusseren Faktor und damit keinen Unfall im
Rechtssinne dar, denn es handelt sich um einen im betreffenden Lebensbereich
alltäglichen und üblichen Vorgang. Die Annahme eines Unfalls im Rechtssinn
setzt ein schadenspezifisches Zusatzgeschehen voraus (BGE 134 V 74 E. 4.3.2.1
S. 80 f. mit Hinweisen). Dem Vorfall vom 27. Juni 1999 könnte somit nur dann
Unfallcharakter zukommen, wenn der Anprall an die Kopfstütze, welchen die
Beschwerdeführerin behauptet, während ihn das kantonale Gericht als nicht
erwiesen ansieht, ein derartiges Zusatzgeschehen darstellen würde. Dies ist
jedoch zu verneinen, denn im Anschluss an eine Vollbremsung kommt es keineswegs
selten vor, dass die betroffene Person zunächst nach vorne und anschliessend
nach hinten geworfen wird. Der Zweck der Kopfstütze besteht gerade darin, eine
weitere Schleuderbewegung der Halswirbelsäule zu verhindern. Der Aufprall als
solcher ist deshalb nicht ungewöhnlich. Das Eidgenössische Versicherungsgericht
hat denn auch in einem vergleichbaren Fall ein Unfallereignis verneint (Urteil
U 117/02 vom 9. Mai 2003 E. 2). Überdies ist zu berücksichtigen, dass aus der
Bewegung der HWS resultierende Verletzungen nicht die Folge des Aufpralls auf
der Kopfstütze, sondern bereits der vorangehenden Bewegung bilden würden. Der
vorinstanzliche Entscheid lässt sich demnach nicht beanstanden. Die Beschwerde
ist abzuweisen.

3.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die
Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin als der unterliegenden Partei
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin ist eine mit
öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute Organisation im Sinne von Art. 66 Abs.
4 BGG. Sie hat deshalb keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Dezember 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung i.V. Holzer