Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.308/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_308/2008

Urteil vom 24. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Grunder.

Parteien
B.________, 1950, Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Hanspeter Zgraggen, Badenerstrasse 15, 8004
Zürich,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern, Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
27. Februar 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1950 geborene B.________ ist seit Jahren Mitglied der Geschäftsleitung und
des Verwaltungsrats der Firma R.________ AG. Er leidet wegen Distorsionen des
linken (Unfall vom 3. Februar 1994) und des rechten (Unfall vom 13. Dezember
2000) Knies an erheblichen Beschwerden, weswegen am 4. Dezember 2003 in der
Klinik S.________ eine Knie-Totalprothese an beiden Gelenken eingesetzt wurde.
Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) erbrachte die gesetzlichen
Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld). Am 11. November 2004 wurde wegen
femoropatellärem Knieschmerz bei Status nach vorderer Kreuzbandersatzplastik
links ein weiterer Eingriff am linken Knie durchgeführt (Re-Arthrotomie,
Revision und Zentrierung der Patella; vgl. Operationsbericht der Klinik
S.________). Anlässlich einer kreisärztlichen Untersuchung vom 11. Mai 2005
fand Dr. med. W.________, Facharzt für Chirurgie FMH, blande Verhältnisse im
Bereich des rechten Knies; hinsichtlich des linken Knies bestanden eine leichte
Beweglichkeitseinschränkung und Belastungsintoleranz mit Schmerz- und
Reizsituation (Bericht vom 17. Mai 2005). In einer separaten Beurteilung
schätzte Dr. med. W.________ den Integritätsschaden aufgrund der Befunde an den
beiden Kniegelenken je auf 20 % ein (Bericht vom 11. Mai 2005). Der von der
Verwaltung befragte Dr. med. P._________, Facharzt FMH für Chirurgie,
Versicherungsmedizin, SUVA, kam zum Schluss, dass es sich in Anbetracht der
Restbeschwerden, speziell am linken Knie, bei der ausgeübten Tätigkeit als
Geschäftsführer/Aussendienstmitarbeiter um eine ideale, leichte
wechselbelastende Tätigkeit handle, die der Versicherte ohne Einschränkung
auszüben vermöge, weshalb keine Arbeitsunfähigkeit bestehe (Bericht vom 28.
Oktober 2005). Gemäss einem Protokoll der SUVA vom 13. Dezember 2005 hielt der
Versicherte fest, die Anforderungen an seine Tätigkeit hätten sich seit der
letzten Befragung vom 4. August 2003 geändert; er müsse wegen der verschärften
Konkurrenz vor allem bei den Kunden wie auch im Betrieb häufiger präsent sein,
welchen Anforderungen er nicht mehr gewachsen sei. Aufgrund dieser Ausführungen
stellte ein SUVA-Mitarbeiter am 15. Februar 2006 einen Betätigungsvergleich an,
welcher eine Erwerbseinbusse von 63 % ergab. Eine von der SUVA verlangte
Überprüfung der Buchhaltungsunterlagen verweigerte die Firma R.________ AG
trotz der angedrohten Rechtsfolgen (vgl. Verfügung der SUVA vom 11. April
2006). Mit Verfügung 7. Juli 2006 lehnte die SUVA einen Anspruch auf
Invalidenrente ab, weil die Restfolgen der Unfälle die Erwerbsfähigkeit nicht
wesentlich beeinträchtigten. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest
(Einspracheentscheid vom 15. Februar 2007).

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher u.a. ein Bericht des Dr. med.
W.________ vom 7. Februar 2008 eingereicht wurde, wies das Versicherungsgericht
des Kantons Aargau ab (Entscheid vom 27. Februar 2008).

C.
Mit Beschwerde lässt B.________ beantragen, unter Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids sei ihm "ab 1. April 2006 eine Invalidenrente bei
einem Invaliditätsgrad von 63 % zuzusprechen; eventualiter sei die Sache an die
Beschwerdegegnerin zurückzuweisen, damit diese nach weiteren Abklärungen über
den Rentenanspruch ... neu verfüge; ...".

Die SUVA schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Prozessthema bildet die Frage, ob der Beschwerdeführer wegen der vor allem
linksseitigen Knieleiden zu mindestens 10 % invalid ist (vgl. Art. 18 Abs. 1
UVG).

2.
2.1 Gemäss Art. 97 Abs. 2 BGG kann jede unrichtige oder unvollständige
Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden, wenn sich die
Beschwerde gegen einen Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung richtet. Das Bundesgericht
ist dabei nicht an die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz gebunden (Art.
105 Abs. 3 BGG).

2.2 Die Vorinstanz hat in den Erwägungen, worauf verwiesen wird, die
gesetzlichen Grundlagen über den Begriff der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG)
sowie die Bestimmung des Invaliditätsgrades (Art. 16 ATSG) zutreffend
dargelegt. Richtig ist weiter, dass auch bei Selbstständigerwerbenden der
Invaliditätsgrad nach der Einkommensvergleichsmethode zu ermitteln ist. Nur
ausnahmsweise ist in Anlehnung an die spezifische Methode für
Nichterwerbstätige ein Betätigungsvergleich anzustellen und der
Invaliditätsgrad nach Massgabe der erwerblichen Auswirkungen der verminderten
Leistungsfähigkeit in der konkreten erwerblichen Situation zu bestimmen (sog.
Ausserordentliches Bemessungsverfahren). Dies trifft dann zu, wenn die
hypothetischen Erwerbseinkommen nicht zuverlässig oder nur mit
unverhältnismässig grossem Aufwand ermittelt werden können (vgl. auch BGE 128 V
29 E. 1 S. 30 und E. 2 S. 31, 105 V 151 E. 2 und 104 V 135 E. 2 und 3).

3.
3.1
3.1.1 Nach den insoweit unbestrittenen und aktenmässig belegten Erwägungen der
Vorinstanz vermag der Beschwerdeführer als Geschäftsführer und eines von drei
Mitgliedern des Verwaltungsrats der Firma R.________ AG entscheidenden Einfluss
auf die Organisation der betrieblichen Strukturen des Unternehmens auszuüben.
Er ist in der Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten, welche im Wesentlichen
die Betreuung und Akquirierung von Kunden, Überwachung der Arbeiten im Betrieb
sowie die Erfüllung administrativer Aufgaben umfasst, vollständig autonom. Nach
den weiteren Erwägungen der Vorinstanz ist der Versicherte gemäss ärztlichen
Auskünften der Dres. med. W.________ und P._________ in einer leichten
wechselbelastenden Tätigkeit vollständig arbeitsfähig. Um eine solche handle es
sich bei den ausgeübten beruflichen Aktivitäten, weshalb keine wesentliche
Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit bestehe. Selbst wenn, wie geltend gemacht
werde, der Versicherte wegen der linksseitig bestehenden Kniebeschwerden sein
bisheriges Arbeitspensum nicht mehr zu bewältigen vermöge, ändere sich nichts,
da ihm im Rahmen der Schadenminderungspflicht betriebliche Anpassungen zumutbar
seien. Nachdem sich die Firma R.________ AG und mit ihr der Versicherte
geweigert hätten, die Buchhaltungsunterlagen offen zu legen, könne nicht
festgestellt werden, ob der Versicherte wegen der Kniebeschwerden die geltend
gemachte Erwerbseinbusse erleide. Insoweit habe er die Folgen der
Beweislosigkeit zu tragen.

3.1.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, gemäss dem im vorinstanzlichen Verfahren
aufgelegten Bericht des Dr. med. W.________ vom 7. Februar 2008 betrage die
Arbeitsunfähigkeit zwischen 30 und 50 %, welche Einschätzung im Wesentlichen
mit dessen Angaben vom 17. Mai 2005 übereinstimme. Die Vorinstanz übersehe
weiter, dass er für eine aus sechs Unternehmen bestehende Gruppe mit ungefähr
neunzig Mitarbeitern tätig sei, welche keine konsoldierte Buchhaltung erstelle.
Unter diesen Umständen sei es praktisch unmöglich, aus den
Buchhaltungsunterlagen "auf die erwerblichen Auswirkungen eines einzelnen
Angestellten zu schliessen". Insgesamt sei daher gestützt auf den von der SUVA
angestellten Betätigungsvergleich eine Leistungseinschränkung von 63 %
anzunehmen. Werde diesem Antrag nicht stattgegeben, sei die Sache zur Vornahme
einer zusätzlichen Abklärung an die SUVA zurückzuweisen.
3.2
3.2.1 Mit der Vorinstanz ist zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit von der
medizinischen Einschätzung des Dr. med. P._________ gemäss Bericht vom 28.
Oktober 2005 auszugehen. Sie steht im Wesentlichen in Übereinstimmung mit der
Schlussfolgerung des Dr. med. W.________ vom 17. Mai 2007, wonach der
Versicherte für angepasste, wechselbelastende Tätigkeiten vollzeitlich und
vollschichtig arbeitsfähig ist. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
sind die Angaben des Dr. med. W.________ nicht widersprüchlich. Er räumt
lediglich hinsichtlich der Schilderung des Versicherten zu der ihm möglichen
Arbeitsleistung vor und nach dem Unfall im angestammten Beruf ein, dass diese
wohl zutreffen dürfte; allerdings seien die Einschränkungen - bei
selbstständiger Tätigkeit und der Möglichkeit, seine Arbeit frei einzuteilen -
auf jeden Fall mit administrativen Leistungserhebungen und -prüfungen zu
evaluieren. An dieser medizinischen Prüfung der gesundheitlichen Lage ändert
der vorinstanzlich aufgelegte, im Wesentlichen gleichlautende Bericht des Dr.
med. W.________ vom 7. Februar 2008 nichts. Die Angaben der Klinik S.________
(Arbeitsunfähigkeit von 70 %; vgl. zuletzt Bericht vom 23. Juni 2005) und des
Hausarztes G.________ (50 %; vgl. zuletzt Bericht vom 29. August 2006) nehmen
nicht Bezug auf ein Zumutbarkeitsprofil und sind daher wenig aussagekräftig.
Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in einer dem
Knieleiden links angepassten Tätigkeit vollständig arbeitsfähig ist.

3.2.2 Hinsichtlich der erwerblichen Auswirkungen der gesundheitilichen
Beeinträchtigung ist der Vorinstanz entgegen den Einwänden in der
letztinstanzlichen Beschwerde nicht entgangen, dass sich der Aufgabenbereich
des Beschwerdeführers aus marktwirtschaftlichen Gründen verändert hat (vgl.
Protokolle der SUVA vom 4. August 2003 und 13. Dezember 2005). Sie hielt
lediglich zutreffend gestützt auf die Akten fest, dass der vom Mitarbeiter der
SUVA am 15. Februar 2006 angestellte Betätigungsvergleich allein auf den
Angaben des Versicherten beruht und daher als Beweismittel für die geltend
gemachte Erwerbseinbusse nicht aussagekräftig ist. Abzulehnen ist sodann der
Beweisantrag, es seien weitere Abklärungen durchzuführen. Zum einen lässt die
Firma R.________ AG und mit ihr der Versicherte die Einsicht in die (Lohn)
buchhaltung nicht zu, womit eine Überprüfung der geltend gemachten
Lohnminderung nicht möglich ist; zum anderen stellt der Beschwerdeführer selber
in Frage, ob seine Tätigkeiten, welche seinen eigenen Angaben gemäss neben den
Aufgaben als Verwaltungsrat und Geschäftsführer der Firma R.________ AG auch
Verwaltungsratsmandate und zusätzliche Verpflichtungen bei mindestens fünf
weiteren Unternehmen beinhalten, insgesamt an Ort und Stelle erfasst werden
könnten. Daher ist die vorinstanzliche Beweiswürdigung ebensowenig zu
beanstanden wie die daraus gezogene Schlussfolgerung, dem Beschwerdeführer
stehe keine Invalidenrente gemäss UVG zu.

4.
Die Kosten des Verfahrens werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 24. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung i.V. Fessler