Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.213/2008
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Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_213/2008

Urteil vom 9. Juni 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
Gerichtsschreiber Grünvogel.

Parteien
AXA Winterthur, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, Beschwerdeführer,

gegen

K.________, 1964, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Carlo Köhl, Süsswinkelgasse 5, 7000 Chur.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
vom 15. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
Die 1964 geborene K.________ war als Leiterin Zentralsekretariat im Spital
D.________ angestellt und in dieser Eigenschaft bei der
Winterthur-Versicherungen (im Folgenden: Winterthur) obligatorisch gegen
Unfälle versichert, als sie im Februar 1999 beim Skifahren Kopf voran in den
Schnee stürzte. Die daraus resultierenden Nackenschmerzen therapierte
K.________ selbst mit Salben und Massagen, ohne deswegen das bisherige
Arbeitspensum von 80 % unterbrechen zu müssen. Eine Reduktion erfolgte - nach
eigenen Angaben schmerzbedingt - dagegen im Sommer 1999 auf 50 %.

Am 5. Oktober 1999 rutschte K.________ beim Marronisammeln aus und stürzte auf
Gesäss und Rücken, worauf sie sich zu Dr. med. A.________ in ärztliche
Behandlung begab. Dr. med. A.________ diagnostizierte ein Hyperextensionstrauma
der Halswirbelsäule (HWS) mit akut schmerzhafter Bewegungseinschränkung,
Parästhesien im linken Arm bis zum Mittelfinger sowie eine Streckhaltung der
HWS. Die MRI-Abklärung vom 7. Dezember 1999 brachte eine Diskushernie C6/7 zu
Tage, welche Prof. Dr. med. B.________, Klinik S.________, operativ behandelte.
Die Winterthur, welcher der zweite Unfall am 14. Oktober 1999 und der erste
rückwirkend am 9. Dezember 1999 gemeldet worden waren, übernahm die
Heilungskosten und erbrachte Taggelder.
Im Januar 2002 wurde eine Diskopathie im Segment C5/6 erkannt. Für deren
operative Behandlung erbrachte die Krankenkasse Leistungen.

Mit Verfügung vom 30. Januar 2006 erklärte die Winterthur die Heilbehandlung
für abgeschlossen und stellte die Taggeldleistungen rückwirkend auf den 1.
April 2000 mit der Begründung ein, ab diesem Zeitpunkt sei K.________ wieder
voll arbeitsfähig gewesen. Einen Anspruch auf Invalidenrente verneinte der
Unfallversicherer ebenfalls, sprach indessen eine auf einer
Integritätseinschränkung von 10 % basierende Integritätsentschädigung zu. Daran
hielt die Winterthur mit Einspracheentscheid vom 7. März 2007 fest. Dabei
verzichtet sie auf die Rückforderung der bereits ausbezahlten, aus ihrer Sicht
in der Verfügung unrechtmässig zugesprochenen Integritätsentschädigung.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden mit Entscheid vom 15. Januar 2008 im Sinne der Erwägungen gut, hob
den angefochtenen Einspracheentscheid auf und wies die Sache zu weiteren
Abklärungen und neuem Entscheid an die Winterthur zurück.

C.
Die Winterthur führt dagegen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit dem sinngemässen Antrag, den kantonalen Entscheid
aufzuheben.

Dem zugleich gestellten prozessualen Gesuch um Erteilung der aufschiebenden
Wirkung gibt das Gericht mit Verfügung vom 3. April 2008 vorläufig statt.

K.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, während das Bundesamt
für Gesundheit auf eine Stellungnahme verzichtet.

Erwägungen:

1.
Das kantonale Gericht hat die Sache zur Vornahme weiterer medizinischer
Abklärungen mit rechtlichen Vorgaben an die Beschwerdeführerin zurückgewiesen.
Ein solcher Entscheid stellt rechtsprechungsgemäss einen Zwischenentscheid dar,
der nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen der Art. 92 f. BGG
selbstständig anfechtbar ist (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f. mit Hinweisen).
Die Vorinstanz hat in Erwägung 3 materiellrechtliche Überlegungen über die
massgebliche Bezugsgrösse des Arbeitspensums bei der Festlegung der
Arbeitsunfähigkeit und über das angebliche Rückforderungsverbot der bereits
ausbezahlten Integritätsentschädigung angestrengt und diese ausdrücklich als
für die Versicherung bindend erklärt. Damit hätte sie diese bei unterbliebener
Beschwerdeführung gezwungen, eine ihres Erachtens zumindest in Teilen
rechtswidrige Verfügung zu erlassen, was für diese einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit a BGG zur Folge hat
(näheres dazu: BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.).

2.
Das kantonale Gericht hat die Rechtsgrundlagen zu dem für einen
Leistungsanspruch aus der obligatorischen Unfallversicherung erforderlichen
natürlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfall und eingetretenem Schaden
zutreffend dargelegt (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181 mit Hinweisen). Darauf wird
verwiesen.

Zu beachten ist sodann, dass der Sozialversicherungsrichter alle Beweismittel,
unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu
entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung
des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf er bei einander
widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das
gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum er auf die
eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt. Hinsichtlich des
Beweiswertes eines Arztberichtes ist also entscheidend, ob der Bericht für die
streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch
die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese)
abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und in
der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die
Schlussfolgerungen des Experten begründet sind (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352).
Lassen sich widersprechende ärztliche Meinungsäusserungen nicht schlüssig
auflösen, kann deren Überprüfung durch eine weitere Fachperson im Rahmen einer
Expertise angezeigt sein (vgl. dazu BGE 125 V 351 E. 3b/aa S. 353 mit
Hinweisen).

3.
Der Unfallversicherer stellte die Taggeldleistungen ab dem 1. April 2000 mit
der Begründung ein, die über diesen Zeitpunkt hinaus andauernden Beschwerden
stünden nicht mehr in einem ursächlichen natürlichen Kausalzusammenhang zu den
Unfällen im Februar und November 1999. Aus demselben Grund wurde der
Rentenanspruch ausgeschlossen.

3.1 Im Zentrum stand dabei die im Anschluss an das zweite Ereignis anhand einer
MRI festgestellte Diskushernie C6/7, während die zweite, erstmals im Januar
2002 erkannte Diskopathie im Segment C5/6 bereits von der zeitlichen Distanz zu
den beiden Ereignissen her ärztlicherseits erst gar nicht ernsthaft als durch
diese verursacht andiskutiert wurde. Es war denn auch der Krankenversicherer,
der hierfür Leistungen erbrachte.

Der die Diskushernie am 13. Dezember 1999 operierende Prof. Dr. med. B.________
bezeichnete den Skiunfall vom Februar 1999 im Bericht vom 2. März 2000 als für
die Diskushernie verantwortlich. Dabei stellte er auf die Aussage der
Versicherten ab, wonach sie seit dem Skiunfall bis zur Operation ohne
Unterbruch an andauernden Genick- und dann linksseitigen Halsschmerzen gelitten
habe, davor - abgesehen von sporadisch aufgetretenen "Halskehren" -
beschwerdefrei gewesen sei, und folgerte daraus auf ein "massgebliches
Zermürben" der Bandscheiben C6/7 bei diesem Ereignis; der leichtere Sturz vom
5. Oktober 1999 auf Gesäss und Rücken habe alsdann die zur Operation führende
Pathologie ausgelöst. Der Vertrauensarzt der Beschwerdeführerin, Dr. med.
H.________, schloss demgegenüber im Bericht vom 28. Februar 2007 eine
traumatische Ursache der Diskushernie C6/7 mit der Begründung aus, es ermangle
hierfür an den für eine solche Schlussfolgerung erforderlichen Symptomen, wie
sie unmittelbar nach dem Unfall hätten auftreten müssen, damit von einer, durch
das Ereignis verursachten Diskushernie gesprochen werden könne; die anders
lautende Beurteilung von Prof. Dr. med. B.________ sei spekulativ und
widerspreche klar der biomechanisch fundierten Kausalitätsbeurteilung. Die
Beschwerdeführerin folgte der Einschätzung des Vertrauensarztes ohne weitere
Abklärungen.

3.2 Die Vorinstanz bemängelte dieses Vorgehen in erster Linie mit der
Begründung, den Ausführungen von Dr. med. H.________ fehle es an einer
(überzeugenden) Auseinandersetzung mit der anderslautenden Einschätzung von
Prof. Dr. med. B.________ vom 3. März 2000, weshalb weitere medizinische
Abklärungen bzw. Stellungnahmen dazu angezeigt seien.

3.3 Es entspricht einer medizinischen Erfahrungstatsache im Bereich des
Unfallversicherungsrechts, dass praktisch alle Diskushernien bei Vorliegen
degenerativer Bandscheibenveränderungen entstehen und ein Unfallereignis nur
ausnahmsweise, unter besonderen Voraussetzungen, als eigentliche Ursache in
Betracht fällt. Als weitgehend unfallbedingt kann eine Diskushernie betrachtet
werden, wenn das Unfallereignis von besonderer Schwere und geeignet war, eine
Schädigung der Bandscheibe herbeizuführen, und die Symptome der Diskushernie
(vertebrales oder radikuläres Syndrom) unverzüglich und mit sofortiger
Arbeitsunfähigkeit auftreten. In solchen Fällen hat die Unfallversicherung
praxisgemäss auch für Rezidive und allfällige Operationen aufzukommen (RKUV
2000 Nr. U 379 S. 192 E. 2a [U 138/99] mit Hinweis auf das nicht
veröffentlichte Urteil U 159/95 vom 26. August 1996, E. 1b, und medizinische
Literatur; zuletzt Urteil 8C_167/2007 vom 8. April 2008, E. 3.2.2).
Wenn daher Dr. med. H.________ angesichts der im Anschluss an den, erst am 9.
Dezember 1999 der Versicherung gemeldeten Skiunfall im Februar 1999
ausgebliebenen notfallmässigen ärztlichen Behandlung wie auch der fehlenden
Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit, dieses Ereignis als Ursache für die im
Dezember erstmals diagnostizierte Diskushernie C6/7 ausschloss, trug er damit
lediglich den medizinischen Erfahrungstatsachen Rechnung. Prof. Dr. med.
B.________ stellte dagegen bei seiner Einschätzung massgeblich auf die
Schilderungen der Beschwerdegegnerin ab, wonach sie seit dem Skiunfall ohne
Unterbruch an andauernden Genick- und dann linksseitigen Halsschmerzen gelitten
habe, ohne indessen dabei die fehlende Notwendigkeit ärztlicher Behandlung und
das zumindest bis in den Sommer 1999 im Vergleich zur Zeit vor dem Unfall
unverändert geleistete Arbeitspensum von 80 % der Norm zu berücksichtigen und
damit die oben geschilderte medizinische Erfahrungstatsache zu beachten. Für
ein "massgebliches Zermürben der Bandscheiben C6/7" anlässlich des Skiunfalls,
wie von Prof. Dr. med. B.________ angenommen, fehlt es demnach beweismässig an
hinreichenden Anhaltspunkten. Dr. med. H.________ durfte diese Einschätzung
daher, soweit im Sinne einer Ursächlichkeit für die Diskushernie verstanden,
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausschliessen, ohne sich damit in einen
offen bleibenden Widerspruch zur Einschätzung von Prof. Dr. med. B.________ zu
setzen oder dass weitere Abklärungen angezeigt gewesen wären. Mit anderen
Worten ist nicht entscheidend, ob die Versicherte nun nach dem Unfall im
Februar 1999 tatsächlich an fortdauernden Nackenbeschwerden gelitten hat, wie
von ihr geltend gemacht und von Prof. Dr. med. B.________ und offenbar später
auch vom Hausarzt Dr. med. A.________ als gegeben angenommen. So oder so ist -
medizinischen Erfahrungstatsachen folgend - angesichts der fehlenden
hinreichenden Symptomatik mit umgehender Arbeitsunfähigkeit direkt im Anschluss
an das Ereignis ein die Bandscheiben schädigender Unfall mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit auszuschliessen.

3.4 Mit Dr. med. H.________ wie auch mit Prof. Dr. med. B.________ ist davon
auszugehen, dass das zweite (und allenfalls auch bereits das erste Ereignis)
eine bisher symptomlos vorhanden gewesene Diskushernie C6/7 ausgelöst hat.
Ist indessen die Diskushernie bei degenerativem Vorzustand durch den Unfall nur
aktiviert, nicht aber verursacht worden, so hat die Unfallversicherung nur
Leistungen für das unmittelbar im Zusammenhang mit dem Unfall stehende
Schmerzsyndrom zu erbringen (a.a.0.). Nach derzeitigem medizinischen
Wissensstand kann das Erreichen des Status quo sine bei posttraumatischen
Lumbalgien und Lumboischialgien nach drei bis vier Monaten erwartet werden,
wogegen eine allfällige richtunggebende Verschlimmerung röntgenologisch
ausgewiesen sein und sich von der altersüblichen Progression abheben muss; eine
traumatische Verschlimmerung eines klinisch stummen degenerativen Vorzustandes
an der Wirbelsäule ist in der Regel nach sechs bis neun Monaten, spätestens
aber nach einem Jahr als abgeschlossen zu betrachten (Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts U 354/04 vom 11. April 2005, E. 2.2, mit Hinweisen auch
auf die medizinische Literatur).

In diesem Sinne ist die Verneinung eines Renten- und Taggeldanspruchs für die
Zeit ab wiedererlangter voller Arbeitsfähigkeit ab 1. April 2000, mithin rund
14 bzw. 6 Monate nach den Unfällen, nicht zu beanstanden. Zu beachten bleibt,
dass Prof. Dr. med. B.________ im Bericht vom 2. März 2000 zwar davon
ausgegangen ist, die Beschwerdegegnerin sei ab dem 1. April 2000 wieder im
gewohnten Umfang arbeitsfähig, indessen gleichzeitig den Status quo ante bei
günstigem Verlauf als etwa in drei Monaten erreicht bezeichnete, was die
weitere Übernahme der Heilungskosten (über diesen Zeitraum hinaus) durch den
Unfallversicherer begründet hatte.

4.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdegegnerin als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung entfällt (Art. 68 Abs.
2 und 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Graubünden vom 15. Januar 2008 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Juni 2008
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:

Ursprung Grünvogel