Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.194/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_194/2008

Urteil vom 16. September 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Widmer, Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Durizzo.

Parteien
R.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Cristoforo Motta, Aarbergergasse 21, 3011 Bern,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 29. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 3. Mai 2006 und Einspracheentscheid vom 2. Juli 2007 sprach
die IV-Stelle Bern R.________, geboren 1955, ab 1. November 2003 eine
Viertelsrente zu (Invaliditätsgrad: 41 %).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 29. Januar 2008 ab (Invaliditätsgrad: 48 %).

C.
R.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm ab 1.
November 2003 eine halbe Invalidenrente zuzusprechen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG).

2.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zum Begriff der
Invalidität (Art. 8 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Anspruch auf
eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 IVG), zur Ermittlung des Invaliditätsgrades
bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 16
ATSG), zum Zeitpunkt des Rentenbeginns nach Ablauf der einjährigen Wartefrist
(Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG) sowie zum Beweiswert von Arztberichten und
medizinischen Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff., 122 V 157 E. 1c S. 160
ff.) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Die gesetzlichen und rechtsprechungsgemässen Regeln über die Durchführung des
Einkommensvergleichs, einschliesslich derjenigen über die Anwendung der
Schweizerischen Lohnstrukturerhebung, sind Rechtsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.3
S. 399). Diese sind nach der dargelegten Kognitionsregelung (oben E. 1) frei
überprüfbar.

4.
Streitig sind die erwerblichen Auswirkungen des Gesundheitsschadens. Der
Beschwerdeführer rügt die von der Vorinstanz dem Einkommensvergleich zugrunde
gelegte Höhe des Valideneinkommens und beantragt einen höheren als den
gewährten leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn beim Invalideneinkommen (15 %
statt 10 %).

4.1 Das Valideneinkommen ist der Verdienst, den der Versicherte im
hypothetischen Gesundheitsfall aufgrund der beruflichen Fähigkeiten und
persönlichen Umstände nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit
verdienen würde (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 97 E. 3b S. 100 f. mit Hinweis). Die
Einkommensermittlung hat so konkret wie möglich zu erfolgen, wobei in der Regel
vom letzten Lohn, welchen der Versicherte vor Eintritt der
Gesundheitsschädigung erzielt hat, auszugehen ist (ZAK 1980 S. 593 mit
Hinweisen). Massgebend ist somit das hypothetische Einkommen, das der
Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Rentenbeginns im Jahr 2003 hätte verdienen
können (BGE 128 V 174, 129 V 222).

4.2 Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang zu Recht, dass Verwaltung
und Vorinstanz von dem im letzten vollen Erwerbsjahr (2001) erzielten Lohn
ausgegangen sind, wenn auch unter Aufrechnung auf das Jahr 2003 entsprechend
der statistischen Lohnentwicklung, lagen doch konkrete Angaben des Arbeitgebers
vor. Dieser hat dem Anwalt des Versicherten am 29. Mai 2006 eine Bestätigung
über die hypothetische weitere Lohnentwicklung seines - einzigen, seit 1983 in
seinem Betrieb tätigen - Arbeitnehmers ausgestellt. Demnach hätte der
Beschwerdeführer dort im Jahr 2003 Fr. 6180.- pro Monat verdienen können, und
für die folgenden Jahre wären Lohnerhöhungen von jeweils 2 beziehungsweise 3 %
vorgesehen gewesen. Die Vorinstanz hätte die überwiegende Wahrscheinlichkeit
der bestätigten Lohnentwicklung abklären müssen. Auch der Erwerbscharakter der
vom Arbeitgeber im genannten Schreiben erwähnten "Krankenkassenzulagen" ist
abklärungsbedürftig. Indem die Untersuchungspflicht verletzt wurde, kann auf
den vorinstanzlich festgestellten Validenlohn nicht abgestellt werden, weshalb
die Sache zur ergänzenden Sachverhaltsfeststellung an die Vorinstanz
zurückzuweisen ist.

4.3 Bei der Festsetzung des Invalideneinkommens haben Verwaltung und Vorinstanz
zu Recht Tabellenlöhne herangezogen (BGE 129 V 472 E. 4.2.1 S. 475). Der
Beschwerdeführer beantragt einen höheren als den gewährten Abzug vom
Tabellenlohn. Dabei handelt es sich jedoch um einen typischen
Ermessensentscheid, welcher einer Korrektur nur bei rechtsfehlerhafter Ausübung
des Ermessens durch das kantonale Gericht zugänglich wäre (Art. 95 lit. a BGG).
Dafür bestehen bei der gewährten Reduktion von 10 % (anstelle der verlangten 15
%) keine Anhaltspunkte.
Insbesondere ist beim Einkommensvergleich unter Verwendung statistischer
Tabellenlöhne rechtsprechungsgemäss zu berücksichtigen, dass gesundheitlich
beeinträchtigte Personen, die selbst bei leichten Hilfsarbeitertätigkeiten
behindert sind, im Vergleich zu voll leistungsfähigen und entsprechend
einsetzbaren Arbeitnehmern lohnmässig benachteiligt sind und deshalb in der
Regel mit unterdurchschnittlichen Lohnansätzen rechnen müssen (BGE 129 V 472 E.
4.2.3 S. 481). Diesem Umstand wurde indessen bereits beim zumutbaren
Arbeitspensum von 80 % Rechnung getragen, ist der Beschwerdeführer doch gemäss
MEDAS-Gutachten vom 19. Januar 2007 in einer Verweistätigkeit mit ideal
angepassten Bedingungen zu 100 % arbeitsfähig, mit einer Leistungseinbusse von
20 %. Das invalidenversicherungsrechtlich festgelegte Invalideneinkommen wird
auf der Grundlage eines ausgeglichenen Arbeitsmarktes (Art. 16 ATSG) ermittelt.
Der ausgeglichene Arbeitsmarkt ist ein theoretischer und abstrakter Begriff. Er
berücksichtigt die konkrete Arbeitsmarktlage nicht, umfasst in wirtschaftlich
schwierigen Zeiten auch tatsächlich nicht vorhandene Stellenangebote und sieht
von den fehlenden oder verringerten Chancen Teilinvalider, eine zumutbare und
geeignete Arbeitsstelle zu finden, ab (BGE 134 V 64 E. 4.2.1 S. 70 f.; 110 V
273 E. 4b S. 276). Insofern fällt auch das Lebensalter des 1955 geborenen
Beschwerdeführers nicht erschwerend ins Gewicht; so wurde ein diesbezüglicher
Abzug im Fall eines 53-jährigen Versicherten verneint (BGE 126 V 75 E. 5a/cc S.
79). Schliesslich nimmt die Bedeutung der Dienstjahre rechtsprechungsgemäss ab,
je niedriger das Anforderungsprofil ist (AHI 1999 S. 177 E. 3b S. 181; Urteil I
620/06 vom 6. Juli 2007, E. 6.2.1).
Damit ist das von der Vorinstanz gestützt auf die vom Bundesamt für Statistik
herausgegebene Lohnstrukturerhebung (LSE; Zentralwert [Total] im privaten
Sektor gemäss LSE 2002, Tabelle TA1 [S. 53], Anforderungsniveau 4 [einfache und
repetitive Tätigkeiten], Männerlöhne: Fr. 4557.-), umgerechnet auf die
betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit von 41,7 Stunden (Die Volkswirtschaft,
2008 Heft 7/8, S. 90, Tabelle B 9.2), angepasst an die Nominallohnentwicklung
bei Männerlöhnen von 1,3 % (Bundesamt für Statistik, Lohnentwicklung 2006, S.
30, Tabelle T1.1.93; BGE 129 V 408) und unter Berücksichtigung einer
Arbeitsfähigkeit von 80 % sowie eines leidensbedingten Abzuges von 10 %
ermittelte Invalideneinkommen von Fr. 41'564.- nicht zu beanstanden.

4.4 Wie der Beschwerdeführer des Weiteren zutreffend geltend macht, sind
allfällige rentenwirksame Änderungen der Vergleichseinkommen bis zum
Einspracheentscheid zu berücksichtigen (BGE 128 V 174, 129 V 222). Die
Vorinstanz wird somit nach Abklärung des Valideneinkommens zu prüfen haben, ob
der Vergleich der jeweiligen auf zeitidentischer Grundlage zu erhebenden
Validen- und Invalideneinkommen der Jahre 2004 bis 2007 eine relevante Änderung
des Invaliditätsgrades ergibt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 29. Januar 2008 aufgehoben und die
Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter
Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. September 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Durizzo