Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.191/2008
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_191/2008

Urteil vom 9. Oktober 2008
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Lustenberger, Bundesrichterin Leuzinger,
Gerichtsschreiberin Polla.

Parteien
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich, 8090 Zürich,
Beschwerdeführer,

gegen

W.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 28. Januar 2008.

Sachverhalt:

A.
Der 1967 geborene W.________ meldete sich nach einer durch die
Arbeitslosenversicherung vom 3. Juli bis 31. Oktober 2006 geförderten
selbstständigen Erwerbstätigkeit, welche er anschliessend aufnahm, am 9. Januar
2007 erneut zur Arbeitsvermittlung im Umfang von 100 % und zum Bezug von
Arbeitslosenentschädigung an. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des
Kantons Zürich verneinte einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab
Antragstellung, da er seine selbstständige Erwerbstätigkeit nicht vollständig
aufgegeben habe (Verfügung vom 20. März 2007). Daran hielt das Amt auf
Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 14. Juni 2007).

B.
In Gutheissung der hiegegen geführten Beschwerde hob das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid vom 14.
Juni 2007 auf und stellte fest, dass W.________ ab 9. Januar 2007
vermittlungsfähig war und Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung hat, sofern
die weiteren Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (Entscheid vom 28. Januar
2008).

C.
Das AWA des Kantons Zürich führt Beschwerde und beantragt die Aufhebung des
vorinstanzlichen Entscheids.
W.________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Staatssekretariat für
Wirtschaft hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Nach Art. 71a Abs. 1 AVIG kann die Versicherung arbeitslose Personen, die eine
dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen, durch die
Ausrichtung von höchstens 90 Taggeldern während der Planungsphase (Art. 95a
AVIV) eines Projektes unterstützen. Nimmt der Versicherte nach dem Bezug des
letzten besonderen Taggeldes eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf oder hat
er sie zu diesem Zeitpunkt bereits aufgenommen, ist seine Arbeitslosigkeit
beendet und er erhält keine weiteren Leistungen der Arbeitslosenversicherung
(BGE 126 V 212; ARV 2001 Nr. 9 S. 90 E. 1d mit Hinweis, C 427/99; 2000 Nr. 37
S. 197, C 253/98; Nr. 5 S. 22, C 117/98). Bei endgültiger Aufgabe (ARV 2001 Nr.
9 S. 89; 2000 Nr. 37 S. 197) der selbstständigen Erwerbstätigkeit gilt für den
allfälligen Bezug weiterer Taggelder eine Rahmenfrist von vier Jahren (Art. 71d
Abs. 2 AVIG), gerechnet ab Stichtag bei der Eröffnung der ursprünglichen
Rahmenfrist für den Leistungsbezug. Damit wird die laufende zweijährige
Rahmenfrist um zwei Jahre erstreckt, wenn die Erwerbstätigkeit nicht
beitragswirksam nach Art. 13 AVIG war (Art. 95e Abs. 2 AVIV; Nussbaumer,
Arbeitslosenversicherung in: Ulrich Meyer [Hrsg.], Schweizerisches
Bundessozialversicherungsrecht [SBVR], Band XIV, Soziale Sicherheit, 2. Aufl.,
Basel/Genf/München 2007, Rz. 793).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdegegner ab 9. Januar 2007 wiederum
Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung hat, nachdem ihm zur
Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit besondere Taggelder bis zum 31.
Oktober 2006 gewährt worden waren und er anschliessend eine solche Tätigkeit
tatsächlich aufgenommen hat.

3.1 Die Vorinstanz hat im Wesentlichen erwogen, die vom Beschwerdeführer im
relevanten Zeitraum erbrachten Nachweise der persönlichen Arbeitsbemühungen
würden dokumentieren, dass er sich tatsächlich, wenn auch nicht genügend
intensiv, um eine Anstellung bemüht habe. Es sei davon auszugehen, dass er
gewillt gewesen sei, eine unselbstständige Arbeit aufzunehmen. Überdies liessen
der noch nicht erfolgte Eintrag im Handelsregister sowie die bis anhin fehlende
Anmeldung als Selbstständigerwerbender bei der AHV-Ausgleichskasse eher auf
seine Vermittlungsfähigkeit schliessen. Die an Randzeiten geführten
"Investorengespräche" stünden überdies der Ausübung einer vollzeitlichen
Arbeitnehmertätigkeit nicht entgegen. Einzig die bereits investierte Summe von
Fr. 50'000.- würde für eine fehlende Vermittlungsfähigkeit sprechen, allerdings
habe er keine Lokalitäten gemietet und verfüge über keine aufwändige
Infrastruktur. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Tatsache,
dass der Versicherte die selbstständige Tätigkeit lediglich als Reaktion auf
die Arbeitslosigkeit aufgenommen habe, sei die Vermittlungsfähigkeit ab 9.
Januar 2007 zu bejahen.

3.2 Das Beschwerde führende Amt stellt sich dementgegen auf den Standpunkt, die
Vorinstanz habe sich mit seinen Argumenten, insbesondere dem Umstand, dass die
mit Taggeldern zur Förderung der selbstständigen Erwerbstätigkeit aufgenommene
Tätigkeit nicht definitiv aufgegeben worden sei, nicht auseinandergesetzt und
sei lediglich auf das Anspruchserfordernis der Vermittlungsfähigkeit
eingegangen. Könnte der Versicherte aber je nach Geschäftsgang und je nach
Belieben Taggelder der Arbeitslosenversicherung beziehen, käme dies der
Aushöhlung dieses Instituts gleich. Soweit er daher seine selbstständige
Erwerbstätigkeit nicht vollständig aufgegeben habe, sei er nicht
taggeldberechtigt.

3.3 Unbestrittenermassen hat der Beschwerdegegner am 1. November 2006 seine
selbstständige Erwerbstätigkeit aufgenommen. Nachdem die weitere Finanzierung
indessen - gemäss seiner Aussage - nicht zu Stande gekommen war, meldete er
sich am 9. Januar 2007 erneut zum Leistungsbezug bei der
Arbeitslosenversicherung an. Bei der Anmeldebestätigung vom 25. Januar 2007
wurde als letzter Arbeitgeber denn auch "Club X.________ selbständig"
aufgeführt. Die zuständige Arbeitslosenkasse überwies daraufhin am 21. Februar
2007 die Sache zum Entscheid an das AWA, da sich der Versicherte gegenüber dem
RAV dahingehend geäussert hätte, dass er den Gedanken an die berufliche
Selbstständigkeit noch nicht aufgegeben habe. Wäre die Finanzierung des
Projektes gesichert, würde er dieses weiterverfolgen. Hiezu führe er Gespräche
mit Investoren über Mittag und an Abenden, die Löhne habe er bis anhin aus dem
Vermögen finanziert (Protokoll Beratungsgespräch vom 25. Januar 2007). Gleiches
ergibt sich aus seiner schriftlichen Stellungnahme vom 22. Februar 2007, worin
er ausführte, das Projekt könne umgesetzt werden, wenn ein Investor gefunden
würde, ansonsten sei die berufliche Selbstständigkeit gestorben. Daraus kann
gerade nicht gefolgert werden, dass der Beschwerdegegner die Selbstständigkeit
als gescheitert betrachtete und gewillt war, diese vollständig aufzugeben, was
aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht hingegen Voraussetzung für einen
Anspruch auf weitere Taggeldleistungen wäre (E. 2 hievor; Urteil C 165/00 vom
18. Oktober 2000, E. 2a). Für die selbstständige Erwerbstätigkeit spricht
sodann die Gründung der Club X.________ GmbH mit Sitz an der Privatadresse des
Versicherten, für die er als einzelzeichnungsberechtigter Gesellschafter und
Geschäftsführer mit einer Stammeinlage von Fr. 19'000.- (bei einem Stammkapital
von Fr. 20'000.-) im Handelsregister eingetragen ist (Handelsregistereintrag
vom 21. September 2007 mit Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatt am
27. September 2007).
Wie bereits dargelegt (E. 2 hievor) ist mit der Aufnahme der selbstständigen
Erwerbstätigkeit die Arbeitslosigkeit beendet und Leistungen der
Arbeitslosenversicherung bleiben auch bei mangelnder Beschäftigung oder
fehlenden Einnahmen verwehrt (BGE 126 V 212 E. 3a S. 215). Daran änderte sich
nichts, wenn der Beschwerdegegner in der hier relevanten Zeitspanne an sich
vermittlungsfähig gewesen wäre (Urteil C 86/06 vom 22. Januar 2007, E. 3.5).
Nach dem Gesagten basiert der vorinstanzliche Entscheid insofern auf einer
Bundesrechtsverletzung, als sich das kantonale Gericht, ohne die massgebenden
materiellrechtlichen Grundlagen (E. 2 hievor) angewendet zu haben, einzig mit
dem Aspekt der Vermittlungsfähigkeit auseinandergesetzt und die Frage der
definitiven Aufgabe der selbstständigen Erwerbstätigkeit ausser Acht gelassen
hat, woraus eine unzutreffende rechtliche Würdigung eines mit Blick auf den am
21. September 2007 erfolgten Handelsregistereintrag der Club X.________ GmbH
überdies unvollständig abgeklärten Sachverhalts (Art. 105 Abs. 2 BGG)
resultiert.

3.4 Schliesslich führt der letztinstanzlich erstmals vorgebrachte Einwand des
Beschwerdegegners, man hätte ihn darüber informieren müssen, dass Gespräche mit
Finanzexperten und möglichen Investoren von zwei bis drei Stunden wöchentlich
bereits geeignet sind, den Taggeldanspruch zu vereiteln, zu keinem anderen
Ergebnis. Selbst wenn mit dem Beschwerdegegner angenommen wird, die
Arbeitslosenversicherung habe in Kenntnis der Tatsache, dass er solche
Gespräche führte, die gesetzliche Aufklärungs- und Beratungspflicht (Art. 27
AVIG) verletzt, indem sie seiner Ansicht nach nicht ausdrücklich auf seinen
dadurch bedrohten Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung aufmerksam gemacht
hatte, greift der Vertrauensschutz nicht (vgl. BGE 131 V 472; Ulrich Meyer,
Grundlagen, Begriff und Grenzen der Beratungspflicht der
Sozialversicherungsträger nach Art. 27 Abs. 2 ATSG, in:
Sozialversicherungsrechtstagung 2006, St. Gallen 2006, ff., S. 27 f. mit
Hinweisen auf die seither ergangene Rechtsprechung). Denn der Einwand, bei
vollständiger Beratung hätte er solche Gespräche unterlassen und den Aufbau
einer selbstständigen Erwerbstätigkeit ganz aufgegeben, ist als weder bewiesene
noch durch irgendwelche Abklärungsmassnahmen beweisbare Schutzbehauptung zu
werten und daher nicht zu hören. Auch nach der mit Verfügung vom 20. März 2007
zweifellos erhaltenen Kenntnis der Rechtslage gab er seine selbstständige
Erwerbstätigkeit nicht auf (vgl. Urteil C 301/05 vom 8. Mai 2006, E.2.4.2),
sondern gründete vielmehr, wie erwähnt, am 21. September 2007 seine eigene
Firma, um ein Touristikunternehmen zu betreiben. Die Berufung auf eine
rechtlich geschützte Vertrauensstellung scheitert folglich bereits am Vorliegen
einer vertrauensschutzrechtlich bedeutsamen nachteiligen Disposition oder
Unterlassung, womit auch unter diesem Gesichtswinkel kein Leistungsanspruch
besteht und der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ab 9. Januar 2007 zu
Recht verneint wurde.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die Gerichtskosten werden dem
Beschwerdegegner als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. Januar 2008 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Staatssekretariat für Wirtschaft und der Unia Arbeitslosenkasse
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 9. Oktober 2008

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:

Ursprung Polla