Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.257/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_257/2008

Urteil vom 4. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Lustenberger,
Gerichtsschreiber Holzer.

Parteien
I.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Daniel Riner, Steinentorstrasse
13, 4051 Basel,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft
vom 28. November 2007.

Sachverhalt:

A.
Der 1968 geborene I.________ war als Spezialarbeiter der Firma B.________ AG
bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von
Unfällen versichert, als er am 21. Mai 2002 auf der Autobahn mit einem
Lastwagen kollidierte. Die SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht für die Folgen
dieses Ereignisses, kürzte jedoch mit Verfügung vom 7. November 2002 das
Taggeld um 10 %, da der Versicherte die Unfallfolgen durch Nichttragen der
Sicherheitsgurten grobfahrlässig verschlimmert habe. Diese Verfügung erwuchs
unangefochten in Rechtskraft. Nach medizinischen Behandlungsmassnahmen und
Abklärungen stellte die SUVA ihre Leistungen mit Verfügung vom 3. Februar 2005
und Einspracheentscheid vom 22. Juni 2005 per 31. März 2005 ein, da die
darüberhinaus anhaltenden Beschwerden nicht mehr in einem rechtsgenüglichen
Kausalzusammenhang zum Unfallereignis vom 21. Mai 2002 stünden.

B.
Gegen den Einspracheentscheid vom 22. Juni 2005 erhob I.________ am 20. Oktober
2005 Beschwerde beim Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht. Dieses trat aufgrund des Vertrauensgrundsatzes mit
Zwischenentscheid vom 2. Juni 2006 auf die Beschwerde trotz Verspätung ein. Die
von der SUVA hiegegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das
Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom 4. Dezember 2006 (U 353/06)
ab.

Mit Entscheid vom 28. November 2007 wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, die Beschwerde des Versicherten ab.

C.
Mit Beschwerde beantragt I.________, die SUVA sei unter Aufhebung des
Einsprache- und des kantonalen Gerichtsentscheides zu verpflichten, die
gesetzlichen Leistungen auch über den 31. März 2005 hinaus zu erbringen.

Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von
Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht
an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden
(Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).

2.
Die Zusprechung von Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung setzt
grundsätzlich das Vorliegen eines Berufsunfalles, eines Nichtberufsunfalles
oder einer Berufskrankheit voraus (Art. 6 Abs. 1 UVG). Der Unfallversicherer
haftet jedoch für einen Gesundheitsschaden nur insoweit, als dieser nicht nur
in einem natürlichen, sondern auch in einem adäquaten Kausalzusammenhang zum
versicherten Ereignis steht (BGE 129 V 177 E. 3 S. 181). Dabei spielt die
Adäquanz als rechtliche Eingrenzung der sich aus dem natürlichen
Kausalzusammenhang ergebenden Haftung des Unfallversicherers im Bereich
organisch objektiv ausgewiesener Unfallfolgen praktisch keine Rolle, da sich
hier die adäquate weitgehend mit der natürlichen Kausalität deckt (BGE 134 V
109 E. 2 S. 111 f.; 127 V 102 E. 5b/bb S. 103). Objektivierbar sind
Untersuchungsergebnisse, die reproduzierbar sind und von der Person des
Untersuchenden und den Angaben des Patienten unabhängig sind. Von organisch
objektiv ausgewiesenen Unfallfolgen kann somit erst dann gesprochen werden,
wenn die erhobenen Befunde mit apparativen/bildgebenden Abklärungen bestätigt
wurden und die hiebei angewendeten Untersuchungsmethoden wissenschaftlich
anerkannt sind (Urteil 8C_806/2007 vom 7. August 2008, E. 8.2 mit zahlreichen
Hinweisen). Sind die geklagten Beschwerden natürlich unfallkausal, nicht aber
in diesem Sinne objektiv ausgewiesen, so ist bei der Beurteilung der Adäquanz
vom augenfälligen Geschehensablauf auszugehen, und es sind gegebenefalls
weitere unfallbezogene Kriterien einzubeziehen (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111
f.). Hat die versicherte Person einen Unfall erlitten, welcher die Anwendung
der Schleudertrauma-Rechtsprechung rechtfertigt, so sind hierbei die durch BGE
134 V 109 E. 10 S. 126 ff. präzisierten Kriterien massgebend. Ist diese
Rechtsprechung nicht anwendbar, so sind grundsätzlich die Adäquanzkriterien,
welche für psychische Fehlentwicklungen nach einem Unfall entwickelt wurden
(BGE 115 V 133 E. 6c/aa S. 140), anzuwenden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.;
vgl. auch Urteil 8C_583/2007 vom 10. Juni 2008, E. 2.2).

3.
3.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherte am 21. Mai 2002
eine leichte HWS-Distorsion erlitten hat. Ebenfalls liegt zu Recht ausser
Streit, dass der Beschwerdeführer auch über den 31. März 2005 hinaus noch an
einem massiven psychischen Beschwerdebild litt, welches durch das
Unfallereignis verursacht wurde. Vorinstanz und Verwaltung haben die Adäquanz
des Kausalzusammenhanges zwischen Unfallereignis und den anhaltendenden
Beschwerden aufgrund der Rechtsprechung zur Adäquanzprüfung bei psychischen
Unfallfolgeschäden (BGE 115 V 133) geprüft und verneint. Der Beschwerdeführer
macht geltend, die Adäquanz des Kausalzusammenhanges - welche nach der sog.
"Schleudertrauma-Rechtsprechung" (vgl. BGE 134 V 109 E. 10 S. 126 ff.) zu
prüfen sei - sei zu bejahen.

3.2 Die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, nach welcher Rechtsprechung
die Adäquanzprüfung zu erfolgen habe, braucht vorliegend nicht beantwortet zu
werden, da - wie nachstehend gezeigt wird - die Adäquanz des
Kausalzusammenhanges selbst bei einer Prüfung nach BGE 115 V 133 zu bejahen
ist.
3.3
3.3.1 Die Schwere des Unfalles bestimmt sich nach dem augenfälligen
Geschehensablauf und nicht nach den Kriterien, welche bei der Beurteilung der
Adäquanz bei mittelschweren Unfällen Beachtung finden. Zu prüfen ist im Rahmen
einer objektivierten Betrachtungsweise, ob der Unfall eher als leicht, als
mittelschwer oder als schwer erscheint, wobei im mittleren Bereich
gegebenenfalls eine weitere Differenzierung nach der Nähe zu den leichten oder
schweren Unfällen erfolgt. Massgebend sind der augenfällige Geschehensablauf
mit den sich dabei entwickelnden Kräften, nicht jedoch Folgen des Unfalles oder
Begleitumstände, die nicht direkt dem Unfallgeschehen zugeordnet werden können.
Derartigen dem eigentlichen Unfallgeschehen nicht zuzuordnenden Faktoren ist
gegebenenfalls bei den Adäquanzkriterien Rechnung zu tragen. Dies gilt etwa für
die - ein eigenes Kriterium bildenden - Verletzungen, welche sich die
versicherte Person zuzieht, aber auch für - unter dem Gesichtspunkt der
besonders dramatischen Begleitumstände oder besonderen Eindrücklichkeit des
Unfalls zu prüfende - äussere Umstände, wie eine allfällige Dunkelheit im
Unfallzeitpunkt oder Verletzungs- resp. gar Todesfolgen, die der Unfall für
andere Personen nach sich zieht (SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, E. 5.3.1 [U 2/07]).
3.3.2 Dem Unfallrapport der Polizei Basel-Landschaft vom 27. Juni 2002 ist zum
Unfallhergang Folgendes zu entnehmen: Der Versicherte fuhr von Birsfelden her
auf die Autobahn H18 in Richtung Reinach. Vor dem Schänzli-Tunnel fuhr er auf
dem rechten Fahrstreifen. Offensichtlich hatte ein auf dem linken Fahrstreifen
fahrender Lastwagen-Chauffeur den Personenwagen übersehen, als er auf den
rechten Fahrstreifen wechselte. In der Folge kollidierte der Lastwagen mit dem
Personenwagen des Versicherten, worauf dieser zuerst mit der rechten,
anschliessend mit der linken Tunnelwand kollidierte. Da der Versicherte die
Sicherheitsgurten nicht trug, schlug er mit dem Kopf heftig gegen die
Windschutzscheibe, wobei diese barst. Aufgrund des augenfälligen
Geschehensablaufs mit den sich dabei entwickelnden Kräften ist das Ereignis vom
21. Mai 2002 als mittelschwer im Grenzbereich zu den schweren Unfällen zu
qualifizieren (vgl. auch Urteile U 587/06 vom 8. Februar 2008, E. 3.4 und
8C_633/2007 vom 7. Mai 2008, E. 6.2.2). Da entgegen der Ansicht der Vorinstanz
die Schwere der Verletzungen nicht in die Qualifikation des Unfallereignisses
einfliessen darf, kann hiebei offenbleiben, ob der Beschwerdeführer - wie von
ihm geltend gemacht - bereits durch die Kollision bewusstlos wurde, oder ob er
erst nach Verlassen des Fahrzeuges bewusstlos zusammenbrach. Ebenfalls braucht
nicht geprüft zu werden, ob er bei diesem Ereignis eine Hirnkontusion, oder
bloss eine Commotio cerebri erlitt.
3.3.3 Ist das Ereignis vom 21. Mai 2002 somit als mittelschwer im Grenzbereich
zu den schweren Unfällen zu qualifizieren, so genügt die Erfüllung eines der
Adäquanzkriterien, um den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Ereignis
und den organisch nicht nachweisbaren Beschwerden als adäquat und damit als
rechtsgenüglich erscheinen zu lassen. Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt
hat, ist das Ereignis objektiv betrachtet (RKUV 1999 Nr. U 335 S. 207, E. 3b/
cc, U 287/97; vgl. auch Urteil U 587/06 vom 8. Februar 2008, E. 3.4.1) als
besonders eindrücklich zu qualifizieren: Der Versicherte ist in einem
Autobahntunnel bei voller Fahrt mit einem Lastwagen kollidiert und ins
Schleudern geraten, wobei er mehrmals mit der Tunnelwand zusammenstiess. Das
Ereignis hatte objektiv einen dramatischen und unmittelbar lebensbedrohenden
Charakter. Aufgrund der psychiatrischen Stellungnahmen ist davon auszugehen,
dass der Beschwerdeführer das Ereignis in seiner Tragweite mitbekommen hat. Da
bereits die Erfüllung dieses einen Kriteriums den natürlichen
Kausalzusammenhang als adäquat erscheinen lässt, brauchen die übrigen Kriterien
nicht geprüft zu werden. Somit kann insbesondere offenbleiben, ob die
psychischen Beschwerden - wie vom Kreisarzt Dr. W.________ in seiner
Stellungnahme vom 27. November 2002 vermutet - durch eine Iatrogenisierung in
der Rehaklinik massgebend verschlimmert wurden.

3.4 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auch die vom Beschwerdeführer über
den 31. März 2005 hinaus anhaltend geklagten Beschwerden noch in einem
natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zum Unfallereignis vom 21. Mai
2002 standen. Der vorinstanzliche Entscheid ist daher aufzuheben und die Sache
zur Prüfung des Anspruchs auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung an
die SUVA zurückzuweisen.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Als unterliegende Partei hat
die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG; BGE
133 V 642 E. 5). Diese hat dem Beschwerdeführer überdies eine
Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, vom 28. November 2007 und
der Einspracheentscheid der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA)
vom 22. Juni 2005 werden aufgehoben. Die Sache wird an die SUVA zurückgewiesen,
damit sie den Anspruch auf Invalidenrente und Integritätsentschädigung im Sinne
der Erwägungen beurteile.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 4. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Holzer